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Leise klassische Musik schuf die passende Kulisse für die elegant gekleideten Damen und Herren im Saal. An der Wand hinter den Gästen erhoben sich die geplünderten Ruinen eines üppigen Büfetts, und die Leute standen, Gläser in der Hand, in kleinen Grüppchen beisammen. Ihr auf- und abschwellendes Stimmgemurmel konkurrierte mit den Klängen der Musik; eine entspannte Zurschaustellung von Reichtum und Macht. In Klaus Hauptmanns Stimme indes war nur wenig Gelassenheit zu finden.
Der Billionär sprach mit einer Frau, die ihm in puncto Geld und Einfluß nur wenig nachstand, und einem Mann, der nicht einmal im Rennen war. Nicht, daß der Clan der Housemans arm gewesen wäre, aber deren Reichtum war »altes Vermögen«, und die meisten Housemans blickten mit Verachtung auf einen Mann hinab, der sich tatsächlich um etwas so Grobes wie Handelsgeschäfte kümmerte. Selbstverständlich mußte man Manager beschäftigen, die das Familienvermögen hüteten, aber das waren nur Angestellte; mit derlei Profanem befaßte sich kein Gentleman. Professor Dr. Reginald Houseman teilte in mancher Hinsicht dieses Vorurteil, das die Finanzelite den Neureichen entgegenbrachte (und nach den Standards der Housemans war selbst das Vermögen der Hauptmanns noch sehr neu), dennoch galt Houseman als einer der zehn besten Wirtschaftswissenschaftler des Sternenkönigreichs.
Nicht allerdings bei Klaus Hauptmann, der ihn mit beinahe vollkommener Verachtung betrachtete. Trotz Housemans unzähliger akademischer Referenzen hielt Hauptmann ihn für einen Dilettanten, eine Personifizierung der Phrase, die aus uralter Zeit überliefert wurde: »Wer etwas kann, der tut es; wer nicht, der unterrichtet«. Housemans erhabene Selbstgefälligkeit brachte jemanden wie Hauptmann innerlich zum Kochen, denn Hauptmann hatte seine Fähigkeiten auf die einzige Möglichkeit unter Beweis gestellt, die niemand anzweifeln konnte, nämlich durch Erfolg. Nicht, daß Houseman ein kompletter Idiot gewesen wäre. Trotz seiner intellektuellen Borniertheit hatte er sich häufig als gewandt und effektiv erwiesen, wenn es darum ging, öffentliche ökonomische Strategien mit privatwirtschaftlichen Anreizen zu lenken. Hauptmann betrachtete es als außerordentlich unglückselig, daß Houseman so fest der Überzeugung verhaftet war, Regierungen besäßen die Kompetenz, der Privatwirtschaft Vorschriften zu machen, obwohl es doch so offensichtlich nicht der Fall war. Doch sogar er mußte zugeben, daß sich Houseman seine Meriten als politischer Analytiker verdient hatte.
Bis vor sechs Jahren war Houseman zudem ein aufsteigender Stern am Himmel des diplomatischen Dienstes gewesen; seitdem allerdings wurde er nur noch gelegentlich und in beratender Funktion hinzugezogen. Denn wenn Königin Elisabeth III. eine persönliche Abneigung gegenüber einem Mann faßte, hätte nur der abgebrühteste Politiko vorzuschlagen gewagt, diesen Mann weiterhin fest in den Dienst der Krone zu stellen. Und seit Kriegsausbruch galten die Verbindungen der Familie Houseman zu den Freiheitlern auch nicht gerade als ein Vorzug. Nachdem die Volksrepublik Haven die Manticoranische Allianz überfallen hatte, war der langjährige Widerstand der Freiheitler gegen die Rüstungsausgaben des Sternenkönigreichs, die sie bislang als »Panikmache und Provokation« bezeichnet hatten, auf sie zurückgefallen. Nach dem stümperhaften Putsch, der die alte Führungsschicht der Volksrepublik hinwegfegte, hatten sich die Freiheitler mit dem Bund der Konservativen und den Progressiven zur Opposition gegen die Regierung Cromarty zusammengeschlossen. Sie hatten die formelle Kriegserklärung verhindern wollen, weil sie hofften, daß das Regime, das sich aus den Wirren nach dem Putsch erhob, für eine Einigung auf dem Verhandlungsweg zugänglich sein könnte. Viele Freiheitler, darunter auch Reginald Houseman, waren nach wie vor der Ansicht, eine unbezahlbare Gelegenheit sei verschwendet worden.
Weder Ihre Majestät noch ihr Premierminister, der Herzog von Cromarty, waren der gleichen Meinung, und die Wählerschaft schon gar nicht. Bei der letzten Parlamentswahl hatten die Freiheitler eine fürchterliche Niederlage erlitten und im Unterhaus so gut wie jede Bedeutung eingebüßt. Im Oberhaus mußte man zwar nach wie vor mit ihnen rechnen, doch selbst dort waren viele frühere Sympathisanten zu Cromartys Zentralisten übergelaufen. Diejenigen, die der Parteilinie die Treue hielten, behandelten diese abtrünnigen Opportunisten mit aller Verachtung, die Verrätern an der Ideologie zukam, aber der Verlust ihrer Unterstützung war eine Realität, der man sich stellen mußte. Das Schwinden ihrer Machtbasis hatte die Freiheitler noch dichter an die Konservativen gebunden – ein außerordentlich unnatürlicher Zustand, der nur deswegen erträglich blieb, weil beide Parteien, jede aus eigenen Gründen, der augenblicklichen Regierung und all ihren Gefolgsleuten mit Verbitterung und persönlichem Groll gegenüberstanden.
