Kapitel 1

»Findest du dieses Kleid nicht ein klein wenig … freizügig?« Althea Sevalas fixierte mich mit durchdringendem Blick, als sei sie Staatsanwältin, Richterin und Henkerin in einer Person, mit einer Herablassung, wie sie sonst nur Mütter an den Tag legen, dabei ist Althea noch nicht einmal meine Mutter. Sondern meine Tante.

»Das ist von Alice & Olivia«, sagte ich, als erklärte das alles. »Ich habe es bei Bergdorf gekauft.«

»Es ist mir egal, wo du es gekauft hast. Das Ding ist praktisch durchsichtig.« Althea stieß einen Seufzer aus und nippte an ihrem Martini. »In diesem Fummel kannst du auch gleich eine Kontaktanzeige im Playboy schalten. Ich sehe ja fast deine …«

»Nein, tust du nicht«, unterbrach ich und hob den Saum des roten Seidenballonkleids an, unter dem eine schwarze Boyshort-Unterhose zum Vorschein kam. »Siehst du? Alles hübsch verdeckt.«

»Andrea!«, tadelte Althea.

Ich verkniff mir ein Grinsen, aber ihre entsetzte Miene war unbezahlbar. »Was denn? Dachtest du etwa, ich laufe ohne Unterwäsche herum?« Also gut, möglicherweise forderte ich das Schicksal ein klein wenig heraus, aber kann man mir einen Vorwurf daraus machen? Das Kleid war göttlich. Und verdammt kurz. Aber, hey, so was trägt man nun mal. Und wer kann, der kann – Sie verstehen, was ich meine.

»Hey, Andi«, erklärte Vanessa Carlson lachend, die sich zu uns gesellte, »blankzuziehen hätte vielleicht ein bisschen Leben in die Bude gebracht.«

Vanessa und meine Tante hatten früher zusammengearbeitet, doch Vanessa – im Übrigen eine überaus kluge Frau – hatte sich vor einiger Zeit für einen Alleingang entschieden. Womit zwar eine gewisse Konkurrenz zwischen ihnen entstand, aber gesunder Wettbewerb schadete schließlich nicht, oder?

»Der arme Stephen hat wohl nicht damit gerechnet, dass sein erster öffentlicher Auftritt eine derart biedere Angelegenheit werden würde«, fuhr Vanessa fort und nahm ein Champagnerglas vom Tablett eines vorbeikommenden Kellners. »Andererseits geht es bei meiner Mutter ja nicht ohne dieses ganze Brimborium.«

Anna Carlson war die Upper East Side auf zwei Beinen. Egal was sie anfasste oder tat – es verströmte stets den Geruch nach Reichtum und Überfluss. Eine Kombination, auf die ich gut und gerne verzichten konnte, herzlichen Dank. Was angesichts meiner eigenen Herkunft nicht ganz einfach war. Aber sie hatte ein gutes Herz, trotz ihrer Prä-Lagerfeld-Chanel-Tendenzen. Und ein Scheckbuch als Garant dafür, dass alles, was sie in die Hand nahm, ein durchschlagender Erfolg wurde.

Was die perfekte Voraussetzung für Stephens Vernissage war, auch wenn es das Ganze etwas langweilig machte. Die Elite Manhattans hatte sich in The Gallery in SoHo eingefunden, und die kleinen roten Klebepunkte an den Schildchen neben den Bildern ließen erahnen, dass sie in Kauflaune war.

Stephen Hobbs war ein höchst talentierter Maler abstrakter Kunst und hatte das Riesenglück, in eine von Manhattans einflussreichsten Familien einzuheiraten. Und noch dazu war es eine reine Liebesheirat gewesen. Cybil Baranski Hobbs war völlig verrückt nach ihrem Ehemann. Und obwohl Vanessa und Althea die Finger im Spiel gehabt hatten (habe ich erwähnt, dass sie als Heiratsvermittlerinnen arbeiten?), siegte am Ende die Liebe und führte Stephen und Cybil zusammen.

Und dies war ihr erster offizieller Auftritt. Ihr paarmäßiges Coming-out, sozusagen.

»Wenn ihr mich fragt, ist die Vernissage ein voller Erfolg«, erklärte Althea und bestätigte damit meine Schlussfolgerung, wenn auch nicht meine Argumentation, auf der sie basierte. »Obwohl Stephen aussieht, als sei ihm alles ein wenig suspekt.«

»Er ist diesen Rummel nicht gewohnt.« Ich nahm ein Canapé von einem der vorbeischwebenden Tabletts. Shrimp in Blätterteig. Etwas einfallslos. Aber durchaus genießbar. Mit einem Hauch Koriander und einer winzigen Prise Kumin hätte es bestimmt noch leckerer geschmeckt.

