Am darauffolgenden Tag war alles Interesse der Tiere auf das Wetter gerichtet. Es stürmte, der Wind rauschte durch den Park, riß Schößlinge ab und beugte das hohe Gras zu Wellen von peitschendem Grün. Sogar die großen Bäume wurden heftig durchgeschüttelt; die Äste mit den neuen Blättern bogen sich und knarrten und warfen Zweige in Schauern zur Erde.

Die kleineren Tiere blieben zu Hause und lauschten zitternd dem Heulen und Toben des Windes. Vögel flogen verzweifelt von Baum zu Baum, konnten nirgendwo sicheren Halt finden. Nur der Turmfalke war durch nichts zu erschüttern, er ließ sich am Himmel wie eine Papierkugel herumwirbeln und hatte dabei noch seinen Spaß an dem Toben.

Den Fuchs hielt es nicht im Bau, er mußte heraus und die Lage prüfen. Die Füchsin blieb bei den Jungen. Sofort sträubte ihm der Wind den Pelz, zerrte und riß an seinen Haaren und wirbelte sie durcheinander. Er kniff die Augen zusammen und setzte sich in Marsch, wohin, war ihm egal. Im Wald sah er die Bäume schwanken, sie ähnelten Booten, die am Anker in stürmischem Hafenwasser hin- und hergerissen werden, überall war Knirschen und Ächzen zu hören. Ein kleiner Weißdornbusch zerbrach in zwei Teile und krachte zu Boden, ein erschrecktes Kaninchen sprang aus ihm heraus und verschwand im Gestrüpp. Krähen flogen über die Baumwipfel und beklagten mit heiseren Stimmen den Verlust ihrer Nester.

Der Fuchs sah eine bräunliche Gestalt die Flügel ausbreiten und unruhig und nervös von Baum zu Baum flattern. Er erkannte den Waldkauz. Ohne ein Wort zu sagen, folgte er ihm, er wußte, wenn er den Mund aufmachte, würde der Sturm ihm die Worte vom Mund reißen und ungehört davontragen. Als er ihn eingeholt hatte, blickte der Waldkauz ihn von oben erschrocken an. »Fürchterlich!« kreischte der Vogel. »Nirgendwo ein Unterschlupf.«

»Unten auf der Erde ist es besser«, rief der Fuchs zurück. »Du hast da einen besseren Halt als auf dem Baum.«

Der Waldkauz befolgte seinen Rat und hockte sich gebückt auf die Erde. Irgendwie wirkte er mit seinen vom Wind zerzausten Federn etwas lächerlich. »Wie ich dieses Wetter hasse«, jammerte er. »Wo bleibt da die Würde?«

»Mach dir keine Sorgen um dein Aussehen«, meinte der Fuchs, »das hier ist höhere Gewalt.«

Der Waldkauz knurrte. Er wollte sich nicht trösten lassen. So kamen sie zu einer Lichtung, und der Waldkauz deutete mit einem Kopfnicken nach oben. »Sieh dir nur diesen Idioten von Turmfalken an«, krächzte er. »Den ganzen Tag ist er nun schon da oben.«

»Scheint so, als ob ihm das Spaß macht.«

»Ein merkwürdiger Spaß, sich in Stücke zerreißen zu lassen, wenn du mich fragst. Aber der muß ja immer angeben.« Der Fuchs amüsierte sich über die schlechte Laune seines Freundes. »Mach dir nichts draus«, sagte er. »Irgendwann wird auch der Wind einmal müde werden.«

Genau in diesem Augenblick raste ein Tier an ihnen vorbei, rannte hierhin und dahin und hatte vollkommen sein Ziel aus den Augen verloren. Der Fuchs und der Waldkauz blickten sich an. »Hase!« riefen sie wie aus einem Mund und lachten.

»Bei solchem Wetter dreht er einfach durch«, sagte der Waldkauz. »Allen Hasen geht es so.«

Sie sahen den Hasen ziellos laufen und hüpfen, so als ob er betrunken wäre. Manchmal hielt er kurz an und erhob sich auf den Hinterbeinen, aber eine Sekunde später rannte er schon wieder. Einmal schien er sie direkt anzusehen, als er stillstand, aber wenn er sie tatsächlich erkannt hatte, so schenkte er ihnen doch nicht mehr Beachtung als ein paar trockenen Blättern, die der Wind über den Boden wirbelte.

»Der hätte uns auch nicht erkannt, wenn wir direkt vor ihm gestanden hätten«, bemerkte der Waldkauz. »Bei solchem Wetter hat er nichts mehr im Kopf.«

Als der Hase weiterraste, sahen sie, wie ein anderes Tier ihm nachsetzte.

