Politik des Reisens
»Genosse, hast du einen Marschbefehl?«
Peppone, der sich rasierte, wandte sich verärgert Don Camillo zu: »Das geht nur mich an!« antwortete er unhöflich.
»Das geht uns beide an«, gab Don Camillo zurück. »Als Zellenchef habe ich die Pflicht, meine Männer zu kennen.«
»Ihr habt nur eine einzige Pflicht«, sagte Peppone. »Ihr habt samt Eurer dreimal verfluchten Zelle zur Hölle zu gehen.«
Don Camillo richtete die Augen nach oben.
»Herr«, rief er aus, »habt Ihr gehört? Von allen kommunistischen Zellen des Weltalls ist dies die einzige, die einen Kaplan hat, und er nennt sie ›dreimal verflucht‹.«
Alles auf dieser Erde ist relativ, und auch ein narrensicherer Rasierapparat kann das unsicherste aller Werkzeuge werden, wenn man ihn wie eine Hacke gebraucht. Peppone brauchte ihn eben, als müßte er sein Kinn aufhacken, und Peppones Kinn platzte auf. Andererseits: wie konnte sich ein kommunistischer Senator beherrschen, wenn er sich plötzlich erinnerte, daß er einen Pfaffen, der als zuverlässiger Genosse verkleidet war, und dem er, als dem teuflischen Emissär des Vatikans, erlaubt hatte, Zellenchef zu werden, bis zum Herzen Sowjetrußlands mitgeschleppt hatte.
Während Peppone winselnd sein Kinn betupfte, tat Don Camillo äußerst höflich Peppones Notizbuch, das er fleißig zu Rat gezogen hatte, in dessen Koffer zurück, indem er schloß:
»Genosse, wenn der Marschbefehl deine persönliche Ware ist, tun wir so, als ob er nicht vorhanden wäre. Aber lasse deinen Ärger ja nicht an mir aus, wenn ich irgendeine Dummheit begehe.«
Scamoggia kam, um mitzuteilen, daß der Autobus vor der Hoteltüre warte.
Es war ein grauer Herbstmorgen: in den menschenleeren Straßen wuschen und wischten Frauen, in Männerkleider eingemummt, den Asphalt. Frauen in Hosen lenkten die alten, verlotterten Trams. Andere Frauen im Überkleid teerten einen Platz, und Frauen in verstaubten Breeches arbeiteten als Handlanger auf einem Neubau. Vor einem »Gastronom« stand eine lange Schlange von Frauen, diese in ziemlich bescheidenen Kleidern, die aber durchaus weiblich waren.
Don Camillo neigte sich zu Peppone und flüsterte ihm ins Ohr:
»Hier haben die Frauen nicht nur die gleichen Rechte wie die Männer, sondern auch die gleichen Rechte wie die Frauen.«
Peppone würdigte ihn keines Blickes.
Don Camillo und Peppone nahmen die letzten Sitze des Wagens ein, der Genosse Oregow und die Genossin Petrowna die beiden ersten gleich hinter dem Fahrer. Die übrigen acht Erkorenen waren auf den andern Plätzen rechts und links vom Mittelgang verteilt.
Diese Anordnung gestattete der Genossin Petrowna, die ganze Versammlung zu beherrschen, wenn sie, sich auf die Füße erhebend und umgewandt, die Mitteilungen des Genossen Oregow übersetzte.
Andererseits erlaubte sie dem Genossen Don Camillo, sich dem Peppone und den Genossen Tavan und Scamoggia, die vor ihm und Peppone saßen, verständlich zu machen, ohne daß die andern und die Übersetzerin seine Worte hören konnten, wenn er halblaut sprach. Eine ziemlich bedeutsame Einzelheit, weil Don Camillo, der den Genossen Rondella endgültig erledigt und die Überzeugung des Genossen Bacciga untergraben hatte, nun seine Augen auf den Genossen Tavan warf.
»Tavan, Antonio – 42jährig – geboren und wohnhaft in Pranovo (Veneto). Bei der Partei eingeschrieben seit 1943 –
Pächter. Sehr tätig, tüchtig, zäh, äußerst zuverlässig: AUSSCHLIESSLICH in bäuerlichen Kreisen zu verwenden, da er eine beschränkte Einsicht in soziale und ökonomische Fragen hat. Vater Sozialist. Seine Familie hat seit hundertzwanzig Jahren den gleichen Grundbesitz in Pacht. Geschickter und sehr arbeitsamer Landwirt.«
Das stand im Marschbefehl geschrieben, und Don Camillo hatte den Genossen Pächter, den einzigen Bauern unter den Erkorenen, am Hotelausgang erwartet.
