Lou Gerstner
Lou Gerstner

Lou Gerstner (*1942), ehemaliger CEO von IBM, gilt als einer der besten Manager seiner Generation. Viele stellen ihn in eine Reihe mit Jack Welch, Bill Gates oder Andy Grove. Besieht man sich seine Leistungen bei IBM, wo er einen der meisterhaftesten Turnarounds der Wirtschaftsgeschichte vollbrachte, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass er einen Platz in dieser Reihe wirklich verdient hat. Von ihm kann man lernen, welche Bedeutung es hat, wenn man sich komplett am Kundennutzen orientiert.

Im Jahr 1993 befand sich IBM in einem schlechten Zustand, so schlecht, dass Andy Grove, CEO von Intel, kaum die richtigen Worte fand: „Es ist schwer zu beschreiben, wie angeschlagen das Unternehmen war.“3 Das Unternehmen, ehemals das führende der Computerindustrie, hatte zuvor den bis zum damaligen Zeitpunkt größten Jahresverlust der Wirtschaftsgeschichte vermeldet: 8,1 Milliarden Dollar. Im April 1993 wurde dann Lou Gerstner zum CEO von IBM berufen. Eine seiner ersten und wichtigsten Entscheidungen war es, den Plan seines Vorgängers John Akers, wonach IBM in kleinere Einheiten zerschlagen werden sollte, nicht umzusetzen. Er setzte stattdessen auf die Alternative, IBM als Ganzes zu erhalten und gerade die breite Palette an Produkten, Dienstleistungen und Fähigkeiten zum schlagkräftigsten Wettbewerbsvorteil zu machen. Zu den weitreichendsten Umorientierungen von IBM zählte, dass Gerstner das Unternehmen kompromisslos auf den Kunden und dessen Nutzen ausrichtete: „Im Frühling 1993 war es meine Hauptaufgabe, das Unternehmen wieder auf den Markt – den einzigen echten Erfolgsmaßstab – auszurichten. Ich begann praktisch jedem zu erzählen, dass der Kunde IBM führt und dass wir das Unternehmen am Kunden orientiert wieder aufbauen werden.4

In dieser von Lou Gerstner wieder eingeführten kompromisslosen Kundenorientierung und Orientierung am Nutzen für den Kunden liegt ein ganz wesentlicher Schlüssel für das erfolgreiche Comeback von IBM. Sein umfassendes Sanierungsprogramm, das zunächst von Kostensenkungen geprägt war, setzte auf eine grundlegende strategische Neuorientierung, in deren Zentrum vor allem die Dienstleistungsorientierung und die Konzentration auf das Internet standen. Seine massiven Investitionen in Forschung und Entwicklung waren ein ausgesprochen deutliches Zeichen dafür, dass IBM es mit der Kundenorientierung wirklich ernst meinte. Sein Weg, den Kundennutzen und die Orientierung an den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, war eine Leitlinie, auf die Thomas Watson sen., der IBM jahrzehntelang prägend leitete, stolz gewesen wäre. Ihm war dies immer das wichtigste Anliegen. So besteht die größte Leistung von Lou Gerstner vielleicht tatsächlich darin, dass er IBM daran erinnerte, dass es IBM ist. Er erinnerte daran, was das Wesen von IBM eigentlich ausmacht. Who Says Elephants Can’t Dance? ist der Titel seines sehr lesenswerten Buches, in dem er auf wundervolle Weise zeigt, dass Elefanten sehr wohl tanzen können.

Die einzig gültige Definition für den Zweck eines Unternehmens lautet, zufriedene Kunden zu schaffen. Peter F. Drucker formulierte dies bereits 1954 in seinem Buch The Practice of Management.5 Seitdem stünde dieses Wissen jedem zur Verfügung – und doch wissen es die meisten nicht oder vergessen es immer wieder. Der Kunde ist die Basis, auf der alles aufbauen muss. Er sichert nicht nur die Existenz des Unternehmens, sondern auch Arbeitsplätze. Perfekt bringt diesen Zusammenhang Reinhold Würth zum Ausdruck: „Meine Leute sind nicht bei mir angestellt, sondern beim Kunden.6 Man würde sich wünschen, mehr Unternehmensführer hätten diese Einstellung zu ihren Kunden. Er spricht aus Erfahrung, schließlich hat er die Würth-Gruppe zum Weltmarktführer gemacht und rund 60 000 Menschen stehen bei ihm in Lohn und Brot.