An dieser Stelle sollte ich wohl erwähnen, dass ich mit Essen und Trinken meinen Lebensunterhalt verdiente und sogar eine eigene Sendung namens Was kocht in der Stadt? hatte – eine Art Martha Stewart meets Entertainment Tonight –, in der Gerichte der besten Manhattaner Restaurants nachgekocht werden, gewürzt mit dem neuesten Klatsch, wer wo und mit wem was aß. Schließlich werden die wichtigsten Deals beim perfekten Osso Bucco geschlossen. Und nicht nur einmal war ein Tiramisu Zeuge einer leidenschaftlichen Affäre … Natürlich lag all dem eine voyeuristische Neugier zugrunde, aber ich will nicht vom Thema abschweifen.

»Stephen ist noch etwas ungeschliffen, das stimmt«, sagte Vanessa, »aber er ist ein anständiger Kerl. Und er und Cybil sind wie füreinander geschaffen.«

»So wie du und Mark«, stellte Althea fest. Mark Grayson galt als der Glücksgriff des Jahrhunderts. Und verständlicherweise hatte er sich Hals über Kopf in Vanessa verliebt. Aber da sie etwas schwer von Begriff sein konnte, waren die Dinge anfangs ein wenig durcheinandergeraten. Doch am Ende hatte auch bei ihnen die wahre Liebe gesiegt, genauso wie es sein sollte, und sie hatten wieder zueinandergefunden.

Was sich Althea selbstverständlich als alleiniges Verdienst anrechnete. Wohingegen ich davon überzeugt bin, dass die beiden auch sehr gut ohne ihr Zutun zurechtgekommen wären. Mark war kein Mann, der Gefangene machte; keiner, der aufgab, auch nicht nach einer gehörigen Schlappe.

»Und wo ist Dillon?«, erkundigte sich Vanessa.

»Er muss hier irgendwo sein«, antwortete ich und schwenkte mein Champagnerglas in Richtung der Gäste. Es war bereits mein drittes. Steife Partys schrien geradezu nach Befreiungsschlägen, fand ich.

»Da drüben ist er«, bemerkte Althea, deren Stimme vor Verachtung troff wie das Wasser von den langsam schmelzenden Eisskulpturen. »Er flirtet mit Diana Merreck.«

Dillon Alexander war mein Freund (auch wenn das klingt, als sei ich gerade sechzehn geworden). Im Prinzip lebten wir seit einigen Jahren zusammen – ich sage »im Prinzip«, weil ich mich trotz Dillons Drängen und der Tatsache, dass wir sowieso immer in einem unserer Apartments wohnten, bislang nicht mit der Idee anfreunden konnte, meine eigenen vier Wände aufzugeben.

»Er flirtet doch ständig«, bemerkte ich achselzuckend. »Es hat nichts zu bedeuten.« Und das hatte es auch nicht. Flirten war für Dillon wie Atmen. Und es war einer der Gründe, weshalb ich ihn so liebte. Althea wollte nur stänkern. Sie konnte Dillon nicht ausstehen. Er sei nicht gut für mich, fand sie. Was nichts anderes als »nicht standesgemäß« hieß. Dillon stammte aus Kalifornien. Sein Reichtum war neu, was ihn in bestimmten Kreisen höchst suspekt machte. Außerdem behauptete sie, er hätte keinerlei Ambitionen. Was absolut nicht stimmte. Er hatte nur eine eigene Vorstellung davon, wie die Dinge laufen sollten.

Was ich bewundernswert fand.

Althea hingegen nicht.

»Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn mit ihr sehe«, schimpfte sie und nahm einen Schluck von ihrem Martini. Okay, Schluck war vielleicht nicht ganz die richtige Bezeichnung. Althea ist der Inbegriff einer Lady, trotzdem kann sie bechern, was das Zeug hält, vor allem, wenn es etwas ist, was mit einer Olive drin serviert wird. »Und ehrlich gesagt meine ich, du verdienst etwas Besseres.«

»Ewig die alte Leier«, kommentierte ich und wünschte unvermittelt, ich hätte meinem Drang, Stephen in Schutz zu nehmen, nicht nachgegeben. Schließlich brauchte er mich nicht, und diese Party hier war weit von dem entfernt, was ich unter Spaß verstand.

»Ich finde eben, du solltest allmählich die Augen aufmachen und dich der Wahrheit stellen. Dillon ist kein Typ zum Heiraten.« Sie musterte mich finster über den Rand ihrer Brille hinweg und zog die Brauen hoch, bis sie beinahe ihren Haaransatz berührten.

