Rückkehr


Pug starrte ins Feuer.

Das kleine Kohlebecken in seinem Arbeitsgemach warf einen tanzenden Schein auf Wände und Decke. Er strich sich über das Gesicht und spürte die Müdigkeit in jeder Faser seines Seins. Seit Rogens Prophezeiung der Zukunft arbeitete er hier und hatte nur geschlafen und gegessen, wenn Katala ihn von seinen Büchern losriß. Soeben schlug er eines von Macros’ zahllosen Werken zu.

Über eine Woche lang las er nun schon fast ohne Unterbrechung. Er suchte nach allem, was nur zu finden war, das wenigstens ein bißchen Licht in das bringen mochte, was Rogen gesehen hatte. Nur ein einziger anderer Zauberwirker außer ihm hatte etwas über die Welt Kelewan gewußt, das war Macros der Schwarze gewesen. Was auch immer diese finstere Wesenheit sein mochte, sie hatte sich einer Sprache bedient, die weniger als fünftausend Personen auf Midkemia auch nur hätten erkennen können: Pug, Katala, Laurie, Kasumi und seine Tsuranigarnison in LaMut und ein paar hundert ehemalige Kriegsgefangene der Tsuranis, die über die Ferne Küste verstreut waren. Und von ihnen allen war Pug der einzige, der die Worte ganz zu verstehen vermochte, die Gamina von Rogens Zweitem Gesicht wiedergegeben hatte, denn die Sprache war eine sehr alte Vorform des heutigen Tsuranischs. Doch bisher hatte Pug noch nichts in Macros’ Bibliothek gefunden, was ihm auch nur einen Hinweis geben konnte, was diese finstere Macht sein könnte.

Von den Hunderten von Werken, die Macros Pug und Kulgan vermacht hatte, war nur ein Drittel katalogisiert. Durch seinen seltsamen, koboldgleichen Diener Gathis hatte Macros ihnen eine Aufstellung der Titel zukommen lassen. In manchen Fällen hatte sich das als sehr hilfreich erwiesen, denn schon allein aus dem Titel ging bei einigen hervor, worum es sich handelte, während in anderen Fällen das Buch erst gelesen werden mußte, um zu erfahren, worum es ging. Es gab allein zweiundsiebzig Werke mit lediglich dem Titel Magie, und in Dutzenden anderer Sparten ebenfalls mehrere Bücher, deren Titel völlig gleich lauteten.

Um auf mögliche Hinweise auf die Art ihres Feindes zu stoßen, hatte Pug sich mit den übrigen Werken zurückgezogen und darangemacht, sie durchzublättern. Nun hielt er ein bestimmtes Buch auf seinen Knien, und ihm begann klarzuwerden, was er tun mußte.

Er legte das Werk auf seinen Schreibtisch und verließ das Arbeitsgemach. Er stieg die Treppe hinunter zu dem Gang, der alle bereits benutzten Räume des Akademiegebäudes miteinander verband. Der Weiterbau am oberen Stockwerk neben dem Turm mit seinen Arbeitsgemächern hatte einstweilen des Regens wegen eingestellt werden müssen, der auf Stardock nur so herabschüttete.

Ein kalter Luftzug drang durch einen Spalt in der Wand, und Pug zog sein schwarzes Gewand enger um sich, während er den Speisesaal betrat, der gegenwärtig als Aufenthaltsraum benutzt wurde.

Katala blickte von ihrer Stickerei auf. Sie hatte es sich in einem der Sessel am Kamin bequem gemacht, in dem Teil des Saales, der dem gemütlichen Beisammensein diente. Bruder Dominic und Kulgan hatten sich miteinander unterhalten, und der wohlbeleibte Magier sog an seiner Pfeife, von der er sich nie trennte. Kasumi sah William und Gamina zu, die in der Ecke Schach spielten. Ihre Gesichter wirkten angestrengt, während sie ihre sich entwickelnden Fähigkeiten maßen. William hatte es früher eher lustlos gespielt, bis das Mädchen sich dafür zu interessieren begonnen hatte. Von ihr geschlagen zu werden, weckte in ihm den Ehrgeiz, der sich bisher nur auf das Ballspiel beschränkt hatte. Pug dachte, wenn die Zeit es gestattete, würde er ihre Begabungen eingehender erforschen müssen. Wenn die Zeit es gestattete…

Meecham trat mit einer Kanne Wein ein und bot Pug einen Becher an. Pug bedankte sich und setzte sich zu seiner Frau. »Das Abendessen ist in einer Stunde«, sagte sie. »Ich hatte erwartet, daß ich dich erst wieder holen müßte.«

»Mit dem, was ich durchsehen wollte, bin ich fertig, so beschloß ich, mich vor dem Abendessen ein wenig zu entspannen.«

»Sehr gut«, lobte Katala. »Du arbeitest ohnehin viel zuviel, Pug.

Du unterrichtest andere, beaufsichtigst den Bau dieses Gebäudes und ziehst dich auch noch mit deinen Büchern zurück. Da hast du ja kaum noch Zeit für uns.«

Pug lächelte sie an. »Ah, du beklagst dich?«

»Das steht einer Gattin zu«, antwortete sie ebenfalls lächelnd.

Katala war alles andere denn eine nörglerische Frau. Wenn ihr etwas nicht gefiel, sagte sie es frei heraus, und sie war schnell zufriedengestellt, entweder durch einen Kompromiß, oder aber beide fanden sich damit ab, daß der andere nicht nachgab.

Pug schaute sich um. »Wo ist Gardan?«

»Pah, da sieht man es wieder«, antwortete Kulgan, »Wenn du dich nicht die ganze Zeit in deinen Turm eingesperrt hättest, würdest du dich daran erinnert haben, daß er heute nach Shamata aufbrach, um Lyam eine Botschaft durch den militärischen Kurierdienst zu schicken. Er wird in einer Woche zurück sein.«

»Allein?«

Kulgan lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich habe einen Blick in die Zukunft geworfen. Der Regen wird noch drei Tage dauern. So sind viele Arbeiter auf einen kurzen Besuch zu Hause, um nicht drei Tage in ihren Unterkünften hier herumsitzen zu müssen. Er begleitete sie. Was hast du eigentlich die ganze Zeit in deinem Turm gemacht? Du bist ja fast eine Woche lang nicht mehr zu einem freundlichen Plausch gekommen.«

Pug musterte die Anwesenden. Katala schien wieder ganz in ihre Stickerei vertieft zu sein, aber er wußte, daß sie auf seine Antwort wartete. Die Kinder waren mit ihrem Spiel beschäftigt. Kulgan und Dominic blickten ihn mit unverhohlenem Interesse an. »Ich habe Macros’ Bücher durchgesehen, um vielleicht einen Hinweis zu finden, was wir tun könnten. Und du?«

»Dominic und ich haben uns mit anderen in der Siedlung beraten. Wir kamen zu einigen Folgerungen.«

»Die wären?«

»Nun, da Rogen sich erholt, war er imstande, uns in allen Einzelheiten zu beschreiben, was er gesehen hat. Und einige unserer begabteren jüngeren Leute befassen sich nun gemeinsam mit dem Problem.« Pug entnahm des älteren Magiers Worten eine Mischung aus Belustigung und Stolz. »Was immer dort draußen ist und gegen das Königreich oder ganz Midkemia vorgehen will, ihm sind in seiner Macht Grenzen gesetzt. Nehmen wir mal an, es sei, wie du befürchtest, eine Kreatur der Finsternis, die irgendwie während des Krieges durch den Spalt von Kelewan hierhergekommen ist. Es hat jedenfalls seine Schwächen und wagt nicht, sich ganz zu offenbaren.«

»Bitte, erklär das.« Pugs Müdigkeit war plötzlich wie verflogen.

