15

Am anderen Morgen erledigte Jacqueline die Hausarbeit in aller Eile. Sie konnte es kaum erwarten, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen und sich wieder in das Tagebuch ihrer Mutter zu vertiefen.

Ben und Nick hatten beim Frühstück eine hitzige Diskussion darüber geführt, ob es zum Fliegen zu windig war oder nicht. Nick meinte, er könne starten, Ben war dagegen. Beide verteidigten ihre Standpunkte so dickköpfig und aggressiv, dass Jacqueline schließlich eingriff und sie daran erinnerte, dass vier Heranwachsende mit am Tisch saßen.

Es steckte mehr hinter ihrer Auseinandersetzung, es ging nur vordergründig um die Gefährlichkeit des Fliegens, das spürte sie. Sie fragte sich, ob es etwas mit ihr zu tun hatte.

Jacqueline war froh, endlich allein im Haus zu sein. Sie hatte erst einige wenige Tagebuchseiten gelesen, als die Hintertür aufgerissen wurde und unmittelbar danach mit einem Knall ins Schloss fiel. Dann hantierte jemand geräuschvoll in der Küche. Sie nahm an, dass Ben noch einmal zurückgekommen war und seinen Unmut am Küchengeschirr ausließ. Jacqueline hielt es für klüger, ihm nicht über den Weg zu laufen.

Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Der Wind hatte sich gelegt, wie sie an den Bäumen erkennen konnte. Ein Glück. Dann würde Nick wenigstens nicht sein Leben aufs Spiel setzen, wenn er mit dem Flugzeug aufstieg, um den Dünger auszubringen.

Sie vertiefte sich wieder in das Tagebuch ihrer Mutter. Margaret schilderte ihre Freude über ihr neues Zuhause in Atlanta.

Es ist ein entzückendes Einfamilienhaus mit einem hübschen Garten und liegt in einer netten Gegend. Und es hat eine Veranda, so wie ich es mir immer gewünscht habe. Ich kann es kaum erwarten, eine Hollywoodschaukel zu kaufen, um abends mit Lionel draußen zu sitzen und den Duft des Jasmins einzuatmen, der sich am Zaun hinaufrankt. Ich möchte Spitzengardinen fürs Wohnzimmer und karierte Vorhänge für die Küche. Ich habe tausend Ideen, wie ich ein perfektes Heim für meine perfekte Familie schaffen kann.

Auf den folgenden Seiten beschrieb sie die einzelnen Zimmer, darunter auch die Tapeten und Wandfarben, die sie sich für die Kinderzimmer wünschte. Margaret führte ganz genau aus, wie sie den Garten anlegen, dass sie Lilien, Rosen, Orangen- und Pfirsichbäume pflanzen wollte. Jacqueline sah ihr damaliges Zuhause durch die Augen ihrer Mutter. Ihre Tagebucheinträge zu lesen, beschwor ihr Bild deutlich vor ihr herauf, und sie vergaß alles rings um sich herum.

Ihre Mutter erwähnte sogar die Kinderschaukel, die Lionel eines Tages mitgebracht hatte. Jacqueline lächelte. Sie erinnerte sich gut an die Schaukel, die sie so geliebt hatte, obwohl sie eigentlich schon zu alt dafür gewesen war. Margaret erzählte von ihrer Wohngegend, von ihren Bekannten. Den einen oder anderen Namen kannte Jacqueline noch. Sie habe ihren Mann gefragt, ob die Kinder einen Hund haben dürften, wenn sie sich erst einmal eingelebt hätten, schrieb Margaret. Jacquelines Lächeln erstarb. So weit war es nie gekommen.

Ganz in ihre Gedanken versunken, blickte sie auf und sah plötzlich ein kleines schwarzes Gesicht um die Ecke in ihr Zimmer lugen. Sie war so überrascht und erschrocken, dass sie einen spitzen Schrei ausstieß. Es war Yuri gewesen, der durch den Türspalt gespäht hatte. Er erschrak seinerseits und flitzte davon. Jacqueline konnte ihn weinen hören.

»Ach herrje, ich hab’s nicht so gemeint, komm doch wieder her«, rief sie. Sie ließ das Tagebuch fallen, sprang auf und lief ihm nach. Sein Wimmern kam aus der Küche.

In der Küchentür blieb Jacqueline wie angewurzelt stehen und riss entsetzt Mund und Augen auf. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Dot, die etwas zu essen machte, hatte ein unglaubliches Chaos in der Küche angerichtet, die Jacqueline sauber und ordentlich verlassen hatte.

»Was tust du denn da?«

Yuri klammerte sich an seine Mutter. »Ich? Du hast meinem Yuri wieder Angst gemacht!«, fuhr Dot sie an.

»Er hat mir einen Schrecken eingejagt, nicht umgekehrt«, gab Jacqueline entrüstet zurück. Sie ging zur Spüle. »Sieh dir bloß diese Sauerei an! Ich hatte so schön sauber gemacht.«

Dot machte ein beleidigtes Gesicht. »Mein Sohn ist hungrig, er muss essen.« Das Brot, das sie aufgeschnitten hatte, war eigentlich für das Mittagessen am folgenden Tag bestimmt gewesen. Alles war voller Krümel, Butter und Marmelade waren auf der Arbeitsfläche und auf dem Rand des Spülbeckens verschmiert, verschüttete Milch tropfte auf den Fußboden. Jacqueline dachte an die Ameisen, die angelockt würden, und verzog schmerzlich das Gesicht. Es war fast unmöglich, der Ameisenplage Herr zu werden.