»Das weißt du doch gar nicht. Außerdem bin ich auch nicht der Typ zum Heiraten.« Wir standen da, Nasenspitze an Nasenspitze, während unsere Stimmen anschwollen. Normalerweise war ich klug genug, mich auf keine Auseinandersetzung mit ihr einzulassen, doch der Champagner hatte meine Zunge gelöst – und meine Hirnzellen lahmgelegt.

»Natürlich willst du heiraten, Andrea. Du musst nur den Richtigen dafür finden. Und Dillon ist es eindeutig nicht.«

»Und wie ich dich kenne, hast du auch schon jemanden im Visier, mit dem du mich verkuppeln willst, stimmt’s?« Althea versuchte pausenlos, mich mit Männern zusammenzubringen, die sie für geeignete Kandidaten hielt. Das war ein alter Hut.

Althea machte Anstalten, etwas zu erwidern, doch Vanessa kam ihr zum Glück zuvor. »Ist das nicht Bethany Parks da drüben? Mit Michael Stone?«, fragte sie und lenkte damit das Gespräch in sichere Gefilde zurück. »Ich wusste ja gar nicht, dass sie zusammen sind.«

»Das ist auch ihre erste Verabredung«, sagte ich.

Bethany und ich waren seit Studientagen an der New Yorker Uni befreundet und hatten uns sogar eine Zeitlang ein Apartment geteilt. Was eine ziemliche Herausforderung war, da dieses Mädchen genug Klamotten besaß, um eine Boutique auf der Madison Avenue zu eröffnen. Allein für ihre Schuhe brauchte sie einen ganzen Kleiderschrank. »Dress for success« – dieser Spruch wurde für Bethany geschaffen, glauben Sie mir.

Sie nahm sogar das »Meals on Heels«-Programm wörtlich, bei dem Ehrenamtliche älteren Menschen, die ihre Wohnung nicht mehr verlassen können, das Essen bis vor die Haustür bringen. Die Vorstellung, wie sie mit Styroporbehältern bewaffnet auf High Heels fünf Stockwerke hinaufstöckelte, war völlig lächerlich, doch Bethany gehörte zu den Menschen, die das Wohl anderer stets über ihr eigenes stellten.

Dass sie mit Michael ausging, kam etwas überraschend, da sie normalerweise nicht an Banker-Typen interessiert war. Nicht dass Michael kein netter Kerl gewesen wäre, nur eben etwas zu spießig für meinen Geschmack. Und für Bethanys ebenso, hatte ich gedacht.

»Ehrlich gesagt«, erklärte Althea triumphierend, »habe ich die beiden einander vorgestellt.« So viel zu Vanessas Versuch eines Ablenkungsmanövers.

»Du hast meine beste Freundin verkuppelt?«, stieß ich entsetzt hervor, sorgsam darauf bedacht, wenigstens ein Minimum an Selbstbeherrschung an den Tag zu legen. Meine Meinung über Altheas Beziehungszündeleien als Missbilligung zu bezeichnen, wäre die blanke Untertreibung. Ehe und Liebe lassen sich nicht von harten Zahlen und Fakten manipulieren. Gleich und gleich zieht sich nun mal nicht an – das ist ein uraltes Prinzip. Und Verbindungen auf der Basis finanzieller Vorteile und gesellschaftlicher Kompatibilität sind in meinen Augen so, als verpasse man der jahrtausendealten Tradition der Romantik eine schallende Ohrfeige.

Nicht dass ich eine stadtbekannte Romantikerin wäre. Ich finde nur nicht, dass Menschen Hilfe dabei brauchen, einen Partner zu finden.

Und unter keinen Umständen wollte ich, dass Althea im Leben meiner Freundinnen herumpfuschte. Ihre manipulativen Machenschaften hatten mich bereits meine Mutter gekostet. Und mit den Folgen hatte ich heute noch zu kämpfen.

»Ich dachte, wir hätten eine Abmachung«, sagte ich und trank mein Glas aus.

»Wir hatten nichts dergleichen. Außerdem sind sie wie füreinander geschaffen. Und Bethany hat sich beschwert, sie würde nie die richtigen Männer kennenlernen.«

»Also hast du eingegriffen?« Ich schluckte und kämpfte mit aller Macht meine Empörung nieder.

»Nicht offiziell. Michael ist kein Klient von mir, meine ich damit. Sondern eher so etwas wie ein Freund. Und ich wusste, dass er eine Frau sucht, die zu ihm passt. Bethany ist perfekt. Also habe ich die beiden einander vorgestellt.«

»Trotzdem ist es Manipulation. Und wenn es in die Hose geht, darf ich die Scherben aufkehren.«

»Wer sagt denn, dass es nicht funktioniert?«, schaltete sich Vanessa ein. »Ich meine, Althea weiß, was sie tut. Und Michael ist ein anständiger Kerl.«

»Da spricht die wahre Heiratsvermittlerin«, erwiderte ich. »Und ich behaupte auch nicht, dass Michael nicht gut genug für Bethany ist. Ich kenne ihn nicht persönlich, sondern nur aus Erzählungen.«

»Seine Herkunft ist tadellos«, versicherte mir Althea.