»Setzen wir den Fall, daß diese Kreatur aus Kasumis Heimat ist – und suchen wir keine andere Erklärung dafür, daß sie sich eines uralten Tsuranischs bedient. Doch im Gegensatz zu Kasumis früheren Verbündeten kommt sie nicht offen als Eroberer, sondern bemüht sich, andere als ihr Werkzeug zu benutzen. Nehmen wir also an, sie sei irgendwo durch den Raumspalt gelangt. Der aber ist seit einem Jahr geschlossen. Demnach müßte sie seit mindestens einem Jahr gegenwärtig sein, möglicherweise aber bereits seit elf Jahren, und Diener um sich sammeln wie diese pantathianischen Priester. Dann versucht sie an die Macht zu kommen, indem sie sich eines Moredhels bedient, dieses ›Schönen‹, wie Rogen ihn nennt. Was wir wirklich fürchten müssen, ist die finstere Wesenheit hinter diesem schönen Moredhel und den anderen. Sie ist für das Ganze verantwortlich. Wenn alles soweit stimmt, steht fest, daß sie sich nicht direkter Gewalt bedient, sondern Machenschaften und List. Warum? Sie ist entweder zu schwach, selbst zu handeln, und muß deshalb andere benutzen, oder sie schindet Zeit, bis sie ihr wahres Wesen offenbaren und selbst eingreifen kann.«

»Und all das bedeutet, daß wir herausfinden müssen, um wen oder was es sich bei dieser Kreatur, dieser Macht, handelt.«

»Stimmt. Wir haben aber auch Überlegungen unter der Voraussetzung angestellt, daß unser Gegner nicht von Kelewan stammt.«

Pug unterbrach ihn. »Vergeudet damit keine Zeit, Kulgan. Wir müssen davon ausgehen, daß er von Kelewan ist, denn das gibt uns zumindest einen Ausgangspunkt. Wenn Murmandamus lediglich irgendein Moredhel-Hexenkönig ist, der sich eines seiner eigenen Rassegenossen bedient, einer, der zufällig eine längst tote Tsuranisprache beherrscht, kommen wir gegen ihn an. Anders ist es bei einer Invasion durch eine finstere Macht von Kelewan – und das müssen wir annehmen.«

Kulgan seufzte laut und zündete sich seine ausgegangene Pfeife wieder an. »Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit und eine bessere Vorstellung, wie wir vorgehen könnten. Und ich wünschte, wir könnten einige Aspekte dieses Phänomens gefahrlos erforschen. Ich wünschte hunderterlei Dinge, vor allem aber wünschte ich mir ein Werk über diese Sache von einem zuverlässigen Zeugen.«

»Es gibt einen Ort, wo ein solches Werk vielleicht zu finden wäre.«

»Wo?« fragte Dominic aufgeregt. »Ich würde Euch oder sonst jemanden mit Freuden dorthin begleiten, so gefährlich es auch sein mag.« Kulgan lachte bitter. »Das dürfte kaum möglich sein, guter Bruder. Mein ehemaliger Schüler spricht von einem Ort auf einer anderen Welt.« Kulgan blickte Pug eindringlich an. »Die Bibliothek der Vereinigung.«

»Der Vereinigung?« echote Kasumi.

Pug bemerkte, wie Katala erstarrte. »Dort gibt es möglicherweise Antworten, die uns bei der bevorstehenden Auseinandersetzung von großer Hilfe sein können.«

Katala nahm den Blick nicht von ihrer Stickerei. Leise sagte sie:

»Nur gut, daß der Spalt geschlossen ist und sich höchstens durch Zufall wieder öffnen läßt. Wer weiß, ob nicht bereits das Todesurteil über dich verhängt wurde. Vergiß nicht, daß dein Status als Erhabener vor dem Angriff auf den Kaiser bereits in Frage gestellt wurde. Wer kann daran zweifeln, daß du inzwischen zum Gesetzlosen erklärt wurdest? Nein, es ist sehr gut, daß es keine Möglichkeit mehr gibt für dich zurückzugelangen.«

»Es gibt eine«, entgegnete Pug.

Sofort riß Katala die Augen weit auf und blickte ihn durchdringend an. »Nein! Du kannst nicht zurückkehren!«

»Wie könnte es einen Rückweg geben?« fragte Kulgan.

»Als ich für das schwarze Gewand lernte, mußte ich eine Abschlußprüfung absolvieren«, erklärte Pug. »Auf dem Prüfungsturm stehend, sah ich die Zeit ›des Fremden‹, eines Wandersterns, der Kelewan bedrohte. Es war Macros, der Kelewan im letzten Augenblick rettete. Und Macros war an jenem Tag, als ich fast die kaiserliche Arena vernichtete, erneut auf Kelewan. Es war die ganze Zeit offensichtlich, doch erst diese Woche verstand ich es.«

»Macros konnte nach Belieben zwischen den Welten hin und her reisen!« Man sah Kulgan an, daß er zu verstehen begann. »Macros war demnach in der Lage, berechenbare Raumspalten zu öffnen!«

»Und ich weiß, wie. In einem seiner Bücher habe ich die genaue Anleitung gefunden!«

Katala flehte: »Du darfst nicht gehen!«

Er umfaßte ihre Hände, von denen sich plötzlich die Knöchel weiß abhoben. »Ich muß!« Er wandte sich Kulgan und Dominic zu. »Ich habe die Möglichkeit, zur Vereinigung zurückzukehren, und ich muß sie nutzen. Denn, wenn nicht, sind wir hoffnungslos verloren, falls Murmandamus der Diener einer finsteren kelewanesischen Macht oder auch bloß eine Ablenkung für sie ist, bis sie selbst eingreifen kann. Wenn wir eine Möglichkeit finden wollen, gegen sie anzukommen, müssen wir als erstes wissen, was genau sie ist. Und um das zu erfahren, muß ich nach Kelewan.«

Er blickte seine Frau an, dann Kulgan. »Ich werde nach Tsuranuanni zurückkehren.«

 

Es war Meecham, der als erster das Wort ergriff. »Nun gut. Wann brechen wir auf?«

»Wir?« fragte Pug. »Ich muß allein gehen.«

Der hochgewachsene Bärtige schüttelte den Kopf, als sei allein schon der Gedanke widersinnig. »Ihr könnt nicht allein gehen!«

Pug blickte Meecham an. »Du beherrschst die Sprache nicht, und außerdem bist du zu groß für einen Tsurani.«

»Ihr braucht mich bloß als Euren Sklaven auszugeben. Ihr habt oft genug gesagt, daß es dort Midkemier als Sklaven gibt.« Sein Ton machte deutlich, daß er keinen Widerspruch mehr erwartete. Er blickte Katala und Kulgan an. »Hier gäbe es keinen ruhigen Augenblick mehr, wenn Euch etwas zustieße.«

William kam herbei, mit Gamina hinter sich. »Papa, bitte nimm Meecham mit.«

Bitte!

Pug breitete die Arme aus. »Na gut, dann lassen wir uns etwas einfallen.«

»Das beruhigt mich ein bißchen, was aber noch lange nicht heißt, daß mir die Sache gefällt«, brummte Kulgan.

»Dein Einspruch ist zur Kenntnis genommen.«

»Nun, da dies geklärt ist«, sagte Bruder Dominic, »möchte ich mein Angebot, Euch zu begleiten, wiederholen.«

»Ihr machtet es, ehe Ihr wußtet, wohin die Reise geht. Auf einen Midkemier kann ich gerade noch aufpassen, aber zwei würden sich als zu große Belastung erweisen.«

»Ich könnte Euch auch von Nutzen sein«, versicherte ihm der Mönch. »Ich bin in der Heilkunde bewandert und in meiner Art von Magie. Außerdem habe ich einen kräftigen Arm und kann mit einer Streitkeule umgehen.«

Pug musterte Dominic. »Ihr seid nur ein bißchen größer als ich und könntet Euch als Tsurani ausgeben, wäre da nicht das Sprachproblem.«

»Im Ishap-Orden haben wir eine Möglichkeit, Fremdsprachen durch Magie zu lernen. Während Ihr Eure Spaltzauber vorbereitet, kann ich Tsuranisch lernen und Meecham dabei helfen, es ebenfalls zu erlernen, falls Lady Katala oder Graf Kasumi die Güte hätten, mich zu unterstützen.«

»Ich kann helfen!« rief William. »Ich spreche Tsuranisch.«

Katala schien nicht erfreut zu sein, sagte jedoch zu, genau wie Kasumi, der sehr besorgt wirkte.

