Kapitel 12
»Ich kann nicht glauben, wie dämlich ich war. Du hättest mich hören sollen. Ich habe dahergeredet, als hätte ich den Verstand verloren.« Seufzend arbeitete ich mich durch Petersiliensträuße, bis ich einen gefunden hatte, der mir frisch genug erschien.
Auf dem Greenmarket, der für sein frisches Obst und Gemüse, Brot, Käse und sogar Fisch berühmt war und deshalb regelmäßig von den Meisterköchen der Stadt aufgesucht wurde, herrschte bereits am frühen Morgen Hochbetrieb. Ich war buchstäblich im Morgengrauen aufgestanden, um die frischesten Lebensmittel für die Party zu besorgen. Und Clinton, eigentlich kein Frühaufsteher, hatte sich netterweise bereit erklärt, mich zu begleiten.
»Ich verstehe die Reaktion durchaus«, sagte er, als ich prüfend an ein paar Tomaten roch. »Das ist eben eine Art wunder Punkt bei dir. Aber für mich klingt es, als wäre Ethan recht gut damit fertig geworden.«
»Na ja, immerhin hat er für die Party zugesagt. Ich schätze, das ist ein gutes Zeichen.«
»Allerdings. Und in gewisser Weise ist es auch gut, dass du deine Meinung gesagt hast. Wenigstens weiß er jetzt, was ihn erwartet.«
»Aber das funktioniert doch nie im Leben, Clinton. Kannst du dir vorstellen, dass ich mich ernsthaft mit einem Mathias einlasse?«
»Andi, du interessierst dich doch nicht für ›einen Mathias‹, sondern für Ethan.«
»Das stimmt, aber wenn ich eine ernsthafte Beziehung mit ihm einginge, würde das die gesamte Familie mit einschließen. Ich meine, sie könnten eines Tages meine Schwiegereltern werden. Kannst du dir das vorstellen?«
»Bitte schlag mich nicht.« Er hob in gespielter Abwehr den Arm. »Aber das kann ich tatsächlich.«
»Clinton!«
»Andi«, erwiderte er kopfschüttelnd. »Bist du nicht ein klein wenig vorschnell?«
»Wahrscheinlich schon, aber du weißt ja, dass ich immer alles überanalysiere.«
»Dann lass es doch einfach«, sagte er. »Wieso lehnst du dich nicht zurück und genießt es?«
»Weil ich gerade eine Trennung hinter mir habe und nicht geradewegs in die nächste hineinschlittern will.«
»Und wieder beschwörst du Probleme herauf, die du in Wahrheit gar nicht hast.«
»Ich weiß. Und eigentlich ist es auch nicht meine Absicht. Ehrlich nicht. Ich weiß nur, dass ich gar nicht erst mit ihm ausgegangen wäre, hätte ich von Anfang an gewusst, wer er ist.«
»Deshalb ist es vielleicht sogar gut, dass du es nicht wusstest. Manchmal greift das Schicksal ein, wenn man am wenigsten damit rechnet. Vielleicht hat Dillon Diana kennengelernt, damit du Ethan finden kannst.«
Ich bezahlte die Petersilie und die Tomaten, und wir gingen an den Ständen vorbei zu meinem Lieblingsbäcker. »So reizend das klingen mag, ich kann mir nicht vorstellen, dass Dillon vorhatte, mir einen Gefallen zu tun.«
»Das behaupte ich auch nicht. Ich sage nur, dass wir manchmal so in unseren kleinen Dramen gefangen sind, dass wir das große Bild nicht erkennen können.«
»Focaccia, bitte«, sagte ich und zeigte auf einen Stapel Brotlaibe.
»Ich denke, das Bauernbrot wäre besser«, warf Clinton ein. »Du wolltest doch Bruschetta machen, oder?«
»Ja. Und ich habe immer Focaccia dafür benutzt.«
»Tja, ich finde, die Intensität des Belags kommt auf Bauernbrot besser zur Geltung«, erklärte er, während sich der Verkäufer ein Grinsen verkniff.
»Gut«, sagte ich mit einer knappen Handbewegung, »dann nehme ich das Bauernbrot.« Ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, Clinton in Lebensmittelfragen niemals zu widersprechen. Er konnte ziemlich unnachgiebig in seinen Ansichten sein – und außerdem hatte er meistens recht.
