Im Vorzimmer der Hölle

 

Endlich war er da, der große Tag des Genossen Peppone. Sie hatten eine riesige Traktorenfabrik und eine denkbar gut ausgerüstete Kolchose besucht. Darauf waren sie zwanzig geschlagene Stunden an Bord des Zuges gefahren, inmitten eines Ozeans von ertragreichen, gut gepflegten Feldern, so daß sie ein Bild von dem ungeheuren landwirtschaftlichen Reichtum und der administrativen Wirksamkeit der Sowjetunion erhalten hatten. Aber das war nicht das Rußland, das den Westen verblüffen konnte.

Bis zu diesem Augenblick hatte der vom Zufall schändlich begünstigte Westen, vertreten durch Don Camillo, leichtes Spiel gehabt, doch jetzt war der Freßnapf leer. Jetzt blieb dem Westen nichts anderes übrig als vor lauter Wundern die Augen aufzureißen und das dreimal verfluchte Maul geschlossen zu halten.

Der moderne, komfortable und majestätische Autobus, der sie durch die breiten und höchst schmucken Straßen Moskaus spazieren fuhr, glich nicht einmal von fern dem großen Karren, auf dem sie über die lehmigen Sträßchen der Ukraine gefahren worden waren. Und durch die breiten Fenster hindurch sah man keine strohbedachten Isbas, wohl aber Wolkenkratzer von hundertfünfzig und auch von zweihundert Metern Höhe.

Der Westen schaute stumm umher, und ab und zu schluckte er leer.

»Ihr dürft euch nicht beeindrucken lassen«, flüsterte Peppone dem Westen ins Ohr. »Das ist alles Propaganda! Immerhin, wenn es euch nach einer Prise Luft gelüstet, könnt ihr um den Kreml herum einen Rundgang machen, das sind kaum fünf Kilometer

Peppone wiederholte dem Don Camillo genau und sehr aufgeregt die Erklärungen der Genossin Nadia Petrowna, und in seiner Stimme zitterte soviel Stolz, daß man annehmen mußte, Moskau sei von ihm erbaut worden.

Der Genosse Yenka Oregow freute sich über jedes Bewunderungsgeheul, das Peppone und seine Genossen ausstießen. Der Genosse Oregow war kein gefrorener und gleichgültiger Bürokrat, und für die tausend armseligen Rubel, die er monatlich vom Staat erhielt, gab er der Sache für mindestens zehntausend Rubel Glauben und Begeisterung. Er fühlte sich winzig, jedoch nötig wie einer der hunderttausend Backsteine, aus denen das große Gebäude mit den massigen Mauern zusammengesetzt ist.

›Es braucht hundert Kopeken, um einen Rubel zu machen, und tausend mal tausend Rubel, um eine Million Rubel zu machen. Die Kopeke ist nur der hundertmillionste Teil der Million, aber wenn meine Kopeke fehlt, wird man nie zur Million Rubel gelangen.‹ So dachte der Genosse Oregow, und seine Überlegung war nicht abseitiger Art, denn wenn er auch nur sein bescheidenes Kapital von einer Kopeke eingelegt hatte, fühlte er sich doch als Millionär. Der Genosse Oregow bebte daher aus berechtigtem Stolz jedesmal, wenn Peppone und Genossen ihrer Bewunderung lauten Ausdruck gaben, und als er begriff, daß die Gäste nun doch der schönen Dinge satt waren, teilte er ihnen durch die Genossin Nadia mit, daß der erste Teil des Stadtbesuchs als erledigt zu betrachten sei.

»Der Genosse Oregow sagt«, erklärte die Petrowna, »daß es ratsam wäre, zu Fuß zum Hotel zurückzukehren, damit ihr euch die Beine vertreten könnt. Es sind nur wenige hundert Meter

Sie stiegen auf einem Platz aus, der von majestätischen Gebäuden umgeben war, und machten sich auf den Weg.

Als ob er sich in der letzten Minute einer Einzelheit von zweitrangiger Bedeutung, die ihm entgangen war, erinnere, rief der Genosse Oregow auf einmal aus: »Ah!«, um dann, nach einer raschen Wendung, den Eingang einer Art großen und niederen Kioskes, der sich in der Mitte des Platzes erhob, zu betreten.

