In den nächsten Wochen, aus dem Oktober wurde November, es regnete Blätter von den Bäumen, sie fielen dicht und schnell, blieben die Tiere meist unter ihresgleichen. Sie waren vor allem mit der Nahrungssuche befaßt.

Die Natur hatte eine Überfülle von Beeren und Nüssen für sie bereit, und das ist, wie alle Tiere wissen, ein sicheres Zeichen dafür, daß ein harter Winter bevorsteht. Eichhörnchen, Wühlmäuse und Feldmäuse konnten sich eine kurze Zeit so richtig vollfressen. Schwere Regenfälle brachten Schnecken und Würmer ans Tageslicht, und der Igel und seine Freunde wurden dick und rund, bevor sie sich einen Platz zum Winterschlaf unter dicken Laubbergen und niedrigem Gestrüpp herrichteten. Als sie dann zum Winterschlaf verschwanden, wußten die anderen Tiere, daß nicht mehr viel Zeit war, und sie verdoppelten ihre Anstrengungen. Aber in den folgenden Tagen bekamen alle noch reichlich zu fressen.

Ende November gab es den ersten argen Frost, und der Maulwurf, dessen enormer Appetit nie nachzulassen schien, fand tief in der Erde eine Fülle von köstlichen Würmern. Sie konnten sich nicht mehr so gut fortbewegen, weil der Frost die Erdoberfläche hatte hart werden lassen, und so war es ihm möglich, sich für die kommenden Notzeiten ein reichhaltiges Lager anzulegen. Er war so stolz deswegen, daß er darauf brannte, jemandem davon zu erzählen, also grub er sich einen Gang zum Bau des Dachses, der fast nebenan wohnte. Er weckte ihn aus seinem Mittagsschläfchen.

»Ich bin’s, der Maulwurf!« rief er auch noch unnötig laut. »Wach schon auf, Dachs! Ich muß dir erzählen, was ich gemacht habe.«

Langsam richtete sich der Dachs auf und beschnupperte seinen kleinen Freund. »Du riechst nach Würmern«, sagte er schroff.

»Natürlich rieche ich nach Würmern«, antwortete der Maulwurf wichtigtuerisch. »Ich habe sie geerntet.«

»Geerntet?«

»Nun ja, ich habe sie gesammelt — ehem — und eingelagert. Ich wußte gar nicht, daß es so leicht ist, so viele zu fangen. Ich habe sie alle bei meinem Bau in einem riesigen Erdhaufen vergraben.«

»Ich hätte nicht gedacht, daß man so glitschige Tiere einlagern kann«, bemerkte der Dachs. »Wenn du zurück bist, sind sie sicher schon über alle Berge.«

»O nein, das können sie nicht«, sagte der Maulwurf stolz. »Warum nicht? Was hast du mit ihnen gemacht?«

»Ich habe sie ineinander verknotet!« jubelte der Maulwurf. »Und sie können sich nicht selbst entknoten.« Als er die erstaunte Miene des Dachses sah, fing er an zu lachen und lachte immer noch, als ein zweiter Gast erschien. Es war der Fuchs.

»Seid ihr schon draußen gewesen?« fragte er, nachdem er sie begrüßt hatte.

Sie schüttelten verneinend den Kopf.

»Es schneit«, sagte er.

Sie folgten ihm durch den Ausgangstunnel des Dachsbaus, um sich den Schnee anzusehen. Es dämmerte schon, aber die Mulde in dem Wäldchen, die sich der Dachs für seinen neuen Bau ausgesucht hatte, schimmerte weiß. Sogar die Bäume leuchteten geheimnisvoll in ihrem neuen, weichen Kleid. Sie sahen zu, wie die großen weißen Flocken lautlos vom Himmel schwebten. Windig war es nicht. Alles schien vollkommen still zu sein, nur von oben rieselte es unablässig herab.