»Ein Fuchs«, flüsterte der Kauz.

»Und ich weiß auch, welcher«, antwortete der Fuchs wütend.

»Der Hase ist nicht in Gefahr«, sagte der Waldkauz. »Den kann er nie fangen.«

»Nicht, wenn er geradeaus läuft. Aber er taumelt ja hin und her. Und wie du schon gesagt hast, bei diesem Wetter nimmt er nichts wahr. Er ist imstande und läuft diesem Tier direkt ins Maul.«

»Wir können nichts machen«, sagte schulterzuckend der Waldkauz, »wenn er uns weder sieht noch hört.«

Die Befürchtungen des Fuchses waren unbegründet, denn der Hase hatte anscheinend seine Luftsprünge satt. Als er anhielt und sich in einiger Entfernung niederlegte, erblickte er den fremden Fuchs. Sofort sprang er wieder auf und brachte sich in unübertroffenem Tempo in Sicherheit.

Der Fuchs seufzte erleichtert auf, als der Narbige, sein Feind, sich damit zufriedengab, Wasser aus einer Pfütze zu trinken. Während er trank, blickte er geradeaus und hatte auch schon seinen Gegner erspäht. Mit einem unterdrückten Knurren und einem bösen Blick in ihre Richtung schlich er sich davon.

»Ich habe selten ein scheußlicheres Tier gesehen«, sagte der Waldkauz. »Wir werden keine Ruhe haben, solange der den Park unsicher macht.«

»Hm, ich glaube, den werden wir so schnell nicht los«, dachte der Fuchs laut. »Er hat ja gesagt, daß er schon lange vor unserer Ankunft hier lebte. Der Park ist seine Heimat, und er muß es auch bleiben, auch wenn uns das nicht gefällt!«

»Dann muß er ganz schön betagt sein«, sagte der Waldkauz.

»Wer weiß das schon? Aber ein zäheres und dreisteres Tier gibt es wohl kaum. Wenn das Alter ihm bereits zusetzte, dann hätte er den vergangenen schrecklichen Winter nicht überlebt.«

»Du liebe Zeit!« entfuhr es dem Waldkauz. »Ich weiß, ich bin ein Pessimist, aber ich habe das dunkle Gefühl, daß der Typ keine Ruhe gibt, bis er uns wirklich Schaden zugefügt hat.«

Traurig blickte ihn der Fuchs an. »Kauz, hast du vergessen, daß der Narbige das schon getan hat, jedenfalls mir und der Füchsin?« fragte er ruhig und ohne alle Bitterkeit.

»Nein, ich...« stammelte der Vogel, der das tatsächlich vergessen hatte. »Ich — ich — das habe ich nicht gemeint... Tut mir leid, Fuchs«, setzte er etwas lahm hinzu.

»Schon gut«, sagte sein Freund. »Auch wir versuchen, nicht allzuviel daran zu denken.«

Und immer noch heulte der Wind durch die Baumwipfel. Die nächsten, die den Elementen trotzen wollten, waren das Wiesel und der Dachs, die zu Hause keine Ruhe fanden. Sie gesellten sich zu den beiden anderen und beklagten sich über das Wetter.

»Ich bin überrascht, daß du etwas davon merkst«, sagte der Waldkauz zum Wiesel. »Du bist doch so leicht und niedrig, also dicht am Boden.«

»Anscheinend ist dir noch nicht aufgegangen: Je zarter der Körper, desto größer der Schaden«, sagte das Wiesel verdrießlich.

»Heute scheinen alle schlechte Laune zu haben«, meinte der Fuchs.

»Bei Sturm hat man eben schlechte Laune«, gab das Wiesel zurück. »Eine frische Brise ist angenehm, das aber...«

Er unterbrach sich, denn durch das Heulen des Windes war schwach der Dauerpfeifton der Flügel ihres Freundes, des Reihers, zu hören. Und schon sahen sie seine lange Gestalt mit den dünnen Beinen auf sich zuschweben. Er landete und verbeugte sich mit altmodischer Grandezza vor ihnen. »Ein recht unruhiger Tag«, war sein Kommentar.

»Nett, dich zu sehen«, lächelte der Fuchs, als der Pfeifer sorgfältig seinen gesunden und seinen verletzten Flügel auf seinem Rücken zusammenlegte.