»Von allen hier, Kasumi«, sagte Kulgan, »hatte ich erwartet, daß Ihr am meisten eine Rückkehr erstreben würdet, doch sagtet Ihr kein Wort.«

»Als der letzte Spalt sich schloß, endete mein Leben auf Kelewan.

Ich bin jetzt Graf von LaMut. Meine Amtszeit im Kaiserreich von Tsuranuanni ist nur noch eine Erinnerung. Selbst wenn es möglich ist zurückzukehren, würde ich es nicht tun, denn ich habe dem König den Treueid geleistet. Aber«, er wandte sich an Pug, »würdet Ihr meinem Vater und meinem Bruder eine Botschaft von mir bringen?

Sie können nicht wissen, daß ich noch lebe, geschweige denn, daß es mir hier so gutgeht.«

»Selbstverständlich«, versprach Pug, und Katala fragte er: »Liebste, könntest du zwei Gewänder nähen, wie die Brüder des Hantukama-Ordens sie tragen?«

Sie nickte. Den anderen erklärte er: »Das ist ein missionarischer Orden, dessen Angehörige häufig unterwegs sind und deshalb viel gesehen werden. In dieser Tarnung werden wir wenig Aufsehen erregen. Meecham kann unseren Bettelsklaven abgeben.«

Kulgan blickte düster drein. »Es gefällt mir immer noch nicht, und ich bin gar nicht glücklich darüber.«

Meecham blickte Kulgan an: »Wenn Ihr Euch Sorgen machen könnt, seid Ihr glücklich.«

Darüber mußte Pug lachen. Katala schlang die Arme um ihren Gatten und schmiegte sich an ihn. Auch sie war nicht glücklich.

 

Katala hielt das Gewand in die Höhe. »Probier es an.«

Es hätte Pug gar nicht besser passen können. Sie hatte sorgfältig solche Stoffe ausgewählt, die den auf Kelewan üblichen noch am ähnlichsten waren.

Pug hatte sich täglich mit anderen der Gemeinschaft zusammengesetzt und ihnen Vollmachten für die einzelnen Bereiche während seiner Abwesenheit erteilt – und, wie jeder es wußte, ohne daß man darüber sprach, für die Möglichkeit, daß er nicht zurückkehrte. Dominic hatte von Kasumi und William Tsuranisch gelernt und Meecham bei der Beherrschung der Sprache geholfen.

Kulgan studierte Macros’ Werk über Raumspalten, damit er Pug bei der Bildung eines Spalts unterstützen konnte.

Kulgan betrat Pugs Privatgemächer, als Katala gerade den Sitz des Gewandes überprüfte. »Du wirst darin erfrieren, Pug«, brummte er.

»Auf meiner Heimatwelt ist es sehr heiß«, erklärte Katala. »Man trägt dort üblicherweise so leichte Kleidung.«

»Frauen ebenfalls?« Als sie nickte, sagte er: »Wie unfein!« Er rückte sich einen Stuhl zurecht.

William und Gamina kamen hereingestürmt. Das kleine Mädchen war viel munterer und aufgeschlossener, seit es sicher sein konnte, daß Rogen wieder ganz genesen würde. Sie und William waren nun schier unzertrennlich, sie spielten und wetteiferten miteinander und zankten sich wie Geschwister, Katala hatte Gamina bei sich in den Familiengemächern aufgenommen, während der Greis sich in der Kammer neben Williams erholte.

Der Junge rief: »Meecham kommt!« Er überschlug sich fast vor Lachen, während er im Kreis herumhüpfte. Auch Gamina lachte laut und versuchte, wie der Junge zu hopsen. Kulgan und Pug wechselten Blicke, denn das Lachen war der erste Laut überhaupt, den das Kind von sich gegeben hatte. Als Meecham nun den Raum betrat, stimmten die Erwachsenen in das Lachen der Kinder ein. Die kräftigen, behaarten Arme und Beine des Waldmannes ragten aus dem kurzen Kittel, und er stand verlegen mit nackten Zehen in den nachgemachten Tsuranisandalen.

»Was ist da so komisch?« brummte er.

»Ich bin so daran gewöhnt, dich in Jagdkleidung zu sehen, daß ich mir dich ohne gar nicht mehr vorstellen konnte«, erklärte Kulgan.

Pug meinte: »Du siehst ein bißchen anders aus, als ich erwartet hatte.« Er bemühte sich, ein Lachen zu unterdrücken.

Der Bärtige schüttelte angewidert den Kopf. »Habt ihr endlich genug? Wann brechen wir auf?«

»Im Morgengrauen«, antwortete Pug. Sofort verstummte alles Lachen.

Schweigend warteten sie an dem Hügel mit dem großen Baum an der Nordseite der Insel. Es hatte zu regnen aufgehört, aber ein klammer Wind blies und versprach baldigen weiteren Regen. Die meisten der Gemeinschaft waren mitgekommen, um Pug, Dominic und Meecham auf Wiedersehen zu sagen. Katala stand neben Kulgan, die Hände auf Williams Schultern ruhend. Gamina klammerte sich an Katalas Rock und wirkte verängstigt.

Pug stand ein wenig abseits, er studierte seine Schriftrolle.

Dominic und Meecham warteten unweit von ihm und fröstelten, während sie Kasumi zuhörten. Er sprach eindringlich von jeder Einzelheit tsuranischer Sitten und Gebräuche, deren er sich erinnerte und die er für wichtig hielt. Und er entsann sich immer neuer Einzelheiten, die er schon fast vergessen geglaubt hatte. Meecham hielt die Reisetasche, die Pug hergerichtet hatte. Sie enthielt die üblichen Dinge eines reisenden Ordensbruders. Doch darunter befand sich auch so einiges, das für einen Priester auf Kelewan ungewöhnlich wäre, wie Waffen und Münzen aus Metall – ein kleines Vermögen nach kelewanesischen Begriffen.

Kulgan trat zu der Stelle, auf die Pug deutete, mit einem Stock, der aus der Werkstatt eines Holzschnitzers der Siedlung stammte. Er stieß ihn fest in den Boden, dann nahm er einen anderen, den man ihm aushändigte, und steckte ihn vier Fuß entfernt in die Erde. Er trat ein paar Schritt zurück, als Pug laut aus seiner Schriftrolle zu lesen begann.

Zwischen den Stöcken leuchtete ein Streifen auf, an dem Regenbogenfarben auf und ab tanzten. Ein Knistern wurde laut, und die Luft roch wie nach einem Blitzschlag, beißend und bitter.

Das Licht begann sich auszudehnen. Die Farbe wechselte, sie bewegte sich immer schneller durch das Spektrum, bis es weißlich schimmerte, und schließlich wurde es zu blendend für das Auge.

Immer noch las Pug weiter. Dann krachte es wie ein Donnerknall zwischen den Stöcken, und ein Windstoß brauste darauf zu, als würde er von dem Zwischenraum angezogen.

Pug legte die Schriftrolle beiseite, und alle starrten auf das, was er geschaffen hatte. Ein schimmerndes Rechteck aus grauem ›Nichts‹

erhob sich zwischen den beiden Stöcken. Pug winkte Dominic zu und sagte: »Ich gehe als erster hindurch. Der Spalt müßte sich zu einer Lichtung hinter meinem alten Anwesen öffnen, aber es könnte natürlich sein, daß er anderswo endet.«

Wenn dort Gefahr bestand, würde er um den Stock herumgehen und von derselben Seite wieder eintreten müssen, um auf Midkemia zurückzugelangen, als wäre er durch einen Reifen gestiegen. Wenn er dazu in der Lage war!

Er drehte sich um und lächelte Katala und William zu. Sein Sohn zappelte, aber Katalas besänftigender Druck auf seine Schultern beruhigte ihn. Sie selbst nickte scheinbar gelassen.

Pug trat in den Spalt – und war verschwunden. Alle hielten unwillkürlich den Atem an. Nur ein paar hier wußten wirklich genau, was vorging. Die nächsten Sekunden schienen sich endlos dahinzuziehen, und viele wagten nicht auszuatmen.

