In den nun folgenden Wochen wandten sich die Tiere anderen Dingen zu, denn der neue Friede und die Sicherheit im Park machten es ihnen möglich. Sie trafen sich nicht mehr so oft wie in alten Zeiten, und der Dachs, der nun ganz allein in seinem Bau saß, fing an, sein einsames Leben scheußlich zu finden. Er vermißte die Besuche des Maulwurfs und fragte sich, was sein kleiner Freund wohl mache. Der Maulwurf aber lebte in seinem dunklen unterirdischen Labyrinth ein ganz neues Leben. Immer noch sammelte und lagerte er seine geliebten Würmer, denn sein Appetit war noch genauso unersättlich wie früher, aber es war etwas eingetreten, das seine Welt aus Tunneln und Würmern auf den Kopf gestellt hatte. Während eines seiner öfters stattfindenden Freßgelage hatte er ein kratzendes Geräusch gehört — kleine Pfoten hatten sich genähert, nicht etwa von oben, sondern neben seinen Gängen. Das Geräusch kam näher. Plötzlich war da ein Loch in der Tunnelwand, und hindurch schob sich eine rosige Schnauze.

Der Eindringling schob seinen ganzen Körper durch das Loch und sagte etwas atemlos: »Tut mir leid, daß ich dich störe. Es sieht so aus, als ob mein Tunnel irgendwie in deinen — hm — Tunnel mündet.«

Es war eine junge Maulwurfdame, und das brachte den Maulwurf ganz durcheinander. »Sch-sch-schon in Ordnung«, stammelte er und erstickte fast an dem Wurm, der immer noch aus seiner Schnauze hing. »Ich esse gerade. D-d-darf ich dich zu einem Wurm einladen?«

»Aber gern«, sagte die Maulwurfdame und folgte ihm zu seinem Vorratslager. »Ahhh«, seufzte sie bei dem Anblick, der sich ihr bot. »Kompliment, Kompliment, so dicke habe ich noch nie gesehen.«

Der Maulwurf war hingerissen, bemühte sich aber, sein Entzücken zu verbergen. »Ich bin allgemein als Feinschmecker bekannt«, sagte er lässig, und schon speisten sie zusammen. »Dich habe ich noch nie gesehen«, sagte der Maulwurf. »Nein«, erwiderte die Besucherin. »Das ist auch reiner Zufall. Ich wurde im vergangen Sommer hier in der Nähe geboren. Aber meine Eltern fanden schon bald danach den Tod. Ich habe mich nie weit aus meinem Heimatgebiet entfernt.«

»Ja, ja«, sagte der Maulwurf. »Wie merkwürdig. Hm — möchtest du noch einen Wurm?«

»Ja, sie sind wirklich köstlich.« Und sie leckte sich die Lippen. »Wie heißt du denn?« fragte sie plötzlich.

»Meine Freunde nennen mich einfach Maulwurf«, antwortete er. »Weil ich der einzige Maulwurf unter uns bin.« Und er kicherte.

»Der einzige Maulwurf?« fragte sie erstaunt. »Wer sind denn dann deine Freunde?«

»Ach — Füchse, Dachse, Käuze und so weiter«, sagte er stolz.

»Quatsch, du machst dich über mich lustig«, protestierte sie. »überhaupt nicht. Wir besuchen jetzt zusammen den Dachs, wenn du mir nicht glaubst. Er ist mein engster Freund.«

»Das ist ja toll!« Sie konnte ihr Erstaunen nicht verbergen. »Versuchen die denn nicht, dich zu fressen?«

»überhaupt nicht«, sagte er. »Meine Freunde, das sind ganz besondere Tiere.«

»Ich verstehe«, sagte sie. »Willst du mir nicht mehr von ihnen erzählen?« Sie brannte vor Neugier.

»Natürlich, wenn du möchtest«, sagte er. »Aber du hast mir noch gar nicht gesagt, wie du heißt?«

»Du kannst mich die Einsame nennen«, sagte sie schalkhaft. Dem Maulwurf wurde bange, als sie bei diesen Worten näherrutschte. »Also gut«, sagte er nervös. »Also — nun — meine Freunde, was die betrifft...«

Und dann erzählte er ihr alles, über den Beginn weit weg im Farthing-Wald, über die Zerstörung des Waldes durch die Menschen und wie sie sich zusammengeschlossen hatten, um sich auf ihrer langen Wanderung in die Freiheit gegenseitig zu schützen. Vielleicht stellte er sich bei dieser Erzählung ein wenig beherzter dar, als er in Wirklichkeit gewesen war, aber das war nur zu verständlich. Die Einsame hing an seinen Lippen, und dem Maulwurf tat ihre Bewunderung so wohl, daß er seine Angst ganz vergaß und immer zutraulicher wurde.