Nach der Stadt das traurige und grenzenlose Land. Die Straße wurde schmal und schmutzig.
»Wir durchqueren jetzt den Sowchos ›Rotes Banner‹«, erklärte die Genossin Petrowna, »einen der ersten, der nach der Oktoberrevolution entstanden ist. Die gesamte Ausdehnung beträgt sechzehntausend Hektar, von denen sechstausend unter den Pflug genommen werden. Er ist mit vierundfünfzig Traktoren, fünfzehn Dreschmaschinen und fünfzehn Lastwagen ausgerüstet. Die Zahl der Arbeiter, die jährlich der Produktion zugeteilt sind, beläuft sich auf dreihundertachtzig. An großen Staatsgütern, die wir Sowchosen nennen, gibt es heute über sechstausend, mit vier Millionen Stück Rindvieh, sechs Millionen Schweinen und zwölf Millionen Schafen.«
Wie aus der Erde gestampft erschien in der Ferne eine Ortschaft, kleine Häuser, um einige unmäßig große Schuppen mit Wellblechdächern verstreut: Scheunen, Depots, Ställe, Werkstätten.
Der Wagen stampfte weiter über das lehmige Sträßchen. Man entdeckte rund umher riesige Raupentraktoren, die, von Dreck und Rost verkrustet, in der nassen, gepflügten Erde verlassen worden waren. Als die Gebäudegruppe näher kam, sah man weitere Traktoren, Lastwagen und landwirtschaftliche Maschinen. Sie standen, dem Regen und der Sonne preisgegeben, auf den großen Plätzen vor den Schuppen.
Don Camillo seufzte.
»Vier Millionen Kühe«, sagte er zu Peppone.
»Gewiß, ein schöner Haufen!« antwortete Peppone.
»Plus siebenundzwanzig Millionen auf den Kolchosen, macht einunddreißig Millionen Häupter!«
»Eine kolossale Sache!« begeisterte sich Peppone.
»Ende 1970 werden es vierzig Millionen sein«, fuhr Don Camillo hinterhältig fort. »Doch für den Augenblick sind es noch zwei Millionen und zweihunderttausend Häupter weniger, als der Rindviehbestand im Jahre 1928, vor der Kollektivierung, betrug.«
Peppone starrte Don Camillo entgeistert an.
»Genosse, die Sowjetunion ist das einzige Land auf der Welt, wo man alles weiß – wo man die Dinge, die gut stehen, und die Dinge, die schlecht stehen, veröffentlicht«, erklärte Don Camillo. »Das sind die Zahlen der offiziellen Statistik, und so muß man leider folgern, daß man in der Sowjetunion, während die Industrie, die Wissenschaft und alles übrige Riesenfortschritte machten, auf dem landwirtschaftlichen Sektor noch hartnäckig ringt. Und man mußte dreizehn Millionen Hektar mit Hilfe der Freiwilligen von Moskau, Kiew usw. in den jungfräulichen Ländereien Sibiriens urbar machen.«
Don Camillo spreizte die Arme, und, nachdem er die Ohren des Genossen Pächters vor sich gesichtet hatte, holte er zum hinterhältigen Schlage aus:
»Genosse«, vertraute er Peppone an, »du hast gesehen, in welchem Zustand sich die Traktoren befinden, und kannst beurteilen, ob ich mich täusche. Ich sage dir, daß der Fehler immer der gleiche ist. Die ganze Welt ist ein Dorf, und die Bauern bleiben immer Bauern. Denk an Italien. Welcher Stand ist am schwersten zum Fortschritt zu bringen? Die Bauern. Ja, die landwirtschaftlichen Taglöhner, die bewegen sich und kämpfen, aber es sind Arbeiter. Arbeiter der Landwirtschaft, aber Arbeiter. Versuche, die Pächter auf den Platz zu bringen!
Versuche, sie zum Verstehen der Klasseninteressen und der proletarischen Sache zu bringen!«
Die Ohren des Genossen Tavan verloren keine Silbe.
»Und jetzt, sieh hier«, fuhr Don Camillo erbarmungslos weiter. »Welches sind die schwerfälligsten, die den Marsch des ganzen Landes verzögern? Die Kolchosenbauern, die sich um den Boden der Genossenschaft überhaupt nicht kümmern und nur daran denken, aus der Erde, die ihnen der Staat großmütig geschenkt hat, freie oder halbfreie Produkte herauszuholen.