Plötzlich erschien Pug von der anderen Seite des Spalts. Deutlich war das Seufzen der Erleichterung der Wartenden zu vernehmen. Er kam auf sie zu und sagte: »Er führt genau dorthin, wo ich erwartet hatte. Macros’ Zauberkunst ist unfehlbar!« Er nahm Katalas Hände in seine. »Er ist gleich neben dem Spiegelteich in der Besinnungslichtung.«

Katala kämpfte gegen die Tränen an. Sie hatte Blumen um diesen Teich gepflanzt und gehegt und auf der Bank gesessen, die das stille Wasser überschaute, als sie noch Herrin des großen Besitztums gewesen war. Sie nickte verständnisvoll. Pug umarmte erst sie, dann William. Als er sich vor seinen Sohn kniete, warf Gamina plötzlich die Arme um seinen Hals.

Sei vorsichtig!

Er umarmte auch sie und antwortete: »Das werde ich, Kleines.«

Pug bedeutete Dominic und Meecham, ihm zu folgen und schritt erneut durch den Spalt. Die beiden zögerten nur einen Herzschlag lang, dann stiegen sie wie er in das graue Nichts.

Die anderen warteten noch eine lange Weile, nachdem die drei verschwunden waren. Selbst als es wieder zu regnen begann, wollten sie nicht gehen. Schließlich, nachdem aus den zunächst vereinzelten Tropfen ein wahrer Wolkenbruch wurde, sagte Kulgan: »Die zur Wache Eingeteilten bleiben! Die anderen zurück an die Arbeit.«

Langsam setzten sie sich einzeln in Bewegung. Niemand nahm Kulgan den scharfen Ton übel, denn alle teilten seine Besorgnis.

 

Der Obergärtner Yagu vom Landsitz Netohas, außerhalb der Stadt Ontoset, drehte sich um und sah drei Fremde den Pfad von der Besinnungslichtung zum Herrenhaus heraufwandern. Zwei waren Priester Hantukamas, des Bringers gesegneter Gesundheit, allerdings erstaunlich groß; der dritte hinter ihnen war ein Bettelsklave, einer der riesenhaften Barbaren, die während des Krieges als Gefangene hierher verschleppt worden waren. Yagu erschauderte bei seinem Anblick, denn es war ein häßlicher Bursche mit einer grauenvollen Narbe quer über die linke Wange. Obgleich auf einer kriegerischen Welt aufgewachsen, war Yagu ein sanftmütiger Mann, der die Gesellschaft seiner Blumen und anderer Pflanzen der von Menschen vorzog, die sich über kaum sonst etwas als Krieg und Ehre unterhielten. Aber er hatte seine Pflicht gegenüber seines Herrn Besitz, und so ging er den drei Fremden entgegen.

Als sie ihn sahen, blieben sie stehen. Yagu verneigte sich als erster, da er ein Gespräch einleiten wollte – so verlangte es die Höflichkeit, bis die Rangfolge feststand. »Seid gegrüßt, ehrenwerte Priester. Es ist Yagu, der Gärtner, der sich erlaubt, euch in eurer Wanderung aufzuhalten.«

Pug und Dominic verbeugten sich. Meecham wartete hinter ihnen unbeachtet, wie es üblich war. Pug entgegnete: »Seid gegrüßt, Yagu.

Für zwei demütige Priester Hantukamas ist Eure Anwesenheit keine Störung. Geht es Euch gut?«

»Ja, es geht mir gut«, beendete Yagu die höfliche Begrüßung zwischen Fremden. Dann richtete er sich als der Überlegene hoch auf, überkreuzte die Arme vor der Brust. »Was führt die Priester Hantukamas zum Haus meines Herrn?«

»Wir wandern von Seran zur Stadt der Ebene«, erklärte Pug. »Als wir vorüberkamen, sahen wir dieses Haus und hofften, uns ein Mahl erbitten zu können. Haltet Ihr das für möglich?« Natürlich wußte Pug, daß nicht Yagu das zu bestimmen hatte, aber er schmeichelte dem Gärtner damit.

Yagu strich sich über das Kinn. »Betteln ist euch gestattet, doch weiß ich nicht, ob man euch abweisen oder etwas zu essen geben wird. Kommt mit, ich bringe euch zur Küche.«

Als sie auf das Haus zugingen, erkundigte sich Pug: »Gestattet mir zu fragen, wen dieses bewundernswerte Haus beherbergt.«

Stolz, denn dieses Lob färbte auch auf ihn ab, antwortete Yagu: »Es ist der Landsitz Netohas, ›Er-der-schnell-aufsteigt‹ genannt.«

Pug täuschte Unkenntnis vor, freute sich jedoch insgeheim, daß sein ehemaliger Diener noch den Besitz des Anwesens innehatte.

»Vielleicht«, sagte er, »würde es nicht als Kränkung angesehen werden, wenn zwei ärmliche Priester einer so erhabenen Persönlichkeit ihre Aufwartung machen.«

Yagu runzelte die Stirn. Sein Herr war ein vielbeschäftigter Mann, doch nahm er sich gewöhnlich auch Zeit für Besuch wie diesen. Es würde ihm gewiß nicht gefallen zu erfahren, daß sein Gärtner versucht habe, die beiden abzuweisen, obwohl sie kaum mehr als Bettler waren und nicht einem so mächtigen Orden entstammten wie die Diener Chochocans oder Jurans. »Ich werde fragen. Es könnte sein, daß mein Herr Euch einen Augenblick gewähren kann. Wenn nicht, läßt sich vermutlich ein Mahl ermöglichen.«

Der Gärtner führte sie zu einer Tür, von der Pug wußte, daß man durch sie den Küchenteil des Hauses betrat. Die Nachmittagssonne brannte auf sie herab, als der Gärtner sie davor warten ließ, während er selbst ins Innere verschwand. Der Herrensitz war von ungewöhnlicher Bauweise, er bestand aus mehreren miteinander verbundenen Gebäuden. Pug selbst hatte ihn vor zwei Jahren erbauen lassen, und er hatte in seiner Neuheit großes Aufgehen erregt, doch bezweifelte Pug, daß diese Bauweise sich verbreitet hatte, denn die Tsuranis waren zu sehr mit Politik beschäftigt und von ihr abhängig.

Die Tür schwang auf. Eine Frau trat heraus, gefolgt von Yagu.

Pug verbeugte sich, ehe sie sein Gesicht sehen konnte. Es war Almorella, eine ehemalige Sklavin, der Pug die Freiheit geschenkt hatte. Sie war Katalas beste Freundin gewesen und jetzt mit Netoha verheiratet.

Yagu sagte: »Meine Herrin ist gnädigst bereit, sich mit den Hantukamapriestern zu unterhalten.«

Ohne sich aus seiner Verbeugung aufzurichten, erwiderte Pug: »Geht es Euch gut, Gebieterin?« Almorella klammerte sich an den Türrahmen und rang unwillkürlich nach Luft. Als Pug sich aufrichtete, zwang sie sich ruhig zu atmen und antwortete: »Es – es geht mir gut.« Ihre Augen weiteten sich, und sie wollte schon seinen tsuranischen Namen nennen, als Pug fast unmerklich den Kopf schüttelte.

»Ich kenne Euren hochgeehrten Gemahl von früher. Ich hatte gehofft, er würde einem alten Bekannten ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit schenken.«

Sie hauchte, daß es kaum zu hören war: »Mein Gatte hat immer Zeit für – alte Freunde.«

Sie bat die drei einzutreten und schloß die Tür hinter ihnen. Yagu blieb noch einen Augenblick davor stehen und wunderte sich über das Benehmen seiner Herrin, doch dann zuckte er mit den Schultern und kehrte zu seinen geliebten Pflanzen zurück. Wer war schon imstande, die Reichen zu verstehen?

 

Almorella führte sie schweigend durch die Küche. Sie war sehr um Haltung bemüht, vermochte jedoch kaum das Zittern ihrer Hände zu verbergen, als sie drei erstaunte Sklavinnen fast streifte. Doch ihnen fiel die Erregung ihrer Herrin überhaupt nicht auf, denn sie hatten nur Augen für Meecham, der der größte barbarische Sklave war, den sie je gesehen hatten, ganz gewiß ein Riese unter Riesen!

