Kapitel 25

An einem guten Tag braucht man zu Fuß von Harriets Apartment auf der East End Avenue zu Altheas Apartment auf der Fifth etwa fünfundzwanzig Minuten. Ich brauchte zwei Stunden – einerseits, weil ich noch immer zu verdauen versuchte, was Bernie mir erzählt hatte, andererseits, weil mir unterwegs die unterschiedlichsten lukullischen Verführungen auflauerten.

So elitär die Upper East Side sein mag, dort befinden sich die besten Märkte der Stadt – Agata und Valentina, Eli’s, Citarella und Grace’s, um nur einige zu nennen. Und ich besuchte gleich mehrere davon. Durch die Gassen zu schlendern, vorbei an Obst, Gemüse und frischen Backwaren, hatte für mich etwas ähnlich Beruhigendes wie für andere Frauen der Anblick überbordender Kleiderständer oder Regale voller Manolos, Maddens und Jimmy Choos.

Die Tatsache, dass ich mit Armen voller Plastik- und Styroporbehälter schließlich vor Altheas Tür auftauchte, war Beweis dafür, dass ich völlig durcheinander war.

Zwar war ich immer noch schrecklich wütend darüber, was sie und Ethan ausgekocht hatten, aber zugleich hatte mich Bernies Enthüllung zutiefst berührt. Ich hatte mir nie die Mühe gemacht, die Dinge aus Altheas Perspektive zu betrachten, da meine Wahrnehmung viel zu sehr von dem Streit beeinträchtigt war, den ich vor all den Jahren mit angehört hatte. Vielleicht war es ein dummer Fehler gewesen. Oder vielleicht hatte ich auch nur den Glauben an meine Mutter nicht verlieren wollen. Aber wie auch immer – obwohl Althea mich über ihr Lebensglück mit einem Mann gestellt hatte, war es mir gelungen, sie stets auf Armeslänge von mir zu halten.

Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es sich bei diesem Mann rein zufällig um Philip DuBois handelte – genau jener Mann, in dessen Händen meine Karriere lag. Okay, vielleicht nicht meine gesamte Karriere, aber zumindest meine Chance auf das Hauptabendprogramm.

Kein Wunder, dass er gesagt hatte, ich sähe jemandem sehr ähnlich, den er früher einmal gekannt hatte. Selbst wenn die Leute behaupteten, ich hätte große Ähnlichkeit mit meiner Mutter, war ich in Wahrheit das Abbild von Althea in jüngeren Jahren. Mein Anblick musste gewesen sein, als stünde die Vergangenheit leibhaftig vor ihm. Und zwar auf keine sehr angenehme Art und Weise.

Als er Althea als Grund für seine Absage vorgeschoben hatte, war nicht der Gedanke an die Paparazzi ausschlaggebend gewesen, sondern er hatte an die Frau gedacht, die er damals sitzen gelassen hatte. Wegen ihrer Schwester.

Ich betrat die Lobby des Hauses, in dem Althea wohnte, und fuhr mit dem Aufzug in den 28. Stock. Doch ich konnte mich nicht überwinden zu klopfen. Stattdessen stand ich davor und starrte die Tür an. So lange, bis Mildred DiGrassi, Altheas 85-jährige Nachbarin, argwöhnisch den Kopf zur Tür herausstreckte. Obwohl ich beteuerte, ich hätte keineswegs die Absicht, mich mit ihrer Hummelfiguren-Sammlung aus dem Staub zu machen, konnte ich sie auf der anderen Seite der Tür hören, das Auge immer noch am Spion.

Natürlich wusste auch Althea garantiert, dass ich hier draußen stand: Das Gebäude war doppelt und dreifach gesichert. Höchstwahrscheinlich gab sie mir lediglich etwas Zeit, mich zu sammeln. Und ich hätte dankbar dafür sein sollen, doch stattdessen fühlte ich mich vollkommen verloren.

Ich hatte die letzten Stunden versucht, mir einen Reim auf all das zu machen, was geschehen war, doch vergeblich. Ich stand also auf diesem Korridor, sehr zum Ärger von Mildred DiGrassi, und hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.

Doch am Ende spielte es ohnehin keine Rolle.