Für Klaus Hauptmann hatte sich diese Allianz jedenfalls als unschätzbar wertvoll erwiesen. Ein kluger Investor war er schon immer gewesen und hatte jahrelang persönliche (und über besonnene Wahlkampfspenden auch finanzielle) Bande zum gesamten politischen Spektrum geknüpft. Nun, da die Freiheitler und Konservativen sich als in die Ecke gedrängte politische Minderheit betrachteten, war seine Unterstützung für beide Parteien um so wichtiger. Und während sich die Opposition größtenteils nur zu deutlich bewußt war, wieviel Schlagkraft sie eingebüßt hatte, scharte sich Cromartys Meute nervös zusammen, weil sie nicht übersehen konnte, wie knapp ihre Mehrheit im Oberhaus blieb. Mittlerweile hatte Hauptmann gelernt, mit seinem Einfluß bei den Freiheitlern und Konservativen ganz erstaunliche Resultate zu erzielen.
Und diesen Einfluß beabsichtigte er auch an diesem Abend auszuüben.
»Das ist alles, was man uns geben will!« stellte er grimmig fest. »Angeblich ist man zu mehr außerstande. Keine zusätzlichen Kampfverbände, nicht einmal eine einzige Zerstörerflottille. Vier Schiffe bieten sie uns an – vier! Und das sind noch ›bewaffnete Handelskreuzer‹!«
»Nun beruhigen Sie sich, Klaus!« erwiderte Erika Dempsey in ironischem Ton. »Ich gebe Ihnen ja recht, daß vier Schiffe keinen großen Unterschied bedeuten werden, aber wenigstens legt die Navy nicht die Hände in den Schoß. Wenn ich bedenke, unter welchem Druck die Admiralität steht, bin ich überrascht, daß man so schnell überhaupt etwas zuwege gebracht hat. Und es ist gewiß richtig, sich auf Breslau zu konzentrieren. Allein in den letzten acht Monaten hat mein Kartell in diesem Sektor neun Schiffe verloren. Wenn die Navy auch nur das geringste gegen die Piraten dort ausrichtet, bewirkt sie immerhin etwas.«
Hauptmann schnaubte. Im Stillen gab er Erika recht, aber das konnte er nicht zugeben, bevor er den Köder ausgelegt hatte – vor Houseman. Hätte sie sich doch nicht in das Gespräch eingemischt! Das Dempsey-Kartell wurde nur vom Hauptmann-Kartell übertroffen, und Erika, die es seit sechzig T-Jahren leitete, war ebenso klug wie attraktiv. Selbst Hauptmann, der nur vor wenigen Menschen Respekt hatte, respektierte sie über alle Maßen, aber im Augenblick benötigte er nichts weniger als ihre süße Stimme der Vernunft. Zum Glück schien Houseman für Erikas Argumente nicht besonders empfänglich zu sein.
»Ich fürchte, ich muß Klaus recht geben, Ms. Dempsey«, sagte er bedauernd. »Vier bewaffnete Handelsschiffe werden nicht viel ausrichten können, das ergibt sich allein schon aus den Verhältnissen. Sie können immer nur an einer Stelle sein, und es sind alles andere als Wallschiffe. Jedes fähige Piratengeschwader könnte sie vernichten, und im Breslau- und im Poznan-Sektor gibt es momentan wenigstens drei abtrünnige Regierungen. Sie alle rekrutieren Freibeuter, die unseren imperialistischen Abenteuern alles andere als freundlich gegenüberstehen.«
Erika Dempsey rollte die Augen. Mit den Freiheitlern wußte sie nur wenig anzufangen, und Housemans letzter Satz stammte direkt aus deren ideologischer Bibel. Darüber hinaus betrachtete sich Houseman trotz seines Widerstandes gegen den Krieg als Militärexperte. Jegliche Gewaltanwendung verurteilte er als das Resultat von Dummheit und fehlgeschlagener Diplomatie, aber dennoch faszinierte ihn das Thema – allerdings immer aus sicherer Entfernung, versteht sich. Houseman behauptete immer wieder gerne, sein Interesse entspringe lediglich dem Umstand, daß ein friedliebender Diplomat die Seuche, die er bekämpfe, wie ein Arzt studieren müsse, aber Hauptmann bezweifelte, daß er damit irgend jemanden außer seinen Mitideologen zu täuschen vermochte. In Wahrheit glaubte Reginald Houseman fest: Wäre er einer dieser bösen, militaristischen Eroberer wie Napoleon Bonaparte oder Gustav Anderman gewesen – was Gott sei dank nicht der Fall war –, so hätte er sich besser geschlagen als sie. Seine Studien der Militärgeschichte hatten ihm nicht nur die düstere Befriedigung verschafft, sich aus hehrsten Motiven an etwas Bösem, Dekadentem zu ergötzen, sondern auch einen gewissen Status als einer der ›Militärexperten‹ innerhalb der Freiheitspartei. Daß die meisten Offiziere der Königin, unabhängig von der Teilstreitkraft, ihn als Experten in Sachen Feigheit betrachteten, bekümmerte ihn nicht im geringsten. Vielmehr interpretierte er ihre Verachtung als Feindseligkeit, die der eigenen Furcht entsprang, als Zeichen, wie genau er mit seiner energischen Kritik an den bestehenden Zuständen das Militär bis ins Mark traf.