Es endete damit, daß die Einsame nicht mehr in ihren eigenen Tunnel zurückkehrte und der Dachs deshalb noch einsamer wurde.

Irgendwann hielt der Maulwurf es nicht länger aus, er mußte seine entzückende Freundin einfach dem Dachs vorstellen, und so beschloß er eines Tages, ihn zu besuchen. Er führte die Einsame — die das Gefühl hatte, sie müßte sich bald einen neuen Namen zulegen — durch den Verbindungsgang in den Dachsbau.

Sie hörten den Dachs friedlich in seinem Schlafzimmer schnarchen, und der Maulwurf ging voran, um seinen Freund vorzubereiten.

»Ah, hallo! Maulwurf!« rief der Dachs, als er aufwachte, und freute sich, seinen kleinen Freund wiederzusehen. »Wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt? Du hast mich richtig vernachlässigt.«

»Bitte, entschuldige«, sagte der Maulwurf, »aber ich mußte mich um andere Dinge kümmern.«

»Tatsächlich? Um was denn?«

Der Maulwurf kicherte verlegen und bat den Dachs, einen Augenblick zu warten. Dann ging er und kehrte mit einem sehr scheu tuenden Maulwurffräulein zurück.

»Du lieber Himmel! Wen haben wir denn da?« entfuhr es dem Dachs, bevor er sich auf die Zunge beißen konnte. »Meine neue Bekanntschaft«, sagte der Maulwurf stolz. »Fein, fein, fein«, sagte der Dachs. »Also, ich hätte niemals...! Hm — nett, deine Bekanntschaft zu machen«, fügte er dann höflich hinzu.

»Sie heißt die Einsame«, piepste der Maulwurf.

»Wie ungewöhnlich«, meinte der Dachs. »Und nennst du sie auch so, Maulwurf?«

»Ja — ehem — ja, tatsächlich«, gestand dieser und wurde sich plötzlich bewußt, wie unpassend der Name neuerdings war. »Ich glaube, die Zeiten haben sich geändert«, meinte der Dachs ironisch.

»Was schlägst du vor, Dachs? Möchtest du einen neuen Namen für mich aussuchen?« schmeichelte ihm die Einsame. »Wer, ich? O ja — gut — ja, na schön«, antwortete er. »Ich weiß nicht, ob ich dafür der Richtige bin. Also, laßt sehen. Hmmm.« Er dachte nach, murmelte vor sich hin, und der Maulwurf wartete und fürchtete, die Einsame werde mit dem Namen nicht zufrieden sein. Immer noch brummelte der Dachs vor sich hin. Je länger es dauerte, desto unbehaglicher wurde es dem Maulwurf zumute, während die Einsame kichern mußte. Als er sie glucksen hörte, wurde der Dachs still. Mit einem listigen Lächeln blickte er sie an. »Wie wäre es mit die Fröhliche?« fragte er.

Der Maulwurf wußte keine Antwort. Aber die Einsame schien entzückt zu sein. »O ja, ein schöner Name, wirklich, ein schöner Name!« quietschte sie.

Der Dachs lächelte freundlich. »Paßt jedenfalls besser als Einsame«, meinte er.

»Danke, lieber Dachs«, sagte der Maulwurf. »Du hast vollkommen recht.«

Sie standen noch einen Augenblick herum und lächelten sich an.

»Hast du — hm — hast du von den anderen gehört?« fragte der Maulwurf plötzlich.

»Ich habe nicht viel von ihnen gesehen«, entgegnete der Dachs. »Soviel ich weiß, sind sie alle mit ähnlichen Vorhaben wie du beschäftigt. Keine Zeit, sich um einen alten Junggesellen zu kümmern.«

Die Fröhliche sah besorgt aus. »Mußt du denn allein leben?« wollte sie wissen. »Es gibt doch noch mehr Dachse im Park, da bin ich ganz sicher.«

Der Maulwurf versuchte, ihr heimlich ein Zeichen zu machen, aber der Dachs merkte es. »Ist schon in Ordnung, Maulwurf«, sagte er. »Du trampelst nicht auf meinen Gefühlen herum. Ich weiß, deine entzückende Freundin will mir nur helfen, aber es ist zu spät für mich, mein Leben noch zu ändern. Ich fürchte, ich könnte eine Dachsfrau gar nicht mehr ertragen — und sie mich natürlich auch nicht.«

»Aber wir dürfen dich doch immer besuchen?« fragte der treue Maulwurf.

