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Jede halbautomatische Pistole galt als technische Antiquität, doch auf diese traf es noch mehr zu als auf die meisten anderen. Um genau zu sein, war ihr Typ über zweitausend T-Jahre alt, denn es handelte sich um die exakte Replik einer Waffe, die man früher als ›Modell 1911A1‹ kannte und die eine ›ACP-Patrone vom Kaliber.45‹ abfeuerte. Eine große Waffe; unter Graysons Schwerkraft von 1,17 Gravos wog sie ungeladen etwas weniger als 1,3 Kilogramm. Der Rückstoß war unglaublich. Das Alter der Pistole machte sie nicht gerade leiser, und trotz der Ohrenschützer zuckten einige Waffenträger auf den benachbarten Schießständen zusammen, als das 11,43-Millimeter-Geschoß mit nur 275 Metern pro Sekunde auf die Scheibe zuraste. Eine armselige Geschwindigkeit, selbst gegenüber den automatischen Pistolen, auf die sich die Graysons beschränken mußten, bevor das Jelzin-System in die Allianz eingetreten war, und sehr viel langsamer als die über zweitausend Mps, mit denen ein moderner Pulser seine Bolzen ausspuckte. Aber die massive, fünfzehn Gramm schwere Kugel schlug am Ende ihrer fünfundzwanzig Meter weiten Reise dennoch mit beträchtlicher kinetischer Energie ein. Das Stahlmantelgeschoß durchbrach das »Schwarze« der ebenfalls anachronistischen Papierzielscheibe und zerfetzte es zu herabrieselnden weißen Fragmenten, dann verging das Projektil mit einem feurigen Blitz, als es in den »Kugelfang« aus fokussierter Gravitationsenergie sauste und verglühte.
Das tiefe, grollende Bamm! der archaischen Faustfeuerwaffe übertönte das hohe, singende Jaulen der Pulser noch einmal, dann ein drittes, ein viertes Mal – sieben widerhallende Schüsse donnerten in präzisen Abständen, und dann war das Zentrum der Zielscheibe verschwunden; nur noch ein gähnendes Loch befand sich dort.
Admiral Lady Dame Honor Harrington, die Gräfin und Gutsherrin von Harrington, senkte die Pistole aus ihrer bevorzugten beidhändigen Feuerhaltung und warf einen Blick auf die Waffe, um sicherzustellen, daß das Verschlußstück sich über dem leergeschossenen Magazin in offener Stellung arretiert hatte. Sie legte die Waffe auf die Theke vor sich und nahm dann Schutzbrille und Ohrenschützer ab. Major Andrew LaFollet, ihr persönlicher Waffenträger und Chefleibwächter, stand hinter ihr, und auch er trug einen Augen- und Gehörschutz. Er schüttelte den Kopf, als Lady Harrington auf eine Taste drückte und die Zielscheibe summend auf sie zufuhr. Die Handkanone war ein Geschenk von Hochadmiral Wesley Matthews, und LaFollet fragte sich, wie der Oberkommandierende der GSN wohl auf den Gedanken gekommen war, der Gutsherrin könnte solch eine outrierte Waffe gefallen. Wie auch immer, er hatte recht behalten. Wenigstens einmal pro Woche nahm Lady Harrington das Treibladung speiende, trommelfellzerfetzende Ungetüm mit auf den Schießstand, ob nun an Bord ihres Superdreadnoughts oder hier auf dem kleinen Schießplatz der Gutsgarde von Harrington. An dem anschließenden Reinigungsritual nach jeder Schießübung schien sie mindestens so viel Freude zu haben wie daran, die Ohren aller Umstehenden mit dem Ding zu malträtieren.
Sie legte die Zielscheibe auf den Tisch, zog ihr Taschenlineal hervor, maß die drei Zentimeter durchmessende Einschußgruppe ab und nickte zufrieden. Trotz seiner Vorbehalte gegenüber der donnernden archaischen Waffe fand LaFollet die Genauigkeit, mit der die Gutsherrin damit umzugehen wußte, gleichermaßen beeindruckend wie beruhigend. Jeder, der sie auf dem Duellplatz von Landing City gesehen hatte, wußte, daß sie ihr Ziel stets traf, aber weil LaFollet für ihr Leben verantwortlich war, zeigte er sich stets erleichtert, wenn sie unter Beweis stellte, daß sie sehr gut auf sich selber aufzupassen vermochte.
Der Gedanke ließ ihn amüsiert schnauben. Wenn sie dastand wie eine schlanke, grün-weiße Flamme in ihrem knöchellangen Rock und der Weste, die an der Taille abschloß, und wenn ihr das seidige braune Haar lose über die Schultern fiel, mochte man nicht glauben, daß sie vermutlich die gefährlichste Person auf dem Schießplatz war – Andrew LaFollet eingeschlossen. Sie trainierte nach wie vor regelmäßig mit ihren Waffenträgern, und obwohl diese gewaltige Fortschritte in Lady Harringtons bevorzugter Kampfsportart, dem Coup de vitesse, gemacht hatten, warf sie jeden von ihnen mit unfaßbarer Leichtigkeit auf die Matte.
Mit ihren Körpergröße von etwas mehr als hundertneunzig Zentimetern überragte sie selbstverständlich alle Graysons, und die Schwerkraft ihrer Heimatwelt, die den Gravitationstrichter des Planeten Grayson um ungefähr fünfzehn Prozent übertraf, hatte ihr beeindruckende Reflexe und eine ehrfurchtgebietende Körperkraft verliehen. Zwar war sie schlank, aber der sehnige Körper bestand überwiegend aus festen, trainierten Muskeln. Durch die Prolong-Behandlung dritter Generation, die sie als Kind erhalten hatte, sah sie zwar aus wie LaFollets kleine Schwester, die gerade erst der Pubertät entsprungen war, aber in Wirklichkeit war sie dreizehn T-Jahre älter als er und hatte mehr als sechsunddreißig Jahre den Coup trainiert. Deshalb war sie allen überlegen: Sie trainierte schon seit LaFollets Geburt, doch wenn er in ihr jugendlich wirkendes, exotisch schönes Gesicht blickte, wollte er es zumeist kaum glauben.