»Mr. Houseman, im Augenblick bin ich nur zu gern bereit, mich auf jedes ›imperialistische Abenteuer‹ einzulassen, wenn es bedeutet, daß nicht noch mehr meiner Angestellten getötet werden«, erklärte Dempsey sehr kühl.
»Ich verstehe Ihren Standpunkt«, versicherte Houseman ihr, offenbar ohne Dempseys unverhohlene Verachtung wahrzunehmen. »Leider wird der Plan der Navy nicht funktionieren. Ich bezweifle sehr, daß selbst Edward Saganami – oder jeder andere Admiral, der einem in den Sinn kommen könnte –, imstande wäre, mit solch schwachen Kräften auch nur das Geringste auszurichten. Das wahrscheinlichste Ergebnis wäre, daß der Kommandeur, den die Navy mit dieser Mission beauftragt, seine vier Schiffe verliert.« Er schüttelte traurig den Kopf. »In den vergangenen drei T-Jahren hat die Navy sehr oft kurzsichtig gehandelt, und ich fürchte, hier stehen wir einem weiteren Beispiel dafür gegenüber.«
Dempsey schaute ihm einen Moment lang unverwandt ins Gesicht, dann schnaufte sie und stolzierte davon. Hauptmann sah ihr erleichtert hinterher und wandte sich wieder an Houseman.
»Ich fürchte, ich muß Ihnen recht geben, Reginald. Trotzdem, mehr als diese vier Schiffe werden wir nicht bekommen. Unter den gegebenen Umständen wäre es also das Beste, die Erfolgsaussichten des Unternehmens so sehr zu optimieren wie nur möglich.«
»Wenn die Admiralität auf dieser Dummheit besteht, können wir wohl nicht viel ausrichten. Man schickt eine grotesk unterlegene Streitmacht direkt in die Höhle des Löwen. Jeder, der bei klarem Verstand ist und nur halbwegs geschichtskundig, kann prophezeien, daß diese Schiffe verloren gehen werden.«
Für einen kurzen Moment verspürte Hauptmann den überwältigenden Drang, den jüngeren Mann zu ohrfeigen und ihm ein wenig Verstand einzuprügeln. Dieses Bedürfnis hatten schon andere vor ihm verspürt; leider schien es auch beim letztenmal nichts genutzt zu haben. Hauptmanns Plan sah indes nicht vor, daß er seine Abscheu so offen zeigte wie Erika Dempsey.
»Das ist mir durchaus klar«, sagte er daher. »Zweifellos haben Sie recht. Ich würde nur gern das Maximum aus diesen Schiffen herausholen, bevor sie vernichtet werden.«
»Kaltblütig, aber vermutlich realistisch, fürchte ich«, seufzte Houseman, und Hauptmann unterdrückte ein Zähnefletschen. Bei all seiner frömmlerischen Ablehnung von ›Militarismus‹ kümmerte Houseman wie viele Theoretiker der Gedanke an die Verluste von Menschenleben erheblich weniger als die ›Militaristen‹, die er so sehr verachtete. Schließlich und endlich hatten die Menschen, die in den Schiffen starben, sich ja alle freiwillig zum Myrmidonendienst gemeldet, und man konnte bekanntlich kein Omelett backen, ohne ein paar Eier zu zerschlagen. Nach Hauptmanns Beobachtungen neigten diejenigen, die tatsächlich andere Menschen in den Tod schicken mußten, zu erheblich sorgfältigeren Erwägungen als Lehnstuhlstrategen. Zu seinem Bedauern teilte Hauptmann die Prognose Housemans über das wahrscheinliche Schicksal der Q-Schiffe, aber nun sah er wenigstens die Knöpfe in Reichweite, die er drücken wollte.
»Da haben Sie wohl recht«, seufzte er. »Ohne einen fähigen Offizier auf dem Kommandosessel ist die Chance minimal, daß die Schiffe vor ihrer Vernichtung etwas ausrichten. Gleichzeitig können wir von der Admiralität wohl kaum erwarten, einen fähigen Offizier mit diesem Himmelfahrtskommando zu betrauen – ganz besonders, wenn es sich lediglich um eine beschwichtigende Geste handelt, die den politischen Druck lindern soll. Höchstwahrscheinlich bekommen wir es hier mit irgendeinem Stümper zu tun, den man hinterher nicht allzu schmerzlich vermißt – wenn man nicht sogar froh ist, ihn los zu sein.«
»Damit ist zu rechnen«, stimmte Houseman sofort zu, wie immer nur zu gern bereit, den »Militaristen« die machiavellistischsten Motive zu unterstellen.
»Nun, dann sollten wir doch allen verfügbaren Einfluß ausüben, um wenigstens das zu verhindern«, fuhr Hauptmann eindringlich fort. »Wenn wir mehr Unterstützung nicht erhalten können, dann ist es doch unser gutes Recht, von der Admiralität zu verlangen, daß die gewährte Unterstützung so wirkungsvoll wie möglich ausfällt.«
»Da gebe ich Ihnen recht«, antwortete Houseman nachdenklich. Offensichtlich ging er geistig eine Liste in Frage kommender Kommandeure durch, aber Hauptmanns Plan sah nicht vor, daß Houseman einen eigenen Vorschlag machte. Jedenfalls nicht, bevor sein eigenes Pferd im Rennen war. Das Schwierige daran war, den Vorschlag so anzubringen, daß Houseman ihn nicht von vornherein zurückweisen konnte.
