Kapitel 13
Dinnerpartys gehören einer aussterbenden Gattung an, fürchte ich. Besonders in Manhattan. Die Leute nehmen sich einfach nicht mehr die Zeit dafür.
Ich erinnere mich noch, wie ich als Mädchen Bernie beim Silberpolieren half, wenn meine Großmutter eine Party gab. Das ganze Haus blitzte und funkelte; in jedem Zimmer standen frische Blumen; köstliche Düfte zogen aus der Küche durchs Haus; das Porzellan und das Silber schimmerten im Esszimmer. Und kurz bevor die Gäste kamen, rauschte meine Mutter herein, mit raschelndem Kleid und eingehüllt in eine Wolke Chanel N° 5. Sie sah immer atemberaubend aus.
Manchmal durfte ich sogar länger aufbleiben und beim Servieren der Horsd’œuvres helfen. Ich nahm meine Aufgabe sehr ernst und bot Bernies Köstlichkeiten mit einer ausladenden Geste an. Meine Mutter pflegte zu lächeln, mein Großvater zwinkerte mir zu, und Althea ermahnte mich, es sei höchste Zeit, ins Bett zu gehen.
Spielverderberin.
Nichtsdestotrotz war es eine magische Zeit. Doch nach dem Tod meines Großvaters und nachdem meine Mutter fortgegangen war, gab es nicht mehr so viele Partys. Es war fast, als hätte meine Mutter jegliche Lebensfreude mitgenommen. Allem Anschein nach hat meine Großmutter die Verluste nie verwunden. Und Althea konnte diesen Vergnügungen ohnehin nie viel abgewinnen. Sie war stets die Praktische in der Familie gewesen.
Jedenfalls begann ich, meine eigenen Dinnerpartys zu geben, sobald ich alt genug war. Für meine Familie und Freunde. Vermutlich wollte ich auf diese Weise meine Erinnerungen wachhalten. Meine Großmutter hatte mir einen Teil ihres Porzellans und ihres Silbers überlassen. Und es machte mir immer noch große Freude, alles vorzubereiten und dafür zu sorgen, dass alles perfekt war.
Und manchmal, wenn ich besonders nostalgisch war, trug ich sogar Chanel N° 5.
Heute jedoch richtete ich mein Augenmerk auf die Gegenwart. Und vielleicht sogar auf die Zukunft. Ethan kam, und obwohl mein gesunder Menschenverstand eindringlichste Warnungen ausstieß, schlug mein Herz sie alle in den Wind. Stattdessen betörte ich meinen Verstand, indem ich im Geiste seinen Kuss wiederaufleben ließ (okay, Küsse). Der im Shake Shack war sogar noch besser gewesen als der erste. Tief, verheißungsvoll, erregend und … irgendwie richtig.
Lächelnd schnitt ich die Tomaten klein und bemühte mich nach Kräften, mich zu konzentrieren. In nicht einmal einer halben Stunde würden elf Leute an meinem Tisch sitzen. Deshalb wäre ein Schnitt in den Finger, nur weil ich mich von pheromonlastigen Tagträumen hinreißen ließ, nicht ganz so praktisch.
Die Agnolotti waren fertig, nur die Sauce musste noch zubereitet werden. Der Salat war gewaschen, aber das Dressing fehlte noch, und das Lamm, mariniert und bratfertig, wartete auf seine Gemüsebeigabe. Die Cremetörtchen standen ebenfalls bereit und mussten lediglich mit Erdbeeren garniert werden. Und das Bauernbrot hatte ich zwar aufgeschnitten und getoastet, jedoch noch nicht mit der Tomatenmischung belegt.
Okay, also noch einiges zu tun.
Ich hatte mich von Cassies guten Neuigkeiten und Altheas Besuch ein wenig ablenken lassen. Von ein paar Besorgungen in letzter Minute ganz abgesehen. Und offen gestanden war es lange her, seit ich das letzte Mal eine Party dieser Größe allein auf die Beine gestellt hatte. Bisher hatte ich stets jemanden an meiner Seite gehabt, der mir half. In jüngerer Vergangenheit war dieser Jemand meistens Dillon gewesen.
