Kapitel 4
Stille senkte sich über das Studio, in dem normalerweise hektische Betriebsamkeit herrschte. Zögernd stand ich auf der Schwelle und konnte nur staunen, wie schnell die Buschtrommeln eine Nachricht verbreiteten. Andererseits waren wir hier in Manhattan. Clinton Halderman ergriff als Erster das Wort.
»Du siehst fürchterlich aus.«
Clinton und ich hatten uns vor Jahren bei der Eröffnung seines ersten Restaurants in Manhattan kennengelernt. Ich hatte damals eine Reportage über neue Küchenchefs gemacht und um ein Interview gebeten. Unser Gespräch hatte sich bis tief in die Nacht gezogen, und bei mehreren Flaschen Wein, einem köstlichen Risotto und der besten Crème brûlée meines ganzen Lebens hatte ich nicht nur genug Material für eine tolle Story gesammelt, sondern auch einen neuen Freund und Ratgeber für kulinarische Fragen gefunden. Als ich irgendwann beschloss, es mit einer eigenen Sendung im Fernsehen zu versuchen, lag es auf der Hand, dass ich Clinton um Rat fragte.
Prompt hatte Clinton eine Besonderheit meiner Rubrik im Frühstücksfernsehen entdeckt, sie aufgegriffen und aufgepeppt. Das Ergebnis war Was kocht in der Stadt? Obwohl er offiziell als Consultant auf meiner Gehaltsliste stand, war er in Wahrheit das Herzstück der Sendung und an sämtlichen Produktionsschritten beteiligt.
»Danke für die charmante Begrüßung«, sagte ich und rang mir ein Lächeln ab. »Wenn es dir hilft – es sieht schlimmer aus, als es sich anfühlt. Aber du scheinst gar nicht überrascht zu sein. Wie hast du es herausgefunden?«
»Du stehst in der Post von heute Morgen. Genuss-Königin stürzt in den Abgrund der Verzweiflung. Seite sechs. Zum Glück gab es nicht auch noch Fotos dazu.«
»O Gott«, stöhnte ich. »An die Zeitungen habe ich noch gar nicht gedacht. Was steht sonst noch da?«
»Eigentlich nur, dass du wegen Dillons Abtrünnigkeit deinen Kummer in Champagner ertränkt hast und am Ende in den Vorratskeller eines Gemüseladens gefallen bist.«
»Ich habe meinen Kummer nicht ertränkt«, widersprach ich und schüttelte den Kopf. »Es war ein Unfall. Ich war durcheinander.«
»Durchaus nachvollziehbar.« Clinton war die Loyalität in Person. »Aber morgen ist die Schlagzeile sowieso längst Schnee von gestern. Und Margaret bekommt dein Gesicht bestimmt prima hin.« Margaret war die Maskenbildnerin des Senders. »Es ist alles vorbereitet. Wir haben nur auf dich gewartet.«
»Wo ist Cassie?«
Wenn Clinton meine rechte Hand war, diente Cassandra Harper als meine linke. Cassie galt als großes Talent und legte mit meiner Sendung den Grundstock für eine Karriere als erstklassige Producerin. Ihre Liebe fürs Essen und Trinken hatte uns zusammengeführt, und dank einer Vielzahl an Gemeinsamkeiten waren wir enge Freundinnen geworden. Als Clinton ihr die Idee für die Sendung unterbreitet hatte, war ihr auf der Stelle das Potenzial ins Auge gesprungen, und zum Glück für mich hatte sie ausreichend Einfluss, um etwas auf die Beine stellen zu können. Drei nervenzerfetzende Meetings später hatte sie die Leitung des Senders überzeugt, dass Amerika sich sehr wohl ein wenig pikanten Klatsch zur liebevoll zubereiteten Bouillabaisse wünschte, und einen Monat später war Was kocht in der Stadt? auf Sendung gegangen.