»Das Problem«, sagte der Magnat mit einer Mischung aus Beiläufigkeit und nachdenklicher Überlegung, »besteht darin, einen Offizier ausfindig zu machen, der einerseits fähig genug ist, um etwas Positives auszurichten, und andererseits bereit wäre, das Risiko der Niederlage auf sich zu nehmen. Ich würde allerdings wenig Wert auf jemanden legen, der zuviel nachdenkt.« Houseman hob fragend eine Braue, und Hauptmann zuckte mit den Schultern. »Damit meine ich, daß wir einen guten Kämpfer brauchen. Einen guten Taktiker, der weiß, wie man Schiffe effektiv einsetzt, der die letztendliche Vergeblichkeit seiner Mission aber nicht erkennt. Jeder mit genügend Urteilsvermögen, die Lage realistisch einzuschätzen, müßte begreifen, daß diese Operation nicht mehr ist als eine Geste, und das wiederum würde bedeuten, da er nicht aggressiv genug vorgeht, um uns wirklich zu nützen.«
Innerlich hielt er den Atem an, während Houseman über die Worte nachdachte. Im Grunde hatte Hauptmann gerade gesagt, sie brauchten jemanden, der sich kopfüber ins Gefecht stürzt, sich selbst dabei umbringt und ein paar Tausend Menschen mit in den Tod reißt. Hauptmann war – sich selbst gegenüber – so ehrlich zuzugeben, daß diese Überlegungen reichlich zynisch klangen. Andererseits bildete der Kampf den Lebensinhalt der Menschen in Uniform, und wer sich in Gefahr begab, fand eben relativ häufig den Tod. Wenn die Navysoldaten im Zuge ihres Untergangs Hauptmanns angeschlagene Position in Silesia retteten, dann konnte er damit leben. Im Gegensatz zu ihm hatte Houseman kein direktes Interesse an Silesia. Für ihn war die Unterhaltung nichts weiter als ein intellektuelles Gedankenspiel.
Selbst jetzt war sich Hauptmann alles andere als schlüssig, ob sein Gegenüber wirklich kaltblütig genug wäre, um Männer und Frauen zum wahrscheinlichen Tod zu verurteilen, wenn die Verluste echt und nicht lediglich Zahlen einer Simulation sein würden.
»Mir ist klar, was Sie meinen«, murmelte Houseman und senkte den Blick in sein Weinglas. Er knetete sich die Stirn und zuckte die Achseln. »Mir widerstrebt es zuzulassen, daß auch nur ein Mensch sinnlos ums Leben kommt. Aber wenn die Position der Admiralität feststeht, dann liegen Sie in bezug auf die Eigenschaften des Offiziers, den man mit der Mission betrauen muß, ganz richtig.« Er lächelte süffisant. »Sie sagen, wir brauchten jemanden mit mehr Mut als Verstand, aber dem taktischen Vermögen, mit seiner Dummheit etwas auszurichten.«
»Genau das habe ich gesagt.« Obwohl er selbst sorgfältig manövrierte und an den Fäden zog, fühlte sich Hauptmann doch von der amüsierten Verachtung abgestoßen, die der Ökonom einem Menschen entgegenbrachte, der in Erfüllung seiner Pflicht zu sterben bereit war. Nicht, daß Hauptmann plante, seiner Abscheu Ausdruck zu verleihen. »Und ich glaube, ich habe einen Offizier mit genau diesen Eigenschaften gefunden«, offenbarte er statt dessen und erwiderte das Lächeln.
»Aha?« Etwas in Hauptmanns Stimme ließ Houseman aufblicken. In seinen braunen Augen glomm Mißtrauen, aber auch gespannte Erwartung. Er liebte zutiefst das Gefühl, beteiligt zu sein, wenn auf höchster Ebene die Hebel gezogen wurden, und Hauptmann war sich dessen bewußt; und Hauptmann wußte auch, daß dem Wirtschaftswissenschaftler seit dem unglückseligen Zwischenfall auf Grayson dieses Gefühl versagt geblieben war.
»Harrington«, sagte der Magnat leise und beobachtete, wie seinem Gegenüber unverzüglich die Wut ins Gesicht stieg, als der Name fiel.
»Harrington? Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen! Die Frau hat doch völlig den Verstand verloren!«
»Eben. Waren wir nicht gerade übereingekommen, daß wir so jemanden brauchen?« entgegnete Hauptmann. »Wie Sie bestimmt wissen, hatte ich in der Vergangenheit selber Probleme mit ihr, aber ob sie nun noch alle Tassen im Schrank hat oder nicht, sie hat eine wahnsinnige Kampferfahrung. Ich würde sie niemals für einen Einsatz vorschlagen, bei dem man tatsächlich den Überblick über das Gesamtbild benötigt oder gar nachdenken muß, aber für eine Aufgabe wie diese ist sie nachgerade ideal.«
Housemans Nasenflügel bebten; seine Wangen leuchteten knallrot. Von allen Menschen im ganzen Kosmos haßte er Honor Harrington am meisten – was Hauptmann ganz genau wußte. Und so wenig er auch mit Houseman in allen anderen Belangen übereinstimmte: in bezug auf dessen Einschätzung Harringtons gab er dem Ökonomen vollkommen recht.