Die anderen folgten ihm. Eine Rolltreppe nahm sie auf und trug sie zu den Eingeweiden der Erde hinunter.

»Das ist eine Untergrundbahnstation«, erklärte die Genossin Nadia, als alle vor der Rolltreppe gelandet waren.

Moskaus Untergrundbahn ist der Stolz der Sowjetunion, und um eine Ahnung zu bekommen, wie sie sich präsentiert, muß man an einen assyrisch-babylonischen Alpdruck denken: Marmor, Kristall, Lüster, Porzellan, Mosaiken, Stukkaturen, Fresken, Hochreliefs, Tiefreliefs, Statuen, Bilder, Stiche, Bronzen, Silber und Gold. Man wundert sich, daß die Fahrgäste nicht Nerzmäntel tragen.

Peppone und Konsorten waren wie vom Blitz getroffen, und der Genosse Kopeke spiegelte sich in ihrer Begeisterung.

Der erste, der wieder zu sich kam, war Scamoggia.

»Genossin«, vertraute er leise der Petrowna an, »nach dir ist dies die schönste Sache, die ich in der Sowjetunion sah

Die Genossin Petrowna, so unversehens überrumpelt, war etwas perplex, hatte sich jedoch sogleich wieder in der Gewalt.

»Genosse«, warnte sie, »angesichts dieses riesigen Werkes sowjetischer Arbeit und Kunst darf man nicht spaßen

»Genossin«, erwiderte Scamoggia, »ich spaße nicht

Die Art und Weise, wie er es sagte, bewies, daß Scamoggia im Ernst sprach, und die Genossin Nadia vergaß für einen Augenblick ihre Pflichten eines Parteifunktionärs und lächelte wie irgendeine Bürgersfrau.

Unterdessen hatte sich Peppone an die Fersen Don Camillos geheftet. »Genosse«, rief er grinsend aus, »kannst du dir denken, was ein gewisser Hochwürden aus unserer Bekanntschaft, wenn er hier wäre, sagen würde

Die Untergrundbahnstation war von Leuten überfüllt: Die gewohnten Männer und die gewohnten Frauen, eingemummt in schlecht gemachte und verbrauchte Kleider. Die gewohnten traurigen Gesichter.

»Wenn er hier wäre«, erwiderte Don Camillo, »würde er sagen, daß es besser ist, ein Beefsteak von einem Tonteller zu essen als eine Zwiebel von einem Goldteller

»Das ist niedriger Materialismus«, stellte Peppone vernichtend fest. Aber er dachte an das Beefsteak.

 

Es waren die Tage der Entspannung. Die Sowjetunion schaute nicht auf die Spesen und hatte für die Gäste das schönste und größte Hotel der Stadt gewählt eine Sache nach Art der Untergrundbahn, mit mehr als tausend Zimmern und großen Sälen und Salons und Salönchen und Lifts und so fort.

Nach dem Mittagessen ließ sich Don Camillo in einen Polstersessel der Halle nieder, um das Schauspiel der Leute, die kamen und gingen, zu genießen. Es war ein außerordentliches Schauspiel, denn es schien, als hätten sich alle Rassen der Welt hier ein Stelldichein gegeben. Man sah gelbe, schwarze, braune, graue, grünliche, weißliche Gesichter mit allen Zwischentönen, und man hörte hundert Sprachen reden.

Natürlich ließ Peppone Don Camillo nicht lange allein; er kam herbei und setzte sich neben ihn.

»Es ist ein wahres Babel«, bemerkte nach einem Weilchen Don Camillo.

»Scheint so«, erwiderte Peppone. »Doch obwohl sie verschiedene Zungen haben, verstehen sich diese Menschen vollkommen, weil sie alle in der gleichen Art und Weise denken. Und das ist die Kraft des Kommunismus. Habt ihr heute morgen Lenins Mausoleum gesehen mit den zahllosen Leuten, die warten, bis die Reihe an ihnen ist? Eine endlose Schlange, und das ist immer so, jeden Tag, vom Morgen bis zum Abend, denn wer immer nach Moskau kommt, spürt das Bedürfnis, dem Manne, der das Licht in die Welt der Finsternis gebracht hat, Ehre zu erweisen. Und alle diese Menschen, vom Kongolesen zum Chinesen, vom Italiener zum Grönländer, sind erleuchtet worden

Don Camillo schaute Peppone ehrlich begeistert an.