Seltsam, wie man Gewohnheiten entwickeln konnte, ohne sich dessen bewusst zu sein. Um ein Haar hätte ich die Blumen vergessen. Erst beim Anblick der leeren Vase war es mir wieder eingefallen. Der Blumenschmuck war stets Dillons Aufgabe gewesen, ebenso wie die Getränke und eine Vielzahl anderer Dinge, um die ich mich die letzten drei Jahre nicht gekümmert hatte.
Er mochte kein sonderlich begabter Koch sein, dafür war er aber ein echtes Talent, wenn es um Organisation und Unterhaltung der Gäste ging. Und obwohl ich die Trennung mittlerweile halbwegs überwunden hatte, überfiel mich ein Anflug von Wehmut. Ich vermisste all die vielen Kleinigkeiten, die eine langjährige Beziehung ausmachten. Die Normalität.
Ich gab die Tomaten in eine Schüssel und schob meine tristen Gedanken beiseite. Heute standen erfreuliche Dinge wie der Neubeginn im Mittelpunkt. Bethanys und mein eigener. Und ich würde mir nicht von alten Erinnerungen die Stimmung vermiesen lassen. Außerdem verklärte ich sie ohnehin viel zu sehr. Beim Aufräumen hatte Dillon jedes Mal kläglich versagt. Meistens war er zu Bett gegangen und hatte mich mit dem Abwasch allein gelassen. Oder, schlimmer noch, er hatte darauf bestanden, dass wir gleich zu Bett gingen (okay, dieser Teil war gewöhnlich recht nett gewesen), dafür hatten mich am nächsten Morgen ein riesiger Berg schmutzigen Geschirrs und sonstiger Partymüll empfangen. Und zwar normalerweise allein.
Seufzend griff ich nach der Petersilie und hatte gerade begonnen, sie grob zu zerkleinern, als es an der Tür läutete. Offenbar ein zu früher Gast. Ich legte das Messer beiseite, sah auf den Überwachungsmonitor und lächelte, als ich Bernie mit einer riesigen Tüte dastehen sah.
Ich ließ sie herein und kehrte an die Arbeit zurück. Mit geübten Bewegungen zerkleinerte ich die Petersilie, ehe ich ein paar Basilikumblättchen in feine Streifen schnitt.
»Sieh an«, bemerkte Bernie beim Hereinkommen, »ein Bild der Häuslichkeit.«
»Ich bevorzuge den Begriff Gourmet-Promi. Das klingt irgendwie besser, findest du nicht auch?«
»Wenn man dazu neigt, sich aufzuspielen«, konterte Bernie schnaubend.
»Hat Althea dich zum Spionieren geschickt?« Zutrauen würde ich es ihr, aber Bernie konnte derlei hinterlistigen Spielchen wenig abgewinnen.
»Bestimmt hätte sie mich gefragt, wenn sie daran gedacht hätte«, erwiderte Bernie lachend und stellte zwei Tupperbehälter auf den Küchentresen. »Aber sie hat es nicht getan. Ich dachte nur, du könntest ein bisschen Hilfe gebrauchen.«
»Und etwas zu essen?« Ich nickte in Richtung der Behälter.
»Nur ein paar Krabbenhäppchen und Käsewaffeln.« Bernies Krabbenhäppchen waren so zart wie ein Lufthauch und ihre Käsewaffeln geradezu legendär. »Die passen praktisch zu allem.«
»Sie sind perfekt«, sagte ich und mischte die Kräuter unter die Tomatenstücke. »Ich hatte vor, nur Bruschetta als Vorspeise zu servieren. Aber so ist es viel besser.«
»Deshalb bin ich hier. Was soll ich tun?«
Ich wollte protestieren, doch dann ging mir auf, dass ich ihre Gefühle damit verletzen würde, und außerdem konnte ich Hilfe gut gebrauchen. »Im Kühlschrank sind Zwiebeln und Paprika, die für die Shish-Kebabs geschnitten werden müssen.«
Ich gab Öl über die Tomaten-Kräuter-Mischung und häufte sie in die Kristallschale auf einer großen Silberplatte mit dem Brot. Gericht Nummer eins war servierbereit …
»Wie ich höre, kommst du morgen zum Brunch«, sagte Bernie und bestückte die Spieße mit geübten Bewegungen abwechselnd mit Zwiebeln, Paprika und Lammstreifen.