»Das ist nicht der Punkt. Bethany geht schließlich nicht mit seiner Herkunft aus, sondern mit ihm. Und wäre es nicht besser gewesen, die beiden hätten sich auf normalem Weg kennengelernt?« Ich seufzte. Die Sinnlosigkeit meines Arguments wurde mir bewusst, noch während die Worte über meine Lippen kamen. »Egal. Eine blöde Frage, wenn man überlegt, mit wem ich hier stehe.«

»Natürlich ist sie nicht blöd«, beruhigte mich Vanessa. »Es wäre nett, wenn sich die richtigen Menschen ohne irgendwelches Zutun finden würden. Nur leider tun sie das in der Realität nicht immer. Und deshalb sind wir da, um ihnen dabei zu helfen.«

Ich holte tief Luft und schnappte mir ein weiteres Champagnerglas. Vanessa war ein reizender Mensch, den ich keinesfalls verletzen wollte. Ich war nur nicht davon überzeugt, dass es gut war, Menschen miteinander zu verkuppeln. Schon gar nicht, wenn Althea es mit meinen Freundinnen versuchte.

»Ich wünschte, du würdest dich aus meinem Leben raushalten, Althea.«

»Aber es ist doch nicht dein Leben, Andrea, sondern Bethanys.«

»Sie ist meine Freundin. Und du bist meine Tante. Was bedeutet, ihr Privatleben sollte für dich tabu sein.«

»Mach dich nicht lächerlich. Außerdem habe ich sie zu nichts gezwungen.«

»Sie ist also zu dir gekommen?«, fragte ich erstaunt. Bethany kannte meine Meinung zu Altheas Beruf, und ich hatte gedacht, sie teile sie.

»Das nicht gerade«, räumte Althea ohne auch nur den Anflug von Gewissensbissen ein. »Ich habe sie angerufen. Aber viel Überzeugungsarbeit war nicht notwendig.«

»Also hast du sie angebaggert, obwohl du meine Meinung zu diesem Thema kennst?«

»Wie gesagt, es ging nicht um dich.«

»Nein. Das tut es ja nie, stimmt’s?« Ich kippte meinen Champagner hinunter und entschuldigte mich mit einem verkniffenen Lächeln. Wie gesagt, ich war klug genug, mich auf keinen wirklichen Disput mit Althea einzulassen. Diesen Kampf konnte ich nicht gewinnen. Ich hätte gar nicht erst mit dieser Diskussion anfangen sollen. Aber mit dem Versuch, Bethany unter die Haube zu bringen, hatte sie eine Grenze überschritten. Zwar eine willkürlich gezogene, aber nichtsdestotrotz vorhandene Grenze.

Aber Althea würde ja nicht einmal eine Grenze erkennen, wenn sie ihr ins Gesicht sprang …

So, bitte sehr, da haben Sie es. Mein wunderbar verkorkstes Leben.

Genau das war es nämlich. Und ich würde mich nicht davon unterkriegen lassen, von Bethanys offenkundigem Treuebruch einmal abgesehen. Ich führte mein eigenes Leben, fernab von Altheas Einfluss, und unsere Welten kamen lediglich beim einen oder anderen gesellschaftlichen Ereignis in Berührung. Na gut, das stimmte vielleicht nicht ganz, aber ich hatte mich schon vor Jahren von allem losgesagt, wofür Althea stand, und eine kleine Runde würde mich schon nicht umbringen.

Ich blieb hier und da stehen und plauderte mit alten Freunden, gab einem Fan ein Autogramm (eine ziemlich erstaunliche Anfrage, da diese Frauen, die sich »zum Lunch treffen«, meistens nicht mal wissen, wo ihr Herd steht, vom Sendeplatz des Gourmet Channel ganz zu schweigen). Trotzdem verhalfen die Begeisterungsstürme der Frau meiner Laune zu einem gehörigen Aufschwung. Und den Rest übernahm der Champagner.

Ich ließ mir von einem vorbeikommenden Kellner nachschenken und unterdrückte den Drang, Bethany mit ihrem Verrat zu konfrontieren. Das würde ich auf morgen verschieben. Außerdem sah es aus, als amüsiere sie sich prächtig, und ich wollte ihr nicht die Laune verderben. Also machte ich mich auf den Weg, um dem Star des Abends zu gratulieren, der noch immer wie betäubt von all dem Rummel zu sein schien.

