18
Der Gefechtsalarm riß Warner Caslet aus traumlosem Schlaf. Er rollte sich herum, setzte sich auf und reichte aus purem Reflex heraus nach der Comtaste, bevor er überhaupt die Augen aufgeschlagen hatte. Geisterhaftes Licht flackerte durch die dunkle Kabine, als das Display sich erhellte.
»Kommandant«, meldete er sich mit schlaftrunkener Stimme. »Was gibt’s?«
»Ich glaube, es hat einer angebissen, Skipper.« Die weibliche Stimme gehörte Allison MacMurtree, Caslets I.O. »Ich bin nicht sicher, ob es der ist, hinter dem wir her sind, aber auf jeden Fall folgt uns jemand.«
Caslet rieb sich die Augen. »Nur einer?«
MacMurtree nickte. »Bisher haben wir nur eine einzige Impellersignatur, Skip.« Bürger Kommissar Jourdain stellte sich in den Erfassungsbereich des Aufzeichners und blickte ihr über die Schulter. MacMurtree blickte den Neuankömmling an, aber auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Sorge, obwohl viele Volkskommissare Anreden wie »Skipper« oder »Skip« für beinahe so ›elitär-reaktionär‹ erachtet hätten, als hätte sie es gewagt, jemanden mit ›Sir‹ anzusprechen, der kein Kommissar war.
»Wie weit zurück?«
»Neunzehn Millionen Kilometer, Skip. Etwas über einer Lichtminute. Wir bekommen noch keine aktiven …« Sie unterbrach sich und schaute zur Seite. Caslet hörte schwach Shannon Forakers Stimme, dann blickte MacMurtree ihn mit frostigem Lächeln aus dem Display an. »Die Taktik hat’s soeben bestätigt, Skipper. Aktive lichtschnelle Emissionen kommen herein und passen durch die Bank auf die Signatur unseres lieben Freundes.«
»Und er verfolgt uns eindeutig?«
»Absolut eindeutig. Wir sind das einzige andere Schiff, und er hat erst vor zwo Minuten den Antrieb gezündet.«
Caslet erwiderte ihr Lächeln. »Ich komme sofort rauf. Sie und Shannon wissen, was Sie zu tun haben.«
»Aye, Skipper. Wir geben uns fett, dumm und glücklich.«
»Gut.« Caslet nickte, trennte die Verbindung und ging an den Spind, um seinen Raumanzug hervorzuholen. Eines der vielen Privilegien, die das Offizierskorps der Volksrepublik unter dem neuen Regime hatte aufgeben müssen, bestand in den Stewards, doch das hatte Caslet nie sehr belastet, und im Augenblick kümmerte es ihn überhaupt nicht. Er inspizierte rasch die Anzeigen des Anzugs, bevor er ihn herauszog, aber er war nicht ganz bei der Sache. Trotz der Zuversicht, die er zu Jourdains Beruhigung an den Tag gelegt hatte, war die Chance, einen bestimmten Raider zu finden, außerordentlich gering. Nun, da er es geschafft hatte, fragte er sich, ob er auch den nächsten Punkt seiner Agenda würde durchführen können. Nach den Sensoraufzeichnungen, die Branscombe aus den Computern der Erewhon kopiert hatte, war der Pirat erheblich leichter als die Vaubon, und Caslet bezweifelte zudem sehr, daß irgendein Piratenhaufen sich mit seiner gut ausgebildeten, gefechtserfahrenen Crew messen konnte. Vernichten konnte die Vaubon das Piratenschiff auf jeden Fall, doch viel lieber wollte Caslet es aufbringen und seine Computer intakt in die Hände bekommen, aber das würde erheblich schwieriger sein. Er schlüpfte in den Anzug, unterdrückte das vertraute Zurückzucken, als er die Ableitungen anbrachte, und schloß die Dichtungen. Er wollte dieses Schiff kapern und war bereit, zu diesem Zweck ein gewisses Risiko auf sich zu nehmen, aber auf keinen Fall würde er eigenen Leute in Gefahr bringen. Wenn es zu schwierig erschien, würde er sich damit begnügen, den Piraten in Stücke zu schießen. Im Grunde wünschte er sich das sogar wider alle Vernunft. Er bleckte die Zähne, als er den Helm aufnahm, dann marschierte er zur Luke.