»Er liegt schon ganz schön dick«, sagte der Fuchs. »Ich kann meine Spur nicht mehr sehen.«

»Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Schnee fallen gesehen«, sagte der Maulwurf, der sich von dem faszinierenden Schauspiel gar nicht trennen konnte. Seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen, geblendet von dem schneeweißen Teppich, mußten rasch und wiederholt blinzeln. »Deckt er jetzt alles zu?«

»Nicht alles«, antwortete der Dachs. »Aber die kleinen Tiere können nicht mehr so gut laufen. Die Vögel brauchen sich natürlich darüber keine Sorgen zu machen. Nur, was das Futter angeht.«

»Ich kann mich nur an einen Winter mit Schnee im Farthing-Wald erinnern«, sagte der Fuchs. »Da war ich noch ganz klein. Es lag aber nur wenig Schnee, und der behinderte die Tiere kaum.«

»Richtig«, nickte der Dachs, »und in späteren Jahren ist das Wetter nie allzu schlecht gewesen. Aber auch ich erinnere mich noch an die Zeiten, als ein Winter wirklich noch ein Winter war und wir jedes Jahr Schnee hatten. Ich kann mich natürlich weiter zurückerinnern als du, Fuchs.«

Der Fuchs lächelte ein wenig. Er wußte, daß der Dachs gern in Erinnerungen schwelgte und dazu neigte, die gute alte Zeit zu verherrlichen.

»An einen Winter erinnere ich mich besonders gut«, fuhr der Dachs fort. Endlich hatte er wieder einmal Zuhörer. »Euch gab es damals noch nicht, keinen von euch beiden, und ich glaube auch nicht, daß der Waldkauz schon im Farthing-Wald lebte. Jedenfalls, der Schnee wollte und wollte nicht tauen, und ich mußte mir, wenn ich nicht verhungern wollte, einen richtigen Gang durch ihn graben. Alles war knüppelhart gefroren — der Teich, der Fluß, jede kleine Pfütze. Damals lebte mein Vater noch, und er lehrte uns, wie man den Schnee im Mund zu Wasser auftaut. Sonst hätten wir nichts zu trinken gehabt und wären verdurstet.«

»Wie schmeckt er denn?« rief der Maulwurf aufgeregt. »Nun — ich würde sagen, wie Wasser«, antwortete der Dachs. »Und ich werde nie die Scharen von Vögeln und kleinen Tieren vergessen, die in der großen Kälte umkamen.«

»O weh!« jammerte der Maulwurf. »Hoffentlich meinst du damit nicht die Maulwürfe?«

»Nein, nein, Maulwürfe wohl nicht«, beeilte sich der Dachs zu sagen. »Vor allem Singvögel, ja. Sie konnte natürlich nicht genug zu fressen finden, und ihre kleinen Körper waren nicht widerstandsfähig genug gegen die grimmige Kälte.«

»Ach, die Armen«, meinte der Maulwurf bedrückt. »Wie schade, daß sie nicht wie Kreuzotter und Kröte Winterschlaf halten können.«

Der Schnee schien immer dichter zu fallen. Der Maulwurf erschauerte.

Sofort sagte der Dachs: »Geh wieder nach drinnen. In meinem Schlafzimmer ist es warm.«

»Danke, ich friere nicht«, sagte der Maulwurf. »Mir ist nur richtig unheimlich. Alles ist so ruhig und still.«

Durch die geisterhaften Bäume erblickten sie eine Gestalt, die durch den Schnee stapfte. Sie wußten sofort, daß es der Wildhüter des Hirschparks war, der seinen Kontrollgang machte. Sie beobachteten ihn, wie er von Zeit zu Zeit an einem Baum stillstand und etwas an einen niedrig hängenden Zweig band.

»Was macht er da?« fragte der Maulwurf, denn er war so kurzsichtig, daß er nur verschwommene Umrisse erkennen konnte.

»Ganz sicher bin ich mir nicht«, antwortete der Dachs. »Aber ich glaube, er hängt Vogelfutter auf.«

»Schlechte Nachrichten für uns«, sagte der Fuchs sofort. »Die Menschen machen so etwas nie ohne Grund. Es ist bekannt, daß sie schon vorher wissen, wie das Wetter wird. Wir gehen harten Zeiten entgegen.« Und er stapfte zu den Gegenständen, die der Wildhüter zurückgelassen hatte. »Du hast recht, Dachs«, rief er zurück. »Es ist wirklich Vogelfutter. Nüsse, Fett und so weiter. Ich hoffe nur, daß unsere gefiederten Freunde früh genug aufwachen«, sagte er zu sich selbst, »sonst fressen sich die Eichhörnchen auf ihre Kosten dick und rund.« Und er teilte diese Befürchtung dem Dachs mit, als er zurückkam.