»Sieht aus, als wäre die Resonanz sensationell«, sagte ich mit einer Geste in Richtung der illustren Gäste. »Und der Verkauf läuft offenbar auch bestens.«

»Ich habe keine Ahnung, ob die Leute die Bilder kaufen, weil sie meine Arbeit mögen, oder aus Angst vor Anna Carlson.« Stephen lachte. »Das Geld nehme ich jedenfalls trotzdem. Und die Leute von der Galerie wollten wissen, ob ich die Ausstellung noch eine Weile laufen lasse.«

»Tja, das hört sich an, als wäre der Erfolg auf deiner Seite. Und wie könnte man deine Bilder nicht toll finden?« Und genau so meinte ich es auch. Stephens Arbeiten sprachen mich sehr an.

»Du willst nicht zufällig Frenetisch auf der Fifth verkaufen, oder?«, fragte Cybil, die in diesem Moment zu uns trat. »Ich habe mindestens schon vier Angebote dafür bekommen.«

»Keine Chance. Ich liebe dieses Bild.«

Stephen hatte mir einmal ein Bild von sich angeboten, und ich hatte mich für Frenetisch auf der Fifth entschieden. Da ich es für eine seiner besten Arbeiten hielt, hatte ich zugestimmt, es ihm für die Ausstellung zu überlassen – selbstverständlich als reine Leihgabe. Was mich, wenn auch auf eine etwas schräge Art und Weise, zu einer Mäzenin des im Aufsteigen begriffenen Stephen Hobbs machte. (Na gut, Mäzenin war vielleicht ein wenig übertrieben, aber ich war definitiv ein Fan der ersten Stunde.)

»Man kann ja mal fragen«, erwiderte Cybil. »Vermutlich bekämst du einen sechsstelligen Betrag dafür.«

»Tja, Hut ab vor Stephen. Aber keine Chance.« Ich nahm noch ein Canapé – Briocheteig mit Ziegenkäse und etwas, bei dem es sich wohl um sonnengetrocknete Tomate handelte, obwohl es Ähnlichkeit mit Wellpappe besaß. Frische Zutaten sind der Schlüssel für jedes schmackhafte Gericht. Und die Kanten abzuschneiden ist absolut indiskutabel. Vor allem bei einer so hochkarätigen Veranstaltung wie dieser.

»Sag bloß Anna nichts«, bat Cybil und beäugte die Serviette, in der ich das Teil diskret hatte verschwinden lassen. »Sie beschäftigt seit Jahren dieselbe Cateringfirma und lässt keinen anderen ran, sagt Vanessa.«

»Ich würde nie etwas sagen«, protestierte ich. »Und so schlimm ist es nicht, nur ein bisschen fade. Außerdem bin ich sowieso überkritisch.«

»Du bist Expertin«, bemerkte Stephen loyal, »und ich stimme dir zu.«

»Ich auch«, erklärte Cybil lachend. »Aber wir breiten den Mantel des Schweigens darüber.«

»Hey, meine Schöne.« Zwei Arme legten sich um meine Taille. »Ich habe mich schon gefragt, wo du abgeblieben bist.«

Ich wandte mich zu Dillon um, während einige weitere Gäste zu uns traten, um Stephen zu gratulieren. »Ich habe mich nur ein bisschen unters Volk gemischt. Und du? Hast du genug von der Party?«

»Das hatte ich schon, bevor ich hergekommen bin.«

»Du hättest dich beim Champagner bedienen sollen.« Als Beweis kippte ich die Hälfte meines Glases hinunter. »So sieht die Welt gleich viel rosiger aus.«

»Selbst Althea?«, hakte er nach. »Ich habe gesehen, wie du dich mit ihr und Vanessa unterhalten hast.«

»Das ließ sich nicht vermeiden. Außerdem musste sie dringend prahlen. Sieht so aus, als wäre Bethany übergelaufen und hätte sich der dunklen Seite angeschlossen.«

»Du meinst, weil sie mit Michael Stone ausgeht? Ich fand ihn schon immer ein bisschen zu aufgeblasen.«

»Für dich ist doch jeder aufgeblasen, der jenseits der 51. Straße wohnt.«

»Stimmt. Aber du denkst das doch auch.«

»Meistens.« Ich hob die Hand und strich ihm eine widerspenstige Locke aus den Augen. Dillon hatte wunderbares Haar – die Art, die Gott eigentlich einer Frau hätte geben sollen. Aber aus irgendeinem Grund läuft es ja meistens nicht, wie es soll. So wie bei der Vergabe von Wimpern. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Männer manchmal absolute Wahnsinnswimpern besitzen? Das ist echt unfair. »Der springende Punkt ist«, fuhr ich fort, »dass Althea Bethany verkuppelt hat.«