»Also«, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf, »ich verstehe deine Abneigung gegenüber Menschen, die vorschnell andere aburteilen.« Clinton war eines jener Genies, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht waren, formvollendet und perfekt. Er sprach nie darüber, wo er herkam, sondern behauptete beharrlich, hier in Manhattan habe er genau die Familie, die er brauche. In Anbetracht der Tatsache, dass ich meine gesamte Kindheit von dem Wunsch beseelt gewesen war, meine Verwandten mögen von der Insel verbannt werden, konnte ich diese Einstellung durchaus nachvollziehen. »Aber das heißt nicht, dass es da draußen nicht auch anständige Leute mit einem anständigen Konto und gesellschaftlichem Einfluss gibt.«
»Genau das hat Ethan auch gesagt. Mehr oder weniger.«
»Kluger Mann. Sieh den Tatsachen ins Auge – die Mathias könnten die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel sein.«
»Und woher willst du das wissen?«
»Ich habe bei mehreren Wohltätigkeitsveranstaltungen mit Ethans Großmutter zusammengearbeitet. Und ich habe im Lauf der Jahre mehrmals Geschäfte mit seinem Vater und seinem Großvater gemacht. Walter Mathias’ Firma hat in eines meiner ersten Restaurants investiert. Insofern urteilst du vielleicht wirklich vorschnell.«
»Tja, das wäre nicht das erste Mal, was?«, lachte ich.
»Also gibst du Ethan eine Chance?«
»Ja. Ich sagte doch, dass ich das tun würde. Außerdem – welche Alternative hätte ich?« Ich lächelte. »Bentley liebt ihn.«
»Aus dem Maul eines Hundes …« Wir blieben bei einem Stand stehen, um frischen Mozzarella zu kaufen.
»Dachte ich mir doch, dass ich euch hier finde.«
Wir drehten uns um und sahen Cassie mit einer Aktentasche in der Hand hinter dem Käsestand stehen. Ich habe Cassie noch nie in etwas anderem als einem Businesskostüm gesehen. Nicht einmal am Wochenende. Sie gehört zu den Menschen, die mehr Zeit bei der Arbeit als zu Hause verbringen.
»Was führt dich denn hierher?«, fragte Clinton, der ebenso überrascht war wie ich. »Du kochst doch gar nicht.«
»Aber ich esse. Und das ist beinahe dasselbe.« Sie zuckte die Achseln. »Aber eigentlich bin ich hergekommen, um euch beide zu finden.«
»Woher wusstest du, dass wir hier sind?«
»Du gibst heute Abend eine Party. Und zu Hause warst du nicht. Daraus habe ich geschlossen, dass du hier sein musst.«
»Ich wusste nicht, dass ich so vorhersehbar bin.« Die Vorstellung gefiel mir ganz und gar nicht.
»Bist du auch nicht. Wirklich nicht«, beschwichtigte sie mich. »Es war eine reine Vermutung.«
»Nicht dass wir uns nicht freuen würden, dich zu sehen«, sagte Clinton, »aber du hättest doch anrufen können.« Er tätschelte sein Handy.
»Ja, aber das hätte den ganzen Spaß verdorben.« Mittlerweile hätte Cassie der Grinsekatze alle Ehre gemacht. »Wollt ihr gar nicht wissen, weshalb ich gekommen bin?«
»Du hattest spontan Lust, bei den Vorbereitungen für heute Abend zu helfen«, schlug Clinton neckend vor.
»Klar. Und neuerdings wird die Zeitung von Hausschweinen ausgetragen. Nein. Ich habe von Monica Sinclair gehört.«
»Und …« Mein Herzschlag beschleunigte sich um ein paar Takte.
»Sie hat uns einen Termin bei DuBois beschafft. Er sei interessiert, sagt sie. Natürlich ist das Ganze damit noch nicht in trockenen Tüchern, aber wir haben definitiv einen Schritt vorwärts gemacht.«
»O Gott, das ist ja fantastisch«, stieß ich hervor, während mir das Herz noch immer bis zum Hals schlug.
»Ich wusste, dass es klappt!« Clinton reckte triumphierend die Faust. »Hauptabendprogramm, wir kommen!«
»Nicht so schnell«, warnte Cassie. »DuBois gewährt uns eine Audienz – trotzdem müssen wir ihn erst noch dazu bringen, zu uns in die Sendung zu kommen.«
»Das stimmt, aber allein ein Gespräch mit ihm ist schon die halbe Miete«, verkündete Clinton. »Ich habe ein gutes Gefühl bei der Sache.«
»Wann findet der Termin statt?«, fragte ich.