»Hast du schon mal was von einem Teller und einem Schneidebrett gehört?«, kreischte Jacqueline. Sie hatte so geschuftet, und jetzt war alles umsonst.

»Schrei mich nicht so an«, rief Dot und schüttelte wütend Jacquelines Arm. »Das ist Bens Haus. Nicht deines!«

Diese Unverfrorenheit brachte Jacqueline erst recht in Rage. »Ganz richtig, das ist Bens Haus. Du kannst doch nicht einfach hier reinplatzen, dir was zu essen nehmen und einen solchen Saustall hinterlassen!«

»Hör auf, mich anzuschreien, du Verrückte!«, kreischte Dot aufgebracht.

»Wenn hier eine verrückt ist, dann du! Und jetzt mach, dass du rauskommst!«

»Du hast mir gar nichts zu sagen! Ich brauche Geld, ich muss Essen für meinen Yuri kaufen, und deshalb werde ich hier arbeiten!«

»Hier drinnen ganz bestimmt nicht. Meinetwegen kannst du was im Garten tun, wo es nicht so darauf ankommt. Und jetzt raus hier!« Jacqueline war so in Fahrt, dass sie Yuri das Stück Brot in die Hand drückte und ihn dann mitsamt seiner Mutter energisch zur Hintertür hinausschob.

In ihrer Sprache vor sich hin schimpfend, stapfte Dot wütend davon, ihren Sohn an der Hand.

Jacqueline atmete tief durch. Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, machte sie sich daran, die Küche aufzuräumen, zum zweiten Mal an diesem Vormittag. Sie beeilte sich, weil sie unbedingt noch ein bisschen im Tagebuch ihrer Mutter lesen wollte.

Als sie mit Saubermachen fertig war, holte sie das Tagebuch aus ihrem Zimmer und setzte sich an den Küchentisch. Falls Dot auf die Idee kommen sollte, das Haus noch einmal zu betreten, würde sie ihr blaues Wunder erleben. Aber Jacqueline konnte sich nicht konzentrieren. Sie sah, dass der Wind wieder auffrischte, und sorgte sich um Nick. Nicht lange danach hörte sie über sich das Brummen eines tief fliegenden Flugzeugs.

Inzwischen war der Wind noch stärker geworden, die Bäume schwankten, unzählige Blätter wurden abgerissen und wirbelten in einer riesigen Staubwolke über den Hof. Dann krachte es ganz gewaltig. Jacqueline rannte zum Fenster und sah, dass ein riesiger Ast von einem Eukalyptusbaum unweit des Hauses abgebrochen und in ein ausgetrocknetes Bachbett gestürzt war. Ihr wurde mulmig zumute. Rings um das Haus standen viele hohe Bäume. Sie hoffte, dass Ben und die Jungen bald zurückkamen. Sie wollte nicht allein sein, wenn ein Unwetter aufzog.

Ben hatte für diesen Tag nicht nur die Kontrolle der Zäune geplant, sondern auch die Reparatur einer Windmühle. Außerdem wollte er mit dem Dippen der Schafe beginnen – sie wurden in einer desinfizierenden Lösung gebadet, wie er ihr erklärt hatte. Weder er noch seine Söhne hielten sich in der Nähe auf, falls sie Hilfe brauchte. Jacqueline dachte an Nick. Hoffentlich war er so gescheit und flog bei diesem Sturm nach Rawnsley Park Station zurück.

Plötzlich fiel ihr ein, dass kein Gemüse mehr im Kühlschrank war. Falls es zu regnen anfing, würden sich die Gemüsebeete wahrscheinlich in Schlammbetten verwandeln. Eilig schnappte sie sich einen Eimer und lief nach draußen. Dot war zum Glück nirgends zu sehen.

Der Wind riss an ihren Haaren und wirbelte ihr Staub in die Augen, als sie sich damit abmühte, Möhren und Kartoffeln aus der Erde zu ziehen. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass jemand vorbeihuschte, der in der Waschküche verschwand. War es Dot? Jacqueline dachte nicht weiter darüber nach. Dunkle Wolken zogen auf, und der Sturm war noch einmal stärker geworden. Sie wollte so schnell wie möglich ins Haus zurück. Die Wäsche hing auf der Leine, darunter auch einiges, das gebügelt werden musste, und sie bezweifelte, dass Dot sich darum kümmern würde.

Auf einmal roch Jacqueline Rauch. Sie schaute auf und sah Flammen aus einem großen Fass neben der Waschküche züngeln. Dot stand daneben.

»Was stellt sie denn jetzt schon wieder an?«, schimpfte Jacqueline vor sich hin.

Wie konnte man bei dieser Trockenheit und diesem Wind ein Feuer draußen entfachen? Eine Ureinwohnerin sollte doch wissen, wie gefährlich das war. Ärgerlich klopfte sie sich den Staub von den Händen und beschloss nachzusehen.