Althea öffnete die Tür und breitete die Arme aus. Und nach nicht einmal drei Sekunden lag ich darin.

Eine mütterliche Umarmung hat etwas unglaublich Tröstliches, egal, wie wütend man auf die Frau ist, die einen in die Arme schließt. Tausend Erinnerungen brachen über mich herein. Althea, die mir Zöpfe flocht. Althea, die mit mir meinen ersten BH einkaufen ging. Althea, die strahlend meine erste (und auch einzige) Tanzaufführung besuchte. Man hatte uns unsere Rollen entsprechend unseres Talents zugewiesen. Ich sollte ein Tor darstellen. Was im Grunde lediglich erforderte, dass ich in der zweiten Reihe stand und einen Hula-Hoop-Reifen vor und zurück schwenkte. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich nicht der Star der Aufführung war, aber Althea hatte applaudiert, als wäre ich eine Primaballerina bei der Premiere.

Es gab zahllose Erinnerungen. Ich hatte sie nur nie als das erkannt, was sie waren.

»Ich bin immer noch böse auf dich«, sagte ich und löste mich von ihr.

»Ich weiß. Und du hast jedes Recht dazu. Ich hätte es klüger anstellen müssen. Aber ich habe nur versucht zu helfen.«

Und da hatten wir es. Das reinste aller Motive. Selbst im Angesicht der Katastrophe, die sich mein Leben schimpfte, entging mir die Aufrichtigkeit in ihrer Stimme nicht. Sie liebte mich. Das wusste ich mit einem Mal.

»Und was hast du mitgebracht?«, fragte sie in der Absicht, die Stimmung zu lockern.

»Bernies Muffins.« Ich hielt ihr einen mit Alufolie abgedeckten Teller hin. »Die fehlende Zutat ist Zitronenschale.«

»Hat sie es dir also endlich verraten?«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe es von allein herausgefunden. Neben ein paar anderen Dingen.«

»Ich wusste, dass du irgendwann darauf kommen würdest.« Althea lächelte vieldeutig. »Das tust du doch immer.«

»Richtig«, stimmte ich zu. »Nur manchmal dauert es eben eine Weile.«

»Manchmal muss erst eine Krise kommen, damit wir erkennen, was wir die ganze Zeit vor der Nase hatten.«

»Davon hatte ich in letzter Zeit ja mehr als genug«, erwiderte ich und setzte mich aufs Sofa. Der Raum mit seinen Creme-, Rosé- und Türkistönen war sehr elegant. Ganz Althea. »Obwohl ich mir die eine oder andere selbst eingebrockt habe.«

»Tja, wenigstens bist du in der Lage, es zuzugeben. Das können nicht viele.« Sie stellte den Teller mit den Muffins auf den Tisch. »Und wo wir schon dabei sind – ich entschuldige mich für den Teil, der auf mein Konto geht. Ich wollte dich nicht verletzen.«

»Ich weiß.« Ich nickte. »Ich will auch nicht behaupten, dass das hilft. Aber ich weiß es.«

Einen Moment lang saßen wir schweigend da, ehe ich mich mit einem Seufzer ins kalte Wasser stürzte. »Bernie hat mir erzählt, was passiert ist. Mit Philip DuBois und meiner Mutter.«

»Ich weiß. Sie hat angerufen, um es mir zu sagen.«

»Um dich zu warnen, meinst du.« Ich lächelte schwach. »Ich war ziemlich aufgebracht.«

»Woraus ich dir keinen Vorwurf machen kann. Ich hätte dir schon vor langer Zeit die Wahrheit sagen müssen. Ich war nur nicht sicher, ob das wirklich nötig ist. Und ich fand die Vorstellung schrecklich, dein Bild von deiner Mutter zu zerstören.«

»Nein. Es war wichtig für mich, endlich zu verstehen, was wirklich passiert ist. Scheint so, als hätte ich eine Menge falscher Eindrücke mit mir herumgeschleppt. Ich glaube inzwischen sogar, dass das eine Spezialität von mir ist.«

