Wiedervereinigung
Das Schiff war auf dem Weg nach Hause.
Der Wind wechselte die Richtung, und des Kapitäns Stimme erschallte. An den Masten beeilte die Mannschaft sich, den Forderungen einer steiferen Brise und eines Schiffsführers nachzukommen, der es eilig hatte, sicher in den Hafen einzulaufen.
Ein erfahrener Segelmeister war er, fast dreißig Jahre in des Königs Marine, und seit siebzehn Jahren befehligte er sein eigenes Schiff.
Der Königsadler war das beste Schiff der königlichen Flotte, trotzdem wünschte sich der Kapitän mehr Wind, eine höhere Geschwindigkeit, da er keine Ruhe haben würde, bis seine Passagiere sicher an Land waren.
Am Vorderdeck befanden sich die Gründe für des Kapitäns Besorgnis: drei hochgewachsene Männer. Zwei, ein blonder und ein dunkelhaariger, standen an der Reling und machten offenbar Witze, denn beide lachten. Jeder war gute vier Zoll über sechs Fuß groß, und jeder hatte die selbstsichere Haltung eines Recken oder Jägers.
Lyam, der König des Reiches der Inseln, und Martin, sein älterer Bruder und Herzog von Crydee, unterhielten sich über so allerlei: über Jagden und Feste, über Reisen und Staatsgeschäfte, über Krieg und sonstige Auseinandersetzungen, und dann und wann sprachen sie über ihren Vater, Herzog Borric.
Der dritte, nicht ganz so groß und breitschultrig wie die zwei, lehnte etwas abseits an der Reling und hing seinen Gedanken nach.
Arutha, Fürst von Krondor und der jüngste der drei Brüder, beschäftigte sich ebenfalls mit Vergangenem, doch nicht mit dem Vater, der im Kampf gegen die Tsuranis gefallen war – in dem Krieg, den man nunmehr ›Spaltkrieg‹ nannte, da der Feind durch einen Spalt im Raum von seiner auf diese Welt gekommen war.
Nein, er starrte ins Kielwasser des Schiffes, das durch smaragdgrünes Gewässer schnitt, und sah in ihm zwei strahlende grüne Augen.
Der Kapitän warf einen Blick hoch und befahl daraufhin, die Sege l zu reffen. Wieder wandte er seine Aufmerksamkeit flüchtig den drei Männern auf dem Vorderdeck zu und murmelte ein Stoßgebet zu Kilian, der Göttin der Seefahrer. Wie sehr er sich wünschte, Rillanons hohe Türme wären bereits in Sicht! Denn diese drei Männer waren die mächtigsten und wichtigsten im Königreich.
Der Schiffsführer wollte lieber gar nicht daran denken, welch Chaos sich ausbreiten würde, stieße seinem Schiff im letzten Augenblick noch irgend etwas zu.
Nur dumpf vernahm Arutha die Rufe des Kapitäns und die Antworten seiner Leute. Die Ereignisse des vergangenen Jahres hatten ihn viel Kraft gekostet, und in seiner Erschöpfung achtete er wenig auf das, was sich um ihn tat. Bloß ein Gedanke beschäftigte ihn: Er kehrte nach Rillanon zurück – und zu Anita.
Arutha lächelte vor sich hin. Die ersten achtzehn Jahre seines Lebens erschienen ihm nun schier ereignislos. Dann erfolgte die Invasion der Tsuranis, und die Welt hatte sich für immer verändert.
Man zählte ihn zu einem der besten Feldherrn des Königreic hs, er hatte unerwartet in Martin einen Bruder bekommen, und hatte tausend Grauen und Wunder gesehen und erlebt. Das Wundersamste aber für Arutha war Anita.
Nach Lyams Krönung waren sie durch die Umstände getrennt worden, denn Arutha hatte Lyam mit Martin auf eine einjährige Reise durch den Osten begleitet, wo der neue König sowohl die Fürsten der Provinzen als auch die Herrscher der angrenzenden Reiche besuchte. Endlich kehrten sie zurück.
Lyams Stimme riß Arutha aus seinen Gedanken. »Was siehst du in den Schaumkronen, kleiner Bruder?«
Martin lächelte, als Arutha aufblickte. Der ehemalige Jagdmeister von Crydee, einst Martin Langbogen genannt, nickte seinem jüngsten Bruder zu. »Ich wette die Steuern eines ganzen Jahres, er sieht ein grünes Augenpaar und ein herzliches Lächeln in den Wellen.«
»Ich nehme die Wette nicht an, Martin. Seit wir Rillanon verließen, erhielt ich drei Botschaften von Anita, die mit dem einen oder anderen Staatsgeschäft zu tun hatten. Alles trägt offenbar dazu bei, sie in Rillanon zu halten, während ihre Mutter bereits einen Monat nach meiner Krönung nach Hause zurückkehrte. Arutha dagegen hat, grobgeschätzt, während der ganzen Zeit im Durchschnitt zwei Botschaften pro Woche von ihr bekommen. Man könnte daraus Schlüsse ziehen.«
»Hätte ich jemanden, der wie sie auf mich wartet, könnte ich auch nicht schnell genug zurückkehren«, sagte Martin.
Arutha war ein in sich gekehrter Mensch, dem es schwerfiel, seine tiefen Gefühle zu zeigen, und er war doppelt empfindlich, wenn es um Anita ging. Es liebte das schlanke junge Mädchen von ganzer Seele und war berauscht von der Art, wie sie sich bewegte, von dem Klang ihrer Stimme, der Innigkeit, mit der sie ihn anblickte. Doch obwohl diese beiden Männer möglicherweise die einzigen auf ganz Midkemia waren, denen er sich so verbunden fühlte, daß er ihnen seine Gefühle zeigen könnte, hatte er es schon als Junge nie gut hingenommen, die Zielscheibe selbst gutmütigen Spottes zu sein.