Genosse, es gibt achtzigtausend Kolchosen und sechstausend Sowchosen, aber die Kühe privaten Besitzes der Kolchosenbauern sind ihrer siebzehn Millionen, während Kolchosen und Sowchosen zusammen nur auf vierzehn Millionen kommen. Man muß den Bauern das Flecklein Boden wegnehmen, sie verdienen es nicht. Und sie werden es ihnen wegnehmen.«
Die Ohren des Genossen Tavan nahmen eine glühendrote Färbung an.
»Sieh dich bei uns um«, hieb Don Camillo weiter in die Kerbe. »Wer belieferte während des Krieges den Schwarzen Markt? Die Bauern! Und wer beliefert hier den Schwarzen Markt? Die Kolchosenbauern. Wo finden die Priester bei uns noch am meisten Gehör? Bei den Bauern! Und warum gelingt es den Priestern in der Sowjetunion noch zu leben und den Gang des Fortschritts zu bremsen? Weil sie von den Rubeln der Kolchosenbauern unterhalten werden.«
Die Ohren des Genossen Tavan hatten jenes Kirschenrot erreicht, das bereits das Gesicht Peppones überflammte.
»Genosse«, schloß Don Camillo mitleidlos, »wer ist in einem Land, das auf jedem Gebiet die Spitze der Welt erobert hat, dem es gelungen ist, auf den Mond zu gelangen, bei seinem geizigen Egoismus geblieben und legt dem Kommunismus eine Falle?
Der Kolchosenbauer. Der Landwirt! Schlimme Rasse, diese Bauern!«
»Gut gesagt, Genosse!« stimmte Scamoggia zu, indem er den Kopf kehrte. »Die den Bauern die Erde überlassen wollen, die bringen mich zum Lachen. Ja, wir geben ihnen den Boden, und sie, was machen sie? Sie lassen uns verhungern! Der Boden gehört allen und muß allen dienen. Der Boden gehört dem kommunistischen Staat. Und die Bauern müssen wie die Arbeiter behandelt werden. Weil der Bauer die Erde behackt, müssen ihm darum das Getreide, die Milch, die Hühner verbleiben? Und der Arbeiter, der die Autos herstellt, warum sollte er keinen Wagen haben? Übrigens, wer hat uns den Faschismus beschert? Die Bauern! War das schwarze Hemd etwa nicht das Arbeitskleid unserer Bauern aus der Emilia und der Romagna? Schaut dort diesen Verbrecher an, wie er den Traktor mißhandelt!«
Tatsächlich brachte der Traktorführer, der mit seinem Fahrzeug nahe der Straße rumpelte, jeden zum Schaudern. Doch handelte es sich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, nicht um einen Bauern, sondern um einen Facharbeiter der M.T.S.
Immerhin war er wie der Käse auf die Makkaroni gekommen, und wenn er auch zur Erfüllung des sechsten Fünfjahresplanes nicht viel beitrug, so half er doch bei der Erfüllung der Pläne Don Camillos.
»Esel!« schrie ihm Scamoggia zu, während der Autobus das Raupenfahrzeug überholte.
Aber der »Genosse Esel« glaubte, es wäre ein Gruß, und antwortete, indem er mit den Armen winkte und blöde lächelte.
Die Ohren des Genossen Tavan waren bleich geworden.
Peppone schrieb etwas auf ein Stückchen Papier und reichte es Don Camillo, indem er erklärte:
»Genosse, schau, daß du das für unsere Beziehungen in Rechnung stellst.«
»Gut, Genosse«, erwiderte Don Camillo, nachdem er von der Notiz Kenntnis genommen hatte. Sie besagte: »Entweder hörst du auf, oder ich breche dir das Schienbein!«
Die Gefahr, daß Scamoggia die antibäuerliche Polemik fortsetzte, wurde von der Genossin Nadia Petrowna beschworen.
Sie begann zu sprechen und zog so die ganze Aufmerksamkeit des Genossen Scamoggia auf sich.
»Wir haben den Sowchos ›Rotes Banner‹ durchfahren, ohne zu halten, weil er vor allem eine Getreidefarm ist, und da die Felder schon bestellt sind, bietet er nicht genügendes Interesse.