»Ohne Ethan, falls es das ist, worauf du abzielst. Ich bin nicht bereit, ihn der Familie zu präsentieren.«
»Sie meint es doch nur gut, Andi«, sagte Bernie.
»Althea?« Ich bemühte mich, nicht allzu skeptisch zu klingen, doch es gelang mir nicht. »Wohl kaum.«
»Du hast sie einfach nie wirklich verstanden.«
»So wie du es tust?«, fragte ich und trat ans Spülbecken, um die Erdbeeren abzuwaschen.
»Ich will nicht behaupten, ich verstünde alles, was sie tut. Aber ich weiß, dass sie das meiste für dich tut.«
»Und ich glaube, du hast zu tief ins Sherry-Glas geschaut.«
Bernice lächelte. »Tja, vielleicht sollten wir einfach das Thema wechseln.«
»Sie ist dein Boss, deshalb musst du dich auf ihre Seite stellen.« Sowie die Worte über meine Lippen kamen, bereute ich sie auch schon. »So habe ich es natürlich nicht gemeint …«
»Das weiß ich«, erwiderte Bernie. »Und ich weiß auch, dass du weißt, wie sehr dich Althea liebt.«
»Auf ihre eigene Art wohl schon«, sagte ich achselzuckend, als es an der Tür läutete. Offenbar kamen heute alle zu früh. »Trotzdem werde ich Ethan nicht mitbringen.«
»Genau deshalb habe ich mir ja einen Vorwand ausgedacht, um herkommen und ihn mir selber ansehen zu können.« Grinsend verteilte Bernie die Krabbenhäppchen auf einem Backblech.
»Tja, dann mach dich bereit«, sagte ich beim Anblick von Ethan in der Überwachungskamera, bei dem sich mein Herzschlag auf beunruhigende Weise beschleunigte, »weil er nämlich schon hier ist.« Ich warf ihr einen panischen Blick zu. »Und ich sehe grauenhaft aus.« Ich trug eine alte Schürze mit zahllosen Flecken. »Und ich bin weder mit dem Make-up noch mit meinen Haaren fertig.«
»Lass den Mann herein«, tadelte Bernie. »Sonst glaubt er noch, du willst ihn hier nicht haben.«
»Aber das tue ich doch auch nicht«, erwiderte ich und versuchte, normal zu atmen. »Zumindest nicht im Moment.«
»Los, dann beeil dich und mach dich fertig.« Bernie wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Ich lasse ihn herein.«
»Du bist ein Geschenk des Himmels«, flüsterte ich und machte mich auf den Weg ins Badezimmer, wo mich die Rettung in Form von Bobbi Brown erwartete. Zehn Minuten später, frisch frisiert und mit einer anständigen Schicht Lippenstift versehen, holte ich tief Luft und ging durch den Korridor ins Wohnzimmer. Vor der Tür blieb ich stehen, um einen Moment lang unbeobachtet zusehen zu können.
Zu meinem Erstaunen stand Ethan mit aufgerollten Hemdsärmeln neben Bernie und schnippelte Erdbeeren, während diese sich um das Lamm kümmerte. Ich hatte befürchtet, die Atmosphäre zwischen ihnen könnte angespannt sein, doch stattdessen sah es aus, als hätten sie bereits ganze Abende nebeneinander in der Küche zugebracht. Ich lächelte und dachte, wie mühelos sich Ethan in mein Leben einzufügen schien.