Im Gegensatz zu Houseman neigte er jedoch nicht dazu, sie zu unterschätzen – diesen Fehler hatte er einmal begangen –, aber andererseits brauchte er sie auch nicht zu mögen. Vor acht T-Jahren hatte Harrington ihn in tiefe Verlegenheit gestürzt und ihm immense finanzielle Verluste verursacht, indem sie die Verwicklung seines Kartells in einen Plan der Haveniten aufdeckte, die die Kontrolle über das Basilisk-System an sich bringen wollten. Nicht etwa, daß Hauptmann über die Tätigkeit seiner Angestellten auch nur ansatzweise informiert gewesen wäre … und glücklicherweise war es ihm gelungen, vor Gericht seine Unkenntnis zu beweisen, aber seine Unschuld hatte ihn nicht vor der Zahlung massiver Strafgelder bewahrt – oder davor, daß der gute Name seines Kartells in den Schmutz gezogen wurde, Und damit auch sein eigener.
Klaus Hauptmann gehörte nicht zu den Menschen, die Einmischungen gleichmütig hinnahmen. Dessen war er sich bewußt, und er gab auf intellektueller Ebene sogar zu, daß dies eine seiner Schwächen war. Aber auch Hauptmanns Stärke fußte auf seinem Willen zur Autonomie, der Triebkraft, die ihn von einem Triumph zum nächsten getragen hatte, und deshalb war er bereit, es hinzunehmen, wenn sein cholerisches Temperament ihn bei seltenen Gelegenheiten in die Irre führte.
Gewöhnlich zumindest. O ja, dachte er, gewöhnlich. Aber nicht im Falle Harringtons. Sie hatte ihn nicht einfach in Verlegenheit gebracht, sie hatte ihn bedroht.
Er biß die Zähne zusammen, und sein Gedächtnis führte ihm die Szene wieder vor Augen. Houseman war indessen damit beschäftigt, den eigenen Zorn zu bezähmen. Hauptmann hatte persönlich den Basilisk-Vorposten aufgesucht, als Harringtons übereifrige Einmischung dort unerträglich wurde. Zu der Zeit ahnte er noch nichts von dem havenitischen Coup, er wußte nur, daß diese Frau ihn Geld kostete; die Beschlagnahme eines seiner Schiffe, das Konterbande an Bord gehabt hatte, bedeutete für ihn einen Schlag ins Gesicht, den er nicht hinnehmen konnte. Und deswegen reiste er ins Basilisk-System – um Harrington den Kopf zurechtzurücken. Nur kam es ganz anders als geplant. Harrington trotzte ihm, als wüßte sie nicht, wer Klaus Hauptmann war – ja, als sei es ihr gleichgültig! Ihren Widerstand verpackte sie sorgfältig in Amtssprache und versteckte sich hinter ihrer kostbaren Uniform und ihrem Status als diensttuender Befehlshaber der Basilisk-Station, aber trotzdem beschuldigte sie ihn der Mitwisserschaft an schmugglerischen Aktivitäten.
Da hatte sie bei ihm auf die richtigen Knöpfe gedrückt, das mußte er zugeben, genau wie er auch eingestand, daß er seine Niederlassungen besser im Auge hätte behalten müssen. Aber wie sollte er bei etwas so Großem wie dem Hauptmann-Kartell auf solche Details achten? Aus eben diesem Grunde unterhielt er schließlich Vertretungen – damit sie sich um die Einzelheiten kümmerten, für die ihm die Zeit fehlte. Und selbst wenn Harrington völlig im Recht gewesen wäre – was nicht der Fall war – wie konnte es die Tochter eines einfachen Freisassen wagen, so mit ihm zu reden? Sie war damals Commander gewesen, von denen man zwei für einen Dollar bekam, Kommandantin eines Leichten Kreuzers, den er aus der Portokasse hätte bezahlen können, wie also konnte sie es wagen, ihm gegenüber diesen kalten, schneidenden Ton anzuschlagen?
Trotzdem hatte sie es gewagt, und vor Zorn hatte er die Samthandschuhe abgelegt. Harrington wußte damals noch nicht, daß sein Kartell Hauptanteilseigner an der Praxis ihrer Eltern war. An sich hätte es nicht mehr als einer beiläufigen Andeutung bedürfen sollen, welche Folgen es haben könnte, wenn sie ihn in die Defensive zwang und er sich und seinen guten Namen auf inoffiziellen Wegen verteidigen mußte, doch Harrington weigerte sich nicht nur, vor ihm zurückzuweichen, sie übertrumpfte seine Drohung mit einer weitaus tödlicheren.
Diese letzte Drohung hatte Harrington unter vier Augen ausgesprochen, und das war der einzige beruhigende Aspekt der ganzen Angelegenheit. Harrington hatte gedroht, ihn mit eigener Hand zu töten, sollte er es wagen, sich in irgendeiner Weise gegen ihre Eltern zu wenden.
Trotz seiner brennenden Wut verspürte Hauptmann selbst jetzt noch einen kalten Schauder, wenn er an ihre eiskalten, mandelförmigen Augen dachte. Sie hatte es ernst gemeint. Das hatte er vom ersten Moment an gewußt, und vor drei Jahren hatte Harrington unter Beweis gestellt, wie ernst diese Drohung einzustufen war, denn sie hatte im Duell nicht nur einen, sondern zwei Männer getötet – und einer der beiden war ein professioneller Duellant gewesen. Wenn Hauptmann noch einen Anstoß gebraucht hätte, sehr, sehr behutsam gegen diese Frau vorzugehen, dann hätten diese beiden Duelle ihm genügt.