Sie war mit der Auswertung der Zielscheibe fertig und zog einen Stift aus der Tasche. Dann notierte sie auf der Scheibe das Datum, legte sie zu einem Dutzend weiterer perforierter Blätter und schob die Pistole in den Aufbewahrungskasten. Sie legte die beiden Ersatzmagazine dazu und verschloß den Kasten, schob ihn sich unter den Arm, steckte die Schutzbrille in eine Tasche und nahm die Ohrenschützer auf. Als LaFollet ein erleichtertes Seufzen unterdrücke, funkelten die mandelförmigen Augen, die sie von ihrer chinesischen Mutter geerbt hatte.
»Fertig, Andrew«, sagte sie, und gemeinsam gingen sie vom Schießplatz zum Hintereingang von Harrington House. Ein schlanker, sechsgliedriger sphinxianischer Baumkater mit grau-cremefarbenem Fell erhob sich von dem sonnenbeschienenen Flecken, wo er friedlich gelegen hatte, streckte sich träge und watschelte herbei, während LaFollet sich die Ohrenschützer abnahm. Lady Harrington lachte leise.
»Nimitz scheint Ihre Meinung über den Geräuschpegel zu teilen«, stellte sie fest und beugte sich vor, um den Kater aufzunehmen. Nimitz stimmte ihr mit einem fröhlichen Blieken zu, und lachend setzte sie ihn sich auf die Schulter. Dort nahm er seine gewohnte Haltung ein – die Handpfoten des mittleren Gliederpaars senkten zentimeterlange Krallen in die gepolsterte Schulter ihrer Weste, während die Echtpfoten sich gleich unter dem Schulterblatt eingruben. Der ‘Kater schwenkte den flauschigen Schwanz, als LaFollet Honor anlächelte.
»Es geht nicht nur um den Lärm, Mylady. Es ist auch das Energieniveau. Wenn ich jemals eine Waffe gesehen habe, die mit roher Gewalt arbeitet, dann diese.«
»Stimmt, aber es macht mehr Spaß als mit einem Pulser«, entgegnete Honor. »In einem Gefecht würde ich etwas Moderneres bevorzugen, wenn ich ehrlich sein soll, aber die Pistole erhebt ihre Stimme doch mit Autorität, oder nicht?«
»Da kann ich Ihnen nicht widersprechen, Mylady«, gab LaFollet zu. Sein Blick schweifte umher auf der Suche nach einer Bedrohung, wie es seine Pflicht war, eine Gewohnheit, die er selbst auf dem sicheren Gelände von Harrington House nicht ablegte. »Und ich wäre mir gar nicht sicher, ob diese Kanone im Kampf wirklich so nutzlos wäre. Immerhin könnte allein dieser Höllenlärm Ihnen den Vorteil der Überraschung verschaffen.«
»Da haben Sie wahrscheinlich recht«, gab sie zu. Die künstlichen Nerven in ihrer linken Gesichtshälfte verzogen Honors Lippen zu einem ganz leicht schiefen Lächeln, aber ihre Augen tanzten. »Vielleicht sollte ich den Gardisten die Pulser wieder abnehmen und den Hochadmiral fragen, ob er mir nicht genug davon für Sie alle verschaffen kann.«
»Vielen Dank, Mylady, aber ich bin mit meinem Pulser überaus zufrieden«, erwiderte LaFollet mit außerordentlicher Höflichkeit. »Zehn Jahre lang habe ich selbst einen Chemikalienbrenner getragen, wenn er auch nicht so … na, beeindruckend war wie Ihrer, dann haben Sie uns mit Pulsern modernisiert. Jetzt bin ich verwöhnt.«
»Behaupten Sie hinterher nicht, ich hätte es Ihnen nicht angeboten«, scherzte sie und nickte dem Wächter zu, der ihnen die Hintertür von Harrington House öffnete.
»Werde ich nicht«, versicherte LaFollet ihr. Die Tür schloß sich und schnitt die Geräusche vom Schießplatz ab. »Wissen Sie, Mylady, ich wollte Sie etwas fragen«, sagte er dann. Honor verzog eine Augenbraue und forderte ihn mit einem Nicken zum Weitersprechen auf. »Auf Manticore, noch vor Ihrem Duell mit Summervale, versuchte Colonel Ramirez mir gegenüber zu verbergen, wie nervös er wirklich war. Ich sagte ihm, daß ich Ihre Schießübungen beobachtet hätte und daß Sie mit einer Faustfeuerwaffe gewiß keine Anfängerin seien, aber ich habe mich immer gefragt, wo Sie gelernt haben, so gut damit umzugehen.«
»Ich bin auf Sphinx groß geworden«, antwortete Honor, und nun wölbte LaFollet fragend eine Augenbraue. »Sphinx wurde vor fast sechshundert T-Jahren besiedelt«, erklärte sie, »aber ein Drittel des Planeten gehört immer noch der Krone. Das heißt, es ist unberührte Wildnis, und das Gehöft Harrington grenzt an das Copper-Walls-Naturschutzgebiet. Viele Wesen auf Sphinx hätten nichts dagegen herauszufinden, wie Menschen eigentlich so schmecken, und deshalb nehmen die meisten Erwachsenen und älteren Kinder Handwaffen mit, wenn sie ins Outback gehen.«
»Aber doch keine Antiquitäten wie diese da, das möchte ich wetten«, wandte LaFollet ein und deutete auf den Pistolenkasten unter ihrem linken Arm.