»Nächste Woche. Sie meldet sich noch wegen des genauen Zeitpunkts und Orts, wenn sie mit Philip gesprochen hat. In der Zwischenzeit müssen wir unseren Angriff genau planen. Wir müssen uns eine Strategie überlegen, wie wir an DuBois herangehen wollen.«
»Aber nicht heute«, wandte Clinton ein. »Andi hat im Moment mehr als genug am Hals.«
Ich lächelte ihn dankbar an. Wie gesagt, Cassie neigt dazu, die Arbeit über alles zu stellen.
»Außerdem hat Andi offenbar in der ersten Runde das Steuer herumgerissen, deshalb erscheint es mir am klügsten, wenn sie mit DuBois direkt verhandelt.«
»Keine schlechte Idee«, stimmte Cassie zu. »Trotzdem haben wir noch eine Menge zu besprechen. Aber ich kann heute auch nicht, weil ich am Nachmittag ein Meeting im Sender habe.«
»An einem Samstag?«
»Jameson Dinwiddy ist aus Dallas hergeflogen, und das war die einzige Möglichkeit für ein Gespräch mit ihm.« Sie zuckte die Achseln. »Außerdem möchte ich unbedingt genau wissen, was wir DuBois anbieten können. Und was wir im Gegenzug von ihm erwarten. Auf diese Weise kann ich gewährleisten, dass der Sender hinter uns steht, wenn wir uns mit DuBois treffen, was bedeutet, dass die Geschichte praktisch unter Dach und Fach ist, wenn wir DuBois überzeugen können.«
»Aber du kommst doch trotzdem heute Abend, oder?«, fragte ich. Cassie war berüchtigt für ihre Absagen in letzter Minute. Schuld daran war zweifellos besagte Neigung zum Workaholic.
»Natürlich. Die Party werde ich auf keinen Fall verpassen. Keine Sorge, das Meeting wird lange vorher vorbei sein.«
»Gut, und dann feiern wir«, verkündete Clinton.
»Zumindest werden wir auf die Möglichkeit trinken, dass wir es schaffen«, korrigierte Cassie.
»Wie auch immer«, sagte ich lächelnd.
Wenige Stunden später hatte ich meine Einkäufe beendet und kehrte nach Hause zurück. Seit meinem Sturz in den Keller stand in meinem Leben kein Stein mehr auf dem anderen. Es war mir gelungen, die Chance auf den Sprung ins Hauptabendprogramm in eine durchaus plausible Möglichkeit zu verwandeln, ich hatte einen bemerkenswerten Mann kennengelernt, der an mir interessiert war – trotz meines losen Mundwerks –, und vor mir lag ein Nachmittag, den ich mit Kochen zubringen würde. Das reinste Paradies.
Alles lief prächtig.
Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und betrat mit meinen Einkaufstüten in der Hand das Apartment.
»Andrea, wo warst du?«
Ich bekam beinahe einen Herzinfarkt und ließ prompt zwei der Tüten fallen. So viel zum Thema prächtig. »Althea«, japste ich und ging in die Hocke, um das Obst und Gemüse einzusammeln, während Bentley versuchte, mir zuvorzukommen. »Du hast mir einen Riesenschreck eingejagt. Wie bist du hereingekommen? Ich habe doch die Schlösser austauschen lassen.«
»Aber der Ersatzschlüssel liegt noch an derselben Stelle.« Zur Demonstration schwenkte sie den Schlüssel mit dem rosa-goldfarbenen Eulenanhänger. »Keine sehr kluge Idee, wenn man jemanden nicht in der Wohnung haben will.«
Das stimmte. Nicht vergessen: Schlüssel anderswo verstecken.
»Wie lange bist du schon hier?«, fragte ich und sammelte noch immer die Lebensmittel ein.
»Nicht lange. Vielleicht seit einer halben Stunde.«
Eilig sah ich mich in der Wohnung um, konnte aber keinen Hinweis auf Plünderung entdecken. Der Respekt vor Privatsphäre war noch nie Altheas Stärke gewesen. Besonders nicht vor meiner.
»Ich hatte schon Angst, dir sei etwas zugestoßen«, sagte sie mit leisem Vorwurf in der Stimme. »Seit Tagen versuche ich dich zu erreichen.« Was ich natürlich nur zu gut wusste, aber ich würde unter keinen Umständen zugeben, dass ich ihren Anrufen ausgewichen war.
»Ich hatte sehr viel zu tun. Mit der Sendung und der Party.« Ich deutete auf die Tüten, die ich mittlerweile auf dem Küchentresen in Sicherheit gebracht hatte.