Der Haß auf Harrington war eines der ganz wenigen Dinge, die Houseman und ihn verbanden. Harrington hatte Housemans diplomatische Laufbahn auf dem Gewissen. Sie hatte sich nicht nur frech seinem Befehl widersetzt, ihr Geschwader aus dem Jelzin-System zurückzuziehen und den Planeten Grayson durch Handlanger Havens erobern zu lassen, sie hatte ihn niedergeschlagen, als er versuchte, durch Einschüchterung ihren Gehorsam zu erzwingen. Vor Zeugen hatte sie ihm eine Ohrfeige versetzt, die ihn von den Füßen riß, und die schneidende Verachtung, die sie danach auf ihn ausgegossen hatte, hatte den Nagel einfach zu sehr auf den Kopf getroffen, als daß die Sache sich vertuschen ließ. Mittlerweile wußte jeder, auf den es ankam, was genau sie an jenem Tag zu Houseman gesagt und mit welch kalter, schneidender Präzision sie seine Feigheit bloßgelegt hatte. Zwar rügte man sie später offiziell, einen Gesandten der Krone niedergeschlagen zu haben, aber dieser Makel verblaßte durch die gleichzeitige Erhebung in den Ritterstand zur Bedeutungslosigkeit – und dazu kamen die Ehren, mit denen das Volk von Grayson die Retterin des Planeten überhäufte.
»Ich kann nicht glauben, daß es Ihnen ernst damit ist.« Housemans steife, kalte Stimme holte Hauptmann in die Gegenwart zurück. »Um Himmels willen! Diese Frau ist doch nicht besser als eine gewöhnliche Mörderin! Wissen Sie denn nicht mehr, wie sie North Hollow zu diesem Duell getrieben hat? Im Oberhaus vor dem Plenum hat sie ihn gefordert und wie einen Hund niedergeschossen, als seine Waffe schon leer war! Sie können Harrington doch nicht ernsthaft für irgendein Kommando in Erwägung ziehen, wo wir endlich erreichen konnten, daß sie die Uniform der Königin ablegen mußte!«
»Selbstverständlich kann ich das.« Hauptmann bedachte den jüngeren Mann mit einem kalten, schmallippigen Lächeln. »Nur weil sie eine Närrin ist – eine gefährliche Närrin – besteht doch noch lange kein Grund, sie nicht zu unserem Vorteil einzusetzen. Denken Sie einmal darüber nach, Reginald. Was Harrington sonst auch sein mag, im Gefecht ist sie eine effektive Befehlshaberin. Ich stimme Ihnen voll und ganz zu, daß man sie zwischen den Schlachten an die Leine legen muß. Sie ist so arrogant wie die Sünde, und ich bezweifle, daß sie je auch nur versucht hat, ihr Temperament zu zügeln. Also seien wir offen und sagen deutlich, daß Honor Harrington alle Merkmale einer krankhaften Massenmörderin aufweist! Aber sie weiß zu kämpfen. Das ist vielleicht das einzige, wofür sie gut ist, aber wenn jemand den Piraten wirklich schaden kann, bevor die sie töten, dann ist es Honor Harrington.«
Den letzten Satz sprach er mit seidenweicher Stimme, nur das Wort ›töten‹ betonte er ein wenig härter. In Housemans Augen blitzte der Haß auf. Keiner von beiden würde es je zugeben, aber das Signal war übermittelt, die Botschaft verstanden, und Hauptmann beobachtete, wie der Ökonom tief durchatmete.
»Angenommen, Sie hätten recht – und das behaupte ich nicht –, so wüßte ich immer noch nicht, wie sich Ihr Ansinnen verwirklichen lassen sollte«, erklärte Houseman schließlich. »Sie ist auf Halbsold, und Cromarty würde niemals beantragen, sie in den aktiven Dienst zurückzurufen. Nachdem sie North Hollow vor dem Oberhaus gefordert hat, würde allein der Vorschlag das Plenum zur Revolte treiben.«
»Vielleicht«, gab Hauptmann zu, obwohl er in dieser Hinsicht Zweifel hegte. Noch vor zwei Jahren hätte Houseman mit seiner Feststellung sicherlich richtig gelegen; aber nun standen die Dinge anders: Harrington hatte sich auf Grayson zurückgezogen, um sich ihrer dortigen Rolle als Gutsherrin zu widmen, als feudaler Herrscherin über das Gut von Harrington, das die Graysons nach der Verteidigung des Planeten eigens für sie gegründet hatten. Angesichts seiner schändlichen Rolle war es nicht weiter verwunderlich, daß Houseman die Bedeutung solcher fremden Titel herunterspielte. Das Hauptmann-Kartell hingegen war an den ausgedehnten industriellen und militärischen Aufbauprogrammen stark beteiligt, die im Jelzin-System stattfanden, seit Grayson sich der Manticoranischen Allianz angeschlossen hatte. In Erinnerung an seine Erfahrungen mit Harrington hatte Hauptmann vorsichtig ihre Position auf Grayson eruiert und erfahren, daß sie dort keine geringere Macht und keinen geringeren Einfluß ausübte als der Herzog von Cromarty im Sternenkönigreich.