»Nein«, gab sie zu. »Daran ist mein Onkel Jacques schuld.«
»Onkel Jacques?«
»Der ältere Bruder meiner Mutter. Er kam von Beowulf für ein Jahr zu Besuch, als ich … na, zwölf T-Jahre alt war, und er ist Mitglied der Gesellschaft für Kreativen Anachronismus. Das ist eine eigenartige Gruppe, die sich ein Vergnügen daraus macht, die Vergangenheit so Wiederaufleben zu lassen, wie sie hätte sein sollen. Onkel Jacques’ Lieblingsperiode war das zwote Jahrhundert Ante-Diaspora – äh, das zwanzigste Jahrhundert«, fügte sie hinzu, denn auf Grayson benutzte man weiterhin den Gregorianischen Kalender. »In dem Jahr war er Pistolengroßmeister der Planetaren Reserve. Er war so gutaussehend wie Mutter schön ist, und ich habe ihn verehrt.« Mit einem raschen Grinsen rollte sie die Augen. »Ich verfolgte ihn wie ein liebeskrankes Schoßhündchen, was ihn in den Wahnsinn getrieben haben muß, aber er ließ es sich nicht anmerken. Statt dessen lehrte er mich, mit etwas zu schießen, das er ›richtige Pistolen‹ nannte, und …« – sie lachte – »Nimitz konnte den Mündungsknall schon damals nicht ausstehen.«
»Das liegt daran, daß Nimitz ein kultiviertes und urteilsfähiges Wesen ist, Mylady.«
»Ha! Jedenfalls bin ich in Übung geblieben, bis ich zur Akademie ging, und dort wollte ich mich zuerst der Pistolenmannschaft anschließen. Aber andererseits konnte ich schon recht gut mit Schußwaffen umgehen, als ich das Aufnahmeexamen bestand, und den Coup trainierte ich erst seit vier Jahren; deshalb beschloß ich, beim waffenlosen Kampf zu bleiben, und fand mich schließlich in der Akademiemannschaft für Kampfsport wieder.«
»Ich verstehe.« LaFollet ging ein paar Schritte, dann grinste er breit. »Falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte, Mylady, Sie haben nicht viel mit einer typisch graysonitischen Dame gemein. Schußwaffen, Kampfsport … Wenn’s das nächste Mal haarig wird, sollte ich mich wohl lieber hinter Ihnen verstecken.«
»Aber Andrew! Wie können Sie nur in solch schockierender Manier zu Ihrer Gutsherrin sprechen?«
LaFollet lachte leise, obwohl er ihr im Stillen recht gab. Unter gewöhnlichen Umständen hätte kein wohlerzogener männlicher Grayson auch nur daran gedacht, mit einer wohlerzogenen Frau über Gewalt zu diskutieren. Doch Lady Harrington war nicht als Grayson aufgewachsen und erzogen worden, und im Übrigen befanden sich die Regeln, die angemessenes Betragen festlegten, ohnehin im Umbruch. Einem Außenstehenden mußte dieser Wandlungsprozeß langsam erscheinen, aber ein Grayson, dessen Leben voll und ganz auf der Tradition basierte, fühlte sich, als hätte ihn die Entwicklung in den vergangenen sechs T-Jahren mit schwindelerregender Geschwindigkeit überrollt. Der Grund für all das war die Frau, die Andrew LaFollet mit seinem Leben beschützte.
Merkwürdig, aber sie war sich der Veränderung wohl viel weniger bewußt als irgend jemand sonst auf diesem Planeten, denn sie entstammte einer Gesellschaft, in der allein der Gedanke auf Unverständnis gestoßen wäre, Mann und Frau könnten als ungleich betrachtet werden. Aber die zutiefst traditionalistische, patriarchalische Gesellschaft und Religion Graysons hatte sich in einem Jahrtausend der Isolation entwickelt, auf einer Welt, deren hoher Schwermetallanteil den Planeten selbst zum größten Feind seiner Bewohner machte. Die eherne Stärke dieser Traditionen hatte zur Folge, daß jede Veränderung nur sehr langsam und alles andere als über Nacht vonstatten gehen konnte, aber LaFollet war sich ständig der allmählichen, schleichenden Anpassung bewußt, die ringsum mit kleinen Schritten, aber unaufhaltsam vor sich ging. Meist befand er diese Veränderungen für positiv. Zwar waren sie nicht immer bequem und schon gar nicht von allen begrüßt – wie vor einem Jahr die Gruppe religiöser Fanatiker unter Beweis gestellt hatte, die seine Gutsherrin zu vernichten versuchte. Dennoch war LaFollet sich so gut wie sicher, daß Lady Harrington überhaupt nicht wußte, wie sehr sie und die anderen Manticoranerinnen, die in der Navy dienten, den jüngeren weiblichen Graysons ein Vorbild waren. Dennoch zeigten sich auf Grayson nicht die geringsten Anzeichen dafür, daß der Planet sich in einen Abklatsch des Sternenkönigreichs verwandeln könnte. Vielmehr entwickelten seine Bewohner völlig neue Verhaltensmuster, und LaFollet fragte sich oft, wohin dies wohl führen würde.
Sie gelangten an das Ende des kurzen Korridors und nahmen den Aufzug zum zweiten Obergeschoß von Harrington House, wo sich Honors Privatgemächer befanden. Ein älterer Mann mit bereits schütterem, sandfarbenem Haar und grauen Augen erwartete sie schon, als die Aufzugtüren sich öffneten, und Honor legte den Kopf schräg.
»Hallo, Mac. Was kann ich für Sie tun?« fragte sie.
»Wir haben soeben eine Nachricht aus der Umlaufbahn erhalten, Ma’am.« Wie Honor trug auch James MacGuiness Zivilkleidung, was seiner Rolle als Haushofmeister angemessen war, aber er war das einzige Mitglied ihres engen Kreises, der sie nicht ständig mit ›Mylady‹ ansprach. Dafür gab es einen einfachen Grund; Master Chief Steward’s Mate MacGuiness war seit mehr als acht Jahren ihr persönlicher Steward und – wie sie gern sagte – oberster Behüter, und das machte ihn zum einzigen Angehörigen des Hauses, der sie gekannt hatte, bevor sie den Ritterschlag empfing, lange bevor sie Gräfin und Gutsherrin wurde. Vor Besuchern redete er sie gewöhnlich mit »Mylady« an, was er im Gegensatz zu den Graysons »Milady« aussprach, wie im Sternenkönigreich üblich. Im privaten Kreis hingegen neigte er zur älteren, militärischen Anrede.