»Du willst nur das Beste in allen sehen. Dagegen gibt es nichts einzuwenden.«

»Na ja, in dir habe ich nicht das Beste gesehen. Stattdessen habe ich dir die Schuld dafür gegeben, was mit meiner Mutter passiert ist. Ich dachte, du hättest sie aus dem Haus getrieben.«

Althea lachte. »Als ob ich das jemals geschafft hätte. Deine Mutter hätte nie etwas getan, was sie nicht wollte.«

»Zum Beispiel, mich einfach zurückzulassen.« Ich verabscheute die Bitterkeit in meiner Stimme, doch ich konnte nicht anders. Die Wahrheit war nun einmal schmerzhaft. »Und all die Jahre habe ich an einen Menschen geglaubt, der gar nicht existiert.«

»Sie existiert durchaus, Andrea. Auf einer bestimmten Ebene. Deine Mutter lebt im Hier und Jetzt. Und wenn du die Gelegenheit hast, diesen einen Moment mit ihr zu teilen, kann es wie Magie sein.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ja«, antwortete sie. »Die Menschen sind, wie sie sind. Genau so müssen wir sie akzeptieren. Sonst werden wir nur enttäuscht. Und ich bezweifle keine Sekunde, dass Melina dich liebt. Sie weiß nur nicht, wie man sich als Mutter verhalten soll.«

»Aber du hattest keine Angst davor, dich dieser Aufgabe zu stellen. Und dabei war ich noch nicht einmal dein Kind.«

»Du warst immer mein Kind, Andrea.« Lächelnd drückte sie meine Hand. »Vom ersten Augenblick an, als ich in dein winziges Gesichtchen gesehen habe. Ich musste keinen Moment lang überlegen. Es war kein Opfer für mich.«

»Aber du hast Philip geliebt.«

»Und er ist mit meiner Schwester durchgebrannt. Aber Vergangenheit ist nun mal Vergangenheit.«

»Und redest du jemals mit ihr? Mit Melina, meine ich?« Ich hatte mich nicht bewusst dafür entschieden, ihren Vornamen zu benutzen, sondern er war mir einfach herausgerutscht. Doch in dem Augenblick, als ich es tat, geschah etwas in meinem Innern. Ich löste mich von meinem Schmerz. Und die Wohltat war beinahe mit Händen greifbar. Genau wie in jenem Moment, wenn man vom Zehn-Meter-Brett springt und spürt, wie die Angst in Hochgefühl umschlägt. Mir war klar, dass dieses Gefühl nicht ewig anhalten würde, dass es immer noch vieles gab, was ich aufarbeiten musste. Aber zumindest für den Augenblick war es unendlich befreiend.

»Nicht oft«, antwortete Althea. »Wir haben uns nicht allzu viel zu sagen. Mutter hält mich auf dem Laufenden, und das genügt.«

»Aber du musst sie doch hassen.«

»So einfach ist das nicht. Sie ist meine Schwester. Und ich habe sie schon vor langer Zeit als den Menschen akzeptiert, der sie ist.«

»Und was ist mit Philip? Hast du mit ihm geredet?«

»Seit er wieder in New York ist? Nein. Obwohl ich es vielleicht hätte tun sollen. Das hätte es für dich möglicherweise einfacher gemacht. Aber du regelst deine Angelegenheiten lieber selbst, und es schien, als hättest du alles unter Kontrolle.«

»Das ist ein Trugschluss«, erwiderte ich lachend und staunte, wie gut es sich anfühlte, mit Althea zu reden. Vielleicht war es ja gar nicht meine Tante, die hier vor mir saß. Vielleicht war diese neue, sanftmütigere Frau ja ein Klon oder etwas ähnlich Gruseliges. Oder vielleicht sah ich die Dinge auch nur zum ersten Mal, wie sie waren.