»Mit Michael?«, hakte Dillon stirnrunzelnd nach. »Das klingt einleuchtend. Aber ich dachte, Freundinnen seien tabu.«

»Offenbar haben sich die Regeln geändert. Nur mir hat keiner etwas davon gesagt.«

»Ach, das hält doch nie im Leben.«

»Genau meine Worte. Aber jetzt liegt das Kind schon im Brunnen.«

»Du klingst ziemlich gefasst.«

»Irrtum. Aber wie gesagt, ich habe mir einige von diesen hier genehmigt, die mir dabei geholfen haben, mich nicht zu sehr aufzuregen.« Wieder schwenkte ich zur Demonstration mein Glas. »Außerdem ist Bethany eine erwachsene Frau. Und wenn sie will, dass Althea sie verkuppelt, geht mich das nichts an. Sollte sie allerdings das Gleiche mit mir versuchen, ist der Teufel los.«

»Ich weiß ja, dass sie mich nicht leiden kann«, sagte Dillon, noch immer stirnrunzelnd. »Aber ich kann es nicht leiden, dass sie ständig einen Ersatz für mich sucht.«

»Das hat sie doch seit einer Ewigkeit nicht mehr getan. Obwohl ich jede Wette eingehe, dass sie es mit dem größten Vergnügen tun würde, wenn sie könnte. Du hättest hören sollen, wie sie über dich redet.«

»Irgendetwas, worüber ich mir Sorgen machen müsste?« Trotz des verschmitzten Grinsens lag etwas in seiner Stimme, das mich aufhorchen ließ.

»Gibt es Anlass zur Sorge?«, fragte ich betont lässig, obwohl mein Herzschlag sich für einige Sekunden beschleunigt hatte.

»Natürlich nicht«, beschwichtigte er mich und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn, doch ich war nicht überzeugt. »Also, was hatte die alte Schreckschraube diesmal zu meckern?«

»Nur dass du dir ungewöhnlich viel Zeit nimmst, um mit Diana Merreck zu flirten.« Ich lachte, doch es klang alles andere als erfreut, was zum Teil wohl daran lag, dass Diana die allerschlimmste Frau war, die Dillon sich für einen Flirt hätte aussuchen können. Sie war der Inbegriff von allem, was ich an der Manhattaner Gesellschaft hasste – ein Society-Ungeheuer, das Freunde ausschließlich nach ihrer Herkunft aussuchte. Sie lebte dafür, über andere zu richten, und glauben Sie mir, so gut wie keiner fand vor ihren Augen Gnade. Sie als Ekelpaket zu bezeichnen war noch untertrieben, und allein bei der Vorstellung, dass Dillon sich mit ihr abgab, drehte sich mir der Magen um.

»Ich flirte immer«, erklärte Dillon. »Das weißt du doch.«

»Das hab ich zu Althea auch gesagt. Aber sie meinte, sie hätte euch schon mehrmals zusammen gesehen.« Der letzte Teil war mir unwillkürlich entschlüpft und klang vorwurfsvoller, als ich beabsichtigt hatte.

»Ach ja?« Der Unterton in seiner Stimme war unüberhörbar – nicht panisch, aber etwas, das dem gefährlich nahe kam.

»Dillon, was ist los?«

»Nichts«, erwiderte er mit einem gezwungen wirkenden Lächeln.

»Ach, komm schon.« Mein Magen krampfte sich noch mehr zusammen. »Eigentlich magst du keinen Champagner, aber du hast dein Glas in einem Zug hinuntergekippt.«

»Da ist nichts. Ich schwöre. Du solltest dich von Althea nicht so auf die Palme bringen lassen.«

»Das tue ich gar nicht.« Ich schüttelte den Kopf, während mein Herz meine Brust zu sprengen drohte. »Ich kenne dich. Irgendetwas läuft hier doch. Los, raus damit.«

»Jetzt ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt. Wieso gehen wir nicht nach Hause und …«, begann er, doch ich war zu aufgebracht, um es dabei bewenden zu lassen.

»Dillon. Was es auch ist, sag es einfach.«

»Ich …« Er unterbrach sich. Einen Moment lang starrte er auf seine Füße, dann hob er seufzend den Kopf. Beim Anblick seiner zerknirschten Miene schlug mein Magen Purzelbäume. »Ich wollte nicht, dass du es auf diese Weise herausfindest.«

»Was herausfinden?«, herrschte ich ihn an, dennoch um einen halbwegs zivilisierten Tonfall bemüht. Ich hatte nur auf einmal das Gefühl, als stünde mein wohlgeordnetes Leben im Begriff, völlig außer Kontrolle zu geraten.