»Oh, stimmt ja«, sagte sie. »Für Bethany und Michael. Was für eine reizende Idee. Besonders wenn man bedenkt, wie sehr du die Umstände verabscheust, unter denen sie sich gefunden haben.«
»Du meinst dich«, erklärte ich, nicht bereit, Zurückhaltung zu üben.
Sie zuckte die Achseln. »Obwohl ich nicht nachvollziehen kann, weshalb du einen Groll gegen Bethanys Glück hegst, nur weil es durch Heiratsvermittlung zustande gekommen ist.«
»Nicht durch irgendeine Vermittlung«, korrigierte ich, sorgsam darauf bedacht, ruhig zu bleiben. »Sondern durch deine.«
»Wie auch immer«, erklärte sie mit einer wichtigtuerischen Geste, »ich finde es jedenfalls reizend.«
»Dass du dich eingemischt hast?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Die Idee mit der Party.«
»Freut mich, dass sie deine Zustimmung findet.« Sarkasmus ließ sich nun mal nicht so ohne weiteres unter Kontrolle halten.
»Und mich freut es, dass es dir gut geht. Das tut es doch, oder?«
»Hervorragend. Ich habe gerade wunderbare Nachrichten erhalten. Es sieht so aus, als bekäme ich ein Interview mit Philip DuBois. Was bedeutet, dass die Sendung es ins Hauptabendprogramm schaffen könnte.«
»Das ist ja wunderbar …«, begann sie, ehe sie von einem Hustenanfall unterbrochen wurde.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich, nahm ein Glas und füllte es mit Wasser. »Hier, trink das.« Ich gab ihr das Glas, und sie nippte daran, während sie sich mit der Hand Luft zufächelte.
»Tut mir leid«, sagte sie und stellte das Glas auf den Küchentresen. »Aber ich muss etwas in den falschen Hals bekommen haben.«
»Bist du sicher, dass es dir wieder gut geht?«
»Ja, absolut.« Sie nickte. »Und ich freue mich sehr über die Neuigkeit. Hauptabendprogramm. Wäre das nicht wunderbar? Natürlich ist es trotzdem nur Kabelfernsehen.« So viel zum Thema uneingeschränkte Loyalität.
»Ich freue mich jedenfalls sehr darüber. Noch steht es nicht fest, aber es sieht definitiv gut aus. Und was war der andere Grund, weshalb du hergekommen bist? Abgesehen davon, nachzusehen, ob ich zu Hause bin?« Die Frage war ein wenig vorlaut, aber hätte ich nicht rundheraus gefragt, würden wir hier noch den ganzen Tag sitzen. Besser den Stier bei den Hörnern packen.
»Ja. Natürlich. Das hätte ich beinahe vergessen. Ich wollte dir sagen, dass deine Großmutter kommt.« Das war nicht das Thema, mit dem ich gerechnet hatte. Vielleicht war ich noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.
»Ich dachte, sie sei in Cabo San Lucas.« Meine Großmutter war der Ansicht, man müsse ein Leben aus dem Koffer führen. Und am liebsten in einem 5-Sterne-Hotel mit Personal, das ihn auspackte. Ihre Reiselust war etwas, was sie mit meiner Mutter gemeinsam hatte. Das und die Neigung, das Leben in einem leicht veränderten Bewusstseinszustand wahrzunehmen – in ihrem Fall mit Hilfe zahlreicher Martinis.
»War sie auch«, bestätigte Althea. »Aber als sie von deinem Unfall hörte, bestand sie darauf, sofort zurückzukommen. Um sich selbst ein Bild zu machen.«
»Hast du ihr nicht gesagt, dass es mir gut geht?«
»Doch, natürlich. Aber du weißt ja, dass sie nicht auf mich hört.« Das stimmte.
»Aber sie hätte doch anrufen können.«
»Na ja, du warst nicht gerade leicht zu erreichen.« Ein Anflug von schlechtem Gewissen erfasste mich. Vielleicht war ich ihren Anrufen ja konsequenter aus dem Weg gegangen, als ich hätte sollen. »Jedenfalls will sie sich selbst davon überzeugen, dass es dir gut geht. Und ich kann ihr keinen Vorwurf daraus machen. Ich selbst war außer mir vor Angst, als der Anruf aus dem Krankenhaus kam.« Okay, mein schlechtes Gewissen wurde mit jeder Sekunde größer. »Und deshalb dachte ich, vielleicht könnte ich ja selbst eine kleine Party schmeißen.«
»Ich weiß nicht recht«, sagte ich stirnrunzelnd. »Ich habe im Moment schrecklich viel zu tun.«
»Andrea.« Ich hasste es, wenn sie meinen Namen auf diese tadelnde Weise aussprach. »Du wirst doch wohl etwas Zeit für deine Großmutter erübrigen können.« So gesehen, konnte ich wohl kaum Nein sagen.