Als sie Pugs ehemaliges Arbeitsgemach erreichten, schob sie die Tür auf und flüsterte: »Ich hole meinen Gatten.«

Sie traten ein und setzten sich, Meecham unbeholfen, auf dicke Kissen am Boden. Pug schaute sich um. Wenig war hier verändert worden. Das seltsame Gefühl bemächtigte sich seiner, an zwei Stellen zur selben Zeit zu sein, – denn er konnte sich vorstellen, die Tür zu öffnen und Katala mit William draußen im Garten zu finden.

Doch trug er das safrangelbe Gewand eines Hantukamapriesters, nicht das schwarze eines Erhabenen, und eine grauenvolle Gefahr kam möglicherweise herab auf die beiden Welten, mit denen sein Schicksal für immer verknüpft zu sein schien. Seit Beginn seiner Suche nach einer Rückkehrmöglichkeit hierher verspürte er etwas wie ein heimliches Ziehen in seinem Kopf. Er nahm an, daß sein Unterbewußtsein, wie schon oft, am Werk war und sich mit einem Problem beschäftigte, während seine Aufmerksamkeit etwas anderem galt. Etwas von dem, was sich in Midkemia zugetragen hatte, erinnerte auf vage Weise an etwas, dessen er sich jedoch nicht zu entsinnen vermochte. Aber er war sicher, er würde dahinterkommen.

Die Tür ging auf, und ein Mann trat ein, gefolgt von Almorella.

Sie schloß die Tür, während er sich tief verbeugte. »Ihr ehrt mein Heim, Erhabener.«

»Ehre deinem Haus, Netoha. Geht es dir gut?«

»Es geht mir gut, Erhabener. Wie kann ich Euch dienen?«

»Setz dich und erzähl mir vom Reich.« Ohne Zögern ließ Netoha sich nieder. »Herrscht Ichindar immer noch in der Heiligen Stadt?«

»Das Licht des Himmels herrscht nach wie vor über das Reich.«

»Was ist mit dem Kriegsherrn?«

»Almecho, den Ihr als Kriegsherrn kanntet, bewies seine Ehre, indem er sich das Leben nahm, nachdem Ihr ihn bei den Reichsspielen beschämt hattet. Nun trägt sein Neffe Axantucar das Weiß-und-Gold. Er ist von der Oaxatuca-Familie, die durch den Tod anderer gewann, als – der Frieden verraten wurde. Alle mit größerem Anspruch auf den Titel Kriegsherr – und viele mit gleichwertigem – fanden den Tod. Die Kriegspartei steht immer noch dem Hohen Rat vor.«

Pug überlegte. Da dies der Fall war, würde er im Rat kaum ein geneigtes Ohr finden, obwohl sich dort vermutlich nicht viel geändert hatte. Doch der ständige Machtkampf dort mochte ihn auf mögliche Verbündete aufmerksam machen.

»Was ist mit der Vereinigung?«

»Ich übermittelte die Pergamente, wie Ihr mich angewiesen habt, Erhabener, so wie ich die anderen ungeöffnet verbrannte. Ich erhielt ein Dankschreiben von dem Erhabenen Hochopepa, das war alles.«

»Was spricht man auf dem Markt?«

»Euren Namen hörte ich dort seit vielen Monaten nicht mehr. Doch kurz nach Eurer Abreise verbreitete sich das Gerücht, daß Ihr versucht hättet, das Licht des Himmels in eine Falle zu locken und so Schande auf Euer Haupt gebracht hättet. Die Vereinigung erklärte Euch zum Ausgestoßenen und Gesetzlosen – Ihr wurdet zum ersten, dem man das Schwarze Gewand absprach. Euer Wort ist nicht mehr Gesetz. Ein jeder, der Euch hilft, muß mit seinem Tod rechnen sowie mit dem seiner Familie und seines gesamten Clans.«

»Dann wollen wir nicht länger hier verweilen, alter Freund. Ich möchte weder dein Leben in Gefahr bringen, noch das deiner Familie und deines Clans.«

Während er zur Tür ging, um sie zu öffnen, sagte Netoha: »Ich kenne Euch besser als die meisten anderen. Ihr würdet nie so etwas tun, dessen sie Euch beschuldigten, Erhabener.«

»Nicht länger Erhabener, nach dem Beschluß der Vereinigung.«

»Dann ehre ich den Mann Milamber«, sagte er, den tsuranischen Namen Pugs benutzend. »Ihr habt uns so viel gegeben! Der Name Netoha von den Chichimecha steht nun im Buch des Hunzan-Clans. Dank Eurer Großzügigkeit werden meine Söhne in Ehre und Reichtum aufwachsen.«

»Söhne?«

Almorella strich zärtlich über ihren gewölbten Leib. »Zur nächsten Pflanzzeit. Der Heilerpriester glaubt, daß es Zwillinge werden.«

»Katala wird sich doppelt freuen, erstens, weil die Schwester ihres Herzens wohlauf ist, und zweitens, weil du bald Mutter sein wirst.«

Almorellas Augen glänzten feucht. »Es geht Katala gut? Und dem Jungen?«

»Es geht beiden gut, und sie lassen herzlich grüßen.«

»Grüßt sie von uns, Milamber, und sagt ihnen, daß wir viel an sie denken. Ich habe gebetet, daß wir uns wiedersehen dürfen.«

»Vielleicht ist es möglich. Nicht so bald, doch eines Tages… Netoha, ist das Muster noch benutzbar?«

»Gewiß, Milamber. Wir haben kaum etwas verändert. Dies ist immer noch Euer Zuhause.« Pug stand auf und gab den anderen ein Zeichen, ihm zu folgen. »Vielleicht ist eine überstürzte Heimkehr auf meine eigene Welt erforderlich. Wenn ja, werde ich den Ankunftsgong zweimal schlagen, dann sorge dafür, daß alle das Haus verlassen, denn möglicherweise folgen mir andere, die euch Leid zufügen könnten. Ich hoffe jedoch, daß nichts dergleichen geschieht.«

»Euer Wunsch ist mir Befehl, Milamber.«

Sie verließen das Arbeitsgemach und begaben sich zur Musterkammer. »In der Lichtung, nahe dem Teich, ist das, wodurch ich auf meine Heimatwelt zurückkehren kann. Ich wäre dir dankbar, Netoha, wenn alles dort unberührt bliebe, bis ich wiederkomme.«

»Ich werde dafür sorgen und die Wächter beauftragen, niemanden auf die Lichtung zu lassen.«

An der Tür fragte Almorella: »Wo wollt Ihr hin, Milamber?«

»Das sage ich euch lieber nicht, denn was ihr nicht wißt, kann euch nicht abgerungen werden. Ihr seid ohnedies allein schon deshalb gefährdet, weil wir uns unter eurem Dach befinden. Ich will die Gefahr nicht vergrößern.«

Ohne ein weiteres Wort führte er Dominic und Meecham in die Musterkammer und schloß die Tür hinter sich. Pug holte eine Schriftrolle aus seinem Gürtelbeutel und legte sie in die Mitte eines großen Musters des Fliesenbodens, das drei Delphine darstellte. Das Schriftstück war mit schwarzem Wachs versiegelt, auf das der Ring des Erhabenen gedrückt war. »Ich schicke einem Freund eine Botschaft. Mit diesem Siegel auf der Rolle wird niemand wagen sie zu berühren außer ihr Empfänger.« Er schloß die Augen, und plötzlich war die Rolle verschwunden.

Nunmehr wies Pug Dominic und Meecham an, sich neben ihn auf das Fliesenmuster zu stellen. »Jeder Erhabene im Reich hat ein Muster in seinem Heim. Jedes gibt es nur einmal, und wenn man es sich genau einprägt, kann ein Magier sich selbst oder irgend etwas dorthin befördern. In einigen wenigen Fällen genügt ein sehr vertrauter Ort als Muster, wie mir beispielsweise die Küche in Crydee, wo ich als Junge aushalf. Üblicherweise schlägt man einen Gong, um seine Ankunft anzukündigen, ich glaube, das werde ich diesmal jedoch unterlassen. Kommt!«

Er faßte jeden am Arm, schloß die Augen und murmelte so etwas wie eine Beschwörung. Plötzlich schien alles zu verschwimmen, und der Raum um sie veränderte sich.