»Ihr beide seht aus, als würdet ihr seit Jahren zusammenarbeiten«, bemerkte ich und trat ins Wohnzimmer.
»Bernie sorgt dafür, dass ich keinen Fehler mache«, erklärte Ethan, während ich lächelte, als mir auffiel, dass er sie bei ihrem Spitznamen genannt hatte. Soweit ich wusste, nannte sie außer Wilson und mir niemand so. Die Tatsache, dass sie ihn ihm verraten hatte, war ein gutes Zeichen.
»Du bist früh dran«, sagte ich und kam mir ein wenig wie das fünfte Rad am Wagen vor.
»Ich dachte, ich könnte vielleicht helfen.« Lächelnd nickte er in Richtung des wachsenden Erdbeerbergs.
»Sieht aus, als würdest du deine Sache sehr gut machen«, erklärte ich. »Aber Bernie war schon immer ein erstklassiger General.«
»Schließlich verdiene ich meinen Lebensunterhalt damit, einen Haushalt zu organisieren«, sagte sie und zuckte lächelnd die Achseln.
»Sie hat mir gerade von deinen ersten Gehversuchen in der Küche erzählt.«
»Aber nicht die Pfannkuchengeschichte, oder?« Ich verdrehte die Augen und zog eine Grimasse.
Damals war ich noch ganz klein gewesen. Kaum groß genug, um eine Pfanne zu halten, vom Befolgen eines Rezepts ganz zu schweigen, aber wild entschlossen, meiner Mutter Pfannkuchen zu backen. Und ich hatte Bernie eine Million Mal dabei beobachtet, also hatte ich spielerisch Milch, Mehl und Eier zu einem Teig zusammengerührt, aus dem die wahrscheinlich widerlichsten Pfannkuchen der Welt entstanden wären, und hatte mich ans Werk gemacht – ausgestattet mit dem Ehrgeiz, wie eine Profiköchin die Pfannkuchen auf traditionelle Weise zu wenden.
Bernie war gerade in die Küche gekommen, als ich mit aller Kraft die Pfanne schwenkte, worauf der Pfannkuchen mit verblüffendem Schwung hochgeflogen und sich zu den drei Vorgängern an der Küchendecke gesellt hatte.
»Das Ganze war nicht gerade von Erfolg gekrönt.« Ethan lachte.
»Es war eine Katastrophe«, bestätigte ich und trat neben die beiden. »Ich glaube, noch heute sind Reste davon an der Decke, obwohl sie gestrichen wurde – zweimal.«
»Ich habe versucht, sie wegzubekommen«, warf Bernie ein, »aber sie hatten die Konsistenz von Industriekleber.«
»Meine erste Kocherfahrung habe ich mit Burgern gemacht – in der Grundschule. Ich habe versucht, sie in meiner Popcornmaschine zuzubereiten.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich hören möchte, was daraus geworden ist«, sagte ich.
»Na ja, es war eine altmodische Popcornmaschine. Du weißt schon, so ein Ding mit Teflonboden. Mein Zimmergenosse hatte es ausprobiert. Zumindest behauptete er das. Jedenfalls schien es zu funktionieren. Eigentlich sogar ganz gut, bis das Fett zu brennen anfing.«
»Und du hast Wasser darauf gegeben«, warf ich ein und wartete gespannt, was als Nächstes kommen würde.
»Genau«, erwiderte Ethan grinsend. »Woher weißt du das?«
»Das ist der häufigste Grund für Brände in der Küche – ganz zu schweigen von Popcornmaschinen.« Ich hatte Mühe, mir das Lachen zu verbeißen. »Sag nicht, du hast den ganzen Schlafsaal angezündet.«
»Nein. Ganz so schlimm war es nicht. Aber die Popcornmaschine war hinüber, und vom Teppich will ich gar nicht erst reden.«
»Teppich?« Bernie brach in Gelächter aus.