»Sie ist oben in einem Meeting. Die Oberbosse aus Dallas sind eingeflogen.«
Der Gourmet Channel, Teil der in Texas ansässigen Vision Quest, war fünf Jahre zuvor aus der Taufe gehoben worden und anfangs darauf ausgerichtet gewesen, in der aufkommenden »Kochen als Fernsehunterhaltung«-Sparte gegen etablierte Sender wie Food Network (die praktischerweise über dem Chelsea Market residierten) und den in Kalifornien beheimateten Bravo (mit ihrem Erfolgsformat Top Chef) anzutreten.
Die ursprüngliche Idee für den Gourmet Channel stammte aus der Feder des künstlerischen Leiters und Vision-Quest-Vorstandsmitglieds Tim Grubbin, der auch für POW! (ein Superhelden-Kanal, der sämtliche Quotenrekorde brach) und Two Hankies (ein Romantiksender für Frauen, der gegen Lifetime, Oxygen and WE antrat und, wie der Name verhieß, auf erhöhten Papiertaschentuchkonsum ausgerichtet war) verantwortlich zeichnete. Gourmet Channel, das jüngste Baby des Senders, sollte Spitzenküche mit einer Prise Glitzer und Glamour servieren.
»Wusste ich etwas von diesem Meeting?«, fragte ich, während ich auf dem Schminkstuhl Platz nahm und mein Gesicht Margarets bewährten Händen überließ.
»Nein«, antwortete Clinton neben mir. »Offenbar wurde es in letzter Minute einberufen. Und nach ihrer Miene zu schließen, kam es völlig unerwartet.«
»Das klingt nach Ärger.« Ich runzelte die Stirn, worauf Margaret missbilligend mit der Zunge schnalzte.
»Kein Grund zur Sorge«, wiegelte Clinton ab. »Deine Quoten sind erstklassig. Und wir haben ein solides Polster an landesweiter Werbung im Gepäck. Wahrscheinlich ist es irgendein Hickhack mit dem Sender. Und genau dafür ist Cassie doch da.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Außerdem habe ich jede Menge anderer Sorgen.« Ich neigte den Kopf zur Seite, während Margaret Grundierung auftrug, um die Blutergüsse abzudecken.
»Das mit Dillon tut mir wirklich leid«, sagte Clinton.
»Mir auch. Aber ich bin machtlos dagegen. Also versuche ich, einfach tapfer weiterzumachen.«
»Du klingst schon wie Althea. Tapfer weitermachen ist eigentlich eher ihr Spezialgebiet.«
»Ich war über Nacht und den ganzen Vormittag bei ihr. Vermutlich hat es abgefärbt. Jedenfalls ist es sinnlos, über etwas zu jammern, was ich nicht ändern kann.«
»Das ist eine lobenswerte Einstellung, aber für mich persönlich ist Rache immer noch die befriedigendere Alternative.« In seinem Lächeln lag eine Spur Boshaftigkeit, und ich ertappte mich dabei, dass ich ebenfalls grinste.
»Was hast du im Sinn?«
Sein Grinsen wurde noch breiter. »Na ja« – er beugte sich vor und senkte verschwörerisch die Stimme – »rein zufällig besitzt Miss Merreck einen großen Anteil am Mardi Gras.«
Einmal im Monat brachten wir einen Beitrag über die Eröffnung eines neuen Restaurants in der Stadt. Manchmal, wenn uns das Restaurant gefiel, luden wir den Küchenchef ein und ließen ihn eines seiner Lieblingsgerichte zubereiten. Wenn wir nicht so begeistert waren, gesellte sich Clinton zu mir, und wir kochten gemeinsam etwas Leckeres, während wir darüber diskutierten, weshalb das Restaurant in unseren Augen durchfiel.
In diesem Monat stand das Mardi Gras auf dem Programm. Und die Kritik fiel nicht positiv aus.