Wir kommen nun zur Kolchose Grevinec, einer landwirtschaftlichen Genossenschaft, die zweitausend Hektar Boden bearbeitet und verschiedene Kulturen besitzt sowie Rindvieh und Schweine züchtet. Diese Kolchose ist völlig selbständig und kann sich daher ohne Hindernisse nach ihren eigenen Plänen entwickeln. Sie hängt auch nicht mehr von den M.T.S. ab, bezieht aber von den M.T.S. die Maschinen, die sie nötig hat. Aufgepaßt, Genossen! Hier beginnen die Ländereien der Kolchose Grevinec!«
Man brauchte es nicht zu sagen, weil sich die Sache, obwohl die Natur des Bodens gleich blieb, in ganz verschiedener Form präsentierte: alles war geordneter, sauberer, mit geraden Furchen, schön geebneten Feldern und mit gut genährtem Vieh auf den Weiden.
Die Häuser der Kolchose Grevinec waren die gewöhnlichen ärmlichen Katen der russischen Dörfer; sie waren niedrig und trugen ein Strohdach. Aber jedes hatte ein Stückchen Boden um sich herum, einen kleinen Obst- und Gemüsegarten, der äußerst gepflegt war. Und in den Pferchen, die jeder Hütte angegliedert waren, befanden sich Hühner, ein Schweinchen und im Stall eine Kuh.
Das einzige Gebäude von einiger Größe und wirklicher Bedeutung war der landwirtschaftliche Sowjet mit einem Dach aus Wellblech; ferner war da, sehr viel bescheidener, die Schule.
Die Genossin Petrowna erklärte, dreiundneunzig Prozent aller Kolchosen wären elektrifiziert; unglücklicherweise gehörte Grevinec zu den restlichen sieben Prozent.
Um ins Dorf zu gelangen, mußte man sich einer der gewöhnlichen russischen Dorfstraßen bedienen, und so teilte die Raumzelle »Nikita Chruschtschow«, nachdem ihr Autobus bis rund einen Kilometer an Grevinec herangekommen war, dem Genossen Oregow mit, alle würden gerne zu Fuß weitergehen, um sich die Beine zu vertreten.
Der Lehm war hart geworden, und wenn man achtgab, nicht in die fußtiefen Karrengeleise zu fallen, gelang der Marsch.
Während sie gegen das Dorf stolzierten, holte sie ein Zweiräder ein, den ein Pferdchen zog. Auf dem Wägelchen saß ein ziemlich rundes Männchen mit hohen Stiefeln, einem weiten Mantel aus Wachstuch mit einem Kragen aus Pelz und mit einer Pelzmütze auf dem Kopf.
Während der Wagen vorbeifuhr, beobachtete Don Camillo ihn genau und zuckte zusammen.
»Genossin«, fragte er die Petrowna, die er mit einem Sprung erreichte, »wer ist dieser Herr?«
Die Genossin Nadia begann zu lachen; dann erklärte sie dem Genossen Oregow, warum sie lachte, und der Genosse Oregow stimmte in das Gelächter ein.
»Du hast dich nicht getäuscht, Genosse«, erklärte die Petrowna Don Camillo. »Dieser ›Herr‹ ist ein Pope.«
»Ein Pfaffe?« verwunderte sich Scamoggia, der natürlich in unmittelbarer Nähe der Genossin Petrowna stapfte. »Und was tut der in der Gegend?«
»Er holt einigen kindischen Greisinnen der Kolchose ein paar Rubel aus der Tasche.«
Scamoggia regte sich auf.
»Ein Pfaffe? Und ihr laßt es zu, daß er herumfährt und seine Schweinereien anstellt!«
Die Petrowna musterte ihn streng.
»Genosse, Artikel 124 unserer Verfassung sagt: ›Zum Zweck, den Bürgern die Gewissensfreiheit zu verbürgen, ist die Kirche der Sowjetunion vom Staate getrennt und die Schule von der Kirche. Die Freiheit, die religiösen Kulte auszuüben, sowie die Freiheit der antireligiösen Propaganda sind allen Bürgern gewährt.‹«
»Aber jener ist kein Bürger, jener ist ein Pfaffe!« rief Scamoggia entrüstet aus.
Die Petrowna lachte und mußte natürlich dem Genossen Oregow das Warum ihrer Lustigkeit erklären, wodurch sie im Genossen Oregow ein überlautes Gelächter weckte.
»Genosse, in der Sowjetunion haben die Priester die gleichen Rechte wie die andern Bürger. Niemand belästigt sie, wenn sie keine Propaganda machen. Wenn jemand den Popen will, bezahlt er ihn und damit basta.«
Scamoggia wandte sich an Don Camillo.