Als sein Gesicht sich verfinsterte, sagte Lyam: »Nicht so grimmig, Sturmwolke! Vergiß nicht, ich bin nicht nur dein König, sondern immer noch dein älterer Bruder, der dir die Ohren langziehen kann, falls es sich als nötig erweisen sollte!«
Die Benutzung des Spitznamens, den seine Mutter ihm gegeben hatte, und die bildhafte Vorstellung, daß der König dem Fürsten von Krondor die Ohren langzöge, brachte Arutha unwillkürlich zum Lächeln. Er schwieg noch einen Herzschlag lang, dann gestand er:
»Ich mache mir Sorgen, daß ich meine Hoffnungen vielleicht zu hoch stecke. Ihre Briefe, obgleich freundlich, waren förmlich und manchmal kühl. Und es gibt so viele junge Höflinge in deinem Palast.«
Martin lächelte. »Von dem Augenblick an, da wir aus Krondor entkamen, war dein Geschick besiegelt, Arutha. Sie hatte dich im Auge wie ein Jäger auf der Pirsche einen Rehbock. Selbst ehe wir Crydee auf unserer Flucht erreichten, waren die verstohlenen Blicke, mit denen sie dich bedachte, unverkennbar. Nein, sie wartet ganz sicher auf dich!«
»Außerdem«, fügte Lyam hinzu, »hast du ihr gestanden, wie es um dich bestellt ist.«
»Nun, nicht direkt, aber ich schrieb ihr, daß ich ihr geneigt bin.«
Lyam und Martin wechselten Blicke. »Arutha«, Lyam schüttelte den Kopf. »Deine Briefe waren wahrscheinlich von der Leidenschaftlichkeit eines Schreibers, der die jährliche Steuerabrechnung macht.«
Alle drei lachten. Die Monate der Reise hatten ihre Einstellung zueinander gewandelt. Martin war den beiden ändern in ihrer Kindheit und frühen Jugend sowohl Lehrer als auch Freund gewesen, hatte sie im Jagen unterwiesen und sie mit dem Wald und seinen Geschöpfen vertraut gemacht. Aber er war ein Bürgerlicher gewesen, obwohl er natürlich als Jagdmeister eine hochgeachtete Stellung an Lord Borrics Hof innegehabt hatte. Nachdem die beiden erfahren hatten, daß er ihres Vaters natürlicher Sohn und somit ihr älterer Halbbruder war, hatten alle drei eine Zeit der Umstellung und Anpassung mitgemacht. Seither hatten sie auch die aufdringliche, falsche Kameradschaft jener kennengelernt, die sich davon Vorteile versprachen, und die leeren Versprechungen von Freundschaft und Loyalität Berechnender. Während dieser Zeit war ihnen etwas klargeworden: daß sie in den beiden anderen jemanden hatten, auf den man sich verlassen und dem man sich anvertrauen konnte; der verstand, was dieser plötzliche Aufstieg an die Spitze des Reiches bedeutete, und der mit ihnen den Druck der neuen Verantwortlichkeit teilte. In den beiden anderen hatte jeder wahre Freunde gefunden!
Arutha schüttelte den Kopf und lachte über sich selbst. »Ich glaube, ich habe es ebenfalls von Anfang an gewußt, obwohl mich Zweifel quälten. Sie ist so jung!«
»Etwa in Mutters Alter, als sie Vater heiratete, meinst du das?«
Lyam lächelte.
»Hast du eine Antwort auf alles?« brummte Arutha.
Martin schlug Lyam auf die Schulter. »Natürlich.« Sanft fügte er hinzu: »Deshalb ist er ja der König!« Als Lyam Martin mit einem Blick vorgetäuschter Strenge bedachte, fuhr der älteste Bruder fort:
»Sobald wir zurück sind, solltest du sie gleich bitten, dich zu heiraten. Dann können wir den alten Pater Tully aus seinem Schlaf vor dem Kamin reißen und uns gemeinsam nach Krondor zu einer fröhlichen Hochzeit begeben. Und ich kann all diesen lästigen Reisen ein Ende machen und nach Crydee zurückkehren.«
Aus dem Mastkorb rief eine Stimme: »Land ahoi!«
»Wo?« brüllte der Kapitän hinauf.
»Geradeaus in Fahrtrichtung!«
Martin mit den scharfen, erfahrenen Jägeraugen war der erste, der die ferne Küste erspähte. Ruhig legte er die Hände auf seiner Brüder Schultern. Nach einer Weile konnten alle drei die Umrisse ferner Türme sehen, die sich vom strahlend blauen Himmel abhoben.
»Rillanon!« hauchte Arutha.
Die leichten Schritte und das Rascheln des weiten, über den eiligen Füßen hochgehaltenen Rockes begleiteten den Anblick einer schlanken Gestalt, die zielstrebig einen Korridor entlang eilte. Die lieblichen Züge der jungen Dame, die zu Recht als die Schönste am Hof gepriesen wurde, verrieten unheilvolle Stimmung.
Die Wachen, die am Gang Posten standen, behielten Haltung, doch ihre Augen folgten der Eiligen. Mehr als einer der Gardisten ahnte, wem der Zorn der temperamentvollen jungen Dame galt, und lächelte insgeheim. Für den Minnesänger würde es im wahrsten Sinne des Wortes ein schlimmes Erwachen geben!