»Was für eine Nachricht?«
MacGuiness lächelte Honor breit an. »Von Captain Henke, Ma’am. Die Agni hat vor drei Stunden die Alpha-Transition gemacht.«
»Mike kommt her?« fragte Honor erfreut. »Das ist ja wundervoll! Wann erwarten wir sie?«
»Sie landet in etwa einer Stunde, Ma’am.« Etwas an MacGuiness’ Stimme klang seltsam, und Honor blickte ihn fragend an. »Sie kommt nicht allein, Ma’am«, sagte der Steward. »Admiral White Haven ist an Bord und läßt fragen, ob es Ihnen paßt, wenn er Captain Henke nach Harrington House begleitet.«
»Earl White Haven? Hier?« Honor blinzelte, und MacGuiness nickte. »Hat er etwas über den Grund seines Besuches gesagt?«
»Nein, Ma’am. Er hat nur gefragt, ob Sie ihn empfangen könnten.«
»Natürlich kann ich das!« Einen Augenblick lang verharrte sie nachdenklich, dann gab sie sich einen Ruck und reichte MacGuiness den Pistolenkasten. »Ich glaube, unter den gegebenen Umständen sollte ich mich ein wenig frisch machen. Wären Sie so freundlich, die Waffe für mich zu reinigen, Mac?«
»Aber selbstverständlich, Ma’am.«
»Vielen Dank. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn Sie Miranda Bescheid gäben, daß ich sie brauche.«
»Das habe ich bereits, Ma’am. Sie sagte, sie würde zu Ihnen in den Ankleideraum kommen.«
»Dann sollte ich sie nicht warten lassen.« Honor nickte dankend und eilte den Korridor hinunter zu ihrer wartenden Zofe. Fieberhaft überlegte sie, was White Haven wohl von ihr wollte.
Ein Klopfen am Rahmen der offenen Tür warnte Honor, und sie blickte lächelnd auf, als MacGuiness ihre Besucher in das geräumige, sonnige Büro geleitete. Bis auf Nimitz und LaFollet, dessen ständige Präsenz das graysonitische Gesetz verlangte, war Honor allein, denn Howard Clinkscales, ihr Regent und Geschäftsführer, war zu einer Konferenz mit Kanzler Prestwick nach Austin City gefahren. Honor erhob sich und reichte der schlanken Frau, deren Haut kaum heller war als ihre weltraumschwarze RMN-Uniform, die Hand.
»Mike! Warum hast du mir nicht Bescheid gegeben, daß du kommen würdest?« fragte sie, als die andere Frau Honors Hand mit festem Griff umschloß.
»Weil ich es selber nicht wußte.« Die rauchige und gleichzeitig weiche Altstimme der Ehrenwerten Captain (Junior Grade) Michelle Henke zeigte ironische Belustigung. Mike lächelte ihre Gastgeberin an. Sie war eine Cousine ersten Grades von Königin Elisabeth III. und zeigte die unverkennbaren Gesichtszüge des Hauses Winton. Auf der Akademie, auf Saganami Island, war sie Honors Stubenkameradin und infolgedessen Lehrerin im Umgang mit Menschen gewesen. Trotz der gewaltigen sozialen Kluft zwischen ihnen war sie Honors engste Freundin, und aus Henkes Augen leuchtete Wärme. »Die Agni wurde der Sechsten Flotte zugeteilt, und Admiral White Haven hat uns einfach als Taxi benutzt.«
»Ich verstehe.« Honor drückte noch einmal Henkes Hand, dann wandte sie sich dem hochgewachsenen, breitschultrigen Admiral in ihrer Begleitung zu. »Mylord«, begrüßte sie ihn erheblich förmlicher und reichte ihm die Hand. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen.«
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Mylady«, antwortete White Haven ebenso formell und beugte sich vor, um ihr die Hand zu küssen, anstatt sie zu schütteln. Honor spürte, wie ihre Wangen sich röteten. Auf Grayson war es angemessen, eine Frau so zu begrüßen, und sie hatte sich mittlerweile in den meisten Situationen damit abgefunden. Aber ausgerechnet White Havens Handkuß flößte ihr Unbehagen ein. Verstandesmäßig war ihr klar, daß sie durch ihren Rang als Gutsherrin gesellschaftlich über ihm stand, aber ihr Titel war kaum sechs Jahre alt, während die Grafschaft von White Haven bis zur Gründung des Sternenkönigreichs zurückreichte, und zudem war White Haven einer der respektiertesten Flaggoffiziere der Navy, in der Honor mehr als dreißig Jahre lang gedient hatte.
Er straffte den Rücken, und seine blauen Augen funkelten, als verstünde er ihre Empfindungen genau, und schölte sie dafür. Sie hatte ihn fast drei T-Jahre lang nicht mehr gesehen – genauer gesagt, seit dem Tag nicht mehr, an dem sie auf Halbsold ins Exil gegangen war. Innerlich war sie erschrocken über die neuen, tiefen Linien, die sich rings um diese funkelnden Augen eingegraben hatten, aber sie lächelte ihn nur an.
»Bitte, setzen Sie sich«, forderte sie ihre Gäste auf und wies auf die Stühle am Couchtisch. Nimitz sprang von seiner Ruhestange an der Wand herab, als die Besucher der Einladung folgten, und Henke lachte auf, als er über die Tischplatte herbeitappte und eine starke, sehnige Echthand zu ihr ausstreckte.
»Schön, dich wiederzusehen, Stinker«, sagte sie und schüttelte ihm die dargebotene Hand. »In letzter Zeit irgendwelche guten Sellerieplantagen geplündert?«
Nimitz verzog über ihre Auffassung von Humor nur die Nase, aber über die telempathische Verbindung spürte Honor sein Vergnügen an dem Geplänkel. Selbst die Einheimischen der beiden anderen bewohnten Planeten des Sternenkönigreichs, Manticore und Gryphon, neigten immer wieder dazu, die Intelligenz sphinxianischer Baumkatzen zu unterschätzen. Mike und Nimitz hingegen waren alte Freunde. Sie wußte so gut wie Honor, daß Nimitz klüger war als die meisten zweibeinigen Personen und daß er, obwohl er keine menschlichen Laute zu formen und sprechen vermochte, mehr Standardenglisch verstand als die meisten heranwachsenden Manticoraner.