»Wo um alles in der Welt hast du das denn aufgeschnappt?«
Er zuckte die Achseln und breitete mit Unschuldsmiene die Hände aus. »Blanke Neugier.«
»Komm schon, gib’s zu, du hast gesucht, bis du etwas Schmutziges gefunden hast.«
»Und einen Volltreffer gelandet habe.« Clinton nickte mit einem selbstgefälligen Grinsen.
»Bist du sicher?«
»Absolut. Letzte Woche war ich mit einem alten Freund essen. Er hat den Job als Souschef im Mardi Gras nicht bekommen und war ziemlich frustriert deswegen. Und dabei kamen wir auf Diana zu sprechen. Also habe ich ihn heute Morgen noch mal angerufen, um ganz sicher zu sein. Und es stimmt hundertprozentig. Offenbar hat Diana ein kleines Vermögen in den Laden investiert. Aber, was noch viel besser ist, sie rührt in aller Öffentlichkeit die Werbetrommel dafür. Was heißt, wenn der Laden den Bach runtergeht, kleben ihr die Tomaten in ihrem hübsch zurechtgezurrten Plastikgesicht.«
»Ich muss zugeben, die Idee ist verführerisch, aber …«
»Aber was? Damit hast du sie genau dort, wo du sie haben willst – das ist absolut perfekt.«
Seufzend versuchte ich, Klarheit in meine wirren Gedanken zu bringen. Im Grunde meines Herzens war ich nicht rachsüchtig, aber das Restaurant taugte tatsächlich nichts. Was konnte es also schaden, den Dolch in der Wunde noch einmal umzudrehen? »Du schreibst mir mehr Macht zu, als ich in Wahrheit habe.«
»Kann sein, trotzdem schauen sich eine Menge Leute die Sendung an. Und, was noch viel wichtiger ist, unsere Kritiken werden oft von den lokalen Printmedien übernommen. Was bedeutet, dass sich der Verriss herumsprechen wird.«
»Und das Restaurant ist wirklich mies. Also lügen wir noch nicht einmal.«
»Definitiv nicht. Aber wer kann uns einen Vorwurf daraus machen, wenn wir ein klein wenig dicker auftragen als unbedingt nötig? Klaut dir den Freund, dieses elende Miststück!« Angewidert rümpfte er die Nase.
»Ich hasse sie.« Und – in diesem Punkt hatte Clinton völlig recht – die Rache wäre süß.
»Also, machen wir ihr Restaurant platt.«
»Fertig«, verkündete Margaret. »Und nur fürs Protokoll – ich an deiner Stelle würde dasselbe tun. Selbst die Hölle kann nicht wüten wie eine verschmähte Frau und so …«, sagte meine normalerweise eher wortkarge Maskenbildnerin, um deren Mundwinkel ein Lächeln spielte.
Clinton hob vielsagend die Brauen, als ich in die Garderobe trat, um mich umzuziehen. Wenige Minuten später war ich fertig und trat zu ihm aufs Set.
Alles war bereit. Auch die drei Jambalaya-Versionen, die wir gerade kochten. Da die Sendung lediglich eine halbe Stunde dauerte und nur zwei Sendeblocks für das Gericht des Tages blieben, konnten wir nicht live kochen. Deshalb wechselte jedes meiner Gerichte dank der hervorragenden Arbeit unserer Vorbereitungsküche wie durch ein Wunder innerhalb von Sekunden ins nächste Stadium der Zubereitung.
Frank, der Kameramann, gab mir ein Zeichen, und mit einem Lächeln, das teils der Wirkung des Vicodin und teils meiner neu entfachten Begeisterung für meinen Rachefeldzug zuzuschreiben war, legte ich los.
