Die Kreuzotter hatte nicht mit der überwältigenden Wirkung ihrer Nachricht gerechnet. Sie war so schrecklich erschöpft vom langen Verweilen im Wasser und ihrem weiten Weg durch den Park, daß sie unter den überschwenglichen Gratulationen ihrer Freunde in Sprachlosigkeit verfiel. Sie konnte nicht einmal berichten, warum sie einen stumpfen Schwanz hatte. Als sie endlich dazu kam, wurden die anderen nur noch begeisterter, und auch das Oberste Kaninchen und das Eichhörnchen stimmten trotz ihrer Trauer in den allgemeinen Jubel ein. Nur die Oberste Wühlmaus blieb ungerührt.
Als die erste Freude etwas abgeklungen war, sagte sie: »Für mich kommt diese Nachricht zu spät. Wenn der Narbige einen Tag früher gestorben wäre, ich wäre die erste gewesen, die gejubelt hätte. Jetzt kann ich mich nur noch für die anderen freuen.«
»Du mußt dir eine neue Gefährtin suchen, Wühlmaus«, sagte der Hase. »Nichts hilft besser gegen den Kummer.«
»Schon möglich«, entgegnete die Wühlmaus. »Und aus deinen Worten entnehme ich, daß du schon gewisse Absichten in dieser Hinsicht hegst. Aber für die arme Feldmaus kommt auch dieser Trost zu spät.«
Auf diese Worte gab es nichts mehr zu sagen, alle Tiere fühlten sich betroffen.
»Aber trotz allem müssen wir dankbar sein«, sagte die Füchsin ruhig. »So viele von uns haben überlebt und können sich nun auf friedlichere Zeiten freuen.«
»Das bedeutet, daß wir uns wieder freier bewegen können«, sagte der Fuchs. »Jetzt gehört uns wieder das ganze Naturschutzgebiet, und wir können nach Herzenslust darin herumstreifen. Wir sind so frei wie der Vogel in der Luft.«
Der Turmfalke und der Pfeifer mußten lachen, während der Waldkauz die Bemerkung geflissentlich überhörte, denn ihm klang sie etwas zu ironisch.
»Sieh doch nicht so beleidigt drein, Kauz«, neckte ihn der Turmfalke. »Wir machen uns doch auch nichts daraus, wenn man sich über uns lustig macht. Der Fuchs weiß doch, daß auch wir unter den letzten Ereignissen gelitten haben.«
»Chrrr!« krächzte der Waldkauz. »Ich habe diesem Narbigen schon vor langer Zeit gesagt, was ich von ihm halte.«
»Natürlich, natürlich, und wir sind dir ja auch sooo dankbar«, sagte das Wiesel mit gespielter Feierlichkeit.
Der Maulwurf quietschte vor Lachen, während der Waldkauz sich um Würde bemühte. Die Füchsin wechselte schnell das Thema. »Also, wer ist für meinen Vorschlag von vorhin?« rief sie. »Ich finde, als erstes sollten wir uns jetzt mit den Einwohnern hier anfreunden.« Sie schaute sich in der Gruppe um. »Ich bin sicher, ihr eignet euch alle sehr gut für die Ehe«, lachte sie. »Wer will der erste sein?«
»Es scheint so, als ob der Hase den Anfang machen möchte«, bemerkte der Pfeifer. »Aber was ist mit euch jungem Volk: Kühner, Friedfertiger und — du, Maulwurf?«
»Wer, ich?« piepste der Maulwurf ängstlich. »Du liebe Zeit, an eine Gefährtin habe ich noch gar nicht gedacht — also ich glaube...« Das Entsetzen verschlug ihm die Sprache. »Dann wird es für dich höchste Zeit«, mahnte ihn der Pfeifer mit freundlichem Ernst. »Aber, Füchsin, wie war das doch — gab es hier nicht eine Menge Junggesellen?«
»Ich bin einer, und ich bleibe auch einer«, seufzte der Dachs. »Wer will schon einen so alten Knacker wie mich haben? Ich habe meine besten Jahre im Farthing-Wald dahingehen lassen, ich war der letzte der Dachse dort und...«
»Ja, ja«, unterbrach ihn der Fuchs, »lassen wir die Vergangenheit ruhen. Sogar die Kröte hat eine Gefährtin gefunden, die liebliche, füllige Pogge, und ein Jüngling ist sie ja gerade auch nicht mehr gewesen.«
»Die Kröte sucht sich jedes Jahr eine neue Gefährtin — die ist nicht wählerisch«, bemerkte das Wiesel. »Wir müssen uns da ein bißchen genauer umsehen.«
»Also, Wiesel, woher willst du das so genau wissen?« fuhr die Kröte dazwischen. »Pogge hat mir wirklich gut gefallen, das weißt du. Vielleicht suche ich im nächsten Frühling nach ihr. Aber ich wußte gar nicht, daß auch du schon auf solche Gedanken gekommen bist!«
Das Wiesel mußte husten. »Na ja — ehem — für alle von uns kommt nun einmal die Zeit — wo wir — ich meine...«
»Ausgezeichnet, Wiesel!« freute sich der Pfeifer. »Gibt es hier noch mehr solcher hinterlistiger Burschen?«
»Wir Kaninchen kennen da keine Schwierigkeiten«, meinte das Oberste Kaninchen fast verächtlich. »Wir schätzen große Familien.«
»Warum?« zischelte plötzlich die Kreuzotter dazwischen. »Habt ihr dann später mehr Auswahl, wenn ihr eine Gefährtin sucht?«
Die anderen lachten, denn die Kaninchen waren bekannt für ihre Nachwuchsfreudigkeit. Aber das Kaninchen drehte den Spieß um. »Und was ist mit dir, Kreuzotter?« fragte es spitz zurück.