Seine Hände strichen über meine Arme und beschrieben kleine Kreise, als komme allein durch seine Berührung alles wieder in Ordnung. Was ich, offen gestanden, vor fünf Minuten auch noch unterschrieben hätte. Aber nun …

»Ich war mit Diana zusammen«, sagte er schließlich.

Ich ballte die Hände zu Fäusten, und meine Nägel gruben sich in meine Handflächen, während ich die Endgültigkeit dieser fünf kleinen Worte zu erfassen versuchte. Das konnte nicht sein. Es konnte einfach nicht sein. Wir redeten hier doch von Dillon. Meinem Dillon.

Okay, wir waren nicht verheiratet, aber definitiv ein festes Paar. Vor mir stand der Mann, der mich besser kannte als jeder andere. Er war mein Liebhaber, mein Freund. Der Mensch, der mein ganzes Vertrauen besaß. Er wusste Dinge über mich, die sonst keiner wusste. Nicht einmal Bethany. Wir lachten über dieselben Scherze, teilten unsere Leidenschaft für Manhattan und füreinander. Zumindest war ich bis vor zwei Minuten davon ausgegangen.

»Ich habe es nicht darauf angelegt, Andi«, sagte Dillon, und die Worte zerfetzten das Letzte, was noch von meinem Herzen übrig war. »Eigentlich wollte ich nur helfen. Sie schmeißt eine Party für einen Freund, die im The Plumm stattfinden soll. Ich hab Beziehungen zu dem Laden, deshalb hat sie mich gefragt, ob ich etwas für sie tun könnte.«

Ich sog den Atem ein und verkniff mir eine scharfe Erwiderung, während ich mit den Tränen kämpfte. Ich durfte mich nicht gehen lassen, musste Niveau zeigen und zumindest den Anschein von Normalität wahren.

»Jedenfalls«, fuhr er fort, verlagerte unbehaglich das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und ließ die Arme hängen, »führte eines zum anderen …«

»Und da habt ihr einfach eine Privatparty draus gemacht?« Na gut, vielleicht war das mit dem Niveau doch nicht ganz mein Ding. Aber immer noch besser als die Alternative – vollkommen die Selbstbeherrschung zu verlieren.

»Na ja. Aber ich wollte dir damit bestimmt nicht wehtun.« Er klang, als tue es ihm aufrichtig leid. Als könne er mit dieser letzten Bemerkung alles wiedergutmachen.

»Es war wohl eher so, dass du in diesem Moment keinen Gedanken an mich verschwendet hast.« Erste Tränen kullerten mir über die Wangen, obwohl ich mühsam um meine Fassung rang. »War es nur das eine Mal?« Diese Frage war völlig idiotisch, aber versuchen Sie mal, einen auf hochgebildet zu machen, wenn Ihr Freund Ihnen gesteht, dass er eine Frau flachlegt, die Sie aus tiefster Seele verabscheuen.

»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Aber es geht um mehr als nur um Sex. Zumindest glaube ich das.«

O Gott. Dillon hatte mich nicht nur betrogen. Er hatte sich in eine andere Frau verliebt. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Das konnte doch nicht wirklich passieren. Nicht hier. Nicht mir. Ich fühlte mich, als wäre ich in eine Art Parallelwelt katapultiert worden – eine, in der Bethany eine Heiratsvermittlerin brauchte und Dillon nach Diana Merreck verrückt war. Um das zu begreifen, müssen Sie wissen, dass Diana Merreck der »Hermès und Perlenohrringe«-Typ war, wohingegen Dillon sich Wodka für dreihundert Dollar die Flasche hinter die Binde goss und bis zum Anschlag feierte. Altes Geld und Neureichtum – so etwas findet nicht zusammen.

»Und?«, fragte ich und bemühte mich, normal zu atmen und mich zusammenzureißen. »Du lässt mich also wegen Diana Merreck sitzen, ja?« Mein Herz hatte mittlerweile vollends seinen Dienst eingestellt. Obwohl das wohl kaum möglich war, zumal ich noch vor ihm stand und zusah, wie er mein Leben in Grund und Boden rammte.

»Nein. Ich meine, ja. O Gott, Andi, ich weiß doch auch nicht.« Und wieder erschien dieser hinreißend verwirrte Ausdruck in seinen Augen. Alles an ihm war mir so vertraut. War ein Teil von mir. Und doch fühlte es sich an, als hörte ich einem Wildfremden zu. Jemandem, den ich kaum kannte.