Außerdem war Henke die Sucht bekannt, die jede ‘Katz teilte, und mit einem Grinsen fischte sie einen Selleriestengel aus der Uniformtasche und reichte ihn Nimitz. Der ‘Kater packte ihn fröhlich und begann zu kauen, bevor seine Gefährtin auch nur ein Wort dazu äußern, geschweige denn einen Einwand erheben konnte. Honor seufzte.
»Noch keine fünf Minuten bist du hier, und schon ermutigst du ihn wieder! Du bist ein schlechter Mensch, Mike Henke.«
»Muß am verderblichen Einfluß meiner Freunde liegen«, entgegnete Henke heiter, und nun mußte Honor lachen.
Hamish Alexander lehnte sich zurück und betrachtete die beiden Frauen aufmerksam, aber unaufdringlich. Das letzte Mal hatte er Honor Harrington nach dem Duell gesehen, bei dem sie Pavel Young getötet hatte, den Earl von North Hollow. Dieses Duell, daß sie die Karriere gekostet hatte, hätte sie beinahe mit ihrem Leben bezahlt, denn North Hollow hatte sich früher als erlaubt umgedreht und ihr in den Rücken geschossen. Bei ihrer letzten Begegnung waren Captain Harringtons linker Arm und die chirurgisch regenerierte Schulter noch bewegungsunfähig gewesen. Aber die körperliche Verwundung verblaßte zur Bedeutungslosigkeit gegenüber der seelischen Qual, die sich ihr tief eingeprägt hatte.
White Havens Blick verdüsterte sich, als er an ihren Schmerz dachte. Der bezahlte Mord an dem Mann, den sie geliebt hatte, war mit dem Tod North Hollows vielleicht gerächt gewesen, aber das brachte Paul Tankersley nicht ins Leben zurück. Die Rache hatte Lady Harrington zwar geholfen, den Verlust zu überleben, ihren Schmerz hatte die geübte Vergeltung jedoch in keiner Weise gemindert. White Haven hatte sich mit aller Kraft bemüht, das Duell zu verhindern, weil er wußte, welche Folgen es für Captain Harringtons Karriere haben würde, doch war dieser Versuch ein Fehler gewesen. Sie hatte das Duell ausfechten müssen, ihr war keine andere Wahl geblieben. Für sie war der Zweikampf einem Akt der Gerechtigkeit gleichgekommen, den sie aufgrund ihrer Erziehung und allem, was sie ausmachte, unbedingt hatte verwirklichen müssen. White Haven hatte das schließlich eingesehen, sosehr er die Konsequenzen auch bedauerte. Er fragte sich, ob ihr überhaupt klar war, wie vollkommen er ihre Motive begriff – oder wieviel er über Trauer und Verlust wußte. Seit mehr als fünfzig T-Jahren war White Havens Frau am ganzen Körper gelähmt. Vor dem unglücklichen Flugwagenunfall war Emily Alexander die beliebteste HD-Schauspielerin im ganzen Sternenkönigreich gewesen, und der Schmerz, den White Haven auch nach so langer Zeit noch immer empfand, hatte ihn alles über die Qualen gelehrt, die der Liebe entspringen konnten, denn er mußte mit ansehen, wie ihre unerschütterliche Willenskraft, ihr Mut in einem gebrechlichen, nutzlosen Kerker aus Fleisch vor sich hin vegetierte. Die Honor Harrington, die er nun vor sich hatte, war immerhin nicht mehr die von der Trauer niedergeschmetterte Frau mit dem weißen Gesicht, von der er sich an Bord des Schlachtkreuzers Nike verabschiedet hatte. Zum allerersten Mal sah er sie nicht in Uniform und war fasziniert, wie wohl sie sich in graysonitischer Kleidung zu fühlen schien – und wie majestätisch sie wirkte. Ob sie überhaupt wußte, wie sehr sie sich verändert hatte? Wie sehr sie gewachsen war? White Haven kannte sie nicht anders denn als hervorragenden Offizier, doch hier auf Grayson hatte sie noch etwas hinzugewonnen. Sie war nur halb so alt wie er, aber während sie mit Captain Henke scherzte, war White Haven sich dennoch deutlich der unaufdringlichen Macht ihrer Gegenwart bewußt. In ihrem Lachen nahm er einen melancholischen Unterton wahr, das Wissen, wie sehr ein Verlust schmerzen konnte. Die unterschwellige Trauer vergrößerte nur ihre Kraft, so als hätte der durchlittene Schmerz ihren stählernen Kern noch gehärtet, und darüber war White Haven froh. Froh für sie und froh für die Royal Manticoran Navy. Viel zu wenige Offiziere der Königin besaßen Captain Harringtons Kaliber, und mehr als alles andere wollte White Haven sie wieder in manticoranischer Uniform sehen – selbst wenn das bedeutete, daß sie den Breslau-Einsatz annehmen mußte.
Das Geplänkel mit Henke war beendet, und Captain Harrington blickte auf.
»Verzeihen Sie, Mylord. Captain Henke und ich sind alte Kumpane, aber ich hätte mich davon nicht ablenken lassen dürfen. Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?«
»Ich bin als Bote gekommen, Dame Honor«, antwortete er. »Ihre Majestät bat mich, mit Ihnen zu sprechen.«
»Ihre Majestät?« Als der Earl nickte, setzte Honor sich aufrechter hin.
»Im Auftrag Ihrer Majestät soll ich Sie bitten, die Wiedereinberufung in den aktiven Dienst zu akzeptieren, Mylady«, erklärte er ruhig, und das helle Funkeln, das in ihren schokoladenbraunen Augen aufblitzte, überraschte ihn. Sie wollte etwas sagen, schloß jedoch den Mund und zwang sich, tief durchzuatmen, dann erlosch der Funke wieder; er schwand nicht etwa, es war, als würde er von der Erkenntnis verdeckt, wer und was mittlerweile aus Captain Harrington geworden war. White Haven verspürte noch mehr Respekt für die Frau, zu der sie geworden war.