»Als wir das letzte Mal geredet haben, schien doch alles gut zu laufen«, sagte Althea. »Ist etwas passiert?«

»Er hat mir eine Absage erteilt. Wegen dir, sagt seine PR-Beraterin. Ich dachte, sie spielt auf das Tamtam wegen der Wette und Vanessas und Marks Verlobung an. Aber natürlich war in Wahrheit die Geschichte von dir und Melina gemeint.«

»Ausgeschlossen.« Altheas Züge verhärteten sich. »Ich werde nicht zulassen, dass etwas, was vor einer halben Ewigkeit geschehen ist, dein Leben negativ beeinflusst.«

»Ich bin nicht sicher, ob du etwas dagegen unternehmen kannst. Und selbst wenn, weiß ich nicht, ob ich es möchte. Ich meine, dieser Mann ist Abschaum. Und nach allem, was er dir angetan hat, habe ich sowieso kein Interesse mehr, mit ihm zusammenzuarbeiten.«

»All das ist vor so langer Zeit passiert«, sagte sie sanft. »Es war demütigend und schmerzlich. Aber ich hatte es längst vergessen und begraben. Die eigentliche Wahrheit ist, dass Philip DuBois der Verlierer in dieser Sache war. Nicht ich. Ich habe dich bekommen. Er hingegen Melina.«

Das war vielleicht das Schönste, was mir je ein Mensch gesagt hatte. »Ich weiß das zu schätzen, aber unabhängig davon, wer besser dabei weggekommen ist, gefällt mir die Vorstellung, mit ihm zusammenzuarbeiten, nicht mehr.«

»Was ist mit dem Hauptabendprogramm?«, fragte sie und brachte es wieder einmal auf den Punkt.

»Ich werde einen anderen Weg finden müssen. Wenn nicht jetzt gleich, dann eben später. Unsere Sendung läuft gut. Und wir brauchen keinen Philip DuBois, um das zu beweisen. Wir werden es auch ohne ihn schaffen. Aus eigener Kraft.«

»Ich liebe dich dafür, dass du das sagst«, erwiderte Althea, »aber es ist nicht nötig, dass du dir ins eigene Fleisch schneidest, nur um mein Gesicht zu retten. Oder so in der Art.«

»Das ist nicht ganz die richtige Metapher, aber ich verstehe, worauf du hinauswillst.« Allmählich gefiel mir die Vorstellung von Andi und Althea gegen den Rest der Welt.

»Also lässt du mich mit ihm reden?«

»Ich weiß nicht recht.«

»Ich kann ihn dazu bringen, seine Meinung zu ändern«, sagte sie. »Ich meine, im schlimmsten Fall drohe ich ihm einfach, seine schmutzige Wäsche in aller Öffentlichkeit zu waschen.«

»Das ist wohl nicht dein Ernst.«

»Na ja, ich will keinen Rachefeldzug führen. Aber ich werde nicht zulassen, dass das, was zwischen Philip, Melina und mir war, sich noch weiter negativ auf dich auswirkt. Ich will, dass deine Sendung ein Erfolg wird. Und wenn ein Interview mit Philip DuBois dafür nötig ist, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, damit es klappt.« Da war sie wieder, die Althea, die ich kannte und liebte. Die Königin der Manipulation. Nur dass sie diesmal auf meiner Seite stand; besser gesagt, sie hatte immer dort gestanden, nur war ich zu blind gewesen, es zu merken.

Aber wie auch immer, es war sinnlos, sich mit Althea zu streiten, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. »Also gut. Dann rede mit Philip. Zeig dich von deiner schlimmsten Seite.«

»Oder von meiner besten.« Sie lächelte. »Alles eine Frage der Perspektive.«

Und genau das war der springende Punkt – alles war eine Frage der Perspektive. Und meine eigene war gehörig verrutscht. Meine Mutter mochte die Welt durch eine rosa Brille sehen, ich hingegen hatte Scheuklappen getragen. Und es war höchste Zeit, sie abzunehmen; mein Leben als das zu akzeptieren, was es war. Ich war nicht meine Mutter, und ich war auch nicht Althea – aber hoffentlich eine Mischung aus den besten Eigenschaften der beiden. Und, was noch viel wichtiger war, ich war ich. Und das war doch schon etwas.