»Ich habe auf dem Boden gekocht. Nicht sehr schlau, das muss ich zugeben. Aber es war bequem.«
»Und Bequemlichkeit siegt über Logik«, erklärte ich nickend, als wäre es nur allzu nachvollziehbar. »Ich wünschte, ich hätte es miterleben dürfen. Und dann gab es mächtig Ärger?«
»Der Rektor rief meinen Vater an. Was schlimmer war als jede Strafe, die sie mir sonst hätten aufbrummen können. Meine Familie war seit Generationen in Andover. Mein Vater war sogar der Leiter des Schulbeirats. Deshalb war es nicht weiter verwunderlich, dass er außer sich vor Wut war. Er drohte sogar, mich von der Schule zu nehmen und auf eine Militärschule zu schicken, soweit ich mich erinnere.«
»Aber Sie haben es überlebt«, warf Bernie ein. »Ich meine, Sie haben doch in Andover Ihren Schulabschluss gemacht, soweit ich mich erinnere.«
»Und das weißt du so genau, weil …«, hakte ich nach, erstaunt über ihre Detailkenntnis seiner Biografie.
»Ich habe im Internet nachgesehen, wer er ist.« Hätte ich nicht genau das Gleiche getan, wäre ich stinkwütend auf sie gewesen …
»Das scheint in der Familie zu liegen«, bemerkte Ethan mit einem Seitenblick in meine Richtung.
»Ich habe ihn auch gegoogelt«, erklärte ich achselzuckend und war über die Maßen erfreut, dass er Bernies Stellenwert in meinem Leben erkannte.
»Na ja, angeborene Neugier eben …« Bernie lachte. Und mit einem Mal fühlte es sich an, als sei die Welt in bester Ordnung.
»Die Erdbeeren sind fertig«, verkündete Ethan und holte uns ins Hier und Jetzt zurück. »Was steht sonst noch an?«
»Ich glaube, die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Ich muss nur noch letzte Hand an die Horsd’œuvres legen. Wenn du willst, kannst du die Käsewaffeln auf eine Platte befördern.« Ich griff nach der Servierplatte hinter mir über dem Spülbecken.
»Die ist sehr hübsch. Aus Italien?«
»Ja, stimmt«, antwortete ich, erfreut, dass er die Herkunft sofort erkannt hatte. »Sie gehört zu meinen Lieblingsexemplaren. Mutter hat sie mir vor ein paar Jahren geschickt.«
Bernie hustete – ihre gewohnte Lautäußerung, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Sie hatte meiner Mutter niemals ganz verziehen, dass sie mich verlassen hatte.
»Gefällt Ihnen die Platte nicht?«, fragte Ethan und musterte sie neugierig.
»Mit dem Ding ist alles in Ordnung«, erwiderte Bernie achselzuckend. »Ich halte nur nichts von Geschenken als Wiedergutmachung fürs Weglaufen.«
»Ich finde es nett, dass sie wenigstens daran denkt«, wandte ich ein, besorgt über die Wendung, die das Gespräch zu nehmen schien.
Bernie zuckte lediglich die Achseln und wandte sich wieder dem Lamm zu.