»Na ja, man kann nicht alles haben.« Die Worte kamen als ersticktes Flüstern über meine Lippen, und ich kippte hastig den Inhalt meines Champagnerglases hinunter, in dem vergeblichen Versuch, mein inneres Gleichgewicht zu wahren.

»Wieso nicht?«, fragte er, während ihm erneut die widerspenstige Strähne in die Augen fiel. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich dem Drang widerstand, sie ihm herauszureißen. »Du hast doch immer davon geredet, dass wir eine moderne Beziehung führen.«

»Stimmt, aber ich habe damit keine Dreiecksbeziehung gemeint«, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen, als die Wut schließlich die Oberhand gewann. »Wenn du glaubst, du könntest den Kuchen essen und behalten, bist du auf dem Holzweg.«

»Verstehe«, sagte er mit einer Miene, die Trotz und Zerknirschtheit verriet.

»Das war’s also? Es ist vorbei? Einfach so?« Halb erwartete ich, dass Ashton Kutcher hinter der nächsten Säule hervorsprang und rief, es sei alles nur ein Witz. Dillon sei gar nicht mit Diana Merreck zusammen. Alles nur ein blöder Scherz. Und ich sei voll drauf reingefallen.

»Das will ich doch nicht. Ich kann nur nicht aufhören, mich mit ihr zu treffen. Ich kann einfach nicht.«

Also war es kein Scherz. Oder ein verdammter Traum. Es war real. Dillon hatte eine andere Freundin. Er war mit Diana Merreck zusammen. Ich hatte ihm vertraut, und er hatte mich vorgeführt, bis auf die Knochen blamiert.

Es war aus. Einfach so. Hier. Jetzt, in diesem Moment. Mitten auf einer Party, vor allen Leuten, die ich kannte.

»Gut.« Zornig wischte ich mir die Tränen weg. Ich wollte verdammt sein, wenn ich ihn den letzten Schritt machen, unserer Beziehung den Todesstoß versetzen ließ. »Dann beenden wir es hiermit.«

Ohne eine Erwiderung abzuwarten, machte ich kehrt und ließ ihn unter Aufbietung all meiner Würde, zu der ich unter diesen Umständen und angesichts der Tatsache, dass ich Zehn-Zentimeter-Absätze trug, noch in der Lage war, einfach stehen. Okay, und vielleicht dank des Umstands, dass ich eine Spur zu viel Champagner intus hatte. Aber, hey, ich konnte nur froh und dankbar für diesen Schutzpanzer sein.

Ich schluckte die Tränen hinunter, lächelte einigen wohlmeinenden Gönnern zu, wich einer Unterredung mit der besorgt wirkenden Vanessa aus und tauschte sogar Luftküsse mit Kitty Wheeler. Was zeigt, in welchem Zustand ich war, denn normalerweise mied ich diese Frau wie der Teufel das Weihwasser. Abgesehen davon, dass sie nervte, war sie auch noch Diana Merrecks Busenfreundin.

Drei Minuten später stand ich auf dem Bürgersteig und hob die Hand, um ein Taxi heranzuwinken. Aber selbstverständlich war weit und breit keines zu sehen. Also setzte ich mich in Bewegung, während die Reaktion auf die Geschehnisse allmählich einsetzte – ich zitterte am ganzen Leib, und Tränen liefen mir über die Wangen. Noch immer hatte ich das Ausmaß der Katastrophe nicht zur Gänze erfasst. Innerhalb von nicht einmal zwei Minuten war mein ganzes Leben zerstört worden. Alles, woran ich geglaubt hatte, war ein riesiger Irrtum.

Tränen sammelten sich an meiner Nasenspitze. Ich wischte sie fort, sorgsam darauf bedacht, meinen Schmerz für mich zu behalten. Was zum Glück nicht weiter schwierig war, denn in Manhattan schert sich ohnehin keiner einen Pfifferling um andere. Sprich, meine Tränen blieben weitgehend unbemerkt, von einem Typ in einem Karton in einem verlassenen Hauseingang mal abgesehen.

»Hey, Lady«, rief er aus seinem provisorischen Papp-Heim herüber. »So schlimm kann’s nicht sein.«

Ich schüttelte den Kopf. Doch seine Worte ließen die Schleusen endgültig aufgehen. Meine Tränen schlugen in Schluchzen um, und ich schloss die Augen, um wenigstens ein Minimum an Selbstbeherrschung zu bewahren. Später bliebe mehr als genug Gelegenheit, mich gehen zu lassen. Aber zuerst musste ich irgendwie nach Hause kommen.

Ich holte tief Luft, straffte die Schultern und machte einen Schritt vorwärts. Mein Fuß trat ins … Nichts.

Nichts. Leere.

Im nächsten Moment stürzte ich mit dem Hintern voran in den Abgrund.