»Aber natürlich, ihr seid immer herzlich willkommen«, sagte der Dachs. »Nur werdet ihr allmählich immer weniger Zeit für Besuche haben, schätze ich.« Er lächelte. »Mein lieber Maulwurf, du hast jetzt andere Verpflichtungen.« Nachdem die beiden in ihrem Tunnel verschwunden waren, verließ der Dachs seinen Bau, um den Fuchs zu besuchen. Es dämmerte schon, und er wollte ihn abfangen, bevor dieser sich auf die Jagd machte.

Der Fuchs und die Füchsin freuten sich, als sie die guten Nachrichten, den Maulwurf betreffend, hörten. »Das Wiesel und der Turmfalke haben Gefährtinnen gefunden, und sogar der Hase.«

»Und der junge Hase auch«, warf der Fuchs ein. »Wir vergessen die junge Generation ganz.«

»Ich vergesse sie nicht«, sagte die Füchsin. »Nicht, wenn ich mir so meine eigene Familie betrachte.«

Der Fuchs wirkte ernst. »Ach, Dachs, ich bin nicht mehr der alte«, sagte er. »Alles ändert sich so schnell. Ich fühle mich gar nicht mehr als Anführer. Die Geschichte mit dem Narbigen hat mein Leben verändert.«

»Wie meinst du das?« fragte der Dachs.

»Ich sehe mich jetzt in einem anderen Licht. Ich weiß, wenn dieser Kampf mit ihm auf unserer Wanderung stattgefunden hätte, ich hätte sein Leben nicht geschont, weil ich nur die Sicherheit unserer Gruppe im Sinn gehabt hätte — denk an unseren Eid! Er durfte nicht geschont werden. Aber hier war ich mir immer bewußt, daß er vor uns im Park war. Wenn überhaupt, dann gehörte ihm der Park mehr als uns. Darum habe ich mich zurückgehalten. Das habe ich natürlich sehr bereut. Wenn ich ihn getötet hätte, könnten einige von uns noch leben.«

»Aber Fuchs, das ist doch nicht mehr zu ändern. Die Kaninchen, die Wühlmäuse und die armen Feldmäuse — du kannst sie nicht wieder lebendig machen.«

»Ich weiß, daß ich mit dieser Schuld leben muß«, sagte der Fuchs. »Aber irgendwie habe ich die Achtung vor mir verloren, denn ich trage die Schuld.«

»Du mußt aufhören, dich für alles verantwortlich zu fühlen«, sagte die Füchsin. »Du hast die Tiere zusammen mit der Kröte hierhergebracht, du kannst doch nicht jetzt ihr Leben für sie leben.«

»Nein«, sagte der Fuchs. »Aber was die Kreuzotter getan hat — das wäre meine Pflicht gewesen.«

Der Dachs meinte in den Worten des Fuchses ein wenig Neid zu spüren, weil er nicht mehr der große Held war. Tröstend sagte er: »Was mich angeht, so verläuft mein Leben wie immer. Ich wünsche mir nichts als von Zeit zu Zeit ein bißchen Gesellschaft.«

»Daran soll es dir nicht fehlen«, sagte der Fuchs herzlich. Die drei Tiere beobachteten den Waldkauz, wie er geheimnisvoll und geräuschlos von Baum zu Baum schwebte.

Der Fuchs lachte. »Da ist noch einer, der sich niemals ändern wird, wo auch immer er lebt«, sagte er. Dann senkte der Fuchs den Kopf, und seine Augen verschleierten sich. Lange Zeit starrte er blicklos vor sich hin, als ob er etwas in weiter Ferne sähe.

Draußen, weit außerhalb des Parks, lief ein kräftiger junger Fuchs in der frischen Abendbrise über das flache Land, der Dämmerung und der schützenden Dunkelheit entgegen.

 

Was die Tiere im Park erlebten
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