Kapitel 11
Der Mai ist immer ein besonders heikler Monat in Manhattan. Es ist, als könnte sich das Wetter nicht recht entscheiden. Am einen Tag ist es lau und frühlingshaft, am nächsten stürzt die Temperatur in den Keller, und dicke Regentropfen prasseln auf die sprießenden Blumen und Frühlingskleider herab. Wie auch immer – der Zwiebellook und ein Regenschirm sind definitiv empfehlenswert.
Zum Glück hatte sich dieser Tag als wunderschön und warm entpuppt. Zur verabredeten Zeit standen Bentley und ich geschniegelt und gebügelt (okay, das trifft wohl eher auf mich als auf Bentley zu) vor dem Shake Shack.
Wie der Name ahnen lässt, gehören Burger und Shakes zu den Spezialitäten des Hauses, außerdem gibt es hier das beste Frozen Custard, das ich je probiert habe. Im Gegensatz zur typischen Burger-Bude besticht das Gartenlokal im Madison Square Park durch seine Mischung aus Hausmannskost und kulinarischer Raffinesse. Amerikanische Alltagsküche mit einem Schuss Manhattaner Lebensstil.
Ich ließ den Blick über die Menge schweifen, doch Ethan war nirgendwo zu sehen. Enttäuschung erfasste mich, während mein Verstand mich beruhigte, dass er sich wahrscheinlich nur verspätete. Eine Viertelstunde später, als ich mich zentimeterweise in der Schlange vorwärtsbewegte und immer wieder auf die Uhr sah, war ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher.
Umso erleichterter war ich, als Bentley zu kläffen anfing und aufgeregt mit dem Schwanz wedelte. Ich erspähte Ethan, der sich durch die Menge schob und mir lässig zuwinkte, worauf mein Magen das vertraute Mambo-Tänzchen hinlegte.
»Tut mir leid, dass ich zu spät komme«, sagte er und bückte sich, um Bentley hinter den Ohren zu kraulen, während dieser, um ein Zipfelchen Aufmerksamkeit heischend, bereits an seinem Bein hinaufkletterte.
»Ich bin froh, dass du es überhaupt geschafft hast. Allmählich dachte ich schon, du hättest mich versetzt.«
»Nie im Leben.« Er schüttelte den Kopf, während wir uns in der Schlange weiter vorwärtsschoben und unsere Bestellung aufgaben, wobei Bentley noch immer um Ethans Füße tanzte. »Es war nur viel los heute Vormittag. Mein Termin zog sich hin.«
»Tut mir leid. Etwas Ernstes?«
»Nichts, was ich nicht in den Griff bekäme. Aber jetzt bin ich ja hier, mit dir.« Er lächelte und zahlte, dann trug er unser Tablett in Richtung Park und sah sich nach einem Platz um. Das größte Problem am Shake Shack ist, dass es fast unmöglich ist, einen Tisch zu bekommen. An manchen Tagen ist es sogar so schwierig, dass man deswegen die so genannte Shack Cam installiert hat, auf der man im Internet die Länge der Schlange sehen und dann entscheiden kann, ob man überhaupt herkommen möchte.
Zum Glück hatten wir Bentley bei uns, der uns mit wedelndem Schwanz und wackelndem Hinterteil zu einem Tisch führte, dessen Gäste gerade erst aufgestanden waren.
»Guter Trick«, bemerkte Ethan und setzte sich auf einen Stuhl. »Kann er uns auch einen Tisch im Pastis besorgen?«
»Das wäre toll, was?«, lachte ich, obwohl ich bezweifelte, dass Ethan McCay Mühe hätte, irgendwo einen Tisch zu bekommen, egal in welchem Restaurant. Sein Familienname öffnete ihm unter Garantie jede Tür. »Aber ich fürchte, die Mehrzahl der kulinarischen Tempel ist nicht scharf auf kalte Schnauzen und Fellgesichter.« Wie auf ein Stichwort sprang Bentley auf meinen Schoß und legte das Kinn auf die Tischkante.
»Wie schade«, sagte Ethan. »Dabei würde er sich bestimmt besser benehmen als so mancher hochkarätiger Stammgast.«
»Sie ist es, Angie«, hörte ich in diesem Moment eine Stimme hinter mir. »Ich hab dir doch gleich gesagt, dass sie es ist.«
»O mein Gott!« Augenblicke später traten zwei Frauen an unseren Tisch, beide in Jeans, die eine mit einem »I love New York«-Sweatshirt, die andere in einem bedruckten Top mit mehr Glitzer auf der Vorderseite, als man an einem Samstagabend auf dem Gehsteig in Chelsea zu sehen bekam.