»Aktiver Dienst?« wiederholte sie nach kurzer Pause. »Selbstverständlich fühle ich mich geehrt, Mylord, aber gewiß sind Sie und Ihre Majestät sich der anderen Verpflichtungen bewußt, denen ich obliege?«
»Dessen sind wir uns bewußt, und die Admiralität ebenfalls«, antwortete White Haven mit unverändert ruhiger Stimme. »Nicht nur als Gutsherrin von Harrington, sondern auch als Offizier der graysonitischen Navy haben Sie im Jelzin-System Enormes geleistet, und deshalb hat Ihre Majestät mich angewiesen, Sie zu bitten, die Wiedereinberufung anzunehmen. Außerdem soll ich Ihnen versichern, daß Ihre Majestät Sie nicht – weder jetzt noch später – in den aktiven Dienst befehlen wird. Das Sternenkönigreich hat Sie sehr schlecht behandelt …«
Honor wollte etwas sagen, aber White Haven hob die Hand. »Bitte, Mylady. So ist es, und das wissen Sie auch. Um genau zu sein, hat das Oberhaus Sie herabgesetzt, und das ist eine Verunglimpfung Ihrer Person und Ihrer Uniform – Ihrer Ehre und der Ehre des Sternenkönigreichs. Ihre Majestät weiß das, der Herzog von Cromarty weiß das, die Navy weiß das, und die meisten unserer Bürger wissen es auch. Wohl niemand könnte es Ihnen verübeln, wenn Sie beschließen würden, hier zu bleiben, wo man Ihnen den verdienten Respekt erweist.«
Honors Gesicht flammte auf, aber ihre Verbindung zu Nimitz übermittelte ihr die Aufrichtigkeit des Earls.
Baumkatzen waren schon immer imstande gewesen, menschliche Emotionen zu lesen, aber soweit sie wußte, war sie der erste Mensch, der je die Gefühle einer ‘Katz wahrnehmen konnte – beziehungsweise, mit Nimitz’ Vermittlung, die Gefühle anderer Menschen. Diese Fähigkeit hatte sie erst im Laufe der vergangenen fünfeinhalb T-Jahre erlangt, und in gewisser Hinsicht versuchte sie noch immer, sich über die Auswirkungen klar zu werden. Obwohl sie diese Fähigkeit mittlerweile als Erweiterung ihrer Sinne betrachtete, gab es hin und wieder Situationen, in denen sie sich wünschte, die Gefühle anderer Personen nicht wahrnehmen zu können, und so war es auch jetzt. Sie wußte, daß es sich bei dieser Verbindung um eine Art ›Einbahnstraße‹ handelte. White Haven hatte keine Möglichkeit, ihre Reaktion auf seine Emotionen zu empfinden, aber der tiefe, mitfühlende Respekt, der von ihm auf sie überströmte, war ihr schrecklich peinlich. Was auch immer jemand anders von ihr denken mochte, sie kannte ihre eigenen Schwächen und Fehler viel zu gut, als daß sie auch nur einen Augenblick lang glaubte, einen solchen Respekt zu verdienen.
»Das habe ich nicht gemeint, Mylord«, sagte sie nach kurzem Nachdenken. Ihr Sopran klang ein wenig heiser, deshalb räusperte sie sich. »Ich verstehe durchaus die Reaktion des Oberhauses. Möglicherweise bin ich damit nicht einverstanden, aber ich kann die Lords verstehen, und als ich tat, was ich tat, war ich mir über ihre wahrscheinliche Reaktion im klaren. Nein, ich wollte sagen, daß ich meine Position als Gutsherrin und die damit einhergehenden Pflichten nicht einfach ignorieren kann, von meiner Bestallung in der GSN ganz zu schweigen, so gern ich auch wieder in den aktiven Dienst des Sternenkönigreichs zurückkehren würde.«
Sie blickte über die Schulter zu Andrew LaFollet, der schweigend und ausdruckslos hinter ihrem Stuhl stand, und spürte auch seine Gefühle. Sie waren verworrener als bei White Haven: grimmige Befriedigung bei der Vorstellung, daß man ihr gestatten wollte, ihre Stellung im manticoranischen Dienst zu retten; kühle Zustimmung bezüglich White Havens Einschätzung, wie man sie im Sternenkönigreich behandelt hatte; und schließlich unruhige Furcht, inwieweit eine Rückkehr in den aktiven Dienst der RMN ihre Sicherheit, für die LaFollet verantwortlich war, beeinträchtigen könnte. Aber sie empfand in keiner Weise, daß er sie in irgendeine Richtung drängen wollte. Er war ein graysonitischer Waffenträger. Seine Pflicht bestand darin, seine Gutsherrin zu beschützen, nicht darin, ihr zu sagen, was sie tun sollte. Das hielt ihn jedoch gelegentlich nicht von dem Versuch ab, Honor mit ebenso höflicher wie starrsinniger Hartnäckigkeit zu beeinflussen, wenn er eine Gefahr in ihrer Nähe wähnte, und er ergriff gegen jeden Maßnahmen, der sie beleidigte. Aber er hätte niemals versucht, sie zu steuern, indem er ihr ein schlechtes Gewissen machte. Er wollte, daß sie tat, was sie für richtig hielt, und daraus bezog sie eine gewisse Rückenstärkung, als White Haven weitersprach.