»Sieht ganz danach aus, als wäre er uns auf den Leim gegangen – wenigstens bis jetzt«, begrüßte MacMurtree den Kommandanten, als er aufs Kommandodeck kam. Sie wies auf den Hauptplot und folgte Caslet dahin. »Er kommt fast genau von achteraus – Eins Sieben Sieben –, aber von oben, also sieht er nur unser ›Dach‹. Auf keinen Fall bekommt er ein Radarecho oder Videobild von uns.«
»Gut.« Caslet reichte den Helm einem Schreibersmaaten, der ihn an der Lehne des Kommandosessels befestigte. Der Kommandant blieb am Plot stehen und musterte die Lichtkennungen. Der Raider hatte zu einer Entfernung von achtzehneinhalb Millionen Kilometern aufgeschlossen und beschleunigte mit fast fünfhundert Gravos. Die Vaubon war augenblicklich 13.800 Kps schnell und beschleunigte mit 102 g in Richtung der F6-Sonne namens Sharons Stern. Der Pirat bewegte sich mit 15.230 Kps, seine Aufschließgeschwindigkeit betrug also mehr als vierzehnhundert Kilometer pro Sekunde. Caslet dachte kurz über die Vektoren nach und wandte sich an Bürger Lieutenant Simon Houghton. »Zeit bis Abfangen?«
»Bei den gegenwärtigen Beschleunigungen knapp fünfundvierzig Minuten«, antwortete der Astrogator, »aber dann würde er mit über zwölftausend Kps aufschließen.«
»Alles klar.« Caslet studierte den Plot noch eine Weile, dann ging er an seinen Kommandosessel. Jourdain saß bereits in dem Sessel daneben, der mit den gleichen Instrumenten versehen war wie der des Kommandanten. Er zog die Brauen hoch, als der Bürger Commander Platz nahm.
»Sie sind sicher, daß es sich wirklich um die Leute handelt, die Sie wollen, Bürger Commander?«
»Wenn Shannon sagt, daß sie es sind, dann sind sie es auch, Sir. Und bisher tun unsere Freunde offenbar genau das, was wir wollen. Wir müssen sie nun nur bei der Stange halten.«
»Und wie wollen Sie das anstellen?« Jourdains Frage hätte als Sarkasmus aufgefaßt werden können, entsprach jedoch aufrichtiger Neugierde, und Caslet lächelte kurz.
»Kein einziges ihrer Ortungsgeräte dringt durch unseren Impellerkeil, Sir. Im Augenblick kennen die Piraten von uns nur die scheinbare Impellerstärke und unsere aktiven Emissionen. Shannon und die Schiffstechnische Abteilung geben sich größte Mühe, beides so ausschauen zu lassen, als stammten sie von einem Frachter. Ein mißtrauisches, reguläres Kriegsschiff könnten wir damit nicht sehr lange täuschen, aber diese Piraten rechnen mit einem Frachter, nichts anderem. Solange wir ihnen zeigen, was sie zu sehen erwarten, werden sie wohl auf unsere Täuschung hereinfallen. Sie dürfen nur keinen Blick auf unseren Rumpf werfen können. Zum Glück sind sie weit über uns, also nähern sie sich direkt dem Dach unseres Impellerkeils. Wir können nicht darauf zählen, daß es während des gesamten Abfangmanövers so bleiben wird, aber wahrscheinlich geben sie uns schon vorher genügend Anlaß zu einer Reaktion. Und mit der richtigen zeitlichen Abstimmung verhindert die Geometrie, daß sie jemals in die hintere Öffnung unseres Keils blicken können, bevor es zu spät ist. Wir müssen sie nur zum richtigen Zeitpunkt ›bemerken‹.«
»Also werden die Piraten unseren Rumpf nicht sehen können«, sagte Jourdain und wiegte verstehend den Kopf.