»Ich liebe Ihre Sendung«, schwärmte die eine Frau. »Ich gucke sie mir jede Woche an.«
»Und ich verpasse sie auch nie«, fiel die zweite ein. »Sie sind unsere Lieblingsmoderatorin.«
Die beiden nickten eifrig, dann zückte die Erste eine Serviette und einen Stift. »Kriege ich ein Autogramm? Für Liz und Angie?«
Lächelnd nickte ich und setzte meinen Namen auf die Serviette.
»Ziemlich beeindruckend«, bemerkte Ethan, als die beiden außer Hörweite waren. »Kommt das häufig vor?«
»Nicht so oft.« Ich schüttelte den Kopf. »Ein- oder zweimal pro Woche vielleicht.«
»Das kann ziemlich lästig sein, vermute ich.«
»Überhaupt nicht.« Ich lächelte. »Eigentlich ist es eher ein Kompliment. Ich meine, es ist doch schön zu wissen, dass die Leute sich die Sendung ansehen.«
»Mit geradezu kultartiger Hingabe, wenn man Liz und Angie als Richtschnur nimmt.«
Ich lachte, dann saßen wir einen Moment lang in einträchtigem Schweigen da.
»Und«, sagte Ethan schließlich und nahm einen Bissen von seinem Burger, »wie war dein Vormittag?«
»In Vergleich zu deinem wohl eher ereignislos. Ich war früh im Studio und habe ein paar Promotionspots gedreht; den Rest des Vormittags habe ich dann zu Hause Rezepte ausprobiert.«
»Klingt interessant«, erwiderte er. »Deine eigenen, oder stammen sie von jemand anderem?«
»Beides«, antwortete ich. »Ich probiere gern aus, ob ich Rezepte aus dem Restaurant nachkochen kann. Im Moment bin ich bei den Agnolotti, die ich im Craft gegessen habe.«
»Ich dachte immer, Pasta sei gleich Pasta«, sagte er und nahm noch einen Bissen von seinem Hamburger. Es gab Leute, die behaupteten, die Burger im Shake Shack seien die besten der Welt. Was durchaus möglich war, wenn man bedachte, dass sie auf der anderen Seite des Parks, im Madison Eleven, einem von Manhattans Nobelrestaurants, vorbereitet wurden.
»Ist es auch mehr oder weniger. Obwohl sich gute hausgemachte Pasta nicht mit dem Zeug vergleichen lässt, das man sonst so isst. Aber Agnolotti sind eine Art Ravioli aus dem Piemont, und erst die Füllung und die Sauce machen sie zu etwas Besonderem. In diesem Fall pürierte Süßkartoffeln mit einer Sauce aus Butter und Pekannüssen.«
»Klingt sehr interessant«, sagte er, wobei sein skeptischer Tonfall seine Worte Lügen strafte.
»Ehrlich, es schmeckt toll. Trügerisch leicht und unglaublich lecker. Nur ist es mir bislang nicht gelungen, die Zutaten genau herauszufinden. Es ist irgendetwas in diesem Kartoffelpüree, ich weiß nur noch nicht, was. Aber du solltest es auf keinen Fall ablehnen, bevor du es probiert hast.«
»Wenn du das Geheimnis gelüftet hast, werde ich es vielleicht versuchen.«
Dies war das perfekte Stichwort, um ihn zu der Dinnerparty einzuladen, wo ich besagte Agnolotti servieren wollte. Aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Teils wegen meiner Zweifel im Hinblick auf seine Herkunft, teils wegen meiner Angst vor Zurückweisung, die ich nicht leugnen konnte. Wahrscheinlich war es dumm von mir, aber ich beschloss, lieber den Mund zu halten.
»Du sagtest, du hättest ein ziemlich unerfreuliches Meeting gehabt«, sagte ich, während ich Stück um Stück von meinem Hotdog abbrach, um es an meinen Hund zu verfüttern.