»Willkommen zurück. Heute wollen wir uns der würzigen Schärfe der Küche Louisianas widmen. Wir werden die Jambalaya vollenden und herausfinden, wie unser Gast-Küchenchef über Manhattans neues kreolisches Restaurant, das Mardi Gras, denkt. Aber vorher wollen wir einen Blick auf unser Gemüse werfen – wir haben in Stücke geschnittene grüne Paprika, Zwiebeln und Sellerie, die wir in einem Schuss Olivenöl gedünstet haben.« Ich legte die Hand um den Pfannenstiel und schwenkte das Gemüse mit einer kurzen Bewegung.
»Die so genannte Louisiana Trinity, also die Heilige Dreifaltigkeit«, fuhr ich fort, »bildet die Basis sämtlicher wunderbarer Köstlichkeiten der Cajun- und Kreolenküche.« Ich hob die Pfanne und sog tief das Aroma ein. »Natürlich erfordert wahre Perfektion noch ein wenig mehr, deshalb gibt meiner Ansicht nach ein Hauch Knoblauch dem Ganzen erst den richtigen Pfiff. Aber wahrscheinlich ist das nur die Griechin, die da aus mir spricht. Trotzdem – besser als das hier kann es kaum werden.« Mit einer ausladenden Geste hielt ich die Pfanne erneut hoch und stellte sie dann auf den Herd zurück.
»Als Nächstes werden wir anhand dieser Grundlage ein echtes Cajun-Kunstwerk zaubern. Aber vorher sollten wir uns Hilfe von einem Experten holen. Heißen Sie den Besitzer und Küchenchef des vielfach ausgezeichneten Basil herzlich willkommen – meinen Freund Clinton Halderman.«
Die Kamera schwenkte auf Clinton, als dieser das Set betrat, während ich unter den Tresen griff und einen Teller mit bereits geschnittener Wurst hervorholte. »Willkommen, Clinton«, sagte ich und trat beiseite. »Gerade habe ich unseren Zuschauern von der Louisiana Trinity erzählt.«
»Ein guter Freund von mir behauptet, ohne sie würde nichts wirklich schmecken«, erwiderte Clinton und lächelte in die Kamera. »In diesem Teil des Landes sehen wir das nicht ganz so eng wie unten im Süden, aber wir können uns gewiss darauf einigen, dass Aromen, in welcher Kombination auch immer, die Basis der meisten leckeren Gerichte darstellen.«
»Jambalaya ist ein gutes Beispiel dafür«, warf ich ein, als die Kamera eine Nahaufnahme der Pfanne zeigte. »Nun, da unser Gemüse hübsch angedünstet und weich ist, geben wir eine Prise Salz und etwas Cayennepfeffer hinzu, um dem Ganzen mehr Würze zu verleihen.« Ich streute die Gewürze ein. »Und jetzt kommt etwa ein Pfund Andouille-Wurst dazu.«
»Und während das Ganze kocht«, erklärte Clinton und zog einen Teller voll Shrimps heran, »bereite ich die Shrimps vor.«
Ich gab die Wurst in die Pfanne und rührte um, während Clinton die Shrimps auszulösen begann. »So viele Cajun- und kreolische Restaurants gibt es eigentlich gar nicht in Manhattan«, sagte ich, »was bedeutet, dass jede Neueröffnung ein Grund zum Feiern ist.«
»Solange es keines ist, das nichts taugt«, wandte Clinton ein. »Eines ist mir aufgefallen. Und zwar, dass die Grenze zwischen kreolischer und Cajun-Küche direkt hinter den Landesgrenzen anfängt zu verschwimmen.«
»Unter kreolisch«, nahm ich seinen Gedankengang auf, »versteht man die Küche von New Orleans. Sie ist die etwas formellere Variante der eher rustikalen, bodenständigen Cajun-Küche, die die franko-kanadischen Einwanderer vor einigen Jahrhunderten nach Louisiana gebracht haben.«
»Leider«, ergriff Clinton wieder das Wort, »ist das Mardi Gras von Küchenchef Andre Lemont weder Cajun noch kreolisch, obwohl es vorgibt, beides zu sein.«
»Kürzlich hatten wir Gelegenheit, dem Mardi Gras einen Besuch abzustatten«, sagte ich in die Kamera, während ein Foto des Restaurants eingeblendet wurde.