Caslet nickte. »Genau das beabsichtigen wir, Bürger Kommissar. Wenn der Pirat mit Maximalwert beschleunigt, was wahrscheinlich ist, dann haben wir einen Vorteil von rund zehn Gravos, aber das reicht nicht, wenn wir ihn nicht näher heranlocken können. Wenn wir jetzt auf der Stelle beidrehen und die Verfolgung aufnehmen würden, könnte der Pirat uns problemlos ausweichen und sich hinter die Hypergrenze zurückziehen. Aber wenn wir uns benehmen wie ein angemessen verängstigter Frachter, dann wird er uns weiterhin folgen und schließlich abbremsen, um uns zu entern oder anzugreifen – und dann haben wir ihn da, wo wir ihn haben wollen.«
»Und dann schießen wir ihn in Fetzen«, fügte Jourdain mit unverhohlener Befriedigung hinzu. Der Volkskommissar hatte stundenlang die visuellen Aufzeichnungen betrachtet, die Bürger Captain Branscombe von dem Gemetzel an Bord der Erewhon aufgenommen hatte. Ganz eindeutig hegte er keine Vorbehalte mehr, seine eigentliche Pflicht zu vernachlässigen, ein weiteres Anzeichen, daß er zuviel Anstand besaß, um ein brauchbarer Spion des Komitees für Öffentliche Sicherheit zu sein. Caslet beabsichtigte indes nicht, sich darüber zu beschweren. Dennoch war es nun Zeit, Jourdains Gedanken ein wenig umzulenken.
»Und dann könnten wir sie in Fetzen schießen, Sir«, sagte er. »Doch so befriedigend das wäre, würde ich das Piratenschiff lieber mehr oder weniger intakt aufbringen.«
»Intakt?« Jourdain hob wieder die Augenbrauen. »Das ist doch mit Sicherheit viel schwieriger!«
»Ganz gewiß, Sir. Aber wenn wir ihre Datenbank in die Hand bekommen könnten, ließe sich viel leichter abschätzen, wie stark dieses bestimmte Nest von Ungeziefer sein mag. Mit etwas Glück finden wir sogar genügend Informationen, um andere ihrer Schiffe zu identifizieren, wenn sie uns in Quere kommen – oder vielleicht können wir sogar herausfinden, wo ihre Basis ist. Information stellt die zweittödlichste Waffe dar, die der Menschheit bekannt ist, Sir.«
»Die zweittödlichste? Sagen Sie mir bitte, Bürger Commander, was ist denn dann die allertödlichste?«
»Überraschung«, antwortete Caslet leise, »und den Vorteil der Überraschung besitzen wir schon.«
Der Raider näherte sich weiter, und die Vanbon ließ ihn herankommen. Der Leichte Kreuzer hielt unbeirrt auf Sharons Stern zu, als beschleunigte er routinegemäß bis zum Punkt der Schubumkehr, und Caslet und Foraker beobachteten, wie die Piraten immer dichter aufschlossen. Vierunddreißig Minuten waren vergangen, und der Abstand der beiden Schiffe fiel unter sieben Millionen Kilometer.
Die Aufschließgeschwindigkeit des Piraten hatte mittlerweile fast zehntausend Kilometer pro Sekunde erreicht, was Caslet als zu hoch erschien. Selbst bei dem niedrigen Beschleunigungswert, den die Vaubon bisher preisgab, könnte sie durch eine plötzliche Schubumkehr bewirken, daß der Raider sie nach vierzehneinhalb Minuten mit einer Relativgeschwindigkeit von mehr als sechstausend Kps überholte. Angenommen, der ›Frachter‹ überstand den Vorbeiflug, würde der Pirat anschließend sechsundzwanzig Minuten benötigen, um relativ zu seinem Ziel zum Stillstand zu kommen, worauf hin sich der