»Ich habe Wein mitgebracht«, verkündete Ethan dankbarerweise in diesem Moment. »Ich wusste nicht, was du kochst, deshalb habe ich Weiß- und Rotwein ausgesucht.«
»Hervorragend«, erwiderte ich, erleichtert über den Themenwechsel. »Wieso trinken wir nicht ein Glas?«
»Das ist eine wunderbare Idee«, sagte Bernie. »Ihr schenkt euch ein Glas ein, während ich hier vollends aufräume und mich dann auf den Heimweg mache.«
»Auf keinen Fall«, protestierte ich. Im Hinblick auf meine Mutter mochten wir unterschiedlicher Meinung sein, aber das änderte nichts daran, wie ich zu Bernie stand. »Du bleibst natürlich zum Essen. Ich weiß, dass Wilson heute Abend arbeitet, deshalb kannst du ihn nicht als Ausrede benutzen.«
»Das geht nicht, Andi. Ich gehöre nicht dazu. Außerdem wäre dann die Gästezahl ungerade.«
»Du würdest mir sogar einen Gefallen damit tun«, beharrte ich. »Clinton kommt nämlich allein, das heißt, mit dir wäre die Zahl gerade. Außerdem liebt dich Clinton.«
»Bernie, Sie müssen bleiben«, erklärte Ethan. »Wir werden ein Nein nicht akzeptieren.«
»Ethan hat völlig recht.« Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu, insgeheim entzückt über die Benutzung des »wir«. »Bitte, ja?«
»Also gut.« Bernie hob resigniert die Hände. »Aber ich brauche eine Beschäftigung. Deine Gäste müssen jede Minute hier sein.«
Ich sah auf die Uhr. »Du meine Güte, ich habe gar nicht mitbekommen, wie spät es ist. Bernie, kannst du nachsehen, ob oben alles in Ordnung ist, während ich die Tabletts hier vorbereite?«
»Oben?«, fragte Ethan.
»Das Dach«, erklärte Bernie und deutete auf die Wendeltreppe. »Andi hat ein echtes Paradies dort oben. Das bestgehütete Geheimnis von Manhattan.«
»Klingt toll.«
»Ist es auch.« Ich nickte und schob die Krabbenhäppchen in den Ofen. »Das war der Hauptgrund, weshalb ich das Apartment gekauft habe. Wieso gehst du nicht hoch und siehst es dir an? Bei dieser Gelegenheit kannst du nachschauen, ob mit dem Tisch alles in Ordnung ist. Währenddessen kümmern Bernie und ich uns darum, dass hier unten alles läuft.«
»Erstklassiger Plan.« Er lief die Treppe hinauf und verschwand.
»Ich mag ihn«, erklärte Bernie und legte die Käsewaffeln auf eine Platte. »Lieber als Dillon.«
»Du nicht auch, oder? Ich dachte immer, du wärst mit Dillon einverstanden.« Ich stellte das Bruschetta-Tablett auf den Kaffeetisch, ehe ich die Kissen ein letztes Mal aufschüttelte.
»Das ist nicht der Punkt. Du weißt, dass ich jeden Mann akzeptiere, für den du dich entscheidest. Ich sage nur, dass Ethan meiner Ansicht nach besser zu dir passt, als Dillon es je getan hat.«
»Psst«, machte ich mit einem, wie ich hoffte, furchteinflößenden Stirnrunzeln. »Er könnte uns da oben hören.«
»Er bekommt nichts mit.« Lächelnd arrangierte Bernie die Krabbenhäppchen auf einem Tablett. »Und du weißt genau, dass ich recht habe.«
»Kann sein«, räumte ich ein, doch allein bei dem Gedanken fühlte ich mich Dillon gegenüber illoyal. »So viel zum Thema Lächerlichkeit. »Jedenfalls …«, begann ich, wurde jedoch dankbarerweise von der Türglocke gerettet.
»Die Gäste sind da.« Ich sah mich ein letztes Mal um, während Bernie die restlichen Tabletts auf den Tisch stellte. Nach den Drinks und den Horsd’œuvres im Wohnzimmer würde ich das Essen oben auf der Dachterrasse servieren.
Der Türklopfer ertönte. Ich riss die Tür auf, um meine Freunde in Empfang zu nehmen. Stephen und Cybil waren die Ersten, gefolgt von Clinton.
»Ich hoffe, es stört dich nicht«, sagte Cybil, »aber ich habe die Tür unten angelehnt gelassen. Vanessa und Mark waren direkt hinter uns. Ich habe sie aus dem Taxi steigen sehen.«
»Kein Problem. Ich hätte von selbst darauf kommen sollen. Wir dürfen nur nicht vergessen, sie zuzumachen, wenn alle hier sind.«
»Hier riecht es köstlich«, erklärte Clinton und ging in die Küche. Berufskrankheit. »Rieche ich da Bernies Krabbenhäppchen?«
»Nur für Sie, Clinton.« Bernie strahlte, ehe sich die beiden fachsimpelnd über meine Pastasauce beugten.