Auf äußerst undamenhafte Weise stürmte Prinzessin Carline, die Schwester des Königs, an einem überraschten Diener vorbei, der versuchte, gleichzeitig zur Seite zu springen und sich zu verbeugen, was dazu führte, daß er auf seiner Kehrseite landete, während Carline im Gästeflügel des Palasts verschwand.
Vor einer Tür hielt sie inne. Sie strich sich glättend über das dunkle Haar und hob die Hand, um anzuklopfen, doch dann unterließ sie es. Bei dem Gedanken, darauf warten zu müssen, bis die Tür aufgetan würde, kniff sie gereizt die Augen zusammen und riß die Tür auf, ohne sich anzumelden.
Es war dunkel in dem Gemach, denn die Nachtvorhänge waren noch zugezogen. In dem großen Bett lag jemand unter den Decken verborgen der laut aufstöhnte, als Carline die Tür zuschlug. Die Prinzessin bahnte sich einen Weg durch die auf dem Boden verstreut liegenden Kleidungsstücke, riß die Vorhänge zur Seite und ließ die strahlende Vormittagssonne ein. Ein neuerliches Stöhnen wurde laut, während ein Kopf mit rotumrandeten Augen unter der Bettdecke hervorkam. »Carline«, krächzte der Mann. »Willst du mich von der Sonne umbringen lassen?«
Das junge Mädchen stellte sich ans Bett und fauchte: »Wenn du nicht die Nacht durchgefeiert hättest und wie erwartet zum Frühstück erschienen wärst, wüßtest du inzwischen, daß meines Bruders Schiff gesichtet wurde. Es wird innerhalb von zwei Stunden einlaufen.«
Laurie von Tyr-Sog, fahrender Spielmann, Held des Spaltkriegs, und seit kurzem Hoftroubadour und ständiger Begleiter der Prinzessin, setzte sich auf und rieb die müden Augen. »Ich habe nicht gefeiert, in dem Sinn, den du meinst! Der Graf von Dolth bestand darauf, jedes meiner Lieder zu hören, und so sang ich bis fast zum Morgengrauen.« Er blinzelte und lächelte Carline an. Sich über den säuberlich gestutzten blonden Bart streichend, sagte er: »Der Mann hat eine unerschöpfliche Ausdauer, aber auch einen guten Geschmack, was die Musik betrifft.«
Carline setzte sich auf den Bettrand und küßte Laurie flüchtig.
Geschickt befreite sie sich aus den Armen, die sich um sie legen wollten. Eine Hand gegen seine Brust gedrückt, hielt sie ihn in Schach. »Hör zu, du liebesdurstige Nachtigall, Lyam, Martin und Arutha werden bald hier sein. Sobald Lyam hofhält und alle Formalitäten hinter sich gebracht hat, werde ich wegen unserer Heirat mit ihm sprechen.«
Laurie schaute sich um, als suche er eine Ecke, in die er sich verkriechen könnte. Über das Jahr hinweg hatte ihr Verhältnis sich an Liebe und Leidenschaft immer mehr vertieft, trotzdem zuckte Laurie instinktiv zurück, wenn Carline das Gespräch auf eine mögliche Vermählung brachte. »Aber, Carline…«, begann er.
»›Aber, Carline‹, wirklich!« unterbrach sie ihn und stupste ihm den Finger in die Brust. »Du – du Possenreißer! Es gibt Fürsten aus dem Osten, Söhne von über der Hälfte aller Herzöge im Reich, und wer weiß, wie viele andere, die geradezu darum betteln, um mich freien zu dürfen. Und ich habe keinen einzigen beachtet. Wozu?
Damit so ein dummer Minnesänger sein Spiel mit meinen Gefühlen treiben kann? Warte nur, ich rechne schon noch mit dir ab!«
Laurie lächelte schief und strich sein zerzaustes Blondhaar zurück.
Er beugte sich vor, und ehe sie sich wehren konnte, küßte er sie stürmisch. Als er sie schließlich freigab, bat er: »Carline, Liebe meines Lebens, bitte! Fang nicht wieder damit an!«
Ihre Augen, die sie während des Kusses geschlossen hatte, starrten ihn sofort empört an. »Oh, ›fang nicht wieder damit an‹, sagst du!«
fauchte sie. »Wir werden heiraten! Das ist endgültig!« Sie stand auf, um seinen neuerlichen Umarmungen zu entgehen. »Die Prinzessin und ihr Minnesänger! Das ist schon zum Hofskandal geworden. Und es ist nicht einmal originell. Ich werde zum Gespött! Verdammt, Laurie! Ich bin fast sechsundzwanzig. Die meisten Frauen meines Alters sind seit acht oder neun Jahren verheiratet. Möchtest du, daß ich als alte Jungfer sterbe?«
»Das bestimmt nicht, mein Herzblatt«, antwortete er belustigt. Sie war nicht nur bezaubernd schön, und es würde bestimmt niemand auf den Gedanken kommen, sie eine alte Jungfer zu nennen, sie war auch zehn Jahre jünger als er, und so betrachtete er sie als noch sehr jung, wozu ihre manchmal kindischen Temperamentsausbrüche nicht wenig beitrugen. Er setzte sich nun hoch auf und spreizte die Hände in einer Geste der Hilflosigkeit, während er sich verzweifelt bemühte, seiner Erheiterung Herr zu werden. »Ich bin, was ich bin, Liebling, nicht mehr, nicht weniger. Ich bin schon länger hier, als ich irgendwo sonst je als freier Mann blieb. Allerdings muß ich zugeben, daß es eine weit angenehmere Unfreiheit ist als beim letzten Mal.«
Er meinte damit die Jahre, die er als Sklave auf Kelewan, der Heimatwelt der Tsuranis, verbracht hatte. »Aber man kann nie wissen, wann die Wanderlust mich wieder packt.«
Er sah, wie sie bei seinen Worten innerlich zu kochen begann, und zwang sich, sich selbst einzugestehen, daß es häufig seine Schuld war, wenn sich ihr Temperament entlud. Schnell änderte er die Taktik. »Außerdem weiß ich nicht, ob ich einen guten – nun, wie immer der Gemahl der Königsschwester genannt wird – abgeben würde.«
»Du wirst dir Mühe geben müssen. Und jetzt steh auf und zieh dich an!«
Laurie fing die Hose, die sie ihm zuwarf, und schlüpfte hinein.