»Genosse«, sagte er, »als du noch Bürgermeister warst, hast du von diesen Dingen nichts gewußt

»Ich wußte das alles, wie ich es jetzt weiß. Aber ich wußte nicht, daß ich es wußte. Dann hat sich die Einsicht eingestellt, und ich habe sie gefunden und gefeilt. Im Grunde geschieht mit Lenin dasselbe, was mit Christus geschah, als er Mode war. Mit dem Unterschied, daß es sich im Fall Christi um Aberglauben handelte. Hier aber handelt es sich um den gesunden Menschenverstand. Die Wahrheit lag vor unseren Augen, war jedoch im Dunkel versteckt. Lenin hat die Fackel entzündet, die sie ins Licht gesetzt hat, so daß alle sie sehen konnten. Darum spürt jeder, der nach Moskau kommt, das Bedürfnis, Lenin seine Dankesschuld zu entrichten

»Aber ist da nicht noch ein anderer Mann im Mausoleum, zusammen mit Lenin erkundigte sich Don Camillo.

»Er ist es und ist es nicht«, antwortete Peppone. »Wie dem auch sei, das Volk steht vor dem Mausoleum Schlange, um Lenin zu huldigen. Übrigens werdet Ihr das sehen

Don Camillo schüttelte den Kopf.

»Ich werde es nicht sehen«, sagte er.

»Wir werden hernach alle zum Mausoleum gehen«, erwiderte Peppone. »So haben wir es mit dem Genossen Oregow beschlossen

»Ich habe keine Dankesschuld zu bezahlen«, erklärte Don Camillo. »Ich folge der Mode nicht, und für mich ist die Offenbarung Christi noch gültig

Peppone grinste.

»Ein Zellenchef hat seine bestimmten Pflichten, denen er sich nicht entziehen kann

»Aber ein Pfarrer hat noch bestimmtere Pflichten«, entgegnete Don Camillo.

Indem er sich eben dieser Pflichten erinnerte, entnahm er der Tasche eine Karte, zog ein Tischchen zu sich und schickte sich an, zu schreiben.

»Ich hoffe, daß Ihr mir keine dummen Streiche macht brummte Peppone besorgt.

»Darf ein Genosse in seiner Heimatstadt nicht einen Freund haben, der auf dem Platz des Bischofssitzes wohnt

»Aber auf dem Platz des Bischofssitzes ist nur der Sitz des Bischofs rief Peppone aus.

Don Camillo streckte ihm die Karte hin.

»Wie du siehst«, erklärte er, »habe ich den Umstand, daß am Bischofssitz nur der Bischof sitzt, dazu benutzt, um die Karte an einen nicht näher bezeichneten ›Herrn‹, der den gleichen Vornamen und Namen wie der Bischof trägt, zu adressieren.«

Peppone nahm die Karte, warf einen Blick auf die Adresse und hielt sie Don Camillo hin.

»Ich will nichts von Euren persönlichen Geschäften wissen

»Genosse«, riet ihm Don Camillo, »wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich meine Unterschrift hinsetzen

»Ihr seid ja verrückt erwiderte Peppone.

»Und wenn morgen Christus wieder Mode würde warf Don Camillo listig ein.

Peppone nahm die Feder, kritzelte seinen Namen unter denjenigen Don Camillos und gab die Karte zurück.

»Ich tue es«, erklärte er, »weil Euer Bischof, obwohl ein Priester, ein sympathischer Mann ist. Aus keinem andern Grunde.«

Don Camillo stand auf, ging zu dem Briefkasten, der an einem Pfeiler der Halle befestigt war, und warf die Karte hinein.

Als er an seinem Platz zurückkam, war die ganze Mannschaft komplett da.

»Auf euren Wunsch hin«, erklärte die Genossin Nadia,

»werden wir jetzt Lenins Mausoleum besuchen

Don Camillo setzte sich mit den andern in Bewegung, gelangte aber nicht einmal zum Hotel hinaus, denn er strauchelte und vertrat sich den Fuß.

Er versuchte, trotzdem der Mannschaft zu folgen, aber wenn Peppone ihn nicht aufgefangen hätte, wäre er der Länge nach hingefallen.