Zum einen war sie wohl, ob den Graysons dies nun bewußt war oder nicht, der reichste Bewohner des Planeten, ganz besonders, seitdem ihre Firma, Grayson Sky Dome Ltd. Profite erzielte. Rechnete man die manticoranischen Anteile hinzu, die für sie von Willard Neufsteiler verwaltet wurden, dann war Harrington mittlerweile gewiß Milliardärin – gar nicht schlecht für jemanden, dessen Startkapital allein aus Prisengeldern stammte. Für die Graysons spielte ihr Reichtum nur eine untergeordnete Rolle. Harrington hatte den Planeten nicht nur davor bewahrt, erobert zu werden, sie war auch zu einer der über achtzig Adligen aufgestiegen, die den Planeten beherrschten, und noch dazu zum zweithöchsten Offizier der graysonitischen Navy. Trotz der anhaltend starken Abneigung, mit der die konservativeren, theokratisch eingestellten Graysons ihr begegneten, verehrten die meisten sie geradezu wie einen Abgott.
Anfang des vergangenen Jahres hatte Harrington das Jelzin-System erneut gerettet. Was auch immer das Oberhaus davon halten mochte, die Berichte der Newsdienste über die Vierte Schlacht von Jelzins Stern hatten dafür gesorgt, daß sie in den Augen der Bürger des Sternenkönigreichs genausosehr als Heldin dastand wie auf Grayson. Wenn die Regierung Cromarty sich ihrer Mehrheit im Oberhaus jemals sicher genug fühlte, um den Antrag zu wagen, Honor Harrington wieder in eine manticoranische Uniform zu stecken, dann würde dieser Versuch nach Hauptmanns Dafürhalten gelingen.
Leider schienen Cromarty und die Admiralität jedoch nicht willens, den unausweichlichen, häßlichen Kampf im Plenum zu riskieren. Und selbst wenn man sich dazu durchränge, würde man anschließend nicht einmal in Erwägung ziehen, jemanden ihres Kalibers für das Kommando über vier Hilfskreuzer so weit hinter der Front zu vergeuden. Aber wenn der Vorschlag aus einer anderen Ecke käme …
»Hören Sie zu, Reginald«, sagte er eindringlich, »wir stimmen miteinander überein, daß Harrington eine wandelnde Zeitbombe ist, aber ich glaube, wir sind uns außerdem einig, daß sie unter den Piraten einigen Schaden anrichten würde, wenn wir nur erreichen könnten, daß man sie nach Silesia schickt, richtig?«
Houseman nickte. Offenbar stimmte er Hauptmann in diesem Punkt nur deswegen zu, weil er den Gedanken verlockend fand, seine verhaßte Feindin in einen Einsatz zu schicken, bei dem sie mit großer Wahrscheinlichkeit ums Leben käme.
»Also gut. Gleichzeitig sollten wir uns im klaren sein, daß Harrington in den Reihen der Navy noch immer sehr beliebt ist. Die Admiralität täte nichts lieber, als Harrington wieder in manticoranische Dienste zu nehmen, richtig?«
Wieder nickte Houseman, und Hauptmann zuckte mit den Schultern.
»Nun, was glauben Sie wohl, würde geschehen, wenn wir vorschlügen, sie nach Silesia zu beordern? Denken Sie einen Augenblick lang darüber nach. Wenn die Opposition sie für dieses Kommando vorschlägt, glauben sie nicht auch, daß die Admiralität die Chance, Harrington zu ›rehabilitieren‹, auf der Stelle beim Schopf ergreifen würde?«
»Das nehme ich schon an«, stimmte Houseman säuerlich zu. »Aber was läßt Sie denn vermuten, daß Harrington annehmen würde, selbst wenn man ihr’s anböte? Sie steckt im Jelzin-System und läßt sich dort vergöttern.
Warum sollte sie ihre Position als zweithöchster Offizier dieser lächerlichen Navy aufgeben, um solch ein armseliges Kommando zu akzeptieren?«
»Weil die Navy von Grayson ›lächerlich‹ ist«, entgegnete Hauptmann in beschwörendem Ton, aber das entsprach nicht den Tatsachen. Allein Housemans verbitterter Haß auf alles, was mit dem Jelzin-System zusammenhing, verleitete Hauptmann zu einer derart abstrusen Behauptung. Die Grayson Space Navy war zu einer achtunggebietenden Flotte angewachsen, deren Kern aus zehn ehemals havenitischen Superdreadnoughts und den ersten drei Wallschiffen bestand, die im System gebaut worden waren. Vom Standpunkt des persönlichen Ehrgeizes betrachtet, wäre Harrington wirklich verrückt, ihre Position als zweithöchster Offizier der rasant expandierenden GSN aufzugeben und ihren Dienst als gewöhnlicher Captain in der manticoranischen Navy wiederaufzunehmen. Aber trotz des Hasses, den Hauptmann ihr entgegenbrachte, verstand er Honor Harrington weitaus besser als Houseman jemals hoffen konnte. Was immer auch aus ihr geworden sein mochte, Harrington war gebürtige Manticoranerin und hatte drei Jahrzehnte darauf verwendet, sich im Dienste der Königin eine Karriere aufzubauen und einen Ruf zu erwerben. Sie besaß sowohl persönlichen Mut als auch ein unleugbares, tief verwurzeltes Pflichtgefühl, das mußte selbst Hauptmann widerstrebend einräumen, und dieses Pflichtgefühl erhielt Rückendeckung durch das unvermeidliche Bedürfnis, sich zu rechtfertigen und wieder den Platz in der Navy einzunehmen, von dem ihre Feinde sie vertrieben hatten. Oh nein: Wenn man ihr das Kommando über die silesianische Mission anbot, dann würde sie es übernehmen; aber es hatte keinen Sinn, Houseman Harringtons wahre Gründe dafür erklären zu wollen.