»Nicht unerfreulicher als sonst. Nur war dieses Gespräch etwas persönlicher als alle anderen. Eine unserer Firmen bekam in letzter Zeit ziemlich schlechte Presse, deshalb versuchen wir, den Stier bei den Hörnern zu packen.«
»Verteidigungsmaßnahmen.«
»Offen gestanden geht es eher um eine Offensive. Aber du bist bestimmt nicht hergekommen, um dich über die Geschäfte unseres Familienunternehmens zu unterhalten.« Er schob seinen halb aufgegessenen Burger beiseite, um sich der eigentlichen Köstlichkeit zu widmen – dem Frozen Custard. Die heutige Spezialität war Kaffee-Brownie und sah selbst von meiner Seite des Tisches absolut köstlich aus.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf und widerstand. »Aber ich wüsste gern, wann du mir von deiner Familie erzählen wolltest. Bislang ist es dir ja gelungen, die Tatsache zu unterschlagen, dass du Walter Mathias’ Enkelsohn bist.«
»Wir sind nur nie darauf zu sprechen gekommen«, erwiderte er achselzuckend. »Zumindest nicht explizit.«
»Aber ich habe dir doch alles über meine Familie erzählt«, fuhr ich fort und hielt Bentley noch ein Stückchen Wurst hin.
»Und ich dir über meine. Ich habe nur den Nachnamen nicht erwähnt. Wann immer ich ihn ins Spiel bringe, verändert das etwas. Dabei sollte er keine Rolle spielen, finde ich, aber er tut es. Wie hast du es herausgefunden?«
»Ich habe dich gegoogelt.«
»Und ich höre heraus, dass du ein Problem mit meiner Herkunft hast.«
»Nicht per se. Es gehört nur zu meinen Regeln, mich nicht mit Männern einzulassen, die ›Verbindungen‹ haben.«
»Jetzt bist du diejenige, die wie die Sopranos klingt.« Er lachte und legte seinen restlichen Hamburger auf den Boden. Bentley spitzte die Ohren, dann hüpfte er mit einem entzückten Kläffen von meinem Schoß, ohne seinen jüngsten Schatz aus den Augen zu lassen.
»Du verwöhnst ihn.«
»Hey, du hast ihm doch gerade die Hälfte deines Würstchens gegeben. Aber zurück zum Thema. Ich bin immer noch derselbe Mann wie vor deiner Recherche.«
»Das stimmt. Und ich bin hier, also bin ich wohl der Idee, dass wir uns sehen, nicht ganz abgeneigt. Ich dachte nur, du solltest wissen, wie ich in diesem Punkt empfinde.«
»Und das aus dem Mund einer Frau, deren Vorfahren die Plymouth Colony gegründet haben. Ganz zu schweigen von deinem Urgroßvater, dem halb Massachusetts gehört hat. Hätten die beiden derselben Generation angehört, wäre Jackson Harold Winston wohl ein ernsthafter Konkurrent meines Großvaters gewesen.«
»Das ist wohl kaum das Gleiche. Immerhin hat mein Urgroßvater uns enterbt, schon vergessen?«
»Er hat deine Großmutter enterbt, aber nicht Althea und deine Mutter. Und damit folglich auch dich nicht. Außerdem geht es darum in Wahrheit gar nicht«, erklärte er, während Bentley, der kleine Verräter, den restlichen Hamburger verputzte und dann auf Ethans Schoß sprang.
»Sondern?«
»Im Grunde ist der Unterschied zwischen uns gar nicht so groß.«
»Also bitte«, stöhnte ich und stibitzte ein Löffelchen von seinem Eis. »Zwischen uns liegen Welten. Mein Großvater war ein griechischer Einwanderer, der durchs Land gezogen ist.«
»Und der mit seinem Import von Delikatessen ein Vermögen verdient hat. Er hatte vielleicht keinen großen Namen im Rücken, dafür hat er sich einen in Manhattan gemacht, und zwar aus eigener Kraft.«
»Trotzdem ist es nicht dasselbe«, protestierte ich.
»Doch, ist es. Mein Ur-Urgroßvater hat als irischer Dockarbeiter angefangen und den gleichen Traum verfolgt wie dein Großvater. Nur ein paar Generationen früher. Sieh den Tatsachen ins Auge – dein Geld ist genauso aristokratisch wie meines.«
»So gesehen vielleicht schon«, räumte ich ein.