Beim Näherkommen sah sie, dass Dot Kleidungsstücke in der Hand hielt und eines nach dem anderen ins Feuer warf. Als sie erkannte, dass es sich bei den Sachen um ihre Unterwäsche handelte, klappte ihr die Kinnlade herunter.

Jacqueline stürmte auf Dot zu und kreischte: »Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«

Sie streckte die Hand aus, um ihr ihre Sachen zu entreißen, aber Dot wich blitzschnell aus. Sie rollte mit den Augen und machte ein Furcht einflößend böses Gesicht.

»Das Zeug stinkt!«, keifte sie und hielt sich die Nase zu.

In einem Korb am Boden lag die Wäsche, die Jacqueline aufgehängt hatte. Dot verbrannte nur ihre Sachen.

»Was fällt dir ein! Das ist alles frisch gewaschen«, protestierte Jacqueline empört.

Hinter sich hörte sie auf einmal das Brummen des Flugzeugs. Der Motor stotterte, setzte kurz aus und begann dann wieder zu stottern. Jacqueline drehte sich ängstlich um und sah gen Himmel. Das Flugzeug flog sehr niedrig, es wurde von den starken Windböen durchgeschüttelt. Nick hatte offenbar alle Mühe, es unter Kontrolle zu bringen. Abermals schlugen Flammen aus dem Fass. Dot warf weitere Wäschestücke hinein.

»Lass das! Hör sofort damit auf!«, schrie Jacqueline.

Sie hatte Angst, der Wind könnte Funken in das dürre Gras wehen und alles in Brand setzen. Sie wollte sich nach dem Korb bücken, aber Dot versetzte ihm einen kräftigen Tritt, er kippte um, und die Wäsche flog heraus. Jacqueline schäumte vor Wut. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, alles sauber zu bekommen, hatte jedes Stück von Hand auswringen müssen.

»Du stinkende lubra«, giftete Dot. Sie bückte sich, raffte alles zusammen, was ganz offensichtlich Jacqueline gehörte, den Rest trat sie in den Staub.

Jacqueline riss ihr ein Wäschestück aus der Hand, und Dot wich eilig einige Meter zurück. Der Geruch von Petroleum stieg ihr in die Nase. Ungläubig schnupperte sie an der Wäsche. Das war doch nicht möglich! Sie roch eindeutig nach Petroleum. Kein Wunder, dass die Flammen jedes Mal, wenn Dot ein Teil ins Feuer geworfen hatte, so hoch schlugen.

»Was hast du mit meiner Wäsche gemacht?«, brüllte Jacqueline außer sich. Anscheinend hatte die Aborigine-Frau Petroleum darübergegossen, nur um ihr eins auszuwischen.

In diesem Moment hörte sie den Motor des Flugzeugs kurz aufheulen, dann stotterte er ein paarmal, bevor er ganz aussetzte. Sekunden später ließ ein gewaltiger Knall den Boden vibrieren. Jacqueline gefror das Blut in den Adern.

»Nick!«, schrie sie und fuhr herum.

Hinter einer immensen Staubwolke stieg eine Rauchsäule in den Himmel. Die Maschine war auf dem Boden aufgeschlagen. Es schien plötzlich totenstill zu sein. Nur das Rascheln der ausgetrockneten Eukalyptusblätter im Wind war zu hören.

Jacqueline löste sich erst nach einigen Sekunden aus ihrer Erstarrung. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. War das Flugzeug tatsächlich abgestürzt?

»O Gott, was mach ich denn jetzt?«, wimmerte sie panisch.

Sollte sie per Funk Hilfe anfordern? Ben suchen? Oder versuchen, Nick zu retten? Ratlos und voller Angst die Hände ringend, rannte sie hin und her wie ein kopfloses Huhn. Dann riss sie sich zusammen. Sie wusste nicht, wo sie Ben suchen sollte. Sie wusste nicht, an wen sie sich über Funk wenden konnte.

Und Dot war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt.

Jacqueline entschied, dass sie keine Zeit verlieren durfte. Sie musste Nick zu Hilfe eilen. Voller Panik raufte sie sich die Haare und dachte angestrengt nach. Die Pferde! Sie rannte zu den Ställen. Von dort konnte sie besser sehen. Die Absturzstelle war mindestens eine halbe Meile entfernt, und der Rauch, der vom Wind auseinandergetrieben wurde, erschwerte zusätzlich die Sicht.

In aller Eile fasste sie einen Entschluss. Jacqueline zäumte Dixie auf und sattelte sie. Sie hatte keine Ahnung, ob sie das Zaumzeug richtig anlegte oder nicht. Mit fahrigen Gesten zog sie den Sattelgurt fest und saß auf. Sie hatte panische Angst davor, allein zu reiten, aber ihre Sorge um Nick war größer. Hoffentlich war er noch am Leben!

Jacqueline musste einige Koppeln durchqueren, um zur Absturzstelle zu gelangen. Immer wieder stieg sie ab, öffnete erst das Gatter und schloss es dann hinter sich. So dauerte es eine Ewigkeit, bis sie das Flugzeug erreichte. Aber sowohl Nick als auch Ben hatten ihr eingeschärft, wie wichtig es war, die Gatter zu schließen; kein Notfall rechtfertige es, sie offen zu lassen, schon gar nicht, wenn sich Vieh auf der Koppel befand.

