Äußerlichkeiten

 

Aber eigentlich ist für einen Beobachter überhaupt nichts zu erkennen. Es ist wie immer: Egal wie schlecht es mir geht, ich lasse mir nichts anmerken. Das habe ich zu Hause gelernt. Hauptsache, die Fassade stimmt, wie zerbombt es dahinter auch immer aussehen mag. »Wenn es mir schlecht geht, ziehe ich mich zurück wie ein verwundetes Tier und lecke meine Wunden«, höre ich meinen Vater sagen. Schwäche zu zeigen war ihm zuwider.

Meine bewegungslose Miene, meine Angst davor, die Menschen um mich herum in meine Probleme hineinzuziehen, ist die direkte Fortsetzung dieser Haltung. Bin ich eine Belastung, wenn ich mal nicht stark bin? Wenn ich nehme und nicht gebe? Zum ersten Mal sehe ich, wo ich mein Verhalten abgeguckt habe. Wenn ich Sorgen habe, ziehe ich mich zurück, nach außen hin behalte ich aber das Strahlemann-Lachen. The show must go on.

Wie hat sie eigentlich begonnen? Als 13-Jähriger habe ich auf die Frage, was ich später einmal werden möchte, stereotyp geantwortet: Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank. Die Vorstellung, wichtige Entscheidungen treffen zu müssen und über viel Geld zu herrschen, faszinierte mich.

Über das Depot meines Vaters erwarb ich mit meinem Taschengeld meine ersten Aktien, bevorzugt aus Neuemissionen, und verfolgte dann mit Spannung jeden Tag den Kursverlauf meiner Aktien. Gerresheimer Glas und Viag waren meine Favoriten. Als mein Vater es versäumte, rechtzeitig Porsche-Aktien zu ordern, machte ich ihm heftige Vorwürfe.

Ich las das Handelsblatt und die Wirtschaftswoche, die mein Vater nach Hause brachte, und begeisterte mich daran, dass der Chef von Walt Disney der bestbezahlte Manager war und 80 Mio. US-Dollar Jahresgehalt verdiente. Lee Iacocca gehörte zu meinen Idolen, der Mann, der den Mustang gebaut und Chrysler saniert hatte, Alfred Herrhausen war sowieso der Größte. In meiner Vorstellung sah alles ganz einfach aus.

Bei meinen Klassenkameraden kam ich mit solchen Themen nicht gut an, sie interessierten sich wie üblich für Sport, Fernsehen oder für Spiele auf dem Computer, es war damals die Zeit des sagenhaften Commodore C64...

Mein Vater dachte ständig an seinen Beruf, er lebte ganz für ihn. In den Geschichten, die er mir erzählte, gab es viele Beispiele, die zeigten, dass durch Harmonie und Zusammenhalt mit seinem Geschäftsführerkollegen große Dinge möglich waren. Er war es auch, der mir erklärte, dass die Vorstände der Unternehmen, die ich so bewunderte, nicht eigentlich für Geld arbeiten würden. Er selbst würde sich genauso verhalten.

Als ich ihn bei einem Streit einmal anschrie und ihm an den Kopf warf, dass ich es einmal weiter bringen würde als er, sagte er lediglich liebevoll: »Das wünsche ich dir von ganzem Herzen.«

Nachdem ich im Kino »Wall Street« mit Michael Douglas gesehen hatte, lief ich eine Zeit lang nur mit den entsprechenden Hosenträgern und mit Gel in den Haaren herum. Ich fühlte mich unglaublich wichtig. Ein Klassenkamerad von mir rannte dagegen immer schreiend wie John Rambo durch das Gebüsch des Schulhofs; vermutlich waren wir eine ganz normale Klasse.

Mein Vater verdiente damals bestimmt nicht schlecht, aber meine Mutter klagte trotzdem ständig, es sei zu wenig. Anfang der siebziger Jahre hatte unsere Familie einige Jahre am Persischen Golf gelebt, mein Vater führte damals riesige Infrastrukturprojekte durch.

Die wenigen Europäer und Amerikaner, die damals in dieser Region lebten, verfügten natürlich über alle vorstellbaren Privilegien, Personal für Haus, Küche, Garten, großzügige Wohnanlagen, Luxus. Während mein Vater viele hundert Kilometer entfernt irgendwo im Sumpf auf seinen Baustellen arbeitete und nur übers Wochenende mit dem Wasserflugzeug zu seiner Familie zurückkehrte, lebte meine Mutter allein mit meinen Brüdern in ihrem privilegierten Getto.