»Du siehst fantastisch aus.« Stephen nahm mich bei den Schultern und musterte forschend mein Gesicht. »Ich hatte befürchtet, dass es viel schlimmer ist.«
»Nur ein paar Stiche, garniert mit einer kleinen Portion Demütigung.«
»Ich konnte es kaum glauben, als ich das von Dillon und Diana gehört habe. Ausgerechnet diese Frau.« Cybil verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Es kam ziemlich überraschend, aber ich schaffe das schon«, erklärte ich und lächelte beim Gedanken an Ethan.
»Schwer ist es trotzdem, auch wenn man sich noch so tapfer zeigt«, erklärte Cybil schaudernd. »Ich weiß noch, wie ich mich gefühlt habe, als Stephen mit mir Schluss gemacht hat.«
Stephen und Cybil hatten ihre Hochs und Tiefs gehabt. Was vor allem an Stephens Problem mit der gewaltigen Kluft im Hinblick auf ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung gelegen hatte. Doch am Ende hatte die Liebe gesiegt.
»Aber es ist alles gut geworden«, erklärte ich und strahlte Stephen an, der bei diesem Thema wie gewohnt etwas unbehaglich dreinblickte. Wenn ich ehrlich war, konnte auch ich ein leicht mulmiges Gefühl nicht leugnen, obwohl ich wusste, dass Cybil es nur gut meinte.
»Es zeigt nur, dass noch Hoffnung für dich und Dillon besteht«, fuhr Cybil fort.
»Das möchte ich nicht hoffen«, sagte Ethan und legte mir den Arm um die Taille. »Das würde meine Pläne ganz empfindlich stören.«
»Ethan!« Cybil verzog das Gesicht zu einem überraschten, aber erfreuten Lächeln. »Ich habe schon gehört, dass du wieder hier bist. Aber ich hatte ja keine Ahnung, dass du Andi kennst.«
»Er hat mich gerettet«, erklärte ich und schmiegte mich dankbar in die Wärme seines Arms. »Aus diesem widerlichen Keller.«
»Du bist also der Ritter in der goldenen Rüstung«, zitierte Stephen die Zeitung, die meinen tiefen Fall aufgegriffen hatte.
»Was den Spitznamen angeht, bin ich mir nicht so sicher. Ich war nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort.«
»Für mich jedenfalls«, betonte ich.
»Für uns beide.« Ethans Arm schlang sich noch ein wenig fester um mich.
»Hallo, Leute«, sagte Vanessa, als sie und Mark hereingerauscht kamen. Nun ja, eigentlich galt das nur für Vanessa. Er war ihr perfektes Gegenstück, derjenige, der ihr überbordendes Temperament zügelte und ein wenig besänftigte. »Tut mir leid, dass wir zu spät kommen.«
»Überhaupt nicht«, widersprach ich. »Die Ehrengäste sind noch nicht einmal hier.«
»Wir unterhalten uns gerade über Ethan und Andi.« Cybil wandte sich ihrer besten Freundin zu und sah sie leicht vorwurfsvoll an, während Mark und Ethan einander die Hand schüttelten. »Wusstest du, dass die beiden zusammen sind?«
»Na ja, Althea hat so etwas erwähnt.« Vanessa seufzte leise. »Aber ich war nicht sicher, ob es schon an die Öffentlichkeit darf.«
»Tja, jetzt wissen wir ja alle Bescheid«, sagte Cybil. »Und ich finde es wunderbar.«
»Wo wir gerade von Geheimnissen reden«, japste ich, als mein Blick auf den Ring an Vanessas linker Hand fiel. »Ist es das, wonach es aussieht?«
»Ja.« Vanessa strahlte und bewegte die Finger, so dass der Brillant funkelte. »Wir haben uns verlobt. Mark hat mich gestern Abend gefragt.«
»Und du wusstest es.« Ich wandte mich Cybil zu.