»Bleibt und laßt den Hotelarzt rufen«, sagte die Genossin Nadia. »Es wird sich wohl nur um eine leichte Verstauchung handeln

Don Camillo war so niedergeschlagen und zeigte seinen Kummer so deutlich, daß der Genosse Oregow sich genötigt fühlte, ihm mittels der Übersetzerin lang und liebreich zuzusprechen, um ihn zu trösten.

»Du wirst Gelegenheit haben, das Mausoleum zu besuchen, wenn du zu uns zurückkehren wirst«, ließ er ihm zum Schlusse sagen.

Darauf beruhigte sich Don Camillo und hinkte zu seinem Polstersessel zurück.

Dort massierte er sich leicht den Knöchel, und da er nur getan hatte, als ob er strauchle, fühlte er sich sofort besser. Er zog das berühmte Büchlein mit den Maximen Lenins aus der Tasche und vertiefte sich in die Lektüre.

 

Don Camillo vergaß für ein Weilchen, daß er der Genosse Tarocci war, weil er so eine gute halbe Stunde in Gedanken versunken verbrachte. Ausgerechnet in diesem Augenblick rief ihn eine leise Stimme an:

»Hochwürden!«

Wie von einem Schlag getroffen, fuhr er herum. Er war wie eine Amsel in die Falle gegangen und versuchte nicht einmal, den Schaden gutzumachen.

Im Polsterstuhl nebenan, wo vorher Peppone gesessen hatte, hatte ein magerer brauner Mann von etwa fünfundvierzig Jahren Platz genommen. Es war ein bekanntes Gesicht, und der Name kam Don Camillo unwillkürlich auf die Lippen:

»Athos Comassi!«

Der Mann hielt die »Prawda« vor sich ausgebreitet. Er neigte sich zu Don Camillo hinüber und tat, als ob er ihm einen Artikel der ersten Seite übersetzte und erklärte. Das geschah mit großer Natürlichkeit, und Don Camillo machte die Komödie mit.

»Kaum hier eingetreten«, sagte der Mann, »habe ich Euch erkannt, obwohl Ihr zivil gekleidet seid

»Mich interessiert es, Moskau zu sehen«, legte Don Camillo dar, »aber ich konnte kaum im Priesterkleid hierher kommen

»Ach«, stotterte der Mann, »seid Ihr noch Priester

»Gewiß! Was sollte ich sonst sein

»In letzter Zeit sah man so viele Leute den Mantel nach dem Winde hängen

»Mein Mantel ist aus einem Stoff, den man nicht kehren kann.

Und du, wieso bist du hier

»Ich bin mit einer Kommission tschechoslowakischer Genossen auf der Durchreise hier. Ich arbeite in Prag. Morgen reise ich ab

»Nachdem du mich als Spion des Vatikans angezeigt hast

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Don Camillo, Ihr wißt, daß ich kein Halunke bin

Die Comassi von Castelletto waren brave Leute und kirchlich gesinnt. Nur der junge Athos hatte sich verirrt.

Die Geschichte des jungen Comassi glich tausend anderen: Am 8. September 1943 war er, nachdem er die Uniform weggeworfen hatte, heimgekehrt. Er war zweiundzwanzig Jahre alt, und als der Befehl kam, sich neuerdings zu den Waffen zu melden, versteckte sich der Bursche. Man wußte nichts mehr von ihm. Er tauchte erst im April 1945 wieder auf, als die Partisanen von den Bergen stiegen, und viele, die unten verblieben und schlau genug waren, sich den Bart wachsen zu lassen, reihten sich bei ihnen ein.

Der junge Comassi kehrte mit einem großen roten Taschentuch um den Hals ins Dorf zurück, und da er inzwischen Chef geworden war, übernahm er die Befehlsgewalt über die heimischen Partisane n, deren Tätigkeit hauptsächlich darin bestand, die Grundbesitzer aus ihren Höhlen zu treiben und sie zu überreden, zwei oder drei Tausendernoten je Hektar ihres Grundstückes für die Bewegung zu stiften.

Dabei setzte es Prügel ab, und es brauchte nicht viel, so passierten große Schweinereien.