Endlich konnte Jacqueline die Maschine sehen. Sie hatte beim Absturz die Erde auf einer Länge von mehreren Metern aufgefräst, sich dann überschlagen und war auf dem Dach liegen geblieben. Eine Tragfläche war abgebrochen, das Leitwerk verbogen.

Jacqueline galoppierte näher heran und sprang vom Pferd. Sie ließ sich auf die Knie fallen. Die Tür war beim Aufprall aus dem Rahmen gerissen und weggeschleudert worden. Jetzt lag sie, zusammengefaltet wie Papier, ein paar Schritte entfernt. Nick hing in seinem Gurt. Er rührte sich nicht. Blut lief ihm aus den Haaren übers Gesicht.

»Nick!«, schrie sie. Er zeigte keine Reaktion.

Auf allen vieren kroch Jacqueline in das Wrack und zerrte an dem Gurt, aber er war verdreht und sehr straff gespannt, weil Nick mit seinem ganzen Gewicht darin hing. Endlich schnappte die Schnalle auf, und Nick fiel wie ein Sack vornüber. Jacqueline fühlte seinen Puls. Er lebte! Für einen Moment überkam sie grenzenlose Erleichterung, aber dann roch sie Benzin. Aus dem Tank lief Treibstoff aus. Ihr blieb fast das Herz stehen.

»O mein Gott!«, rief sie und blickte sich panisch um. Auf der ausgedorrten Erde ringsum konnte sie kleine Benzinlachen sehen, aus dem Leitwerk stieg Rauch auf.

»Nein!«, wimmerte sie. »Nick! Wach auf! Bitte, wach auf! Das Flugzeug wird gleich anfangen zu brennen!«

Er rührte sich nicht.

Jacqueline hatte sich nie zuvor so hilflos gefühlt. Sie packte den Bewusstlosen und versuchte, ihn aus dem Wrack zu ziehen. Er war schwer. Doch ihre Angst verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Irgendwie gelang es ihr, Nick herauszuzerren. Ihr war klar, dass er möglicherweise innere Verletzungen oder Knochenbrüche hatte, aber falls das Flugzeug in die Luft flog, würde das seine geringste Sorge sein. Jacqueline warf immer wieder ängstliche Blicke in Richtung Leitwerk. Immer mehr Rauch schien aus dem zerstörten Wrack herauszuquellen. Bei einer Explosion hätten sie beide nicht die geringste Chance.

»Wach doch auf, Nick! Bitte!«, schluchzte sie, völlig am Ende. Er stöhnte.

»Nick! Aufwachen, hörst du?« Sie schlug ihm ins Gesicht, damit er zu sich kam. Er reagierte nicht. »Bitte, Nick! Das Flugzeug wird explodieren!«

Was, wenn er nicht aufstehen kann?, dachte sie verzweifelt. Wenn seine Beine gebrochen sind? Unermüdlich zerrte sie ihn Zentimeter für Zentimeter von dem Wrack weg.

Plötzlich schoss eine Stichflamme aus dem Heck. Jacqueline schrie auf. Namenloses Entsetzen packte sie. Nick stöhnte. Es schien, als käme er wieder zu sich. Sein Kopf rollte von einer Seite zur anderen, er hob die Arme, aber sie fielen schlaff wieder herunter. Irgendwann gelang es ihm, sich aus eigener Kraft auf den Bauch zu drehen. Er griff sich an den Kopf.

»Was … ist passiert?« Nick zuckte vor Schmerz zusammen und starrte benommen auf seine blutverschmierte Hand. Vorsichtig richtete er sich ein Stück auf.

»Wir müssen von hier weg, Nick! Das Flugzeug wird gleich explodieren!« Jacqueline versuchte, ihn hochzuziehen.

»Was?« Er schaute sich verwirrt um. »Verdammt!«, entfuhr es ihm, als er das brennende Leitwerk sah. Nick rappelte sich mühsam auf, ächzte und verzog das Gesicht vor Schmerzen. »Lauf, Jackie, lauf!«

»Nicht ohne dich.« Sie legte einen seiner Arme um ihre Schulter, umfasste ihn und schleppte ihn vom Wrack weg. Als sie gut zehn Meter zurückgelegt hatten, entzündete sich der Treibstoff rings um die Maschine. In Sekundenbruchteilen hatte sich ein Feuerring um das Wrack gebildet. Nicks Knie gaben nach. Er sackte zu Boden und riss Jacqueline mit sich. Im gleichen Moment gab es eine Explosion. Die Flammen schlugen meterhoch. Selbst aus dieser Entfernung konnten sie die Hitze des Feuers spüren. Scheinbar war der Treibstofftank fast leer gewesen, sonst hätte es eine Katastrophe gegeben.