»Wa-as…?« murmelte Dominic, ehe ihm bewußt wurde, daß er sich bereits anderswo befand. Er blickte auf das Muster zu seinen Füßen, ein Blumenschmuck in Rot und Gelb.

Pug erklärte: »Der Bewohner dieses Hauses ist der Bruder eines meiner alten Lehrer, für den das Muster hier angebracht wurde. Dieser Erhabene kam häufig hierher. Ich hoffe, ich habe hier noch Freunde.«

Er ging zur Tür, öffnete sie einen schmalen Spalt und spähte den Korridor entlang. Dominic trat hinter ihn. »Wie weit sind wir befördert worden?«

»Über achthundert Meilen.«

»Erstaunlich!« Der Mönch schüttelte den Kopf.

Pug führte sie rasch zu einem anderen Gemach. Die Nachmittagssonne schien dort durch das Fenster und warf Schatten des Mannes, der sich hier aufhielt, an die Tür. Ohne sich anzumelden, öffnete Pug.

Vor einem Schreibtisch saß ein Greis, der einst von kräftigem Körperbau gewesen sein mußte. Kurzsichtig blickte er auf das Pergament vor sich, und seine Lippen bewegten sich stumm beim Lesen. Sein Gewand war von tiefem Blau, einfach geschnitten, doch fein verarbeitet. Pug erschrak, denn als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er trotz seines fortgeschrittenen Alters stämmig und kraftstrotzend gewesen. Das vergangene Jahr hatte wahrhaftig seinen Tribut gefordert.

Der Mann blickte auf zu den Eindringlingen. Seine Augen weiteten sich. »Milamber!«

Pug bedeutete seinen Begleitern, durch die Tür zu treten. Er folgte ihnen und schloß sie hinter sich. »Ehre Eurem Haus, Lord der Shinzawai.«

Kamatsu, Herr der Shinzawai, erhob sich nicht zur Begrüßung. Er starrte den ehemaligen Sklaven an, der zum Erhabenen geworden war, und sagte: »Ihr seid zum Verräter erklärt und ehrlos. Euer Leben ist verwirkt, wenn man Euch findet.« Sein Ton war kalt, seine ganze Haltung feindselig.

Pug war bestürzt. Von all seinen Verbündeten in der Verschwörung, um den Spaltkrieg zu beenden, war Kamatsu der wackerste gewesen. Sein Sohn Kasumi hatte des Kaisers Friedensbotschaft König Rodric überbracht.

»Habe ich Euch auf irgendeine Weise beleidigt, Kamatsu?« fragte Pug.

»Ich hatte einen Sohn unter jenen, die nicht mehr wiederkehrten, als Ihr durch Euren Verrat das Licht des Himmels in die Falle zu locken versuchtet.«

»Euer Sohn lebt, Kamatsu. Er ehrt seinen Vater und versichert Euch seine Zuneigung.« Pug händigte Kamatsu Kasumis Brief aus.

Der Greis blinzelte und las jedes Wort bedächtig. Als er fertig war, bemühte er sich gar nicht, seine Tränen zu verbergen. »Kann all dies wirklich wahr sein?«

»Es ist wahr. Mein König hatte nichts mit dem Verrat bei den Friedensverhandlungen zu tun, genausowenig wie ich. Der Grund des Verrats bedarf einer längeren Erklärung, doch hört zunächst, was ich Euch über Euren Sohn zu sagen habe. Er lebt nicht nur noch, sondern ist in meinem Land hoch angesehen. Unser König hegte keine Rachegefühle gegenüber unseren früheren Feinden. Er gewährte allen, die in seinen Dienst treten wollten, die Freiheit. Und so sind Kasumi und die anderen freie Krieger in seinen Streitkräften.«

»Alle?« fragte Kamatsu ungläubig.

»Viertausend Tsuranis sind nun Soldaten und Offiziere in meines Königs Armee. Sie zählen zu den getreuesten seiner Untertanen, und sie machen ihren Familien Ehre. Als Gefahr für König Lyams Leben bestand, wurde Eurem Sohn und seinen Männern die Aufgabe übertragen, für seine Sicherheit zu sorgen.« Stolz leuchtete in Kamatsus Augen. »Die Tsuranis wohnen in einer Stadt namens LaMut und kämpfen aufopferungsvoll gegen die Feinde unseres Volkes. Euer Sohn wurde zum Grafen dieser Stadt erhoben, das ist ein so hoher Rang wie hier der des Lords einer Familie oder vielleicht noch eher der eines Clan-Kriegsherrn. Er ist mit Megan verheiratet, der Tochter eines mächtigen Kaufmanns von Rillanon, und eines Tages werdet Ihr Großvater sein.« Der Greis schien sichtlich jünger zu werden. »Erzählt mir von seinem Leben«, bat er.

Pug berichtete über Kasumis Leben, seit er nach Midkemia gekommen war, über seinen Aufstieg, davon, wie er kurz vor Lyams Krönung Megan kennengelernt und sie alsbald geheiratet hatte. Fast eine halbe Stunde erzählte er nur von Kasumi trotz der Dringlichkeit seiner Mission.

Als er geendet hatte, erkundigte sich Pug: »Und Hokanu ? Wie geht es ihm? Kasumi möchte alles über seinen Bruder wissen.«

»Meinem jüngeren Sohn geht es gut. Er ist an der Nordgrenze eingesetzt, um sie gegen Überfälle durch die Thun zu schützen.«

»Dann erheben die Shinzawai sich zur Größe zweier Welten«, sagte Pug. »Das können unter allen Tsuranifamilien nur die Shinzawai von sich behaupten.«

»Das ist wahrhaftig etwas, über das nachzudenken sich lohnt.«

Kamatsus Stimme wurde ernst. »Doch was führt zu Eurer Rückkehr, Milamber? Gewiß nicht allein der Wunsch, einem alten Mann das Herz leichterzumache n.«

Pug stellte nunmehr seine Begleiter vor und antwortete: »Eine finstere Macht erhebt sich gegen mein Volk, Kamatsu. Wir lernten bisher nur einen Teil ihrer Kraft kennen und möchten uns ihres Wesens klarwerden.«

»Was hat das mit Eurem Kommen zu tun?« wunderte sich Kamatsu.

»In einem Zweiten Gesicht sah sich einer unserer Seher dieser finsteren Macht gegenüber, und sie sprach ihn in der uralten Tempelsprache an.« Er erzählte von Murmandamus und der finsteren Wesenheit hinter dem Moredhel.

»Wie ist das möglich?«

»Ich weiß es nicht; das jedenfalls ist der Grund, daß ich die Rückkehr wagte. Ich hoffe, in der Bibliothek der Vereinigung eine Antwort zu finden.«

Kamatsu schüttelte den Kopf. »Ihr wagt viel! Im Hohen Rat herrscht eine gewissen Spannung, die über die übliche beim Großen Spiel hinausreicht. Ich vermute, daß an einer größeren Umwälzung nicht mehr viel fehlt, denn dieser neue Kriegsherr ist noch versessener darauf als sein Onkel, die Herrschaft über die ganze Nation an sich zu bringen.«

»Meint Ihr damit, daß es zu einer Spaltung zwischen Kriegsherrn und Kaiser kommen wird?« fragte Pug, der die Zurückhaltung der Tsuranis kannte.

Schwer seufzend nickte der alte Mann. »Ich befürchte einen Bruderkrieg. Sollte Ichindar die gleiche Entschlossenheit wie bei der Beendigung des Spaltkrieges beweisen, würde Axantucar wie Spreu im Wind vertrieben werden, denn für die Mehrzahl der Clans und Familien ist der Kaiser nach wie vor der Oberste, und wenige trauen diesem neuen Kriegsherrn. Doch der Kaiser hat an Gesicht verloren.