»Gut«, riss Althea mich aus meinen Überlegungen. »Dann sind wir uns also einig. Ich rufe Philip an. Aber vorher müssen wir noch über etwas anderes sprechen.«

Meine neugefundene Reife verflog schlagartig. Das Letzte, worüber ich diskutieren wollte, war Ethan. Besser, die Tür zuschlagen und weitermachen, als wäre nichts geschehen. »Ehrlich, Althea, ich glaube nicht, dass es dazu noch etwas zu sagen gibt.«

»Es gibt sogar eine ganze Menge, Andi.« Ich konnte mich nicht erinnern, dass Althea mich je zuvor Andi genannt hatte. Natürlich war es keine große Sache, aber es fühlte sich gut an. Irgendwie richtig. »Und bis jetzt war die Einzige, die etwas dazu gesagt hat, Diana Merreck.«

»Glaub mir, sie hat genug für uns alle gesagt.«

»Aber nicht die ganze Wahrheit. Und wenn ich heute eines gelernt habe, dann, dass es wichtig ist, vollkommen aufrichtig zu sein. Ich gebe zu, dass ich dich mit Ethan verkuppelt habe. Aber ich bin nicht auf ihn zugegangen, sondern umgekehrt.«

»Was willst du damit sagen?« Mein Magen rebellierte bedrohlich.

»Er kam noch in der Nacht im Krankenhaus auf mich zu. Er war an dir interessiert, aber er wusste, dass es dir nicht gut ging. Wegen Dillon und der Trennung und allem. Also fragte er mich um Rat. Und anfangs war ich ganz seiner Meinung, dass es wohl kein optimaler Zeitpunkt für einen neuen Mann in deinem Leben wäre. Aber er hat sich nicht beirren lassen. Und so kam ich auf die Idee, eine scheinbar zufällige Begegnung mit dir zu arrangieren.«

»Im Park. Ich fasse es nicht, dass ich das nicht durchschaut habe.«

»Was? Dass ein Mann so großes Interesse an einer Frau haben kann, dass er sogar bereit ist, ihre Familie um Hilfe zu bitten?«

»So ausgedrückt, klingt es ziemlich normal.«

»Wenn du meinen Beruf einmal beiseitelässt, ist es das auch. Und weil du ihn mochtest und ich dich liebe, habe ich zugestimmt.«

»Mich zu verkuppeln.«

»Es euch beiden zu vereinfachen, zueinanderzufinden.«

»Aber Diana sagte …«

»Diana hat keine Ahnung. Es gab keine Hintergedanken. Abgesehen von dem Wunsch, dass es dir wieder besser geht. Und wieso hätte ich mir das nicht wünschen sollen? Dillon hat dir sehr wehgetan, und mittlerweile solltest du wissen, dass ich alles tun würde, damit du dich besser fühlst. Notfalls sogar den Burschen abknallen, wenn ich gedacht hätte, dass es hilft.«

»Du mochtest Dillon noch nie.«

»Was ich dachte, spielt keine Rolle. Du hast ihn geliebt. Und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn jemand, den man liebt, einen verletzt.«

»Also wolltest du nur etwas tun, damit ich nicht mehr so traurig bin?«

»Ja.« Sie nickte. »Und ich dachte – ehrlich gesagt, tue ich es immer noch –, Ethan könnte derjenige sein, dem das gelingt.«

»Und Ethan wollte tatsächlich nur mit mir ausgehen?«

»So ziemlich. Du bist in den Keller gefallen, und er ist dir verfallen.«

»Also willst du behaupten, alles, was passiert ist, was ich gesagt habe, war nur ein Missverständnis? Ich habe meine Chance auf das Glück vermasselt, weil ich geglaubt habe, was Diana verbreitet?«

»Es muss nicht vorbei sein«, wandte Althea ein. »Mag sein, dass du ein bisschen katzbuckeln musst, aber auch er hat Fehler gemacht. Er hat dich angelogen.«

»Ich habe ihn mit meiner fixen Idee, du könntest in meinem Leben herumpfuschen, förmlich dazu getrieben.«

»Es war nicht deine Schuld. Ich mische mich ja tatsächlich ein. Das gehört zu mir. Ich kann nicht anders. Genau deshalb bin ich so eine gute Partnervermittlerin. Und vielleicht keine ganz so gute Tante?«

»Du bist toll. Ich habe die Dinge nur nicht im richtigen Licht gesehen.«

»Jedenfalls«, fuhr sie fort, »gibt es für euch beide definitiv noch Hoffnung.«

»Nein, gibt es nicht«, widersprach ich und starrte auf meine Hände. »Denn Dillon hat mir gestern Abend geholfen, unbemerkt aus dem Pierre zu kommen. Und dann ist er … na ja, über Nacht geblieben.«