Zurück in Deutschland wollte sie ihr Leben auf großem Fuß fortsetzen. Sie liebte rauschende Feste, die tagelange Vorbereitungen erforderten und in vielgängigen Menüs kulminierten.

Am eindrucksvollsten fand ich die Fahrten mit ihr zusammen in unserem weißen Jaguar XJ 12. Blaue Ledersitze, Wurzelholz als Armaturenbrett, und sogar bei Tempo 200 absolute Stille im Innenraum. Man konnte sich flüsternd unterhalten, während man fast wie in einem Raumschiff dahinschwebte. »Eigentlich benötigt man zwei von diesen Autos, denn einer ist immer in der Werkstatt«, pflegte meine Mutter laut lachend zu sagen, sehr zum Leidwesen meines Vaters. Wenn sie als blonde Schönheit im Pelzmantel aus dem Auto stieg, konnte sie sich aller Blicke sicher sein.

Meinem Vater dagegen waren Äußerlichkeiten nie wichtig. Nie schien er sich einen neuen Mantel zu kaufen, mit seiner Kleidung reagierte er lediglich auf das wechselnde Wetter. Sie war modisch überholt, aber zweckkonform. Die Bescheidenheit meines Vaters, sein Prinzip »Mehr zu sein als zu scheinen« beeindruckte mich, meine beiden Brüder genossen dagegen den Pomp und die Außenwirkung meiner Mutter.

Ich selbst lief abgerissen herum, die Kaschmirpullover, die mir meine Mutter kaufte, empfand ich als zu kratzig und zog lieber verwaschene, ausgeleierte Nickis in Giftgrün an. Und sosehr ich die Fahrt im Jaguar auch genoss, so peinlich war es mir, mit dem Auto zur Schule gebracht zu werden und unter den Augen meiner Klassenkameraden aussteigen zu müssen.

Es war eigentlich kein Wunder, dass die Ehe meiner Eltern unglücklich war. Mein Vater wollte keine Show, und meine Mutter fühlte sich ungeliebt. Die Stimmung meiner Mutter wechselte schlagartig, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. An guten Tagen überschüttete sie alle um sich herum mit Geschenken, an schlechten Tagen keifte sie meine Brüder und mich bösartig an. »Hätte ich dich mal abgetrieben«, hörten wir mehr als einmal. Sie war für sich, ihre Familie und ihre Umgebung vollkommen unberechenbar.

1987 beschlossen meine Eltern, sich zu trennen. Meine Mutter hatte herausgefunden, dass mein Vater schon seit längerem eine Beziehung zu einer sehr attraktiven, allein stehenden Frau aus dem engeren Freundeskreis unterhielt.

Es muss wie in einem schlechten Roman gewesen sein: Ein Fehler in der Telefonanlage ließ sie ein Gespräch mithören, das mein Vater mit seiner Geliebten führte. Mein Vater stimmte einer sofortigen Trennung ohne zu zögern zu, ihre hohen Unterhaltsforderungen akzeptierte er ohne zu murren.

Wir Kinder konnten nur dabei zusehen, wie sie eine herrschaftliche Wohnung am Starnberger See mietete und mit Kisten voller Schmuck und Kunstgegenständen ausstattete, die sie Woche für Woche aus unserem Haus abtransportieren ließ. Meinen Vater interessierte das alles nicht.

Mit dem Auszug meiner Mutter wollte ich mich endlich von ihrer Unzufriedenheit und dem Größenwahn, in dem sie lebte, lösen. Meine Leistungen in der Schule litten schon längst unter der Trennungsgeschichte meiner Eltern, ich musste öfters die Schule wechseln. Überall störte ich den Unterricht massiv. Ich lebte das häusliche Chaos und den fehlenden Rückhalt offensiv aus.

Eigentlich wollte ich vermutlich Grenzen gezeigt bekommen, aber meine Mutter konnte nur schreien und mein Vater wühlte sich in seine Arbeit ein. Meine Fingernägel waren blutig abgekaut, keine noch so bittere Nageltinktur konnte mich stoppen. In diesen Monaten gab es eigentlich nur unseren Hund Bella, dem ich mich nah fühlte.

 

 

Dem eigenen Leben auf der Spur
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