Aber schon drohte die nächste Gefahr. Nick und Jacqueline sahen mit Entsetzen, dass die Funken in dem stürmischen Wind in alle Richtungen getragen wurden – auch bis zu ihnen. Wie sollten sie von diesem grausamen Ort wegkommen? Dixie war in Panik davongaloppiert und wartete in einiger Entfernung. Aber selbst wenn es Jacqueline gelänge, das Pferd einzufangen, wie sollte sie den halb bewusstlosen Nick auf Dixie hieven?

Plötzlich tauchte hinter ihnen scheinbar aus dem Nichts eine Gruppe Aborigines auf, einige sehr jung, andere alt. Die einen hatten belaubte Zweige dabei, mit denen sie die kleinen Brände im Gras ausschlugen. Die anderen traten das Feuer mit den Füßen aus, sogar jene, die barfuß gingen.

Während Jacqueline die Szene in ungläubigem Staunen beobachtete, geschah ein weiteres Wunder: Es fing zu regnen an. Die Aborigines plapperten aufgeregt in ihrer Sprache und lächelten. Mithilfe des lang ersehnten Regens gelang es ihnen zu verhindern, dass sich das Feuer weiter ausbreitete.

Grenzenlose Dankbarkeit erfüllte die junge Frau. Tränen der Erleichterung stiegen ihr in die Augen.

Nick drehte langsam den Kopf zur Seite und stöhnte. Er schien von dem, was rings um ihn her passierte, kaum etwas mitzubekommen.

»Alles in Ordnung, Nick?«

Jacqueline wischte sich die Tränen ab, die sich auf ihren Wangen mit den Regentropfen vermischten. Sie blickte auf. Einer der Ureinwohner führte Dixie zu ihr – ein alter Mann, der viel kräftiger war, als er aussah. Er half Jacqueline in den Sattel und hievte dann Nick, der nur halb bei Bewusstsein war, hinter ihr auf das Pferd. Die anderen Aborigines blieben beim Wrack. Sie würden erst weggehen, wenn sie sicher sein konnten, dass das Feuer tatsächlich erloschen war.

»Ich danke Ihnen«, stammelte Jacqueline. Der alte Mann sah sie mit unbewegter Miene an und zeigte stumm in die Richtung, in der die Farm lag.

Am ersten Gatter stieg Jacqueline ab, öffnete es und machte es hinter ihnen wieder zu. Sie ging zu Fuß weiter. Nick war mit dem Oberkörper vornübergekippt. Seine Kopfwunde blutete stark. Jacqueline hoffte, dass er sich oben halten konnte und sie es irgendwie bis zum Haus schafften, wo sie Vera verständigen und bitten würde, Mike herüberzuschicken, damit er Nick ins Krankenhaus fuhr.

Als sie die Farm erreichten, hatte der Regen das Feuer in dem Fass gelöscht. Jacqueline half Nick vom Pferd und brachte ihn dann ins Haus, wo sie ihn zu ihrem Bett führte, ihm Hemd, Hose und Stiefel auszog und sich dann auf die Suche nach Verbandszeug machte. Sie fand es im Flurschrank, eilte zurück, säuberte die Wunde, so gut sie konnte, und legte Nick einen Verband an. Bens Bruder war wie betäubt. Seine Augen waren geschlossen, und er sprach kein einziges Wort. Jacqueline setzte sich zu ihm aufs Bett und legte ihre Hand auf seinen Arm.

»Es wird alles gut werden, du wirst sehen«, flüsterte sie, unendlich dankbar, dass er noch am Leben war.

Sie merkte jetzt erst, wie viel Kraft sie dieser furchtbare Morgen gekostet hatte, sie war körperlich und emotional völlig am Ende. Plötzlich schlug Nick die Augen auf, nahm sie in seine Arme und küsste sie.

Jacqueline war völlig überrumpelt, aber sie wehrte sich nicht. Sie ließ sich einfach fallen, genoss die Geborgenheit, die sie in seinen Armen empfand, verwundert über die Tiefe ihrer Gefühle für ihn. Ihr wurde klar, dass sie Nick für immer hätte verlieren können. All ihre aufgestauten Emotionen brachen sich Bahn in einem leidenschaftlichen Kuss.

Als sie sich schließlich voneinander lösten, flüsterte Nick: »Ich liebe dich.« Im gleichen Augenblick schlief er vor Erschöpfung ein.

Jacqueline starrte Nick fassungslos an. Hatte sie richtig gehört? Ob er sie für jemand anderes gehalten hatte? Vielleicht hatte er sie in seiner Verwirrtheit mit Rachel Roberts verwechselt.

»Nick«, wisperte sie. Er antwortete nicht.

Da hörte sie Ben draußen nach ihr rufen. Sie lief zur Hintertür. »Ich bin hier!«, schrie sie.