Dadurch, daß er die fünf großen Clans zur Friedensverhandlung zwang und es zum Verrat kam, büßte er seine sittliche Überlegenheit ein. Axantucar kann nun ohne Widerspruch handeln. Und ich glaube, dieser Kriegsherr versucht die beiden Ämter zusammenzulegen. Das Gold auf Weiß genügt ihm nicht, er will meines Erachtens das Gold des Lichts des Himmels.«

»›Im Spiel des Rates ist alles möglich‹«, zitierte Pug. »Doch müßt Ihr wissen, daß bei der Friedensverhandlung alle verraten wurden.«

Er erzählte von der letzten Botschaft Macros, des Schwarzen und erinnerte Kamatsu an die Überlieferung von den Angriffen des ›Feindes‹, dann sprach er von Macros, Befürchtung, daß der Spalt diese schreckliche Macht anzöge.

»Das beweist zwar, daß der Kaiser nicht mehr darauf hereinfiel als die anderen, doch genügt es nicht, ihm seinen Fehler zu verzeihen.

Davon zu erfahren, könnte ihm jedoch etwas mehr Unterstützung im Hohen Rat einbringen – wenn Unterstützung noch etwas nützt.«

»Ihr meint, der Kriegsherr sei bereit, zum Schlag auszuholen?«

»Jeden Augenblick! Er hat die Vereinigung mattgesetzt, indem er durch die ihm ergebenen Magier ihre Unabhängigkeit in Zweifel stellen ließ. Die Erhabenen setzen sich nun über ihr eigenes Schicksal auseinander. Hochopepa und mein Bruder Fumita wagen es nicht, sich zur Zeit in das Große Spiel einzumischen. Politisch gesehen ist es, als gäbe es die Vereinigung überhaupt nicht.«

»Dann sucht doch Verbündete im Hohen Rat. Berichtet folgendes: Irgendwie sind unsere beiden Welten erneut miteinander verbunden, und zwar gegen eine finstere Macht tsuranischen Ursprungs. Sie richtet sich gegenwärtig gegen das Königreich. Ihre Macht ist von einer Art, die über menschliche Vorstellung hinausreicht, ja vielleicht so groß, die Götter selbst herauszufordern. Ich kann Euch nicht sagen, weshalb ich dieser Meinung bin, aber ich habe das sichere Gefühl, sollte das Königreich untergehen, wird Midkemia zunichte, und sollte Midkemia verloren sein, wird Kelewan ganz gewiß folgen.«

Kamatsu, Lord der Shinzawai, blickte Pug besorgt an. Leise sagte er: »Kann es sein?«

Pugs Miene verriet, daß er es glaubte. »Es könnte dazu kommen, daß ich festgenommen oder getötet werde. Wenn ja, brauche ich Verbündete im Hohen Rat, die dem Licht des Himmels von dieser Sache berichten. Es ist nicht mein Leben, für das ich fürchte, Kamatsu, sondern das von zwei Welten. Falls mir mein Vorhaben nicht glückt, muß der Erhabene Hochopepa – oder auch Shimone – sich auf meine Welt begeben, nachdem er über diese finstere Macht herausgefunden hat, was immer hier zu erfahren ist. Werdet Ihr helfen?«

Kamatsu erhob sich. »Selbstverständlich. Auch wenn Ihr mir nichts über Kasumi hättet sagen können, und selbst wenn unsere Zweifel über Euch der Wahrheit entsprächen, würde nur ein Dummkopf zaudern, angesichts einer solchen Warnung alten Zwist zu begraben. Ich werde sogleich aufbrechen und mit dem Schnellboot zur Heiligen Stadt fahren. Wo werdet Ihr sein?«

»Ich werde noch andere Hilfe suchen. Habe ich Glück, trage ich meinen Fall der Vereinigung vor. Niemand kann sich das schwarze Gewand erwerben, ohne gelernt zu haben zuzuhören, bevor er handelt. Die Gefahr für mich besteht darin, dem Kriegsherrn in die Hände zu fallen. Hört Ihr nicht innerhalb von drei Tagen von mir, dürfte anzunehmen sein, daß es dazu kam. Dann bin ich entweder gefangen oder tot, und Ihr müßt handeln. Untätigkeit hilft diesem Murmandamus. Ihr dürft nicht versagen.«

»Das werde ich auch nicht, Milamber.«

Pug, einst Milamber genannt und der Größte der Erhabenen von Tsuranuanni, stand auf und verneigte sich. »Wir müssen gehen. Ehre Eurem Haus, Gebieter der Shinzawai.«

Kamatsu verbeugte sich tiefer, als es für einen seines Standes üblich war, und erwiderte: »Ehre Eurem Haus, Erhabener.«

 

Kaufleute und Händler priesen den Vorübergehenden lautstark ihre Ware an. Auf dem Marktplatz von Ontoset herrschte reger Betrieb. Pug und seine Begleiter standen auf dem Teil des Platzes, der Bettlern mit städtischer Erlaubnis und Priestern zugewiesen war.

Schon den dritten Morgen hatten sie sich an der Schutzmauer des Platzes erhoben und den Tag damit zugebracht, jenen zu predigen, die bereit waren, stehenzubleiben und zuzuhören, und Meecham ging mit seiner Bettlerschale durch die Menge. Es gab nur einen Hantukama-Tempel östlich der Heiligen Stadt Kentosani, und zwar in Yankora, fern von Ontoset. Deshalb bestand wenig Gefahr, während der kurzen Zeit, die sie in der Stadt verweilen würden, von anderen Wanderpriestern des Tempels entlarvt zu werden. Außerdem war der Orden weit verstreut, und viele seiner Brüder begegneten jahrlang keinem anderen Priester ihres Glaubens.

Pug beendete die Predigt und kehrte an Dominics Seite zurück, der der Mutter eines verletzten Mädchens Anweisungen in der Pflege ihrer Tochter gab. Dankbarkeit war alles, was die Frau geben konnte, doch Dominics Lächeln verriet, daß ihm das genügte. Meecham schloß sich ihnen an und zeigte auf die paar Edelstein- und Metallsplitter, die im Reich als Währung dienten. »Man könnte hier durch Betteln ganz gut leben«, meinte er.

»Weil du ihnen solche Angst einjagst, daß sie gar nicht wagen, dir nichts zu geben«, meinte Pug lächelnd.

Hufschlag ließ sie aufblicken. Eine ganze Reiterkompanie kam über den Platz. Die Soldaten trugen die grüne Rüstung eines Pug dem Ruf nach bekannten Hauses, dem der Hoxaca. Sie waren Angehörige der Kriegspartei. »Sie haben sich tatsächlich das Reiten angewöhnt!« stellte Meecham fest.

»Wie die Tsuranis in LaMut«, flüsterte Pug zurück. »Es hat ganz den Anschein, als seien die Burschen ganz verrückt nach Pferden, sobald sie die Furcht vor ihnen überwunden haben. Ich erinnere mich, wie es bei Kasumi war, kaum saß er im Sattel, war er kaum noch herunterzukriegen!« Offenbar war die leichte Reiterei auf Kelewan zu einer festen Waffengattung geworden.

Als der Trupp vorübergeritten war, lenkte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Vor ihnen stand ein gewichtiger Mann in schwarzem Gewand, dessen kahler Kopf in der Mittagssonne glänzte. An allen Seiten verbeugten die Leute sich und wichen zurück, um nur ja einer so erlauchten Persönlichkeit wie einem Erhabenen des Reiches nicht den Weg zu versperren. Pug und seine Begleiter verneigten sich.

Der Magier befahl: »Ihr drei werdet mit mir kommen!«

Pug täuschte Bestürzung vor. »Euer Wille geschehe, Erhabener.«

Sie beeilten sich, dem Schwarzgewandeten zu folgen.

Der Magier schritt geradewegs zum nächsten Haus, dem Geschäft eines Sattlers. »Ich benötige dieses Gebäude«, beschied er dem Besitzer. »Ihr dürft in einer Stunde wiederkehren.«

Ohne Zögern erwiderte der Sattlermeister: »Euer Wille geschehe, Erhabener.« Er winkte seinen Gehilfen zu, das Haus mit ihm zu verlassen, und sogleich waren Pug und seine Freunde allein.