»Und was hast du vor?«, fragte ich und setzte ein, wie ich hoffte, unbeschwertes Lächeln auf.
»Na ja, ich dachte an morgen. Brunch.«
»Althea, ich gebe heute Abend eine Party. Ich werde bestimmt morgen keine Zeit für einen Brunch haben.« Nicht einmal für meine Großmutter.
»Ich erwarte ja nur von dir, dass du kommst, mehr nicht«, erklärte sie mit nervtötender Logik.
»Natürlich.« Meine Gewissensbisse wuchsen immer weiter. »Ich werde da sein.«
»Und bringst du Ethan mit?« Und damit hatte sie die Bombe platzen lassen. Einfach so, ohne Vorwarnung. Ich hätte es wissen müssen, doch sie hatte mich eingelullt und mich glauben lassen, ich wäre noch einmal davongekommen.
»Ich kann nicht … ich meine … es ist … ich …« Mühsam brachte ich noch ein paar unzusammenhängende Worte heraus, ehe ich innehielt. Gewiss war es klüger zu schweigen, als mich vollends zum Narren zu machen.
»Es ist doch nur ein Brunch.«
»Ich habe mich erst ein paar Mal mit ihm getroffen und kann mir nicht vorstellen, dass er schon so weit ist, der ganzen Familie vorgestellt zu werden.«
»Warum um alles in der Welt nicht? Heute Abend kommt er doch auch, oder?« Bethany und ihr loses Mundwerk.
»Althea, ich möchte nicht darüber reden. Mein Liebesleben ist meine Angelegenheit.«
»Liebe?« Sie rammte ihre Zähne in das Wort wie ein Bullterrier in eine Rinderhälfte. »Also hast du dich in ihn verliebt? Und ich kann durchaus nachvollziehen, weshalb.«
»Ich habe nichts Derartiges behauptet«, widersprach ich und ließ mich auf einen Küchenhocker fallen. »Ich war zweimal mit ihm aus. Außerdem habe ich die Trennung von Dillon noch nicht überwunden. Also zieh bloß keine voreiligen Schlüsse, okay?
»Gut. Nach dem was Bethany sagte, dachte ich nur …«
»Bethany hätte den Mund halten sollen. Können wir jetzt das Thema wechseln?«
»Sicher. Aber du solltest dir trotzdem überlegen, ob du ihn mitbringen möchtest. Deine Großmutter würde ihn bestimmt gern sehen.«
»Sie kennt ihn?« Offenbar noch etwas, das Ethan mir zu erzählen vergessen hatte.
»Ich habe keine Ahnung, ob sie ihm je begegnet ist, aber sie hegt große Bewunderung für seinen Großvater. Sie sind seit Jahren befreundet.« Offenbar war ich geradewegs in einer Art Paralleluniversum gelandet – in dem Althea sich besser in meinen Beziehungen auskannte als ich selbst.
»Ich werde ihn aber nicht mitbringen.«
»Es ist eine offene Einladung.« Althea akzeptierte kein Nein als Antwort. »Falls du es dir anders überlegst.«
»Das werde ich nicht.«
»Ehrlich, Andrea«, sagte sie und nahm ihre Birkin-Handtasche, »ich verstehe nicht, wieso du alles so kompliziert machen musst. Ich erwarte dich um elf Uhr. Mit oder ohne Ethan McCay.«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn jedoch wieder. Manchmal wusste selbst ich, wann es klüger war, still zu sein. Sie verabschiedete sich mit zwei Luftküssen und verschwand, während der leise Hauch ihres Parfums wie ein duftendes Mahnmal in der Luft hing.
»Also wirklich, Bentley«, sagte ich in meiner besten Althea-Imitation. »Ich weiß nicht, weshalb wir uns überhaupt die Mühe machen.« Bentley gähnte, und ich seufzte. »Nichts, was ich tue, ist jemals gut genug. Die Mühe ist völlig vergeblich.«
Und niemals wurden wahrere Worte gesprochen, glauben Sie mir – mit Ausnahme von Ethan McCay. Er war ein Mann, den meine Tante aus vollem Herzen gutheißen konnte.
Und genau das war das Problem.