»Aber ich sage dir nichts, was du nicht ohnehin längst weißt. Wieso erzählst du mir nicht, was wirklich hinter deiner Einstellung gegenüber der Manhattaner Gesellschaft steckt?«
»Dasselbe, was hinter allem in meinem Leben steckt«, seufzte ich und wünschte, ich hätte nie mit diesem Thema angefangen. »Meine Mutter.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich dir folgen kann.«
»Ich habe dir doch erzählt, dass meine Mutter ein ziemlicher Wildfang war. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass ihr Lebenswandel es nicht als leuchtendes Beispiel ins Lehrbuch für höhere Töchter geschafft hätte. Und damals war es eben wichtig, dass man sich ans Protokoll hielt.«
»Und ich nehme an, die Gesellschaft sprang nicht gerade freundlich mit ihr um.«
»So kann man es nennen. Sie haben sich über sie lustig gemacht, haben sie geächtet. Kurz gesagt, sie haben ihr das Leben zur Hölle gemacht. So sehr, dass sie am Ende davongelaufen ist.«
»Aber du sagtest doch, sie sei nach einem Streit mit Althea weggelaufen.«
»Das stimmt auch. Aber diese Auseinandersetzung war nur das, was das Fass zum Überlaufen brachte. Verstehst du denn nicht? Der Streit mit Althea ist quasi das Symbol dafür, wie die Gesellschaft meine Mutter sah. Sie wollten, dass sie sich ändert. Zu jemandem wurde, der sie nicht war. Und deswegen blieb ihr nichts anderes übrig, als zu verschwinden.«
»Und warum hat sie dich nicht mitgenommen?« Auf diese Frage war ich nicht gefasst gewesen, und da sie zu denen gehörte, auf die ich nach wie vor keine befriedigende Antwort gefunden hatte, tat ich, was ich immer tat, wenn sie mir gestellt wurde. Ich nahm meine Mutter in Schutz – und mit ihr das, wovon ich sicher sein musste, dass es die Wahrheit war.
»Das wollte sie ja. Zumindest glaube ich das. Aber Althea hat es nicht zugelassen. Sie dachte, es sei besser für mich, wenn ich hier in Manhattan bliebe.«
»Aber am liebsten wärst du bei deiner Mutter geblieben.«
»Natürlich.« Ich rang um Fassung. »Wer wäre das nicht? Melina war unglaublich, hat immer gelacht. Du hättest sie sehen sollen. Wenn sie einen Raum betrat, war es, als ginge die Sonne auf. Sie war immer so lustig. Ich weiß noch, dass sie mich einmal mitten in der Nacht aufgeweckt hat, damit ich einen Meteoritenschauer beobachten konnte. Wir hüllten uns in Decken und gingen über die Straße in den Park. Dort legten wir uns ins Gras und sahen zu, wie die Lichter über den Fluss sausten. Es war wie Magie. Ich hätte alles darum gegeben, mit ihr gehen zu können. Aber Althea sagte, ich müsse zur Schule gehen und bräuchte einen geregelten Tagesablauf, Disziplin und all das.«
»Kein ganz schlechter Ansatz.«
»Kann sein.« Ich zupfte an meiner Serviette herum und suchte nach den richtigen Worten. »Aber das ändert nichts daran, dass ich meine Mutter verloren habe.«
»Auf deinen Schultern liegt eine schwere Last«, sagte er und schob sein Eis beiseite. »Aber das weißt du natürlich längst, stimmt’s?«
»Ja.« Ich seufzte. »Wahrscheinlich. Aber normalerweise zeigt sie ihr hässliches Gesicht nicht in dieser Form. Es ist nur … seit ich herausgefunden habe, wer du bist, komme ich mir wie die schlimmste Heuchlerin vor. Ich war so wütend auf Dillon, weil er sich mit Diana eingelassen hat – der New Yorker Gesellschaftslady par excellence. Und dann auf Bethany wegen ihrer Abtrünnigkeit.«
»Ich schließe daraus, dass ihr neuer Freund auch Verbindungen hat?«, bemerkte er, während ein mühsam verhohlenes Lächeln um seine Lippen spielte.