Pug und Hochopepa umarmten sich. »Milamber, du mußt verrückt sein, wieder hierherzukommen!« rügte der wohlbeleibte Magier.

»Als ich deine Botschaft erhielt, traute ich meinen Augen kaum. Wieso bist du diese Gefahr eingegangen, sie durch das Muster zu schicken? Und weshalb das Treffen hier mitten in der Stadt?«

»Meecham, sei so gut und paß am Fenster auf«, bat Pug. Er wandte sich wieder Hochopepa zu: »Gibt es ein besseres Versteck als ungeahnt vor aller Augen? Du erhältst häufig Botschaften durch das Muster. Und wer würde sich etwas dabei denken, wenn du zu einem einfachen Priester sprichst?« Er deutete auf seine beiden Begleiter und stellte sie vor.

Hochopepa wischte alle Gerätschaften von einer Bank und setzte sich. »Ich habe tausend Fragen. Wie gelang es dir zurückzukehren?

Die Magier, die dem Kriegsherrn dienen, bemühten sich, Eure Heimatwelt wiederzufinden, denn das Licht des Himmels, mögen die Götter ihn beschützen, ist entschlossen, den Verrat der Friedensversammlung zu rächen. Und wie war es dir überhaupt möglich, den Spalt zu schließen? Und am Leben zu bleiben?« Er bemerkte Pugs Lächeln über diese Flut von Fragen und sagte schnell noch: »Doch das Wichtigste: Weshalb bist du zurückgekehrt?«

»Auf meiner Heimatwelt treibt eine finstere Macht tsuranischen Ursprungs ihr Unwesen. Ich suche über sie zu erfahren, was ich kann, und hier deshalb, weil sie von Kelewan ist.« Hochopepa blickte ihn fragend an. »Viel Seltsames tut sich auf meiner Welt, Hocho, und um das Wesen jener finsteren Macht zu ergründen, die hinter alldem steckt – und es ist eine furchterregende Macht –, bin ich zurückgekehrt.« Er erzählte in allen Einzelheiten, was geschehen war, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, angefangen mit der Erklärung des Grundes für den Verrat, bis zu den Anschlägen auf Fürst Arutha, und dann gab er seine eigene Auslegung von Rogens Gesicht kund.

»Wahrlich seltsam«, sagte Hochopepa, »denn wir wissen von keiner solchen Macht auf Kelewan – zumindest ist mir nichts darüber zu Ohren gekommen. Ein Vorteil unserer Vereinigung ist, daß zweitausend Jahre vereinter Bemühungen der Erhabenen unsere Welt von vielen Bedrohungen dieser Art säuberten. In unseren Sagen und unserer Geschichte gab es Dämonenlords und Hexenkönige, finstere Mächte und Kreaturen des Bösen, doch die Vereinigung war ihrer aller Ende.«

Trocken sagte Meecham vom Fenster: »Hat aber ganz den Anschein, als wäre euch einer entgangen.«

Obgleich im ersten Augenblick entrüstet, von einem Niedrigen derart angesprochen zu werden, mußte Hochopepa schließlich schmunzeln. »Vielleicht, oder es gibt eine andere Erklärung. Ich weiß es nicht. Aber«, wandte er sich an Pug, »du hast dich immer für das Wohl des Reiches und die Gerechtigkeit eingesetzt, deshalb zweifle ich nicht im geringsten, daß jedes deiner Worte der Wahrheit entspricht. Ich werde mich als Vermittler einsetzen und versuchen, dir freien Zugang zur Bibliothek zu verschaffen, und ich werde dir bei deinen Nachforschungen helfen. Doch mußt du verstehen, daß die Vereinigung sich durch ihre Politik selbst in ihrer Entscheidungsfreiheit behindert. Es steht keineswegs fest, daß eine Abstimmung dir das Leben sichert. Ich werde zurückkehren und mich bemühen, so viele wie möglich zu beeinflussen. Es wird Tage dauern, bis ich die Sache zur Sprache bringen kann. Aber ich glaube, ich werde mich durchsetzen können. Du wirfst zu viele Fragen auf, die man nicht mißachten kann. Ich werde so bald wie möglich eine Versammlung anberaumen und dich holen, nachdem ich mich für dich eingesetzt habe. Nur ein Dummkopf würde deine Warnungen unbeachtet lassen, selbst wenn es sich herausstellen sollte, daß der Unruhestifter auf deiner Welt nichts mit unserer zu tun hat. Im schlimmsten Fall wird man dir gestatten, die Bibliothek zu benutzen, und dich ungehindert zurückkehren lassen. Im besten erkennt man dich vielleicht als Erhabener an. Du wirst deine Handlungen zu rechtfertigen haben.«

»Das kann und werde ich, Hocho.«

Hochopepa stand von der Bank auf und stellte sich vor seinen alten Freund. »Vielleicht läßt sich doch noch Frieden zwischen unseren Welten ermöglichen, Milamber. Kann die alte Wunde geheilt werden, würden wir beide davon gewinnen. Ich, beispielsweise, würde liebend gern diese Akademie besuchen, die ihr da errichtet, und diesen Seher kennenlernen, der in die Zukunft blickt, und das Kind, das im Kopf spricht.«

»Und ich habe vieles, das hier interessieren würde. Die Öffnung lenkbarer Raumspalten ist nur eines davon. Doch über all dies später. Geh jetzt.«

Pug wollte Hochopepa zur Tür begleiten, als ihm aus den Augenwinkeln etwas an Meechams Haltung auffiel. Sie war zu steif, zu unnatürlich. Dominic hatte die Unterhaltung der beiden Magier verfolgt und so offenbar nicht auf den Bärtigen geachtet. Pug betrachtete Meecham flüchtig, dann brüllte er: »Ein Bannzauber!«

Er eilte zum Fenster und berührte Meecham. Der Riese war unfähig, sich zu bewegen. An ihm vorbei konnte Pug Männer auf das Haus zulaufen sehen. Doch ehe er selbst eines Schutzzaubers fähig war, barst die Tür mit ohrenbetäubendem Krachen und warf alle in dem Werkraum zu Boden.

Benommen bemühte Pug sich auf die Füße zu kommen, doch seine Ohren schmerzten von dem Krach, und vor seinen Augen verschwamm alles. Kaum stand er auf schwankenden Beinen, flog etwas durch die Türöffnung. Es war kugelförmig und von Faustgröße. Auch jetzt vermochte Pug keinen Schutzzauber zu errichten, denn die Kugel strahlte blendendes Orangelicht aus. So mußte er die Augen schließen, kaum daß er mit dem Zauber begonnen hatte. Er versuchte es erneut, doch nun ging ein hohes Summen von der Kugel aus, das ihm irgendwie die Kraft zu entziehen schien. Er hörte jemanden auf dem Boden aufschlagen, war jedoch nicht imstande zu sagen, ob Hochopepa oder Dominic versucht hatte aufzustehen und dabei wieder gestürzt war oder ob Meecham zu Boden gefallen war.

Pug kämpfte mit all seinen Kräften gegen die Magie der Kugel an, aber er war aus dem Gleichgewicht geworfen und verwirrt. Er taumelte zur Tür, um von dieser magischen Kugel fortzukommen, denn war er erst frei von ihrem hemmenden Einfluß, konnte er die Freunde mühelos retten. Doch ihr Zauber war zu stark, zu rasch. Auf der Schwelle brach er zusammen. Er fiel auf die Knie und blinzelte –

er sah alles doppelt, verursacht entweder durch die Kugel oder das vorherige Bersten der Tür. Vom Platz kamen Männer herbei. Sie trugen die Rüstung der Reichsweißen: die Leibgarde des Kriegsherrn. Ehe die Dunkelheit sich seiner bemächtigte, sah Pug noch, daß ein Schwarzgewandeter sie anführte, und er hörte des Magiers Stimme wie aus unendlicher Ferne: »Bindet sie!«