Als er fertig angekleidet war, stellte er sich vor Carline und legte die Arme um ihre Taille. »Seit dem ersten Augenblick, da ich dich sah, Carline, bete ich dich an. Ich habe nie jemanden so geliebt wie dich und werde auch nie jemanden so lieben können, aber…«
»Ich weiß. Seit Monaten höre ich dieselben Ausreden.« Wieder stupste sie ihm den Zeigefinger in die Brust. »Du warst immer ein fahrender Spielmann«, spöttelte sie. »Du warst immer frei. Du weißt nicht, wie du es durchhalten könntest, immer an denselben Ort gebunden zu sein – obwohl mir aufgefallen ist, daß du dich im Königspalast recht gut eingewöhnt hast.«
Laurie richtete ergeben den Blick himmelwärts. »Das kann ich nicht leugnen.«
»Nun, mein Liebster, diese Ausreden helfen dir vielleicht, wenn du Abschied von einer armen Wirtstochter nimmst. Aber hier nutzen sie dir wenig! Wir werden sehen, was Lyam von alledem hält. Ich könnte mir vorstellen, daß es in den Archiven irgendein altes Gesetz gibt, das sich mit Bürgerlichen befaßt, die sich bei Edlen einschmeicheln und…«
Laurie grinste. »O ja, so ein Gesetz gibt es. Meinem Vater steht ein Goldstück zu, außerdem ein Maultiergespann und ein Bauernhof, weil du mich verführt hast!«
Carline konnte ein Kichern nicht mehr zurückhalten, dann lachte sie laut. »Du gemeiner Kerl!« Sie schlang die Arme um ihn, legte den Kopf an seine Brust und seufzte. »Ich kann dir einfach nicht lange böse sein.«
Er wiegte sie sanft in den Armen. »Ich gebe dir auch manchmal Grund, wütend auf mich zu sein«, murmelte er.
»Das tust du allerdings!«
»Na ja, so oft auch wieder nicht!«
»Hör zu, Freundchen. Meine Brüder nähern sich dem Hafen, und du stehst hier herum und streitest mit mir. Du magst ja mit mir nach Belieben umspringen, aber möglicherweise sieht der König die Dinge aus anderer Sicht.«
»Das habe ich befürchtet.« Echte Besorgnis sprach aus Lauries Stimme.
Plötzlich wurde Carline weicher gestimmt. Sie blickte ihn aufmunternd an. »Lyam wird tun, worum immer ich ihn bitte. Er war nie imstande, mir etwas abzuschlagen, das ich mir wirklich wünschte, seit ich ganz klein war. Hier ist nicht Crydee. Er weiß, daß die Dinge hier anders sind und ich kein Kind mehr bin.«
»Das ist mir aufgefallen.«
»Ach du! Hör zu, Laurie. Du bist schließlich kein einfacher Bauer oder Schuhmacher. Du beherrscht mehr Sprachen als jeder
›gebildete‹ Edle, dem ich je begegnet bin. Du liest und schreibst. Du bist weitgereist, ja, warst sogar auf der Tsurani-Welt. Du bist klug und begabt. Du bist viel eher befähigt zu herrschen, als so mancher, der dazu geboren ist. Außerdem, wenn ich einen älteren Bruder haben kann, der Jäger war, ehe er Herzog wurde, weshalb sollte ich dann keinen Gatten haben dürfen, der Spielmann war?«
»Deine Logik ist unwiderlegbar. Mir fällt keine gute Antwort darauf ein. Du weißt, ich liebe dich über alle Maßen, aber ansonsten…«
»Dein Problem ist, du hast die Begabung zu herrschen, aber du scheust vor der Verantwortung zurück. Du bist ganz einfach faul!«
Er lachte. »Das ist auch der Grund, weshalb Vater mich mit dreizehn Jahren aus dem Haus warf. Er sagte, ich würde nie einen tüchtigen Bauern abgeben.«
Sie schob ihn sanft von sich, und ihre Stimme klang wieder ernster. »Die Dinge ändern sich, Laurie. Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich glaubte schon zweimal zuvor zu lieben, aber du bist der einzige Mann, der mich vergessen läßt, wer ich bin, und mich dazu bringt, mich ohne Scham so zu benehmen. Wenn ich bei dir bin, ergibt nichts einen Sinn, aber das macht nichts, denn es ist mir egal, ob es sinnvoll ist zu fühlen, wie ich es tue. Aber nun muß ich mir doch Gedanken machen. Und du sieh zu, daß du eine Entscheidung triffst, und zwar bald. Ich wette mein Geschmeide, daß Arutha und Anita ihre Verlobung bekanntgeben werden, noch ehe meine Brüder einen vollen Tag im Palast sind. Was bedeutet, daß wir umgehend alle nach Krondor zur Vermählung aufbrechen werden.