»Fordern Sie über Funk Hilfe an! Schnell!«, stieß Ben panisch hervor. »Nicks Maschine ist abgestürzt! Wir werden zur Absturzstelle fahren!«

»Nick ist hier, Ben.«

»Hier?«, wiederholte er verblüfft. Er hatte sich schon gewundert, warum Dixie gesattelt draußen angebunden war. »Wo ist er?«

»In meinem Zimmer.«

Ben, kalkweiß im Gesicht, lief ins Haus. Jacqueline folgte ihm. Er blieb vor dem Bett stehen und schaute aus angstgeweiteten Augen auf seinen Bruder hinunter. »Wie geht es ihm? Was ist mit seinem Kopf?«

»Er hat eine böse Wunde, aber sonst geht es ihm gut. Das glaube ich jedenfalls.«

Ben eilte zum Funkgerät und funkte Rachel Roberts an. »Rachel, Nick ist mit dem Flugzeug abgestürzt. Er ist verletzt. Over.«

»Wie schwer sind seine Verletzungen? Over.«

»Er hat eine Kopfwunde. Jackie hat ihm bereits einen Verband angelegt. Aber wir wissen nicht, ob ihm sonst noch etwas fehlt. Over.«

»Ich bin gleich da, Ben. Ich besuche gerade einen Patienten ganz in der Nähe. Ich kann in zwanzig Minuten bei euch sein. Over und Ende.«

Ben war sichtlich erleichtert. Er schaltete das Funkgerät aus und verließ mit Jacqueline das Zimmer. »Ich hab ihm gleich gesagt, er soll nicht aufsteigen. Ich hab ihm gleich gesagt, es ist zu windig«, schimpfte Ben, dessen Angst in Zorn umgeschlagen war. »Er kann froh sein, dass er noch am Leben ist, dieser Sturkopf!«

Die Jungen kamen herein. Alle wirkten bedrückt und angespannt. »Was ist mit Onkel Nick? Lebt er?«, fragte Bobby ängstlich.

»Ja, ja, er hat eine Kopfverletzung, aber Rachel wird gleich da sein. Er liegt in Jackies Zimmer.«

Alle bis auf Jimmy warfen nacheinander einen Blick in das Zimmer. Jacqueline erinnerte sich, dass Ben ihr erzählt hatte, Jimmy könne kein Blut sehen. Wahrscheinlich fürchtete er sich deshalb vor dem Anblick seines verletzten Onkels.

»Wie ist Nick eigentlich hergekommen?«, wandte sich Ben an Jacqueline.

Sie berichtete ihm, was passiert war.

»Sie haben ihm das Leben gerettet, Jackie«, sagte Ben sichtlich bewegt. »Ein Glück, dass Nick Sie auf Dixie hat reiten lassen. Sonst wäre er jetzt vielleicht nicht mehr am Leben.«

Er hatte Recht, wie Jacqueline jetzt erst klar wurde. Die Jungen sahen sie an. Dieses Mal lag keine Feindseligkeit in ihrem Blick, aber keiner sagte ein Wort.

»Gut, dann werden wir jetzt zur Absturzstelle fahren. Mal sehen, ob noch was zu retten ist«, meinte Ben.

»Vielleicht sind die Aborigines noch dort«, sagte Jacqueline. Als Ben sie fragend ansah, fügte sie erklärend hinzu: »Sie haben das Feuer gelöscht und mir geholfen, Nick auf das Pferd zu setzen. Ohne sie wäre ich verloren gewesen.«

Ben nickte. »Wir werden trotzdem nachsehen. Kann ich Sie hier allein lassen? Rachel müsste jeden Moment kommen.«

»Gehen Sie nur, machen Sie sich um mich keine Sorgen, ich komme schon zurecht«, versicherte Jacqueline ihm.

Nachdem Ben und seine Söhne fort waren, schaute Jacqueline nach Nick. Da er immer noch schlief, beschloss sie, sich ein wenig frisch zu machen. Erst jetzt nahm sie wahr, dass ihre Kleidung verschmutzt und durchnässt war. Eine attraktive Person wie Rachel Roberts sollte sie lieber nicht so sehen.

Jaqueline war gerade fertig geworden, als sie ein Auto vorfahren hörte. Sie öffnete die Tür. Die Ärztin, in Hosen und kurzärmeliger Bluse, sprang die Stufen zur Veranda hinauf. Sie trug kein Make-up, was sie bei ihrer schönen Haut auch nicht brauchte, und hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Jacqueline, die sich eines ihrer New Yorker Kleider übergestreift, sich frisiert und hochhackige Schuhe angezogen hatte, kam sich auf geradezu lächerliche Weise aufgedonnert vor.

»Hallo«, grüßte Rachel. »Sie müssen die neue Haushälterin sein. Jackie, nicht wahr?«

»Ja. Bitte kommen Sie herein«, erwiderte Jacqueline befangen.

»Danke. Ich bin Dr. Rachel Roberts, aber sagen Sie Rachel zu mir. Das tun alle.« Sie betrat das Haus und musterte die junge Frau, die ihr geöffnet hatte, mit einem flüchtigen Blick. »Ein bezauberndes Kleid. Aber wie können Sie in diesen Schuhen staubsaugen?«

Jacqueline wurde rot. »Ich … äh … ich bin patschnass geworden, als ich Nick hierherbrachte, und ich hatte nichts anderes zum Wechseln. Und die Schuhe habe ich an, weil sie so gut zum Kleid passen«, stammelte sie verlegen.