»Wie gut, daß ich euch so bald gefunden habe«, erwiderte der Pfeifer. »Ich hielt nach euch Ausschau, weil ich vorhin den narbigen Fuchs auf der Pirsch gesehen habe, und er sieht aus, als hätte er nichts Gutes im Sinn.«

»Das hat der nie«, sagte das Wiesel. »Aber das ist nichts Neues.«

»Er war hier«, erzählte ihm der Fuchs. »Er wollte den Hasen schnappen — da hatte er natürlich kein Glück. Aber vielen Dank, daß du uns Bescheid gesagt hast.«

»Er sah so aus, also... hm... irgendwie... wie soll ich es nur beschreiben? Ich glaube, das Wort >niederträchtig< paßt dafür so gut wie jedes andere.«

»Damit kannst du recht haben«, stimmte ihm der Waldkauz zu. »Den Eindruck hatte ich auch. Er sah so aus, als ob er etwas im Schilde führte.«

»O Himmel! Was können wir nur tun?« fragte der Dachs, »überhaupt nichts«, antwortete der Fuchs. »Er kann pirschen, wo er will.«

»Hoffentlich haben sich die Wühlmäuse und die Feldmäuse gut versteckt«, sagte der Dachs. »Sie können sich nicht wehren.«

»Vielleicht paßt der Turmfalke ein bißchen auf, wenn er schon da oben ist«, meinte der Fuchs etwas hilflos.

»Ha! Der doch nicht!« knurrte der Waldkauz verächtlich. »Der denkt doch nur an seine Kunststücke, zu etwas Nützlichem ist er doch gar nicht in der Lage. Dieser Angeber!«

»Langsam, Kauz. Er tut genausoviel wie wir alle«, sagte der Dachs. »Es sind nun einmal gefährliche Zeiten, da muß jeder besonders vorsichtig sein.«

»Er macht den Turmfalken immer nur schlecht«, platzte das Wiesel heraus. »Ganz sicher ist er auf ihn neidisch.«

»Neidisch! Neidisch!« kreischte der Waldkauz. »Warum sollte ich auf seine Narrenpossen wohl neidisch sein? Wenn der Turmfalke erst einmal in totaler Finsternis ganz zielsicher jagen oder vollkommen geräuschlos durch den ganzen Park fliegen kann, so daß nicht einmal die Fledermäuse ihn bemerken, dann werde ich mit Recht neidisch auf ihn sein. Der zieht doch nur eine Show ab.«

»Du würdest natürlich niemals zugeben, daß er wirklich ein geschickter und schneller Flieger ist«, meinte das Wiesel sarkastisch.

»Genug, ihr beiden!« sagte der Fuchs ruhig. »Das ist ja lächerlich. Wenn euch der Wind so durcheinanderbringt, dann solltet ihr euch lieber nicht in Gesellschaft begeben.«

»Nun, nun«, fiel der Pfeifer ein. »Und ich habe euch Farthing-Wald-Tiere immer für unzertrennlich gehalten. Vielleicht ist es die gespannte Atmosphäre, die so streitlustig macht?«

»Dafür spricht eine ganze Menge«, sagte der Fuchs. »Wiesel und Kauz, bitte — wir wollen uns doch nicht ereifern. Niemals war es wichtiger, fest zusammenzuhalten.«

»Natürlich, Fuchs. Entschuldigung«, sagte das Wiesel, zum Waldkauz gewendet, der mit gesträubten Federn in eine andere Richtung blickte.

»Kauz?«

»O ja. Also — hm — tut mir leid, ich meine den Turmfalken«, sagte er trotzig und funkelte dabei das Wiesel an.

Die anderen mußten lachen. Der Waldkauz trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er hatte sich wieder einmal unmöglich gemacht! Aber sein Unbehagen war schnell vergessen. Durch das ohrenbetäubende Heulen des Windes war ganz eindeutig der Schrei eines Hasen zu hören. Sofort liefen die Tiere in die Richtung, aus der der Laut gekommen war, während der Waldkauz und der Pfeifer sich in die Luft schwangen; der Sturm war vergessen.

Bald erblickten sie den Hasen mit seinem ihm verbliebenen Hasenjungen, der schon so groß war wie er selbst. Beide rannten ihnen fast in die Arme. Auf ihren langen Beinen sausten sie nur so dahin.

»Was ist?« rief der Fuchs. »Was ist geschehen?«

Laut aufstöhnend brach der Hase zu seinen Füßen zusammen. Sprechen konnte er nicht.

»Meine Mutter«, keuchte der junge Hase. »Der Narbige hat sie umgebracht.«

 

Was die Tiere im Park erlebten
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