Abstand auf neuneinhalb Millionen Kilometer erweitert hätte. Danach müßten die Piraten die Vaubon wieder einholen. Für einen Frachter wäre das Spiel im Endeffekt eines, das er verlieren mußte, denn der Raider beschleunigte nun einmal erheblich höher. Trotzdem könnte ein mutiger Frachterkapitän es mit einem solchen Manöver versuchen. Auf lange Sicht mochte das Manöver sinnlos sein, aber vielleicht konnte er das Unausweichliche so lange hinauszögern, bis jemand anders auftauchte, und selbst in der Konföderation konnte es sich dabei um ein Kriegsschiff handeln. Die Chancen für einen solch glücklichen Ausgang waren zwar überwältigend gering, aber allein die Tatsache, daß die Piraten dieses Manöver überhaupt ermöglichten, bezeugte ihre Nachlässigkeit. Andererseits würde auch diese Schlächterbande nicht mehr lange beschleunigen, besonders dann nicht, wenn der Frachter sie innerhalb der nächsten Million Kilometer orten müßte. Sie würden ihre Gegenwart schon recht bald deutlich machen, und …
»Raketenstart! Ich habe zwo Vögelchen, Skip, breiten sich aus nach Backbord und Steuerbord!«
»Also gut. Ruder«, sagte Caslet ruhig, »Sie wissen, was Sie zu tun haben.«
»Aye, Sir. Weichen aus.«
Der Bug der Vaubon neigte sich nach »unten«, als der Kreuzer sich senkrecht zur Ekliptik stellte und voller Panik abzutauchen versuchte. Das Schiff rollte sich nach Steuerbord. Das Manöver zerrte den Vektor des Schiffes von den Raketen fort und bot ihnen den Boden des undurchdringlichen Impellerkeils dar; ein anderes Ausweichmanöver war einem unbewaffneten Schiff nicht möglich. Trotz des großen Abstands erlaubte die hohe Aufschließgeschwindigkeit des Raiders ihm bereits einen Angriff mit manövrierfähigen Raketen auf die Vaubon. Ein Frachter, dem die aktive Verteidigung fehlte, um den Raketenbeschuß vor dem Einschlag abzuwehren, konnte realistisch nur darauf hoffen, ausweichen zu können. Der Raider wiederum hatte jedoch durchaus beabsichtigt, daß die Vaubon sich duckte, und die beiden nuklearen Gefechtsköpfe detonierten ohne weitere Gefährdung. Aber ihre Nachricht hatten sie übermittelt.
»Wir werden angerufen, Skipper«, meldete der Signaloffizier. »Man befiehlt uns, auf den alten Kurs zurückzugehen.«
»Ach ja?« murmelte Caslet und warf dem Volkskommissar ein Lächeln zu. »Wie zuvorkommend. Hat man irgend etwas über das Streichen des Keils gesagt?«
»Nein, Bürger Commander. Wir sollen die ursprüngliche Beschleunigung aufrechterhalten, während man den Vektor angleicht.«
»Das ist ja noch zuvorkommender«, meinte Caslet und blickte auf den Plot. Das »Ausweichmanöver« der Vaubon hatte die vertikale Trennung zwischen den Schiffen noch etwas vergrößert – nicht viel, aber merklich. Caslet lehnte sich zurück und massierte sich nachdenklich das Kinn. »Rufen Sie den Piraten, Ted – nur Audio, kein Bild. Behaupten Sie, wir wären das andermanische Handelsschiff Ying Krüger, und fordern Sie ihn auf, Abstand zu halten.«
»Jawohl, Bürger Commander.« Bürger Lieutenant Dutton wandte sich wieder seinem Aufzeichner zu, während Jourdain verwundert den Kommandanten anblickte.
»Und wozu soll das gut sein, Bürger Commander?« fragte er.