Die Frage, mit der Sie beginnen müssen, lautet also: „Worin sieht Ihr Kunde einen Nutzen?“ Die Frage wird viel zu selten gestellt, oft weil Führungskräfte glauben, die Antwort sei klar. Die Antwort, die im Unternehmen gegeben wird, ist aber zumeist eher falsch als richtig. Führungskräfte sollten gar nicht erst versuchen, die richtige Antwort zu erraten, sondern sich eine tragfähige Antwort erarbeiten, indem sie systematisch mit dem Kunden reden und gleichzeitig beobachten, was der Kunde wirklich kauft, denn häufig sagt der Kunde etwas, tut hinterher aber etwas ganz anderes. Lou Gerstner und andere Top-CEOs verbrachten regelmäßig Großteile ihrer Zeit direkt mit ihren Kunden. Gerstner führte durch sein Vorbild, deshalb delegierte er diese Aufgabe auch nicht.

Sein Ziel, ein Unternehmen zu schaffen, das wie besessen davon ist, Kundennutzen zu stiften, konnte er nur erreichen, indem er „die Technologie mit den Augen des Kunden sah7, wie er sagte. Das erfordert intensivste Beschäftigung mit dem Kunden und seinen Problemen und Wünschen. Deswegen arbeitete Alfred P. Sloan, der legendäre CEO und Chairman of the Board von General Motors, mehrmals im Jahr selbst als ganz gewöhnlicher Autoverkäufer. Auch das bereits angesprochene Unternehmen Würth ist weltweit Vorbild für seinen intensiven Kontakt zum Kunden und den systematischen Dialog mit der Zielgruppe. Im Grunde kaufen Kunden nie ein Produkt, sie kaufen immer den Nutzen, den sie aus einem Produkt oder einer Dienstleistung erhalten. Es ist notwendig, diesen Nutzen zu verstehen, und zwar nicht nur für gezieltes Marketing und systematische Innovationen, sondern auch für Entscheidungen darüber, welche Aktivitäten und Produktmerkmale eingespart werden können. Es ist kein Verlust für den Kunden, etwas einzusparen, das für ihn keinen Nutzen stiftet. Diese Einsicht liegt nahe, denn die eingesparten Kosten schaffen Freiräume, die dort genutzt werden können, wo sie dem Kunden wirklich einen Nutzen bringen. Darüber hinaus wird es immer wichtiger, zu verstehen, was Nicht-Kunden als Nutzen erachten. Selbst wenn ein Unternehmen eine so dominante Marktposition innehat, wie es bei IBM in den Bereichen Mainframe und Personal Computer der Fall war, gibt es immer noch einen riesigen Teil des Marktes, den es nicht beherrscht – dabei war die überragende Dominanz von IBM ja schon eine Ausnahmesituation. Ein Unternehmen mit 30 Prozent Marktanteil vollbringt eine unternehmerische Glanzleistung, aber 70 Prozent der Kunden kaufen trotzdem anderswo. Warum? Was betrachten die Nicht-Kunden als Nutzen? Sie müssen diese Nicht-Kunden verstehen, da Veränderungen, die Ihre Branche nachhaltig beeinflussen, immer bei den Nicht-Kunden beginnen.

Lou Gerstner brachte es dereinst auf den Punkt: „IBM ist ein Unternehmen der Lösungen. Wir beginnen mit dem Kundenproblem und arbeiten von dort zurück zur richtigen Kombination von Technologien und Sachverstand.“8 Gibt es einen besseren Weg, um Peter F. Druckers bereits zitierter Definition des Zwecks eines Unternehmens gerecht zu werden?


Aufgaben und Denkanstöße:

  • Worin sieht Ihr Kunde einen Nutzen? Was können Sie tun, um Ihre Kunden und deren Nutzenannahme besser zu verstehen?
  • Was erachten die Nicht-Kunden als Nutzen? Was werden Sie tun, um die Nicht-Kunden besser zu verstehen?
  • Was werden Sie tun, um eine intensive Diskussion über diese Fragen in Ihrer Organisation anzustoßen? Und welche Resultate sollen in drei Monaten vorliegen?

Management - von den Besten lernen
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