»Das geht nicht, wir müssen sie davon abhalten«, meinte dieser bestimmt, denn er sorgte sich um jedes Tier. »Die Eichhörnchen haben genug Eicheln und Bucheckern gehortet, um den ganzen Hirschpark damit zu ernähren.«

»Du schläfst doch, wenn die aufstehen«, erinnerte ihn der Fuchs lächelnd, »überlaß es lieber mir, mit ihnen ein Machtwort zu reden.«

»Habt ihr beide, du und die Füchsin, es schön warm im Bau?« fragte der Dachs plötzlich. »Ich habe mehr als genug Laub für meinen Bau gesammelt, du kannst gern etwas davon abhaben.«

»Nett von dir«, erwiderte der Fuchs, »aber ich glaube, wir sind gerüstet. Wir wärmen uns gegenseitig«, fügte er noch hinzu.

Der Dachs lächelte. »Das muß sehr gemütlich sein«, sagte er. Dann blickte er um sich. »Also, ich muß mir noch ein bißchen Bewegung machen, kommst du mit, Fuchs?«

»Mit Vergnügen. Ehem — bis später dann, Maulwurf?«

»Ach nein, ich gehe in meinen Bau zurück«, sagte das kleine Tier. »Ich spüre, mir wird der Magen bald knurren — na, ihr kennt mich ja.«

»Zur Genüge«, lachte der Fuchs. »Los, komm, Dachs.«

Die beiden Freunde setzten sich gemächlich in Bewegung und verschwanden im verschneiten Wald. Lange schwiegen sie. Der Dachs fühlte, daß dem Fuchs etwas auf der Seele lag, also verhielt er sich ganz ruhig, bis sein Freund Lust hatte zu sprechen. Er beobachtete, wie die Schneeflocken sich im Fell des geschmeidigen kastanienbraunen Tieres festsetzten, seinen Pelz richtig grau färbten und ihm damit das Aussehen des frühzeitig Gealterten gaben.

Schließlich sagte der Fuchs: »Wenn der Schnee lange liegenbleibt, muß ich mich um die Futterversorgung kümmern.«

»Ich glaube nicht, daß das jetzt schon nötig ist«, beruhigte ihn der Dachs. »Laß uns abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Die Tiere werden für sich selbst sorgen.«

»Natürlich sollen sie das«, antwortete der Fuchs schnell. »Sie müssen es auch. Aber ich habe so ein Gefühl in den Knochen, daß dieser Winter — also, ganz ehrlich, Dachs, ich mache mir große Sorgen.«

Der Dachs dachte, er müsse, wenn möglich, die Besorgnisse seines Freundes zerstreuen. »Hör auf, rumzugrübeln«, sagte er. »Schließlich sind erst einmal die Kreuzotter, die Kröte und die Frösche außer Gefahr. Ich passe schon auf mich selbst auf, genau wie das Wiesel, der Waldkauz und der Turmfalke. Und von den kleineren Tieren brauchen die Eichhörnchen nur ihre vergrabenen Vorräte anzubrechen, und der Maulwurf hat noch nie soviel Futter gehabt. Wer bleibt also übrig? Der Hase und seine Familie, die Kaninchen, die Wühlmäuse und die Feldmäuse. Und die essen alle Körner und Grünfutter. Du bist ein Fleischfresser. Du kannst nicht auf so große Vorräte wie sie zurückgreifen.«

»Ja, ich glaube, du hast recht«, stimmte der Fuchs ihm zu. »Es ist nur — wenn einer von ihnen in Schwierigkeiten kommt, dann würde ich mich verpflichtet fühlen, ihm zu helfen.«

»Der Winter hat ja noch gar nicht richtig angefangen«, sagte der Dachs. »Kümmere dich jetzt lieber um die Füchsin. Die anderen kommen schon durch, du wirst sehen.«

»Es gelingt dir doch immer, mich zu beruhigen, lieber Freund«, sagte der Fuchs herzlich, »und dafür danke ich dir wirklich, Dachs.«

Sie kamen wieder zum Tiefen Grund, und schon die nächsten Worte des Fuchses widerlegten seine vorige Behauptung, der Dachs habe beruhigend auf ihn gewirkt.

»Hier begann im Sommer unser neues Leben«, sagte er und blickte auf den vertrauten Versammlungsplatz der Farthing-Wald-Tiere. »Hoffen wir, daß wir in den nächsten Monaten nicht den Tod einiger von uns beklagen müssen.«

 

Was die Tiere im Park erlebten
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