»Ja, lieber Freund«, half der Pfeifer nach. »Wann wirst denn du einmal auf Liebespfaden wandeln?«
Die Kreuzotter konnte dieses Thema nicht ausstehen und funkelte den Pfeifer böse an. »Es gibt auch einige«, zischte sie, »die nicht mit der Absicht in den Park gekommen sind, sich mit dem ersten besten weiblichen Wesen zu paaren, das ihnen über den Weg läuft.« Damit meinte sie den Pfeifer, der sich auf der Wanderung den Tieren angeschlossen hatte, weil er nach einer Gefährtin suchte.
Aber der überhörte die Bemerkung.
»Ich gebrauche keine Ausreden«, sagte er. »Ich mag nicht allein sein. Aber jeder soll sein Leben führen, wie es ihm gefällt.«
»Von den anderen Vögeln haben wir noch gar nichts gehört«, spottete der Hase. »Der Waldkauz ist ein verknöcherter alter Junggeselle, das wissen wir. Aber was ist mit dir, Turmfalke?«
Der Falke richtete seinen durchdringenden Blick in die Ferne, so als ob er den Horizont durchbohren wollte. »Wahrscheinlich überrascht es dich, Hase, wenn ich dir sage, daß ich bislang keine Zeit für diese Dinge gehabt habe, denn ich habe mich bei Tage immer als Hüter für euer aller Sicherheit verantwortlich gefühlt.«
»Ich wollte dir nicht weh tun«, sagte der Hase schnell. »Schon gut«, erwiderte der Turmfalke und starrte jetzt den
Frager durchdringend an. »Und ich gestehe, daß ich jetzt, da meine Dienste wohl nicht mehr benötigt werden, meine Freiheit genießen will.«
»Sehr elegant ausgedrückt«, rief das Wiesel. »Aber ich glaube, Hase, du bist, was den Waldkauz angeht, ein bißchen sehr voreilig gewesen. Er soll es uns selbst sagen.«
»Ja, ihr wißt — ehem — also ihr wißt doch alle«, begann der Waldkauz verlegen, »wie soll ich sagen, ich habe mich immer für den — ehem — nächtlichen Partner des Turmfalken gehalten — trotz allem, was vergangene Nacht geschehen ist«, fügte er eilig hinzu. »Ich habe so gar keine Erfahrung in Liebesdingen«, fuhr er dann etwas aufrichtiger als gewöhnlich fort, »aber die Füchsin hat eine — hm — wirklich gute Idee, glaube ich, und — nun ja — wenn sich jemals die Gelegenheit ergeben sollte, daß... daß auch ich... also, wenn ich eine Neigung verspüren sollte... dann würde ich ihr auch folgen!« schloß er abrupt.
Die anderen Tiere verbargen ihr Vergnügen an seinem Unbehagen, nur die Kreuzotter konnte sich eine boshafte Bemerkung nicht verkneifen. »Und ich habe immer geglaubt«, lispelte sie, »daß dazu Neigung auf beiden Seiten nötig ist.« Jetzt konnten die anderen ihr Lachen nicht länger unterdrücken, aber es war ein gutmütiges Lachen, und der Waldkauz grinste etwas albern.
»Was ich so gehört habe, ist ja ermutigend«, meinte die Füchsin. »Kühner und Friedfertiger, mein Plan baut gerade auf euch. Eure Schwester sollte euch als Beispiel dienen.«
»Also, Mutter, der Familienbau ist jetzt für uns alle zu klein geworden«, sagte der Kühne. »Mein Bruder und ich, wir wollen unsere Chancen nutzen. Es gibt noch so vieles zu erkunden.«
Der Fuchs und die Füchsin wechselten einen Blick. Beide hatten den Eindruck, daß diese Worte eine tiefere Bedeutung hatten, aber sie waren so klug, nichts dazu zu sagen. Die Tiere wollten aufbrechen, und die beiden jungen Füchse schlossen sich den anderen an. Die Schöne sah sie gern ziehen. Ihre Gedanken galten jetzt nur Stromer.
»Ich hoffe, daß sie sich wirklich ein Beispiel an dir nehmen«, meinte die Füchsin.
»Bei mir ist auch noch nicht alles so, wie du denkst«, murmelte die Schöne. »Wie könnten wir vergessen, daß wir jetzt eben den Tod von Stromers Vater gefeiert haben.«
»Das haben wir nicht vergessen«, sagte der Fuchs. »Aber lang betrauert ihn Stromer sicherlich nicht. Der Narbige war kein sehr guter Vater, und ich glaube, Stromer hängt mehr an dir.«
»Hoffentlich«, sagte die Schöne. »Hoffentlich.«
»Wichtig ist auch«, fuhr der Fuchs fort, »daß der Narbige keinen Nachfolger hat. Er war der geborene Anführer — die anderen Clanmitglieder waren nur Befehlsempfänger. Eine Situation wie diese wird es nie wieder geben.«
»Das ist wahr«, sagte die Füchsin. »Aber ich muß gestehen, daß ich mich manchmal frage, ob wir nicht selbst ein Kind mit einem ähnlich halsstarrigen Charakter aufgezogen haben?«
Der Fuchs nickte, denn der Gedanke war ihm nicht neu. »Dann können wir von Glück reden«, murmelte er, »wenn er auch ein paar von unseren besseren Eigenschaften geerbt hat.«