Wenn sie verheiratet sind, werde ich mit Lyam hierher zurückkehren. Es liegt nun bei dir, dich zu entscheiden, ob du mit uns wieder hierherkommen wirst.« Sie blickte ihn fest an. »Es war wundervoll mit dir. Meine Gefühle sind von einer Art, wie ich sie mir nicht einmal hätte vorstellen können, als ich meine Jungmädchenträume von Pug und dann Roland träumte. Doch du mußt dich bereit machen, die Entscheidung zu treffen. Du bist mein erster Geliebter und wirst immer meine größte Liebe bleiben, aber wenn ich hierher zurückkomme, wirst du entweder mein Gemahl sein oder eine Erinnerung.«
Ehe er antworten konnte, ging sie zur Tür. »Ich liebe dich über alles. Aber die Zeit drängt.« Sie blickte ihn an. »Nun komm schon und begleite mich, den König begrüßen.«
Er eilte an ihre Seite und öffnete ihr die Tür.
Sie bestiegen eine der draußen wartenden Kutschen, die zum Empfang des Königs zum Hafen fuhren. Laurie von Tyr-Sog, fahrender Spielmann und Held des Spaltkriegs, war sich der Gegenwart der Frau an seiner Seite sehr bewußt. Er fragte sich, wie es wäre, wenn sie ihm für immer versagt würde. Bei dieser Aussicht fühlte er sich ausgesprochen unglücklich.
Rillanon, die Hauptstadt des Königreichs der Inseln, wartete darauf, ihren König willkommen heißen zu dürfen. Die Häuser waren mit Girlanden behangen und mit Treibhausblumen geschmückt.
Fahnen flatterten von allen Dächern, und Wimpel in allen Farben waren zwischen den Häusern aller Straßen aufgereiht, durch die der König kommen würde. Kleinod des Königreichs genannt, erstreckte Rillanon sich über die Hänge vieler Hügel und bot mit seinen schlanken Türmen, hohen Spitzbogen und luftigen Brücken einen malerischen Anblick. Der dahingeschiedene König Rodric hatte mit einer Verschönerung der Stadt begonnen und den meisten Häusern um den Palast eine neue Fassade aus schönem Marmor oder Quarz geben lassen und die Stadt zu einem glitzernden Wunder gemacht, was die Nachmittagssonne nun noch hervorhob.
Der Königsadler legte an dem Kai an, wo die Empfangsgesellschaft bereits wartete. In der Ferne, auf den Dächern und den Hangstraßen, von denen aus man zum Hafen blicken konnte, begrüßte die Menge jubelnd die Rückkehr ihres jugendlichen Königs.
Viele Jahre hatte die Stadt unter den unheilvollen Folgen von König Rodrics Wahnsinn gelitten, und obgleich Lyam den meisten der Bürger noch fremd war, verehrten sie ihn doch, denn er war jung und gutaussehend, sein Heldenmut während des Spaltkriegs war weitbekannt, und seine Großzügigkeit war bereits spürbar. Er hatte die Steuern gesenkt.
Mit meisterhafter Geschicklichkeit lenkte der Hafenlotse des Königs Schiff an seinen Anlegeplatz. Es wurde sofort festgemacht und die Laufbrücke heruntergelassen.
Arutha sah zu, wie Lyam als erster von Bord ging. Wie die Sitte es erforderte, fiel er auf die Knie und küßte den Boden seines Heimatlands. Suchend wanderte Aruthas Blick über die Menge. Wo war Anita? In dem Gedränge der Edlen, die es kaum erwarten konnten, Lyam zu begrüßen, fand er sie nicht. Eisiger Zweifel stach in sein Herz.
Martin stupste ihn unauffällig, denn dem Protokoll nach mußte er als zweiter aussteigen. Arutha eilte die Laufbrücke hinunter, Martin einen Schritt hinter ihm. Aruthas Blick fiel auf seine Schwester, die von der Seite des Sängers Laurie vorwärts rannte, um Lyam stürmisch zu umarmen. Zwar waren die anderen in der Empfangsgesellschaft nicht so frei mit dem Ritual wie Carline, aber ein unzeremonielles Jubeln der Höflinge und Gardisten begrüßte den König, auf dessen Anweisungen sie warteten. Und dann waren Carlines Arme um Arutha. Sie küßte ihn und sagte glücklich: »Wie sehr ich dein finsteres Gesicht vermißt habe.«
Wie immer, wenn er in Gedanken versunken war, wirkte Aruthas Miene düster. »Finsteres Gesicht?«
Carline blickte in Aruthas Augen und sagte mit unschuldsvollem Lächeln: »Du siehst aus, als hättest du was verschluckt, das sich noch rührt.«
Darüber lachte Martin laut, und Carline umarmte nun ihn. Er erstarrte zunächst, denn in Gegenwart seiner Schwester fühlte er sich noch etwas befangen, doch dann entspannte er sich und schloß sie nun ebenfalls in die Arme. Carline sagte: »Ich habe mich ohne euch drei um mich herum gelangweilt.«
Martin, der Laurie entdeckt hatte, schüttelte den Kopf. »Wohl doch nicht allzusehr, wie es scheint.«
Keineswegs gekränkt, entgegnete das Mädchen: »Es gibt kein Gesetz, nach dem bloß Männer sich vergnügen dürfen. Abgesehen davon ist er der beste Mann, den ich, von meinen Brüdern abgesehen, kenne.« Dafür hatte Martin nur ein Lächeln, und Arutha hielt weiter Ausschau nach Anita.