»Verstehe.« Rachel lächelte. »Ich dachte schon, Sie hätten sich für mich so schick gemacht. Das wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Ich liebe es salopp, wissen Sie.«

Jacqueline errötete noch heftiger. »Nein, nein, ich hatte wirklich nichts anderes anzuziehen«, sagte sie, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

Ein leicht spöttisches Lächeln umspielte Rachels Lippen. Dann wurde sie ernst. »Wo ist der Patient?«

»In …« … meinem Bett, hatte Jacqueline schon auf der Zunge gelegen. Sie konnte sich gerade noch bremsen. »Im ehemaligen Unterrichtszimmer«, sagte sie stattdessen.

Rachel nickte und eilte durch den Flur. Sie kannte sich ja aus im Haus.

Nachdem sie Nick gründlich untersucht hatte, bemerkte sie: »Die gute Nachricht ist, dass er sich nichts gebrochen hat. Die Wunde am Kopf sieht schlimmer aus, als sie ist. Ich glaube nicht, dass sie genäht werden muss, aber man sollte sie einige Tage verbunden lassen. Er hat verdammt viel Glück gehabt, würde ich sagen.«

»Und was ist die schlechte Nachricht?«

»Er hat möglicherweise eine Gehirnerschütterung.«

Jacqueline nickte. »Gut möglich. Er hat nämlich wirres Zeug geredet.«

»Zum Beispiel?«

Jacqueline fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. »Ach, nichts Bestimmtes, nur so Gefasel …«

»Ja, das ist typisch für Patienten mit Gehirnerschütterung. Glauben Sie, Sie können ihn ein paar Tage im Bett behalten?«

»Das wird schwierig werden, fürchte ich.« Nicks Worte klangen ihr noch im Ohr. Sie war unwillkürlich enttäuscht, dass sein Ich liebe dich vielleicht nur auf eine geistige Verwirrung zurückzuführen war.

»Sie haben Recht, aber versuchen Sie es trotzdem.« Rachel packte ihre Instrumente wieder ein. »Falls er über Kopfschmerzen oder unscharfes Sehen klagt, geben Sie mir sofort Bescheid.« Sie ließ ihre Tasche zuschnappen und sah Jacqueline neugierig an. »Und? Wie gefällt es Ihnen hier?«

»Na ja, am Anfang war es hart. Ich bin aus New York, deshalb bin ich mir hier zunächst vorgekommen wie auf dem Mars.«

»Ja, man braucht eine Weile, bis man sich an das Leben hier draußen gewöhnt hat.« Rachel lächelte. »Ich habe früher in Sydney gelebt. Als ich hierherkam, fühlte ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Es gibt keine guten Geschäfte, keine Kinos, keine Restaurants. Und an die Leute muss man sich auch erst gewöhnen.«

»Sind Sie schon lange hier?«

»Zweieinhalb Jahre. Heute gefällt es mir so gut hier, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen kann, woanders zu leben. Sind Sie hergekommen, um einen Farmer zu heiraten?«

»Du meine Güte, nein!«, erwiderte Jacqueline regelrecht erschrocken. »Ich habe nur Arbeit gesucht.«

»Weit und breit sind Sie das Gesprächsthema Nummer eins. Sie können sich darauf einstellen, dass der Strom männlicher Besucher nicht abreißen wird. Sobald sie erst einmal ihren Mut zusammengenommen haben, werden sie es alle nacheinander versuchen.«

Jacqueline verdrehte die Augen. »Ich hab schon gehört, dass hier draußen Frauenmangel herrscht. Wie halten Sie denn die vielen heiratswilligen Junggesellen in Schach?« Sie sah Rachel gespannt an.

»Ach, die wissen, dass ich tabu bin, deshalb habe ich im großen Ganzen meine Ruhe.« Rachel berührte zärtlich Nicks Wange. Dann stand sie auf.

Jacqueline war maßlos enttäuscht.

»So, ich muss mich beeilen. Ich muss weiter nach Austral Downs, bei Mrs. Wilson haben die Wehen eingesetzt. Funken Sie mich an, wenn Sie mich brauchen. Wenn Sie mich nicht bei den Wilsons erreichen, dann bin ich zu Hause oder im Hawker Memorial Hospital und komme von dort noch einmal her.«

»Danke.«

Rachel drehte sich an der Haustür noch einmal um. »Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Jackie.«

»Das Vergnügen ist ganz meinerseits.«

Jacqueline winkte der jungen Ärztin nach, als sie die Veranda hinunter und zu ihrem Auto eilte. Sie fühlte sich elend. Rachel glaubte ganz offensichtlich, dass sie und Nick ein Paar seien, während Nick überall herumerzählte, er habe keine Freundin. Wie konnte man nur so verlogen sein? An der Tür zu ihrem Zimmer blieb Jaqueline stehen und blickte mit finsterer Miene hinein. Nick schlief tief und fest.

»Ich hätte dich im Flugzeug lassen sollen«, knurrte sie. Das meinte sie natürlich nicht ernst, aber sie war wirklich erbost.

Eineinhalb Stunden später kamen Ben und seine Söhne zurück. Es regnete immer noch in Strömen, und das Farmgelände verwandelte sich allmählich in eine Schlammwüste. Während die Männer sich umzogen, brühte Jacqueline frischen Tee auf.

»War Rachel da?«, lautete Bens erste Frage, als er in die Küche kam.

Jacqueline bejahte und erzählte, was die Ärztin gesagt hatte.