»Ich schließe daraus, dass er nicht auf dem Sofa übernachtet hat.«

Ich schüttelte den Kopf. »Er war wunderbar. Er hat Diana in die Wüste geschickt, hat mich zum Hinterausgang hinausgeschmuggelt und sich für alles entschuldigt, was passiert war. Wir haben geredet und getrunken. Viel getrunken. Und eines führte zum andern … Jedenfalls kam Ethan heute Morgen vorbei, als Dillon ohne Hemd dastand und ich nur ein Bettlaken um mich geschlungen hatte. Es war nicht schön.«

»Hast du überhaupt mit Ethan geredet?«

»Ja. Gewissermaßen. Ich habe ihm die Meinung gesagt. Und er … na ja, er hatte nicht viel zu sagen. Was unter diesen Umständen wohl nachvollziehbar ist. Aber damit dürfte klar sein, dass eine Versöhnung nicht in Frage kommt. Ich habe das Ende praktisch besiegelt, indem ich mit meinem Ex geschlafen habe.«

»Und was ist mit Dillon?«

»Ich bin nicht sicher, worauf du hinauswillst.«

»Wollt ihr euch versöhnen?«, fragte sie mit zusammengezogenen Brauen.

»Nein. Ich habe keine Ahnung, wie ich auf die Idee kam, dass wir überhaupt eine Chance haben. Du hattest völlig recht. Wir haben nichts gemeinsam.«

»Ihr habt euch geliebt.«

»Aber das reicht nicht, stimmt’s? Da muss noch mehr sein. Etwas, worauf man aufbauen kann. Und bei Dillon war einfach nichts.«

»Trotzdem hast du mit ihm geschlafen.«

»Ich war am Boden zerstört und betrunken«, gab ich aufrichtig zu.

»Keine gute Kombination.«

»Ehrlich gesagt«, fuhr ich kopfschüttelnd fort, »kann ich mich an fast nichts erinnern. Aber vermutlich brauchte ich die Gewissheit, dass ich jemandem etwas bedeute. Aber sobald ich die beiden heute Morgen nebeneinander gesehen habe, wusste ich, dass das, was zwischen Dillon und mir war, endgültig vorbei ist. Und kaum war Ethan gegangen, habe ich ihn weggeschickt.«

»Klingt, als wärst du zur Vernunft gekommen. Es tut mir nur leid, dass es auf diese Weise passieren musste. Und ich bereue aufrichtig, dass ich das Ganze ins Rollen gebracht habe, nur weil ich dir nicht von Anfang an über Ethans Interesse reinen Wein eingeschenkt habe.«

»Du hattest gute Gründe für dein Verhalten. Niemand hat Schuld. Es ist einfach, wie es ist. Und es ist Zeit, dass ich mein Leben weiterlebe. Wie du selbst sagst, manchmal ist es besser, der Vergangenheit nicht nachzutrauern.«

»Ich habe von etwas geredet, das vor zwanzig Jahren passiert ist. Du und Ethan …«

»Althea …« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie finster.

»Aber ich wollte doch nur …«

»Helfen?« Wie auf ein Stichwort brachen wir in Gelächter aus, und mit einem Mal schien die Welt nicht mehr ganz so düster zu sein. Aus all dem Schlimmen war etwas Gutes erwachsen – ich hatte meine Mutter gefunden. Meine wahre Mutter. Und das Lustige daran war, dass sie die ganze Zeit vor meiner Nase gestanden hatte. Manchmal sieht man tatsächlich die Wälder vor Bäumen nicht. Oder wie das Sprichwort heißt.

»Also gut«, sagte meine Mutter, noch immer lächelnd. »Ich verspreche es – keine Einmischung mehr.«

Es war ein tapferes Versprechen. Und ich glaube, auf ihre eigene Weise meinte sie es auch so. Zumindest in diesem Augenblick.

Aber ich wusste es besser.

Manche Dinge lassen sich nicht so ohne Weiteres ändern.