Lord Caldric, Herzog von Rillanon und oberster Ratgeber des Königs, außerdem Lyams Großonkel, lächelte breit, als des Königs kräftige Hand die seine bei einem herzlichen Händedruck fast ganz verbarg. Um das Jubeln der Menge zu übertönen, mußte Lyam fast brüllen: »Onkel, wie steht es mit Unserem Königreich?«
»Gut, mein König, nun da Ihr zurück seid.«
Als Aruthas Miene immer niedergeschlagener wurde, lächelte Carline ihm zu. »Genug des langen Gesichts, Arutha. Sie ist im Ostgarten und wartet auf dich.«
Arutha küßte Carline auf die Wange und ließ sie und einen wissend lächelnden Martin zurück. Während er an Lyam vorbeirannte, rief er: »Mit Eurer Majestät Erlaubnis.«
Lyams Verblüffung wandelte sich ebenfalls in ein Lächeln, während Caldric und die anderen Höflinge sich über das Benehmen des Fürsten von Krondor wunderten. Lyam beugte sich näher zu Caldric und flüsterte: »Anita.«
Ein sonniges Lächeln verjüngte Caldrics furchiges Gesicht, als er verständnisvoll nickte. »Dann werdet Ihr wohl bald wieder unterwegs sein, nach Krondor diesmal, zur Vermählung Eures Bruders?«
»Wir würden sie ja lieber hier abhalten, aber die Tradition gebietet, daß der Fürst in seiner eigenen Stadt heiratet, und der Sitte müssen wir uns beugen. Aber bis dahin werden noch ein paar Wochen vergehen. So etwas dauert seine Zeit. Und Wir müssen in der Zwischenzeit über das Reich regieren, obgleich mir deucht, daß Ihr das in Unserer Abwesenheit recht gut gemacht habt.«
»Möglich, Eure Majestät, doch nun, da es wieder einen König in Rillanon gibt, wird Euch so manches, was in diesem Jahr aufgeschoben wurde, zur Entscheidung vorgebracht werden. Die Gesuche und andere Schriftsachen, die wir Euch während Eurer Reisen nachschickten, waren höchstens ein Zehntel von jenen, die Euch erwarten.«
Lyam stöhnte übertrieben. »Wir glauben, Wir werden den Kapitän veranlassen, sofort wieder in See zu stechen.«
Caldric lächelte. »Kommt, Majestät. Eure Stadt möchte gern ihren König sehen.«
Von einer einzigen Person abgesehen, war der Ostgarten leer. Sie wandelte ruhig zwischen den wohlgepflegten Beeten dahin, wo die Pflanzen kurz davor standen, Knospen zu bilden. Ein paar unempfindliche Arten leuchteten schon im freundlichen Grün des Frühlings, und viele der abgrenzenden Hecken waren immergrüne Gewächse. Doch im großen ganzen erinnerte der Garten in seiner Kahlheit noch mehr an den Winter als an ein Versprechen des Frühlings, der in wenigen Wochen einziehen würde.
Anita blickte hinunter auf Rillanon. Das Schloß krönte die Kuppel des Berges. Schon in früher Zeit hatte man hier eine trutzige Burg errichtet, um die herum später das Schloß erbaut worden war. Sieben Bogenbrücken führten hier über den schlängelnden Fluß, innerhalb dessen Schleife das Schloß sich erhob. Der Nachmittagswind war kühl, so zog Anita den feinen Seidenschal enger um die Schultern.
Sie lächelte, als ihre Gedanken zurückwanderten, doch dann verschleierten Tränen ihre Augen in der Erinnerung an ihren zu früh dahingeschiedenen Vater, Prinz Erland, und an all das, was im vergangenen Jahr und zuvor geschehen war: Wie Guy du Bas-Tyra in Krondor eingetroffen war und sie zu einer Heirat aus Staatsgründen hatte zwingen wollen; wie Arutha unerkannt in die Stadt gekommen war. Sie hatten gemeinsam mehr als einen Monat Zuflucht bei den Spöttern gefunden – der Diebesgilde von Krondor –, bis diese ihnen die Flucht nach Crydee ermöglichten. Nach Beendigung des Spaltkriegs war sie zu Lyams Krönung nach Rillanon gereist. Während all dieser Monate war ihre Liebe zu des Königs jüngerem Bruder gewachsen. Und nun kehrte Arutha nach Rillanon zurück.
Schwere Schritte auf dem Fliesenweg veranlaßten sie, sich umzudrehen. Sie nahm an, ein Diener oder Gardist der Palastwache würde ihr die Ankunft des Königs im Hafen melden. Statt dessen näherte sich ein müde wirkender Mann in prächtiger, aber etwas mitgenommener Reisekleidung. Der Wind zauste sein dunkelbraunes Haar, und dunkle Ringe hoben sich um die braunen Augen im fast hageren Gesicht ab. Seine Stirn war leicht gerunzelt, wie immer, wenn er sich mit etwas Ernsthaftem beschäftigte – und gerade das gefiel ihr an ihm. Während er herankam, staunte sie insgeheim über seine Haltung und seinen Gang. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die einer Katze. Als er sie fast erreicht hatte, lächelte er etwas verlegen. Anita kämpfte vergebens um ihre am Hof anerzogene Haltung, und Tränen perlten über ihre Wangen. Plötzlich lag sie in seinen Armen und klammerte sich an ihn. »Arutha!« mehr brachte sie nicht heraus.