»In der Navy von Grayson mag sie Froschkönigin sein«, sagte er daher, »aber im Vergleich zu unserer Navy ist ihr Teich nur eine Pfütze. Die ganze Flotte hat keine zwei vollwertige Schlachtgeschwader, Reginald – das wissen Sie besser als ich. Wenn sie jemals ein echtes Flottenkommando übernehmen möchte, dann kann sie das nur an einem Ort tun: hier bei uns.«
Houseman grunzte und stürzte seinen Wein in einem einzigen Schluck hinunter, senkte das leere Glas und starrte hinein. Hauptmann spürte den Widerstreit der Emotionen, der in seinem Gegenüber tobte, und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ich weiß, daß ich viel von Ihnen verlange, Reginald«, sagte er mitfühlend. »Es erfordert Größe, auch nur in Betracht zu ziehen, jemanden wieder zur Uniform der Königin zu verhelfen, von dem man selbst angegriffen worden ist. Aber ich weiß niemanden, der für diese Mission besser geeignet wäre als Harrington. Und da es immer bedauerlich ist, wenn ein Offizier in Pflichterfüllung das Leben verliert, werden Sie mir zustimmen, daß jemand, der so instabil ist wie Harrington, einen geringeren Verlust bedeutete als viele andere.«
Bei jedem anderen wäre dieser letzte Stachel zu offensichtlich gewesen, aber das neuerliche Flackern in Housemans Augen beruhigte Hauptmann sogleich.
»Warum sprechen Sie ausgerechnet mit mir darüber?« fragte er nach kurzem Schweigen, und Hauptmann machte eine gleichmütige Geste.
»In der Freiheitspartei hört man auf Ihre Familie. Folglich verfügen Sie innerhalb der Opposition über großen Einfluß. Angesichts dessen, daß Sie Militärexperte sind und mit Harrington schon … Erfahrung haben, wird Ihre Empfehlung bei anderen, die vielleicht ebenfalls Zweifel hegen, großes Gewicht besitzen. Wenn Sie mit dem Vorschlag an die Gräfin von New Kiev heranträten, würde die Parteiführung ihn wohl ernst nehmen müssen.«
»Sie erbitten eine ganze Menge, Klaus«, sagte Houseman gewichtig.
»Dessen bin ich mir bewußt«, erklärte Hauptmann. »Aber wenn Harrington von der Opposition vorgeschlagen wird, können Cromarty, Morncreek und Caparelli nicht anders, als die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen.«
»Was ist mit den Konservativen und Progressiven?« konterte Houseman. »Ihren Peers wird die Idee genausowenig gefallen wie der Gräfin von New Kiev.«
»Ich habe bereits mit dem Baron von High Ridge gesprochen«, gab Hauptmann zu. »Er ist alles andere als zufrieden und weigert sich, die Konservativen offiziell für Harrington stimmen zu lassen, aber hat eingewilligt, den Fraktionszwang aufzuheben und den Peers die Entscheidung freizustellen.« Houseman verengte die Augen zu Schlitzen, dann nickte er langsam, denn sie beide wußten, daß die »Aufhebung des Fraktionszwangs etc.« in Wirklichkeit eine diplomatische Fiktion darstellte, die es High Ridge gestattete, seine offizielle Position zu wahren, während er gleichzeitig seine Gefolgsleute instruierte, den Antrag zu unterstützen. »Was die Progressiven angeht«, sprach Hauptmann weiter, »so haben Earl Gray Hill und Lady Descroix eingewilligt, sich der Stimme zu enthalten. Keiner von ihnen würde jedoch Harrington jemals unterstützen. Deshalb ist es so wichtig, daß Sie und Ihre Familie mit New Kiev darüber sprechen.«
»Ich verstehe.« Houseman zupfte sich einen endlosen Augenblick lang an der Unterlippe, dann seufzte er tief. »Also gut, Klaus. Ich will mit ihr sprechen. Es geht mir verdammt gegen den Strich, das können Sie mir glauben, aber ich beuge mich Ihrem Urteil und werde tun, was in meiner Macht steht.«
»Vielen Dank, Reginald, ich weiß das zu schätzen«, sagte Hauptmann aufrichtig und ruhig. Er drückte Houseman die Schulter, verabschiedete sich mit einem Nicken und ging mit seinem leeren Whiskeyglas an die Bar zurück. Er brauchte einen frischen Drink, um sich den Nachgeschmack aus dem Mund zu spülen, nachdem er auf der Woge von Housemans Vorurteilen mitgeschwommen war – die Hände sollte er sich vielleicht auch waschen. Aber das Ergebnis war die Überwindung wert. Vier bewaffnete Handelskreuzer würden im großen und ganzen vermutlich nicht viel ausrichten, doch immerhin bestand wenigstens die Möglichkeit, und wenn jemand wie Harrington die Q-Schiffe kommandierte, dann standen die Chancen erheblich höher.
Weitaus wahrscheinlicher war natürlich, daß sie den Tod fand, bevor sie wirklich etwas erreichte; das hatte er Houseman schließlich lang und breit auseinandergesetzt.
Als er dem Barkeeper das Glas reichte, lächelte er zufrieden, denn eines war gewiß: Ob Harrington nun die Piraten aufhielt oder bei dem Versuch das Leben ließ – gewinnen würde in jedem Fall Klaus Hauptmann.