»Ich verstehe ganz genau, was Sie meinen, Mylady, und würdige es«, sagte der Earl. »Wie ich bereits betonte, bittet Ihre Majestät Sie lediglich, die Rückkehr in den aktiven Dienst in Erwägung zu ziehen, und hat die Admiralität angewiesen, Ihre Entscheidung hinzunehmen. Wenn Sie beschließen, die Wiedereinberufung abzulehnen, so bleiben Sie auf Halbsold, solange Sie wünschen – bis Sie sich zur Rückkehr entscheiden.«
»Was genau erwartet denn die Admiralität von mir?«
»Ich wollte, ich könnte nun sagen, daß man einen Auftrag für Sie hat, der Ihren Leistungen angemessen wäre, Mylady, aber gerade das kann ich eben nicht«, antwortete White Haven offen. »Wir stellen ein kleines Geschwader Q-Schiffe zusammen, das nach Silesia geschickt wird. Ich nehme an, Sie sind zumindest grob über die Verhältnisse dort informiert?« Als Honor nickte, fuhr er mit einem bedauernden Schulterzucken fort: »Es ist uns nicht möglich, dorthin einen Verband zu entsenden, wie ihn die Lage wirklich verlangt, aber die Admiralität sieht sich wachsendem Druck ausgesetzt, irgend etwas zu unternehmen. Mehr als der Einsatz dieser Q-Schiffe ist im Augenblick nicht möglich, aber da die Admiralität schon keinen angemessenen Verband zu entsenden vermag, würde man ihn gerne dem bestmöglichen Offizier unterstellen, in der Hoffnung, trotz der begrenzten Mittel etwas zu erreichen.«
Honor blickte ihm nachdenklich ins Gesicht und ließ durch Nimitz die Gefühle hinter White Havens Worten auf sich einwirken. Dann verzog sie den Mund zu ihrem schiefen Lächeln, aber diesmal fehlte der Miene jeder Humor.
»Ich glaube nicht, daß man mich allein aus diesem Grund einsetzen will, Mylord«, sagte sie treffsicher. White Haven nickte, ohne überrascht zu sein. Daß sie nicht langsam von Begriff war, hatte er schon immer gewußt.
»Offen gesagt, Mylady, haben Sie recht. Wenn Admiral Caparelli könnte, wie er will, dann würde er Sie zum Flaggoffizier befördern, wie Sie es verdient hätten, und Ihnen ein Geschwader Wallschiffe geben oder wenigstens Ihr eigenes Schlachtkreuzergeschwader. Aber da sind ihm die Hände gebunden. Die politischen Faktoren, die ihn gezwungen haben, Sie auf Halbsold zu setzen, bestehen nach wie vor, auch wenn sie in letzter Zeit ein wenig an Bedeutung verloren haben.«
»Warum sollte ich dieses Angebot dann annehmen?« fragte sie verärgert, was White Haven zufrieden zur Kenntnis nahm. Ihre mandelförmigen Augen blitzten. »Vergeben Sie mir meine Offenheit, Mylord, aber für mich klingt Ihr Vorschlag, als wolle man mir nichts weiter anbieten, als zum zwoten Mal auf einen Basilisk-Vorposten abgeschoben zu werden – mit ähnlich unzureichenden Mitteln wie beim erstenmal!«
»In gewisser Weise stimmt das«, gestand White Haven. »Doch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, handelt es sich um die Gelegenheit, wieder manticoranische Uniform zu tragen. Und so ungern ich das sage: es wird für absehbare Zeit die einzige Gelegenheit sein. Glauben Sie mir, die Admiralität hat sehr sorgfältig darüber nachgedacht, ob sie Ihnen dieses Kommando wirklich anbieten sollte. Weder die Baronin von Morncreek noch der Erste Raumlord haben es so deutlich gesagt, aber man würde Ihnen dieses Angebot gar nicht machen, wenn nicht andere Überlegungen eine Rolle spielen würden.«
»Und die wären?« fragte sie angespannt.
»Mylady, Sie sind einer der besten Offiziere der Navy«, antwortete White Haven ohne Umschweife. »Wenn Sie keine politischen Feinde hätten – die Sie sich hauptsächlich durch Ihre vorbildliche Pflichterfüllung gemacht haben –, dann würden Sie mittlerweile wenigstens den Rang eines Commodore bekleiden, und die Flotte weiß sehr genau, wieso das nicht der Fall ist. Aber nun haben gerade einige dieser Feinde Sie für den Posten vorgeschlagen.«
Vor Überraschung bebte Honor. Dann nickte sie bedächtig und lehnte sich zurück. Nimitz glitt mit einer fließenden Bewegung auf ihren Schoß, und sie streckte die Hand nach ihm aus. Der ‘Kater legte den Kopf schräg und richtete die grasgrünen Augen auf den Admiral. Honor hob Nimitz hoch, drückte ihn sich an die Brust und strich ihm mit einer Hand über das Fell. Mit einem Blick forderte sie White Haven auf weiterzureden.
»Es war die Gräfin von New Kiev, die Sie für das Kommando vorgeschlagen hat«, erklärte der Earl. »Wir können nicht hundertprozentig sagen, was sie dazu bewogen hat, aber ich bin mir sicher, daß sie lediglich vorgeschoben wurde. Der Rest der Opposition stimmte dem Antrag entweder zu oder enthielt sich jedes Kommentars. Der gegenwärtige Earl von North Hollow war der einzige Peer, der sich offen dagegen aussprach, aber nach dem Tod seines Bruders blieb ihm kaum eine andere Wahl – andernfalls hätte er offen zugegeben, was für ein Abschaum Pavel Young gewesen ist.
Wie schon gesagt, sind wir uns nicht sicher, welche Beweggründe die Opposition hat. Zum Teil liegt es meines Erachtens daran, daß Ihre Feinde, ganz gleich, wie sehr sie Sie hassen, doch wissen, wie gut Sie sind. Ein anderer Grund mag der Ausgang der letzten Parlamentswahl gewesen sein, dessen Ergebnis für die Opposition wahrhaft niederschmetternd gewesen ist. Während des Wahlkampfs war die Art, in der man mit Ihnen umgesprungen ist, einer der emotionalsten Streitpunkte. Vielleicht glaubt man bei der Opposition nun, man könnte durch Ihre Reaktivierung einiges an verlorenem Boden zurückgewinnen, ohne Ihnen dabei jedoch ein Kommando zu geben, das Ihren Verdiensten angemessen wäre. Zusätzlich dürften weniger appetitliche Beweggründe eine Rolle spielen. Seien wir einmal ehrlich: Die Chance, daß Sie mit nur vier Q-Schiffen etwas ausrichten können, ist recht gering, ganz gleich, wie gut Sie sich schlagen. Möglicherweise will man mit dieser ›Chance‹ bewirken, daß Sie eine Niederlage erdulden müssen, um dann rechtfertigen zu können, wie man Sie in der Vergangenheit behandelt hat.«
Honor nickte langsam. White Havens Logik war schlüssig, und bei all ihrem Entzücken über den Gedanken, am Ende doch wieder manticoranische Uniform zu tragen, brannte tief in ihr eisige Wut.