»Natürlich«, erwiderte sie lachend. »Ich durfte nur nichts verraten. Aber ist das nicht toll?«
»Es ist wunderbar.« Ich freute mich aufrichtig für die beiden. »Aber solltet ihr nicht an irgendeinem verschwiegenen romantischen Ort sein?«
»Das hatten wir schon gestern.« Marks Augen begannen zu leuchten, als er auf Vanessa hinabsah. »Und im Moment können wir uns nichts Schöneres vorstellen, als hier mit euch zusammen zu sein.«
»Abgesehen von der Familie seid ihr die Ersten, die davon erfahren.« Mit dem Strahlen in Vanessas Augen hätte sich halb Manhattan beleuchten lassen.
»Also habt ihr Althea noch nichts davon gesagt?« Wahrscheinlich nicht, da meine Tante nichts davon hatte verlauten lassen. Dabei war der Schritt von enormer Bedeutung. Wenn Mark und Vanessa vor den Traualtar traten (was nach ihrer Ankündigung ein Fait accompli zu sein schien), würde Althea die Wette gewinnen.
Und damit endgültig unerträglich werden.
»Noch nicht«, antwortete Vanessa. »Wir haben beschlossen, den unvermeidlichen Medienzirkus noch einen Tag oder so hinauszuzögern. Und wenn Althea erst einmal eingeweiht ist …«
»Weiß es die ganze Welt.« Ich nickte, insgeheim befriedigt, dass ich ausnahmsweise einmal vor ihr über eine Information von enormer Bedeutung verfügte.
»Hey, was ist denn hier für ein Auflauf?«, fragte Cassie und trat durch die Tür. »Ich habe euch schon im Aufzug gehört.«
»Vanessa und Mark haben sich verlobt«, antwortete Cybil, und Vanessa präsentierte erneut ihren Ring.
»Wow. Hübscher Brocken.« Typisch Cassie – die Dinge stets beim Namen nennen.
»Was ist aus Stacy, Gracie oder wie sie auch hieß geworden?«, fragte ich Cassie, die allem Anschein nach ohne Begleitung eingetrudelt war. Cassie suchte sich gewohnheitsmäßig Models und Starlets als Partnerinnen aus. Die Beziehungen hielten selten länger als ein paar Monate, was es schwierig oder gar unmöglich machte, sich auch nur ihre Namen zu merken.
»Macy«, seufzte sie. »Sie bekam einen Anruf wegen einer Rolle. In L. A. Deshalb ist sie heute Nachmittag geflogen. Ein Glück. Ich hatte mich schon bei dem Gedanken ertappt, sie wäre diejenige, die ich gern behalten würde.« Sie lachte und zuckte die Achseln. »Aber was soll’s? Es schwimmen ja noch mehr Fische im Teich.«
»Wer hat Lust auf einen Drink?«, fragte Ethan. »Eine Verlobung ist doch ein Grund zum Feiern, oder nicht? Andi, hast du Champagner im Haus?«
»Im Kühlschrank«, antwortete ich. »Der ist noch von Silvester übrig. Die Gläser stehen im Schrank über der Spüle.«
Wenig später ließ Ethan den Korken knallen. Ich sah zu, wie er die Champagnerflöten füllte und sich alle lachend und plaudernd um ihn scharten. Und mit einem Mal erfüllte mich ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Und das nicht nur, weil Vanessa und Mark den Schritt vor den Altar wagten, auch wenn es wunderbare Neuigkeiten waren. Nein, was mich wie eine völlige Idiotin grinsen ließ, war die Tatsache, dass Ethan sich benahm, als gehöre er hierher, in mein Apartment, und die Gäste bewirtete – gemeinsam mit mir.
»Andi«, rief er mir über den Raum hinweg zu und sah mich an. »Kommst du?«
Ich nickte und trat, noch immer lächelnd, zu meinen Freunden.