»Ein paar Tage Bettruhe?« Ben schüttelte den Kopf. »Das wird kaum zu machen sein. Aber das weiß Rachel selbst am besten.« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Es grenzt schon an ein Wunder, dass Nick den Absturz überlebt hat. Wie in aller Welt haben Sie ihn nur aus dem Wrack rausbekommen?« Er war völlig fassungslos gewesen, als er das ausgebrannte Flugzeug gesehen hatte. Der starke Regen hatte glücklicherweise geholfen, das Feuer vollständig zu löschen.

Jacqueline hatte sich umgezogen und saß in einem alten Kleid am Tisch, wo sie Gemüse fürs Abendessen klein schnitt. Ben und seine Söhne setzten sich zu ihr, schenkten sich Tee ein und nahmen von den belegten Broten, die sie ihnen hingestellt hatte. Sie hatte angenommen, dass sie Hunger haben würden, wenn sie zurückkamen. Sie hatten immer Hunger.

»Ich habe ihn abgeschnallt und herausgezogen«, antwortete Jacqueline achselzuckend. »Kurz darauf fing das Flugzeug Feuer.«

»Sie haben ihn ganz allein da herausgezogen?«, staunte Ben. »Ich hätte nie gedacht, dass Sie so viel Kraft haben.«

»Als ich sah, dass Treibstoff auslief, war mir klar, dass das Flugzeug früher oder später in die Luft fliegen würde. Irgendwie musste ich Nick in Sicherheit bringen.«

»Sie haben ihm das Leben gerettet, Jackie«, sagte Ben zum zweiten Mal an diesem Tag.

»Das Gras rings um das Flugzeug fing zu brennen an, und der Wind wehte die Funken in alle Richtungen«, fuhr sie schaudernd fort. »Plötzlich tauchten die Aborigines auf. Sie schlugen die Flammen mit Zweigen aus oder traten sie aus, und das, obwohl einige nicht einmal Schuhe anhatten!«

»Einige Busch-Aborigines tragen nie Schuhe, ihre Fußsohlen sind schwielig und dick und zäh wie Leder«, erklärte Ben.

»Ich war mir nicht sicher, ob sie es schaffen würden, das Feuer zu löschen, aber dann fing es zu regnen an«, fügte Jacqueline hinzu.

Ben nickte. »Das Flugzeug können wir abschreiben. Da ist nichts mehr zu machen. Viel werden wir nicht retten können.«

Bedrücktes Schweigen trat ein. Dann fragte Ben: »Warum liegt eigentlich Wäsche auf dem Boden vor der Waschküche? Hat der Wind die Leine heruntergerissen?« Er schenkte sich Tee nach.

»Ach, das hatte ich ganz vergessen. Dot war heute Morgen da. Sie hat die Wäsche abgenommen, Feuer in dem Fass neben der Scheune gemacht und meine Sachen hineingeworfen. Können Sie sich das vorstellen?«, sagte Jacqueline empört.

Ben guckte sie verwirrt an. »Wieso das denn?« Das war selbst für Dot höchst merkwürdig.

»Keine Ahnung. Eines der Wäschestücke konnte ich ihr entreißen, es hat komischerweise nach Petroleum gerochen.«

Geoffrey machte ein erschrockenes Gesicht, was Jacqueline nicht bemerkte, Ben aber sehr wohl.

»Sie mag mich nicht«, fuhr Jacqueline fort. »Sie will mich hier weghaben. Ich vermute, dass sie meine Wäsche mit Petroleum übergossen und angezündet hat.«

»Vielleicht gibt es aber auch eine andere Erklärung. Nicht wahr, Geoffrey?« Ben sah seinen Ältesten an.

Geoffrey stockte der Atem. War sein Vater ihm auf die Schliche gekommen?

»Geoffrey hat gestern versehentlich Petroleum in der Waschküche verschüttet«, sagte Ben.

»Oh.«

Jacqueline sah Geoffrey an, dem das schlechte Gewissen im Gesicht geschrieben stand. Als sie die Waschküche betreten hatte, war nirgendwo Petroleum verschüttet gewesen; es musste also passiert sein, nachdem sie die Wäsche aufgehängt hatte. Und in der Waschküche verschüttetes Petroleum hätte der Wäsche auf der Leine nichts anhaben können. Jacqueline hatte den starken Verdacht, dass einer von Geoffreys Streichen in die Hose gegangen war. Aber sie sagte nichts.

»Dann war es also ein Versehen«, bemerkte sie und heuchelte Erleichterung.

»Genau. Geoffrey wird Dot das nächste Mal, wenn er sie sieht, erklären, was passiert ist, nicht wahr, mein Sohn?«

»Ja, Dad. Es tut mir leid, Jackie«, fügte er leise hinzu. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen.

»Nicht weiter tragisch.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »So was kann jedem passieren. Und jetzt, wo mein Koffer wieder aufgetaucht ist, habe ich ja reichlich Sachen zum Wechseln.«

Geoffrey klang aufrichtig zerknirscht, und das fand sie anerkennenswert. Es sei denn, seine Reue war auf die Angst vor der Reaktion seines Vaters zurückzuführen – falls dieser die Wahrheit herausfinden sollte.