»Wir sind innerhalb ihrer Raketenreichweite, Sir«, antwortete Caslet, »aber kein halbwegs vernünftiger Pirat will seine Beute sprengen. Selbst mit Laser-Gefechtsköpfen sind Raketen alles andere als Präzisionswaffen. Der Angriff gerade war Show – der Pirat muß so nahe herankommen, daß er seine Energielafetten einsetzen kann; damit kann er uns Schaden zufügen, der uns manövrierunfähig macht, ohne uns gleich zu vernichten. Jeder Handelsschiffer weiß das, und ein Kapitän mit Mumm – oder ein dummer – könnte zumindest versuchen, sich irgendwie herauszulavieren, bevor der Pirat sich auf Energiereichweite nähert. Wenn wir jetzt schon aus der Rolle fielen, hätten wir nichts erreicht, und außerdem möchte ich gern noch mehr vertikalen Abstand erzielen, denn um so spitzer wird der Winkel sein, mit dem unsere Vektoren sich schneiden. Der Pirat wird von höher ›oben‹ herankommen müssen, und dadurch können wir um so länger unseren Keil zwischen uns und seinen aktiven Systemen halten.«
»Ja, ich weiß, was Sie meinen.« Jourdain schüttelte den Kopf und lächelte matt. »Erinnern Sie mich daran, daß ich mich niemals auf ein Pokerspiel mit Ihnen einlasse, Bürger Commander.«
»Sie wiederholen den Befehl, auf alten Kurs und Beschleunigung zu gehen«, meldete Dutton und grinste den Kommandanten an. »Man klingt ein wenig verärgert, Skip.«
»Wie bedauerlich. Wiederholen Sie die Nachricht.« Mit einem Grinsen wandte Caslet sich an MacMurtree. »Wir protestieren, bis sie auf vier Millionen Kilometer heran sind, Allison, dann gehorchen wir wie eine brave kleine Prise.«
Die Verfolgung näherte sich ihrem Ende, und mittlerweile war die Atmosphäre auf der Brücke der Vaubon erheblich angespannter. Die Forderungen des Raiders, die ›Ying Krüger‹ solle ein Rendezvous mit ihm durchführen, waren immer unverschämter und drohender geworden und wurden von immer dichter detonierenden Naheinschlägen mit nuklearen Gefechtsköpfen unterstrichen, bis Caslet schließlich nachgab und gehorchte. Nun war der Pirat nur noch eine Viertelmillion Kilometer weit entfernt, und Caslet wiegte ungläubig den Kopf. Niemals hätte er angenommen, daß diese Idioten sich so sehr nähern würden, ohne zu bemerken, daß man sie hereingelegt hatte, aber der Piratenkapitän schien schlechthin vollkommen von sich überzeugt zu sein. Der Umstand, daß er noch nichts vom Rumpf seiner Beute zu Gesicht bekommen hatte, schien ihm nichts zu bedeuten, weil er dank ihrer Emissionen schließlich »wußte«, daß es sich um einen Frachter handelte. Niemand konnte von außen durch einen aktiven Impellerkeil blicken, weil die Auswirkung einer meterdicken Schicht, in der sich die lokale Schwerkraft von Null auf fast einhunderttausend Meter pro Sekundenquadrat erhöhte, selbst Photonen verzerrte. Von innen konnte man, da man die genaue Stärke des Keils kannte, mit Hilfe von Computern die Verzerrungen umrechnen, so daß man halbwegs brauchbare Ergebnisse erhielt, aber von außen vermochte das niemand. Caslets Manöver hatten den Keil unablässig zwischen der Vaubon und den Ortungsgeräten des Raiders gehalten, und das aus Gründen, die anzuzweifeln der Pirat keinen Grund hatte. Nun aber befanden sich die Übeltäter innerhalb der wirksamen Energiewaffenreichweite, und Caslet sah Foraker an.
»Fertig, Shannon?«
»Jawohl, Sir.« Der Taktische Offizier war so tief in ihre Konsole versunken, daß sie ohne nachzudenken die formelle Anrede aus der Zeit vor dem Umsturz benutzte, und Jourdain senkte resigniert den Kopf.
»Also gut, Freunde. Jetzt zeigen wir’s den Mistkerlen. Bereithalten … und … jetzt!«
Und dann war VFS Vaubon kein Frachter mehr. Foraker hatte ihre aktiven Ortungsgeräte nicht benutzen können, ohne alles preiszugeben, aber die passiven Sensoren hatten zwei Stunden lang den Gegner aufs genauste verfolgt. Sie wußte exakt, wo der Feind war und daß er abbremsend auf die Vaubon in einem Winkel zukam, der Foraker einen Schuß in den Kilt erlaubte. Schnell wie der Blitz rollte Allison MacMurtree die Vaubon auf Steuerbord, und während das Schiff rollte, richtete es seine Backbordbreitseite auf den Raider. Zwei schwere Laserlafetten feuerten zugleich. Caslet hätte eine dreimal stärkere Breitseite schießen können, aber er wollte, daß das Piratenschiff überlebte – und zwei saubere Treffer ohne Behinderung durch einen Seitenschild sollten für diesen Zweck ausreichen.