»Und bedauerlicherweise«, fuhr Clinton fort, »hat es unsere Erwartungen nicht erfüllt.«
»Offen gestanden hatte ich von Lemont etwas Besseres erwartet«, sagte ich in bedauerndem Tonfall. »Sein Südstaaten-Restaurant Magnolia ist elegant und immer einen Besuch wert, wohingegen der jüngste Zuwachs der Manhattaner Gastroszene eine echte Enttäuschung war.«
»In der Cajun-Küche muss es ein bisschen brutzeln«, erklärte Clinton. »Was hier definitiv nicht der Fall war. Mein Étouffée war eiskalt und schmeckte eher nach Badewasser, statt nach einer aromatischen Mischung aus Languste und Gemüse, wie es sein sollte.« Clinton, der mittlerweile mit den Shrimps kurzen Prozess gemacht hatte, stellte sie beiseite, während ich Tomatenstücke und etwas Tomatensauce zu der Mischung gab.
»Es war kein sonderlich guter Start«, stimmte ich zu. »Und mir ging es mit meinem Gumbo nicht viel besser. Die Mehlschwitze war verbrannt, die Pilze lappig, und die Okras schmeckten wie etwas, das im Kühlschrank vergessen wurde.« Ich seufzte und zuckte hilflos die Achseln, während ich darauf hoffte, dass Clinton recht hatte und Diana tatsächlich alles in dieses Restaurant gesteckt hatte, was sie besaß. (Was allerdings eher ein frommer Wunsch war, da Dianas Familie mehr Geld hatte, als sie jemals ausgeben konnte.) »Tut mir leid, wenn unsere Kritik nicht gerade Ihre Lust auf Cajun-Küche weckt, liebe Zuschauer«, fuhr ich fort und widmete mich wieder meiner Arbeit, »aber ich verspreche Ihnen, unsere Jambalaya wird Sie nicht enttäuschen.«
Ich gab die restlichen Zutaten in die Pfanne und rührte zügig, während die Kamera draufhielt. »Wenn die Sauce zu kochen beginnt, geben Sie die Shrimps hinzu und lassen alles kochen, bis sie trübe wird.«
»Wenn Sie mögen, können Sie auch ein Lorbeerblatt hinzugeben«, sagte Clinton, als ich die Shrimps in die Pfanne gleiten ließ. »Aber vergessen Sie nicht, es vor dem Servieren wieder herauszunehmen.«
Die Kamera schwenkte zurück und zeigte uns beide nebeneinander. »Aber zurück zu unserem Restaurant der Woche«, nahm ich den Gesprächsfaden wieder auf. »Ich hatte gehofft, dass ich zumindest nach dem Hauptgang meine Meinung ändern würde, aber leider war dies nicht der Fall. Mein Fisch war verkocht, die Sauce langweilig und zu wenig aromatisch.« Vielleicht trug ich ein wenig zu dick auf. Aber offen gestanden hatte die Idee, Diana Merrick eine ordentliche Ohrfeige zu verpassen, ihre eigene Dynamik entwickelt.
»Ich habe mich an die Austernpastete gewagt«, warf Clinton ein, »und obwohl sie besser war als meine Vorspeise, muss ich sagen, dass auch sie mich nicht vom Hocker gerissen hat. Absolut nichts Besonderes. Das Einzige, was an diesem Abend übers Mittelmaß hinausging, war die Tatsache, dass George Clooney am Nebentisch saß.«
»Er hatte den Snapper. Nur hat er leider den größten Teil davon auf dem Teller liegen lassen.« Ich beugte mich vor, als vertraute ich den Zuschauern ein ganz besonders pikantes Geheimnis an.