»Genosse, du hattest recht. Und ich, der es nicht erwarten konnte, hier anzukommen, um keinen Pfaffen mehr zwischen den Beinen zu finden!«
»Die Pfaffen«, verkündete Peppone mit wilder Stimme, »sind die verworfenste Rasse, die es auf Erden gibt. Als Noah alle Tiere in die Arche brachte, wollte er keine Viper mitnehmen, aber Gottvater schrie ihn an: ›Noah, und ich, wie könnte ich ohne die Priester leben?‹«
Der Genosse Oregow, der von der Petrowna unterrichtet wurde, lachte herzlich, denn der Witz gefiel, und er wollte ihn in seinem Notizbuch vermerken.
Auch Don Camillo lachte, wenn auch etwas mühsam, und indem er sich wieder zu Peppone begab, der hinten war, sagte er halblaut:
»Du bist unehrlich, Genosse. Die Geschichte, die ich dir gestern erzählte, lautete anders. Noah wollte den Esel nicht mitnehmen; da sagte Gott zu ihm: ›Und wie soll sich die Welt belustigen ohne die kommunistischen Senatoren?‹«
»Anders klingt sie besser«, antwortete Peppone, »doch Ihr müßt die Vipern um Verzeihung bitten.«
»Blödian«, zischte Don Camillo, »du profitierst davon, daß ich Zellenchef bin.«
Sie gingen schweigend eine Zeitlang ihres Weges, dann muckte Peppone auf:
»Ich habe den Mann gesehen. Wir haben ihn gesehen, aber niemand hat ihn beachtet. Ihr hingegen habt sofort den Priester gerochen. Die Stimme des Blutes! Aber macht Euch keine Illusionen: Sobald wir in Italien befehlen, werdet Ihr weder auf dem Zweiräder, noch im Auto, noch auf den Füßen herumreisen können. Wer tot ist, bewegt sich nicht mehr.«
»Nicht schlecht«, gab Don Camillo ruhig zurück und zündete seinen halben Toskano an. »Unter kommunistischer Herrschaft ist tot, wer sich bewegt, also kommt es aufs gleiche heraus.«
Sie kamen beim Dorfe an. Scamoggia kehrte sich um und rief Don Camillo zu:
»Genosse, auch darin hattest du recht, als du sagtest, daß es die Bauern sind, die den Pfaffen den Steigbügel halten. Da schau!«
Der Pope sprach im Gemüsegarten eines der ersten Häuser mit einer Gruppe alter Männer und Frauen.
Don Camillo schaute hin und schaute auch den Genossen Tavan an, der vor ihm ging. Die weit abstehenden Ohren des Genossen Pächter wurden rot.
Die Genossin Nadia schüttelte den Kopf.
»Genosse«, sagte sie zu Scamoggia, »rege dich nicht auf! Es handelt sich nur um wenige Alte. So ist es überall. Wenn diese Handvoll Alter gestorben ist, dann ist auch Gott tot, der nur in ihrem vom Aberglauben verfinsterten Geiste wohnt. Ist Gott tot, ist es auch mit den Priestern aus. Die Sowjetunion hat Zeit und kann warten.«
Sie hatte laut gesprochen, und auch Don Camillo hatte es gehört. »Denk daran, daß auch Gott warten kann«, brummte Don Camillo, indem er sich zu Peppone wandte, der keine Kommentare machte.
Und dann, weil der Genosse Salvatore Capece aus Neapel, Dreißiger und glutäugig, in Griffweite war, rief er aus: »Hast du gehört, Genosse Capece? Scheint dir nicht, daß die Genossin hell auf der Platte ist!«
»Ganz hell«, antwortete mit ehrlicher Begeisterung der Genosse Capece. »Sie gefällt mir recht gut!«
»Aus der Hartnäckigkeit, mit der sie dich fortwährend ansieht«, flößte Don Camillo ihm ein, »schließe ich, daß auch du ihr recht gut gefallen mußt.«
Die Genossin Petrowna hatte nicht im Traum den Genossen Capece absichtlich angeschaut, doch der Genosse Capece nahm die Sache verflucht ernst.
»Genosse, du verstehst mich«, sagte er und schlug die Arme auseinander, »das Weib bleibt immer Weib.«
Dann eilte er, sich in den Hüften wiegend, zur Spitze der Kolonne und zur Genossin Nadia.
»Auch zu dem seid Ihr fähig, wenn Ihr nur Zwietracht säen könnt«, knurrte Peppone.
»Genosse«, erwiderte Don Camillo, »ich muß mich bemühen, solange Gott noch lebt. Morgen ist es vielleicht zu spät.«