Laser sind lichtschnelle Waffen, und ohne Warnung schlugen beide Schüsse der Vaubon als Volltreffer in das Heck des Schiffes ein. Die Jagdbewaffnung verschwand in einer gewaltigen Explosion, und zerschmetterte Rumpfplatten torkelten verstreut durchs All. Die kohärenten Lichtstrahlen bohrten sich wie mit dämonischer Gewalt in den achteren Impellerring. Gewaltige Rückschlagenergien durchfuhren die Schiffssysteme. Schiffsgerät platzte auf wie Popcorn, und das achtere Drittel des Rumpfes war verwüstet. Das Fusionskraftwerk nahm eine automatische Notabschaltung vor, und der Impellerkeil brach zusammen. Plötzlich war der Pirat manövrierunfähig und hielt mit dem Heck voraus auf sein aufmüpfiges Opfer zu. Weder Keil noch Seitenschild würden weiteren Beschuß der Vaubon abhalten.
»Hier spricht Bürger Commander Warner Caslet«, sprach der Kommandant mit kühler Stimme in sein Mikrofon. »Sie sind meine Gefangenen. Jeder Versuch, Widerstand zu leisten, wird mit der Vernichtung Ihres Schiffes beantwortet.«
Eine Erwiderung blieb aus, und Caslet betrachtete den Plot eingehend. Trotz der gravierenden Schäden an dem Raider mußten zumindest einige Breitseitenwaffen überlebt haben, darunter auch Raketenwerfer, und mit Reserveenergie konnten diese wenigstens ein paar Schuß abfeuern. Aber die Emissionen zeigten deutlich, daß der eine Treffer das Schiff fast völlig verwüstet und lahmgelegt hatte. Falls der Pirat sich zum Kampf entschloß, folgte das vermutlich kürzeste Gefecht der Militärgeschichte.
»Keine Antwort, Skip«, sagte Dutton. »Gut möglich, daß wir die Sendeantennen erwischt haben.«
Caslet nickte. Vermutlich arbeiteten auch die Empfänger des Raiders nicht mehr. Aber wer auch immer dort das Kommando führte, schien keinen Selbstmord zu beabsichtigen, ob er die Mitteilung nun gehört hatte oder nicht. Caslet wandte sich dem kleinen Combildschirm zu, der mit Bürger Captain Branscombes Pinasse im Truppenhangar verbunden war.
»Also gut, Ray. Holen Sie sich die Mistkerle, aber achten Sie auf Ihren Rücken. Halten Sie die Pinassen aus der Schußlinie.«
»Aye, Sir«, antwortete Branscombe, und zwei Pinassen, vollbesetzt mit Marineinfanteristen in Panzeranzügen, lösten sich aus dem Beiboothangar der Vaubon. Sie beschrieben einen Bogen, um sich aus dem Bestreichungskonus der Breitseitenwaffen zu entfernen, und bezogen zwei Kilometer achteraus des schwer beschädigten Schiffes Station. Luken öffneten sich, und einzeln quollen die gepanzerten Marines heraus. Rasch überbrückten sie die Distanz zum Rumpf des Raiders.
Caslet beobachtete auf dem visuellen Display, wie die Marines zur nächsten unbeschädigten Personenschleuse vorrückten. Zwar war es durchaus möglich, daß die Piraten eine letzte, selbstmörderische Trotzgeste versuchten und sich mit seinen Marines sprengten – aber Piraten waren keine Kamikaze, und diese hier wußten zudem nicht, daß Caslet die Erewhon gefunden hatte. Hätten sie es gewußt und geahnt, was er mit ihnen vorhatte, dann hätten sie möglicherweise Selbstmord begangen, aber da das nicht der Fall war, drang Branscombes Sturmspitze in den Rumpf ein, ohne daß etwas geschah. Caslet entspannte sich, als die Marines die Piraten festzunehmen begannen, ohne auf Widerstand zu stoßen.
»Gut gemacht, Bürger Commander«, sagte Denis Jourdain leise. »Sehr gut gemacht. Unter den gegebenen Umständen« – in seinem Lächeln steckte ein Unterton von Traurigkeit – »können wir wenigstens darauf stolz sein.«