»Also nicht zu empfehlen, richtig?« Wieder schüttelte Clinton den Kopf.
In Wahrheit hatte Clooney am übernächsten Tisch gesessen, und ich hatte nicht sehen können, was er auf dem Teller hatte. Allerdings hatte ich gehört, wie er den Snapper bestellte, so dass es mehr oder weniger der Wahrheit entsprach.
»Wenn die Shrimps lange genug gekocht haben«, sagte ich und wandte mich wieder der Jambalaya zu, »werden nur noch der Reis und die Brühe hinzugegeben. Danach das Ganze etwa zwanzig Minuten zugedeckt köcheln lassen.« Ich legte den Deckel auf die Pfanne und griff nach einer weiteren. »Und mit ein bisschen Hilfe unserer guten Küchengeister«, fuhr ich fort und nahm mit einer pompösen Geste den Deckel ab, »präsentiere ich Ihnen eine der besten Jambalayas diesseits von New Orleans.«
»Alles, was jetzt noch fehlt«, verkündete Clinton, »ist ein bisschen Schärfe.« Er nahm eine Flasche Chilisauce und gab einige großzügige Spritzer hinein.
Tief sog ich das Aroma ein und stieß einen verzückten Seufzer aus. »Einfach köstlich.«
»Was man vom Mardi Gras nicht behaupten kann«, warf Clinton ein. »Dem ich folglich leider nur ein klares Daumen runter geben kann.« Wieder erschien ein Foto des Restaurants auf dem Monitor.
»Also ehrlich, Leute, wenn ihr Lust auf Cajun habt – ich würde nicht ins Mardi Gras gehen.« Ich zuckte die Achseln und lächelte in die Kamera. »Und gleich wird Clinton mir helfen, einen tollen Eierpunsch-Brotkuchen zu zaubern. Ein herrlicher süßer Abschluss nach unserem extrascharfen Start. Bitte bleiben Sie dran. Wir sehen uns gleich wieder.«
»Und … aus«, rief Frank und nickte. »Gut gemacht.«
»Die Jambalaya sieht wirklich köstlich aus«, lobte Cassie und betrat das Set. »Aber wart ihr beim Mardi Gras nicht ein bisschen zu hart?«
Clinton und ich tauschten einen Blick. »Es war wirklich nicht gut.«
»Ach, egal.« Sie winkte ab. »Kontroverse Meinungen geben dem Ganzen erst die richtige Würze. Außerdem habe ich wichtigere Dinge mit euch zu besprechen.«
»Geht es um das Meeting?«, fragte ich, während sich mein Herzschlag rapide beschleunigte.
»Ja.« Sie deutete auf eine Ecke des Studios, wo uns die Techniker, die letzte Hand anlegten, nicht hören konnten. Dann musterte sie stirnrunzelnd mein ramponiertes Gesicht. »Gott, Andi, du siehst ja fürchterlich aus.«
»Das sagen alle. Aber glaub mir, bevor Margaret Hand angelegt hat, war es noch viel schlimmer.«
»Das mit Dillon tut mir leid«, fuhr sie fort. »Aber ich bin sicher, du findest im Handumdrehen jemand anderen.«
»Ich will aber niemand anderen«, entgegnete ich trotzig, während mir bewusst wurde, dass es tatsächlich so war. Ich wollte Dillon. Zumindest den Dillon, in den ich mich verliebt hatte. Den Dillon, der nicht fremdgegangen war.