Eine Weile schwiegen beide und hielten einander nur fest umarmt, dann drückte er seine Lippen auf ihre. Wortlos sprach er von der Sehnsucht nach ihr, die ihn gequält hatte und von seiner Liebe, und wortlos antwortete sie auf gleiche Weise. Er blickte hinunter auf Augen so grün wie die See, und ein so bezaubernd mit niedlichen Sommersprossen bestäubtes Naschen – die einzige, doch erfreuliche Unvollkommenheit ihrer ansonsten makellosen hellen Haut. Mit müdem Lächeln sagte er endlich: »Ich bin wieder da!«
Dann mußte er selbst über diese überflüssige Bemerkung lachen, und sie lachte mit ihm. Er fühlte sich unendlich beschwingt mit dieser zierlichen jungen Frau in den Armen. Er roch den sanften Duft ihres dunkelrotbraune n Haares, das auf ausgefallene Weise hochgesteckt war, wie es die Hofmode zur Zeit vorschrieb. Er war glücklich, wieder bei ihr zu sein.
Sie löste sich aus seinen Armen, hielt jedoch seine Hand fest. »So lange warst du fort«, murmelte sie. »Ihr wolltet doch bloß einen Monat wegbleiben, dann kam ein zweiter hinzu, ein dritter und weitere. Über ein halbes Jahr warst du fort. Ich konnte einfach nicht zum Hafen kommen, denn ich wußte, ich könnte die Tränen nicht zurückhalten, sobald ich dich sähe.« Auch jetzt noch glänzten ihre Wangen feucht. Sie lächelte und rieb sie trocken.
Arutha drückte ihre Hand. »Lyam fand immer mehr Edle, die er glaubte besuchen zu müssen. Staatsgeschäfte«, sagte er mit trockenem Humor. Von dem Tag an, da er Anita kennengelernt hatte, war er unfähig, seine Gefühle für sie in Worte zu kleiden. Er hatte sich von Anfang an stark zu ihr hingezogen gefühlt, und nach ihrer Flucht aus Krondor ständig gegen seine Gefühle angekämpft, da er sie trotz allem noch für ein Kind hielt. Dennoch war ihr Einfluß auf ihn immer beruhigend gewesen. Sie hatte seine Stimmungen wie niemand sonst erkannt, hatte verstanden, seine Sorgenfalten zu glätten, seinen Ärger zu dämpfen, und ihn aus seinen überflüssigen Grübeleien zu reißen. Und er hatte ihre sanfte Art liebengelernt.
Sie hatten von ihren Gefühlen nie gesprochen, selbst nicht am Vorabend seines Aufbruchs mit Lyam. Auch damals waren sie durch diesen Garten geschritten und hatten bis tief in die Nacht hinein miteinander geredet. Obwohl sie über nichts von wirklicher Bedeutung gesprochen hatten, war Arutha, als er sie verließ, überzeugt gewesen, daß sie zu einer wortlosen Übereinstimmung gekommen waren. Doch dann hatte der leichte und manchmal förmliche Ton ihrer Briefe Zweifel in ihm geweckt. Er hatte befürchtet, ihre unausgesprochenen Gefühle mißdeutet zu haben.
Doch nun, während er sie so ansah, wußte er, er hatte sich nicht getäuscht. Übergangslos gestand er nun: »Ich konnte an fast nichts anderes mehr denken als an dich, seit wir hier Abschied nahmen.«
Wieder glänzten Tränen in ihren Augen. »Und ich dachte nur an dich.«
»Ich liebe dich, Anita. Ich möchte dich immer um mich haben.
Willst du mich heiraten?«
Sie drückte seine Hand, als sie »ja« flüsterte, dann umarmte sie ihn wieder. Arutha wurde vor lauter Glück schier schwindelig. Ganz fest hielt er sie und flüsterte: »Du bist mein ein und alles, mein Herzblatt.«
Reglos standen sie eine ganze Weile: der hochgewachsene, fast hagere Prinz und die zierliche Prinzessin, die ihm kaum bis zum Kinn reichte. Sie flüsterten zärtliche Worte, und nichts schien von Bedeutung zu sein als die Anwesenheit des anderen. Erst ein verlegenes Räuspern riß sie aus ihrer Versunkenheit. Sie drehten sich um und sahen einen Leibgardisten am Garteneingang stehen. Er meldete: »Seine Majestät naht, Eure Hoheit. Er wird in wenigen Minuten den Audienzsaal betreten.«
»Wir werden uns sogleich dorthin begeben«, versicherte ihm Arutha. Er nahm Anita an der Hand und ging mit ihr an dem Gardisten vorüber, der ihnen folgte. Hätten Anita und Arutha über die Schulter geblickt, hätten sie bemerken müssen, wie der erfahrene Palastwächter sich schwertat, ein breites Grinsen zu unterdrücken.
Arutha drückte schnell noch einmal Anitas Hand, dann stellte er sich neben der Flügeltür auf, als Lyam den großen Thronsaal betrat.
Während der König zum Thron schritt, verneigten die Höflinge sich tief, und der Hofzeremonienmeister klopfte mit dem Metallende seines Zeremonienstabes auf den Marmorboden. Ein Herold rief:
»Höret! Höret! Es sei euch kundgetan, daß Lyam, der erste dieses Namens und durch die Gnade der Götter rechtmäßiger Herrscher, zurückgekehrt ist und wieder seinen Thron eingenommen hat. Lang lebe der König!«
»Lang lebe der König!« kam die Antwort im Chor.