»Üblicherweise«, sagte White Haven ehrlich, »würde ich Ihnen von diesem Angebot abraten, denn die Opposition hat recht, wenn sie darauf zählt, daß die Chancen gegen Sie stehen. Aber die Umstände sprengen den Rahmen des Üblichen, und wer auch immer hinter den Kulissen die Fäden gezogen hat, ist ein schlauer Fuchs. Da die Opposition Sie vorgeschlagen hat, bleibt der Admiralität eigentlich keine andere Wahl, als Ihnen diesen Posten anzubieten. Wenn die Admiralität oder Sie sich weigern, kann die Opposition behaupten, sie sei uns entgegengekommen, und wir hätten die Chance ausgeschlagen. Auf lange Sicht wird man aber dennoch nicht verhindern können, daß Sie wieder in den Dienst der Königin zurückkehren, aber wahrscheinlich würde Ihre nächste Wiedereinberufung wenigstens ein ganzes T-Jahr auf sich warten lassen, möglicherweise sogar noch länger. Und selbst dann wäre Ihre Rückkehr in den aktiven Dienst schwieriger als jetzt.
Wenn Sie andererseits dieses Kommando akzeptieren, werden Sie es wohl nicht länger als sechs oder acht Monate ausüben müssen. Bis dahin wird sich die Kriegslage wahrscheinlich soweit verändert haben, daß wir leichte Kräfte freisetzen und nach Silesia verlegen können. Und selbst wenn nicht, werden bis dahin genügend Q-Schiffe fertiggestellt sein, um den Unruhestiftern dort auf den Pelz zu rücken. Auf jeden Fall hat die Admiralität freie Hand, Ihnen nach einer angemessenen Zeitspanne andere Pflichten zuzuteilen, wenn Sie erst einmal wieder zurück im aktiven Dienst sind. Da das Oberhaus alle außerplanmäßigen Beförderungen genehmigen muß, wird es unmöglich sein, Sie in den Dienstgrad zu befördern, den Sie, wie Sie bewiesen haben, bewältigen können. Aber nichts und niemand kann die Admiralität davon abhalten, Ihnen die Autorität zuzuteilen, die Sie verdient haben.«
»Kurz gesagt, Mylord: Ihrer Meinung nach sollte ich annehmen.«
White Haven nickte nach kurzem Zögern.
»So ist es wohl«, seufzte er. »Es geht mir gegen den Strich – mir wäre es viel lieber, wenn Sie eins meiner Geschwader in der Sechsten Flotte kommandieren würden –, aber angesichts der Umstände sieht es nach außen hin so aus, als wären Sie es, die eine Schuld zu bezahlen hat. Das ist nicht fair, es ist sogar verdammt unfair. Aber so und nicht anders ist es eben.« Er zuckte unbehaglich die Achseln. »Wie ich schon sagte, niemand würde es Ihnen verübeln, wenn Sie sich entschlossen, hier zu bleiben. Gewiß werden Protector Benjamin und Hochadmiral Matthews genau das von Ihnen erwarten, von den Leuten auf Ihrem Gut einmal ganz abgesehen. Aber ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein, Mylady. Wir brauchen Sie ebenso dringend wie Grayson, wenn auch in anderer Hinsicht. Wir stehen gegen die stärkste Flotte im gesamten Weltall, auf die Tonnage bezogen, und kämpfen ums nackte Überleben. Piraten in Silesia zu jagen erscheint nicht gerade von übergeordneter Bedeutung für das Sternenkönigreich und ist es auch sicher nicht. Doch offenbar ist das der Preis, den wir für einige Monate entrichten müssen, um Sie zurückzubekommen und dort verwenden zu dürfen, wo wir Sie wirklich brauchen. Und die Admiralität ist zu diesem Opfer bereit. Die Frage ist nur, ob Sie sich Ihrerseits dafür hergeben wollen.«
Honor blickte ihn nachdenklich an und strich Nimitz sanft durch das weiche Fell. Sie spürte den ‘Kater schnurren, während sie ihn an sich gedrückt hielt. Noch immer brannte in ihr die kalte Wut über die Aussicht, eine Verwendung zu akzeptieren, bei der es sich in mancherlei Hinsicht um eine vorsätzliche Beleidigung handelte, aber trotzdem wußte sie, daß White Haven recht hatte. Er bat sie gerade, das Kommando über ihr eigenes Superdreadnoughtgeschwader und ihre Position als zweithöchster Offizier einer expandierenden Navy aufzugeben, um ein unzureichendes Geschwader aus umgebauten Frachtern zu übernehmen, das im strategischen Hinterland operieren sollte, und doch hatte er recht. Die Opposition besaß die Macht, genau das von ihr zu verlangen, als Preis dafür, daß Honor ihren rechtmäßigen Platz in der Navy ihrer Geburtsnation wieder einnehmen und ihre berufliche Befähigung rehabilitieren könnte.
Lange saß sie schweigend da, dann seufzte sie.
»Ich will nicht ja sagen, Mylord, aber auch nicht nein. Noch nicht. Aber ich werde die Angelegenheit mit Protector Benjamin und dem Hochadmiral diskutieren. Ich weiß, daß Sie auf Ihren Kommandoposten zurückkehren müssen, aber wenn Sie es einrichten könnten, einen Tag lang als mein Gast hier zu bleiben, würde mich das sehr freuen. Ich möchte noch einmal mit Ihnen über Ihrer Majestät Angebot reden, sobald ich den Protector und Admiral Matthews gesprochen habe.«
»Aber natürlich, Mylady.«
»Vielen Dank, Sir. Und nun«, sie erhob sich, »wenn Sie und Captain Henke sich zum Abendessen zu mir gesellen wollen, würde mein Koch Sie gern mit echt graysonitischer Küche bekannt machen.«