Inmitten der Ebene von Castelletto stand weltverloren ein alter Palast, der den Grafen Mossoni gehörte. Dort hauste seit Jahren zurückgezogen der Letzte dieses Geschlechts mit den Seinen. Im ganzen waren es ihrer vier: der Graf von fünfundsiebzig Jahren, die Gräfin, siebzig, eine Magd, fünfzig, und ein Hündchen unbestimmten Alters.

Eines Morgens zog der Pächter, der wie gewohnt den Milchkrug zum Palast der Mossoni brachte, umsonst den Glockenzug. Da die Türe halboffen war, drückte er sie auf und trat ein. Er fand keine lebende Seele.

In der großen Küche befand sich nur das Hündchen, das in einer Ecke liegend heulte und sich nicht von der Stelle rührte. Es kamen noch andere Leute, und als man das Hündchen mit Gewalt fortschleppte, entdeckte man, daß es die Falltüre eines alten Ziehbrunnens verteidigt hatte.

Im Brunnen fand man den Grafen, die Gräfin und die Magd.

Jemand hatte in der Nacht den Kassenschrank geleert, der hinter einem großen Gemälde des Salons versteckt war, und Herrschaft und Dienerschaft erledigt.

Mindestens zehn Personen hatten den jungen Comassi zusammen mit drei seiner Bullen in einem schwarzen Fiat, den ein Fremder lenkte, bei Nacht und Nebel aus dem Dorf abfahren gesehen.

Andere hatten ihre Ankunft beim Palast des Grafen Mossoni beobachtet. Die drei Bullen waren als Aufpasser draußen geblieben und hatten sich nicht vom Fleck gerührt. Nur Comassi und der Wagenlenker hatten den Palast betreten. Sie hatten dort nicht viel Zeit verloren. Zwanzig Minuten später fuhr die ganze Mannschaft mit dem Auto wieder ab. Und am folgenden Morgen entdeckte man das, was geschildert wurde.

Im Tiefland herrschte damals dicke Luft. Wer etwas gesehen hatte, vergaß aus guten Gründen, etwas gesehen zu haben, und so versandete die traurige Missetat.

Aber im Januar 1948, als das propagandistische Bombardement für die Aprilwahlen begann, erschienen plötzlich an den Häusern des Dorfes große Plakate, die haargenau die Ermordung des Grafen Mossoni schilderten, mit Nennung gar vieler Namen, um zu zeigen, welcher Rasse die Roten waren, die an die Macht wollten.

Die drei Bullen wußten weniger als nichts und bewiesen durch Zeugen, daß sie den Palast nicht einmal betreten hatten.

Keiner von ihnen kannte den Chauffeur, einen Kerl von auswärts. Und sosehr man den Chef der Bande suchte er wurde nicht gefunden. Er war verschwunden, als hätte ihn die Erde verschluckt.

Und jetzt, nach elf Jahren, war er da, saß an Don Camillos Seite.

Don Camillo musterte den Comassi.

»Was tust du in Prag fragte er.

»Anscheinend habe ich eine schöne Stimme; deshalb läßt man mich am Radio die Nachrichten der Sendungen für Italien lesen

»Ein schöner Beruf knurrte Don Camillo. »Und wissen es die Deinen

»Niemand weiß es, aber ich möchte, daß meine Mutter und mein Vater meine Stimme hören«, sagte der Mann.

»Schöner Trost für die Ärmsten. Laß sie dich wenigstens tot glauben

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Sie sollen wissen, daß ich lebe«, rief er aus. »Deswegen habe ich mich Euch genähert, kaum daß ich Euch sah. Gott sendet Euch

»Gott! Jetzt erinnerst du dich an Gott. Als du jene Ärmsten umbrachtest, hast du dich nicht an Gott erinnert

Der Mann wandte sich wie geschlagen ab, als wollte er gehen.

Dann überlegte er es sich anders.

»Ich verstehe«, sagte er. »Ich kann nicht verlangen, daß Ihr mir glaubt. Doch seid Ihr ein Priester und könnt Euch nicht weigern, einen Christen anzuhören, der zu beichten begehrt

In der großen Hotelhalle kamen und gingen die Leute jeder Rasse und Sprache. Gelbe Gesichter, schwarze Gesichter, Gesichter von der Farbe der Schokolade redeten laut. Die Halle schien das Vorzimmer der Hölle zu sein, aber Gott war auch da.