Ich nickte. »Michael Stone.«
»Guter Mann.«
»Genau das sagt Bethany auch. Und ich will ja gar keine Vorurteile haben. Aber Althea hat die beiden zusammengebracht. Was es so … elitär macht. Und altmodisch. Beinahe wie eine arrangierte Hochzeit oder so etwas.«
»Aber deine Tante hat Bethany doch zu nichts gezwungen. Ich meine, ihre Eltern haben ihr kein Ultimatum gestellt, oder?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Dann ist es auch nicht dasselbe. Althea hat nur den Weg für ihr Aufeinandertreffen geebnet. Mehr nicht.«
»Aus deinem Mund klingt das so einfach.«
»Na ja, das ist es auch. Du bist wütend auf deine Tante. Was verständlich ist. Aber du hast zugelassen, dass deine Wut auf sie deine Meinung über eine bestimmte Bevölkerungsschicht beeinflusst. Mich eingeschlossen.«
»Aber ich habe doch erklärt …«
»Ja. Das hast du«, unterbrach er lächelnd. »Und mir ist durchaus bewusst, wie schnell manche Menschen mit ihren Urteilen bei der Hand sein können. Aber ich glaube nicht, dass das auf einen winzigen Teil der Gesellschaft beschränkt ist. Außerdem hast du meiner Meinung nach einen wesentlichen Punkt nicht berücksichtigt. Dein Großvater hat deine Großmutter geheiratet.«
»Ja, natürlich. Er hat sie geliebt.«
»Trotz ihrer Herkunft.«
»Genau.« Ich nickte, auch wenn ich nicht genau wusste, worauf er hinauswollte.
»Obwohl er also der Upperclass zutiefst misstraute und ihn das Verhalten von Harriets Vater abstieß, war seine Liebe zu deiner Großmutter groß genug, um sie zu heiraten. Trotz familiärem Hintergrund und Vermögen und all dem.«
»Du sprichst von einem Einzelnen. Und ich stimme dir zu. Aber das ist nicht die vorherrschende Meinung unter den Lunch-Ladys der Upper East Side.«
»Aber du gehst doch nicht mit ihnen aus. Sondern mit mir. Und deshalb ist nur wichtig, was wir denken. Und ich bin jedenfalls bereit, über deine gewissermaßen anarchische Einstellung hinwegzusehen, weil ich dich, unabhängig von deiner Meinung über deine Verwandtschaft oder vielleicht auch gerade deswegen, sehr faszinierend finde.«
»Ich … äh … ich weiß nicht recht, was ich sagen soll«, stammelte ich. Niemand hatte mich je als faszinierend bezeichnet. Kein Mensch.
»Sag einfach, dass du dich wieder mit mir treffen wirst.«
»Das werde ich.« Und ich stellte überrascht fest, dass ich es auch so meinte. Was auch immer Ethan McCay sein mochte, dieser Mann war verdammt aufregend. »Wenn du möchtest, kannst du gern zu der Dinnerparty kommen, die ich veranstalte. Das ist der Grund, weshalb ich mich an den Agnolotti versucht habe. Ich mache sie für Bethany und Michael. Die Party, nicht die Pasta. Damit er ihre Freunde kennenlernen kann. Aber wie auch immer, ich würde mich jedenfalls freuen, wenn du kommst.«
»Wann findet sie statt?«
»Ach ja.« Ich schüttelte den Kopf über meine Gedankenlosigkeit. »Am Samstag. Um sieben. Bei mir.«
»Es wäre mir eine Ehre.«
Ich ließ den Atem entweichen, den ich unwissentlich angehalten hatte, während mir bewusst wurde, wie sehr ich mir seine Zusage gewünscht hatte. »Gut«, erwiderte ich. »Dann wäre das ja geklärt.« Einen Moment lang starrte ich auf meine Hände, dann sah ich meinen Hund an, der noch immer auf Ethans Schoß lag. »Und ich muss zugeben, du bist überhaupt nicht wie sie.«
»Wie die Lunch-Ladys?«, fragte er mit gespieltem Erschaudern. »Das möchte ich doch hoffen. Ich meine, ich bin diesen Damen oft genug begegnet, deshalb kann ich nicht behaupten, ich wüsste nicht, was du meinst. Aber wie gesagt, ich glaube, indem du eine gesamte Gesellschaftsschicht für die Sünden einiger weniger Unwissender verachtest, schneidest du dir ins eigene Fleisch.«
»Zumindest im Hinblick auf uns beide«, erklärte ich.
»Zumindest im Moment.« Er zuckte die Achseln und lächelte schief. »Ich glaube, das ist alles, was zählt.«