»Andi fängt sich schon wieder«, eilte Clinton zu meiner Rettung herbei. »Und wenn ich mich nicht irre, wolltest du uns doch etwas Wichtiges sagen.«
»Genau. Ja. Klar.« Cassie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ich habe erfahren, dass Liddy McDermot schwanger ist.«
Liddy war der Superstar bei Gourmet Channel und ihre Sendung, Dinner mit Stil, das Paradestück des Senders. Bereits im ersten Jahr hatte sie mehrere Preise eingeheimst und somit die Latte für alle ähnlichen Sendungen hochgelegt. Dinner mit Stil war eine tolle Kombination aus Schlichtheit, Witz und Eleganz. Wobei die Tatsache, dass Liddy mit der feinen Gesellschaft auf Du und Du war, dem Ganzen durchaus zuträglich war. Wenn Liddy etwas sagte, lauschte ganz Amerika.
»Abgesehen vom politischen Vorteil, sie zu beglückwünschen«, bemerkte Clinton stirnrunzelnd, »bin ich nicht sicher, ob ich begreife, was so sensationell daran ist.«
»Weil ich noch nicht alles erzählt habe«, konterte Cassie, verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihn an.
»Also, raus damit …«, drängte ich, während sich allmählich ein Anflug von Optimismus in mir breitmachte.
»Liddy verlässt die Sendung.« Cassie wartete, bis die Worte in unsere Gehirne eingesickert waren, ehe sie fortfuhr. »Und zwar mit sofortiger Wirkung. Ihr Mann war noch nie scharf darauf, dass sie arbeitet, und im Zuge dieser neuen Entwicklung hat er buchstäblich mit der Faust auf den Tisch gehauen.«
»Und da er die Rechnungen bezahlt, muss Liddy natürlich hübsch gehorchen.« Die Vorstellung gefiel mir auf so vielfältige Art, dass ich kaum Worte dafür fand.
»Ehrlich gesagt glaube ich, dass die Sendung sowieso nie mehr für sie war als ein netter Zeitvertreib. Aber wie auch immer, ich muss euch wohl nicht erklären, dass die Senderbosse außer sich sind.«
»Hat sie denn keinen Vertrag?«, erkundigte sich Clinton.
»Natürlich hat sie einen, aber sie hat auch das Geld, sich aus ihm herauszukaufen.« Wieder hielt Cassie inne und lächelte. »Was bedeutet, dass man fieberhaft nach einer Nachfolgerin sucht.«
»Und sie wollen mich?«, quiekte ich mit Betty-Boop-Stimme, während mir die volle Bedeutung von Cassies Ankündigung aufging.
»Na ja«, erwiderte Cassie vorsichtig, »du bist in der engeren Auswahl. Gemeinsam mit Ricardo Benavides und Missy Greenbaum.«
»Ricardo kann doch kaum Englisch«, protestierte ich.
»Aber er ist echt heiß«, seufzte Clinton.
»Okay«, räumte ich stirnrunzelnd ein. »Das kann ich nachvollziehen. Aber Missy? Sie ist so … so hausbacken …« Missy stammte aus Georgia, was sich unübersehbar in ihrer Küche widerspiegelte. »Gourmet Channel steht doch für Eleganz, und was ist eleganter als Manhattans Nobelgastronomie?«
»Nichts«, antwortete Clinton und nickte.