Vor allem da. Das ist so wahr, daß die Stimme Christi im Ohr des Don Camillo widerhallte:

»Pulsate et aperietur vobis...«

Don Camillo bekreuzigte sich, und es bekreuzigte sich auch der Camossi. Sie bekreuzigten sich mit absichtlicher Langsamkeit, denn hundert spähende Augen lagen hinter dem papierenen Vorhang der »Prawda« auf der Lauer.

»O Gott von unendlicher Majestät, hier zu Euren Füßen der Verräter, der zurückgekehrt ist, Euch zu beleidigen, jetzt aber erniedrigt Eure Verzeihung sucht... Herr, verjagt mich nicht. Verachtet nicht ein Herz, das sich erniedrigt... Cor contritum et humiliatum non despicies...«

Nach und nach wiederholte Comassi mit leiser Stimme die Worte, die Don Camillo flüsterte, um ihm das Gebet in Erinnerung zu rufen.

Dann sagte er, was er sagen mußte, und es schien, er entnehme die Worte der Zeitung, während er sie aus seinem Herzen nahm.

»...wir traten ein und bedrohten sie mit der Pistole. Sie wollten das Versteck nicht verraten; dann verrieten sie es. Der andere befahl mir, in den Salon zu gehen, in den ersten Stock, um Geld und Gold zu nehmen, während er die beiden Frauen und den Alten in Schach halten würde. Als ich zurückkam, war der andere allein. Er nahm alles an sich. Das Geld diente der Sache... Dann, am Tage, da die Geschichte ruchbar wurde, verhalfen sie mir zur Flucht

»Warum hast du dich nicht gestellt und gerechtfertigt

»Ich konnte nicht, der andere war ein Bonze der Partei

»Warum rechtfertigst du dich nicht jetzt

»Ich kann nicht! Daß ich schweige, ist noch wichtiger geworden. Für die Partei wäre es ein riesiger Skandal

»Und nach allem, was geschehen ist, nimmst du noch Rücksicht auf die Partei

»Nein! Aber ich habe Angst, öffnete ich den Mund, würden sie mich erledigen

»Der Name?«

Comassi zögerte, dann sagte er den Namen, und es handelte sich um einen so großen Namen, daß Don Camillo der Atem wegblieb.

»Niemand darf etwas wissen von dem, was ich gesagt habe, aber ich will, daß meine Mutter und mein Vater erfahren, daß ich kein Mörder bin. Ihr könnt sie überzeugen! Ich möchte, daß sie mich hören! Nicht wegen der Dinge, die ich sage, sondern um meine Stimme zu vernehmen. Ich werde mir wieder lebend vorkommen, während ich jetzt wie ein Toter bin, der in der Wüste spricht

Er stöberte in der Innentasche seiner Joppe herum und zog einen versiegelten Umschlag heraus, den er vorsichtig in Don Camillos Tasche schob.

»Hier ist die ganze Geschichte, von mir unterzeichnet. Ihr sollt den Umschlag nicht öffnen. Sorgt dafür, daß der andere erfährt, daß Ihr mein Geständnis habt und daß ich heimkehren will

Comassi war bleich geworden und Verzweiflung zitterte in seiner Stimme.

»Ego te absolvo...«

Comassi hatte seine Ruhe wiedergewonnen. Er faltete die Zeitung zusammen und streckte sie Don Camillo hin.

»Behaltet sie als Andenken. Nie hatte ich einen seltsameren Beichtstuhl. Vergeßt, was ich Euch hinsichtlich des Briefes sagte; es war eine Anwandlung der Schwäche. Da ist nichts zu machen. Niemand kehrt zurück

»Das ist nicht gesagt, Genosse«, antwortete Don Camillo.

»Wenn ich nicht irre, hat Gott auch in Prag eine Filiale. Gott ist gut organisiert. Dein Vater und deine Mutter werden dich hören.

Auch ich werde dich hören. Nicht wegen der Dummheiten, die du sagen wirst, aber um deine Stimme zu vernehmen

Comassi stand auf. »Gott flüsterte er. »Wer hätte gedacht, daß jemand in dieser Hölle mir von Gott sprechen würde

»Gott hat überall Filiale n, Genosse«, wiederholte Don Camillo, »auch in Moskau. Gott ist gut organisiert, alte Firma, doch immer noch tüchtig