Als er sich niedergelassen hatte, die einfache Krone auf dem Haupt und den Purpurumhang um die Schultern gelegt, sagte Lyam:
»Wir sind glücklich, zu Hause zu sein.«
Erneut klopfte der Zeremonienmeister auf den Boden, und der Herold rief Aruthas Namen. Arutha betrat den Saal, dichtauf gefolgt von Carline und Anita, und hinter ihnen Martin, genau nach den Vorschriften des Protokolls. Jeder wurde der Reihe nach angekündigt. Als alle ihren Platz neben Lyam eingenommen hatten, winkte der König Arutha zu sich.
Arutha trat neben ihn. »Hast du sie gefragt?« erkundigte sich Lyam.
Mit verschmitztem Lächeln entgegnete Arutha. »Was soll ich sie gefragt haben?«
Lyam grinste. »Ob sie dich heiraten will, also tu nicht so! Und natürlich hast du sie gefragt und sie hat ja gesagt, das erkenne ich an deiner Miene«, flüsterte er. »Kehr schon an deinen Platz zurück, dann werde ich die Verlobung verkünden.« Arutha kehrte an Anitas Seite zurück, und Lyam winkte Lord Caldric zu sich. »Wir sind müde, mein Lord Kanzler. Wir würden uns freuen, wenn Wir uns kurz fassen könnten.«
»Es gibt nur zwei Angelegenheiten, mit denen, wie ich glaube, Eure Majestät sich heute befassen sollten. Alles andere kann warten.«
Lyam bedeutete Caldric fortzufahren. »Das erste: wir haben Berichte von den Grenzbaronen und von Herzog Vandros von Yabon erhalten über ungewöhnliche Regsamkeit der Kobolde im westlichen Bereich.«
Bei diesen Worten horchte Arutha auf und wandte die Aufmerksamkeit von Anita. Der westliche Bereich unterstand ihm.
Lyam bedeutete ihn und Martin zu sich.
»Was ist mit Crydee, mein Lord?« erkundigte sich Martin.
»Von der Fernen Küste haben wir nichts gehört, Euer Gnaden.
Bisher erhielten wir lediglich Meldungen aus dem Gebiet zwischen Hohenburg im Osten und dem Himmelssee im Westen, daß Koboldtrupps nordwärts ziehen und auf ihrem Zug hin und wieder Dörfer überfallen.«
»Nordwärts?« Martin blickte Arutha fragend an.
Arutha bat ums Wort: »Ich bitte um Eurer Majestät Erlaubnis.«
Und als Lyam zu seinen Worten nickte: »Martin, glaubst du, daß die Kobolde sich der Bruderschaft des Düsteren Pfades anschließen wollen?«
Martin überlegte. »Ich würde eine solche Möglichkeit nicht ausschließen. Die Kobolde dienen den Moredhel schon lange.
Allerdings habe ich eigentlich eher erwartet, daß die Düsteren Brüder wieder südwärts, zu ihrem Zuhause in den Bergen der Grauen Türme, ziehen würden.« Die finsteren Vettern der Elben waren durch die Tsurani-Invasion im Spaltkrieg aus den Grauen Türmen nordwärts vertrieben worden. Martin wandte sich an Caldric: »Mein Lord, habt Ihr Meldungen über die Düstere Bruderschaft?«
Caldric schüttelte den Kopf. »Sie wurden lediglich entlang dem Vorgebirge der Zähne der Welt gesichtet, aber das ist eigentlich nicht weiter ungewöhnlich. Die Lords vom Wächter des Nordens, dem Eisernen Paß und von Hohenburg schickten die üblichen Berichte, was die Bruderschaft betrifft, nichts weiter.«
»Arutha, Wir überlassen es dir und Martin, diese Berichte zu studieren und zu entscheiden, was im Westen getan werden muß.«
Lyam wandte sich dann wieder an Caldric. »Was sonst, mein Lord?«
»Eine Botschaft der Kaiserin von Groß-Kesh, Eure Majestät.«
»Und was hat Kesh den Inseln zu sagen?«
»Die Kaiserin hat ihren Botschafter, einen gewissen Abdur Rachman Memo Hazara-Khan, zu den Inseln entsandt, um darüber zu verhandeln, wie sich etwaige noch bestehende Unstimmigkeiten zwischen den beiden Reichen beheben lassen.«
»Das ist eine erfreuliche Neuigkeit, mein Lord«, entgegnete Lyam. »Zu lange Zeit schon haben die Schwierigkeiten mit dem Tal der Träume verhindert, daß Groß-Kesh und das Reich der Inseln sich in anderen Dingen einigten. Es wäre von großem Vorteil für unsere beiden Völker, wenn die Sache zu einem guten Ende für beide Teile gebracht werden könnte.« Lyam erhob sich. »Doch teilt Seiner Exzellenz mit, er möge Uns in Krondor aufsuchen, da wir dort eine Vermählung feiern werden.
Meine Lords und Ladies des Hofes, mit großer Freude darf ich heute die Verlobung Unseres Bruders Arutha mit Prinzessin Anita bekanntgeben.« Der König wandte sich den beiden zu, nahm sie bei der Hand und führte sie den Anwesenden vor, die erfreut Beifall zollend klatschten.
Carline, die neben ihren Brüdern stand, warf Laurie einen finsteren Blick zu und drückte Anita einen Kuß auf die Wange. In dem Jubel im Thronsaal hinein erklärte Lyam: »Damit ist die Tagesordnung beendet.«