»Deine Demografie kommt der von Liddy wohl am nächsten«, fuhr Cassie fort, »aber Clinton hat recht. Ricardos Aussehen macht ihn zu einem echten Magneten. Und Missy ist schon im Hauptabendprogramm.«
»Um halb acht. In New York tritt sie damit gegen Glücksrad an.«
»Aber nicht im Herzen des Landes, und genau dort sitzen die meisten Zuschauer. Wir konzentrieren uns sehr auf den Osten, weil die Leute in den Großstädten gern Sendungen über die Gastroszene sehen. Aber die Sendung wurde in der Prime Time noch nicht getestet.«
»Aber du sagtest doch, ich sei in der engeren Auswahl.«
»Das stimmt. Und ehrlich gesagt glaube ich auch, dass es gut für dich aussieht, aber sie wollen eben fair sein.«
»Prima Zeitpunkt, genau jetzt damit anzufangen«, warf Clinton mit vor Sarkasmus triefender Stimme ein. »Also, was ist Sache?«
»Alle drei Sendungen bekommen die Chance, sich etwas Prime-Time-Würdiges einfallen zu lassen. Keine Änderungen des Formats oder ähnlich Drastisches, sondern nur etwas, das einen neuen Kick reinbringt.«
»Und sie haben dir nicht zufällig irgendwelche Tipps dazu gegeben, oder?«
»Im Meeting nicht, nein. Aber danach hat mich Bob Baker beiseitegenommen. Daher weiß ich auch, dass sie dir gute Chancen einräumen. Er sagt, sie wollen etwas haben, das richtig Quote macht. Für unsere Show lautete sein Vorschlag, einen echten Superstar-Küchenchef einzuladen. Jemanden, der überall bekannt ist, den aber trotzdem keiner kennt.«
»Das ist doch eine unlösbare Aufgabe«, warf Clinton ein, während mir flau im Magen wurde. »Heutzutage hält dank all der Kochsendungen jeder seinen Kopf in eine Kamera und bekommt so seine fünfzehn Minuten Ruhm. Wie sollen wir jemanden finden, der in der Öffentlichkeit bekannt, aber trotzdem nicht ausgelutscht ist?«
»Keine Ahnung. Ich gebe nur wieder, was Bob gesagt hat. Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir den perfekten Gast auftreiben. Jemanden, der für Furore sorgt, sobald wir ihn ankündigen.«
»Damit sind wir geliefert.« Normalerweise war Clinton kein Pessimist, aber offen gestanden traf er mit seiner Einschätzung so ziemlich ins Schwarze.
»Und was müssen Missy und Ricardo machen?«
»Keine Ahnung.« Cassie zuckte die Achseln. »Und das ist auch nicht unser Problem. Sondern die Suche nach einem Spitzen-Küchenchef. Bestimmt fällt euch einer ein; ihr beide kennt doch praktisch jeden in der Stadt.«
»Genau das ist ja das Problem«, erwiderte Clinton seufzend. »Wir kennen sie, weil alle sie kennen. Zumindest diejenigen, die es wert sind, sie zu kennen.«
»Bis auf Philip DuBois«, warf ich mit wachsender Aufregung ein. »Er kommt nach New York zurück, um ein neues Restaurant zu eröffnen. Bernie hat es mir erzählt. Wenn wir ihn in die Sendung bekämen, wäre das der Coup des Jahrhunderts. Ich meine, nicht nur für unsere Zuschauer, sondern für die gesamte Gesellschaft und die Gastronomie-Szene. Dieser Mann ist die reinste Schattengestalt.«
»Stimmt, aber …«, begann Clinton, doch Cassie brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.
»Das wäre doch was. Die Bosse werden begeistert sein. DuBois kann mit dir kochen, während du ihn über sein neuestes Projekt ausfragst. Er hätte fantastische Publicity und wir absolute Wahnsinnsquoten.«
»Aber«, erklärte Clinton, noch immer in der Rolle des Spielverderbers, »er gibt grundsätzlich keine Interviews.«
»Es wäre kein Interview im klassischen Sinne«, ereiferte sich Cassie, deren durch PR-Training geschulter Instinkt mittlerweile auf Hochtouren lief. »Sondern vielmehr eine Art Meisterklasse. Andi kocht mit einer Legende. Das ist total irre.«
Sie hatte recht. Die Idee war unglaublich – verführerisch und berauschend. Ich im Hauptabendprogramm. Mit Philip DuBois. Das war es. Mein großer Durchbruch.
Es gab nur ein winziges Problem.
Clinton hatte recht. DuBois gab grundsätzlich keine Interviews. Oder Meisterklassen oder sonst etwas, was auch nur ansatzweise nach Medien roch.
Womit nur eine Möglichkeit blieb.
Ich musste ihn vom Gegenteil überzeugen.