8
Er war wieder im Krieg, in der Rolle des Spions.
In welchem Krieg? Es waren so viele gewesen.
Irgendeinem. Die Regeln waren für alle Kriege gleich.
Er musste Andrew finden. Andrew würde alles erklären - warum Freya sterben musste, welche Verfolger hinter Sam selbst her waren. Und wenn er es nicht wusste, dann würde er zumindest eine Verbindung zu Gail herstellen können, wer immer sie sein mochte.
In seinem Hotelzimmer beendete Sam einen Brief, verschloss ihn und gab ihn Wisperwind. »Ich möchte, dass Thor das hier kriegt, wie auch immer.«
»Was steht drin?«
»Oh, das solltest du wissen«, sagte Sam mit einem Lächeln. »Schließlich hat ihn angeblich jemand aus deinem Umfeld geschrieben. Jemand, der willens ist, meinen Aufenthaltsort zu verraten, und es Thor persönlich sagen möchte. Nur, wer auch immer jener Jemand ist, er wird leider nicht selbst zu der Verabredung kommen.«
»Du willst dich mit Thor treffen? Wird er darauf hereinfallen?«
»Thor wird es glauben, weil er es glauben will. Er wird da sein.«
Wisperwind runzelte die Stirn. »Warum ein solcher Vorwand, wenn du bloß mit ihm sprechen willst?«
»Wenn er weiß, dass ich es bin, wird er nicht kommen. Und ich glaube, er kann mir eine Menge erzählen.«
»Warum Thor? Warum nicht Odin?«
»Weil, anders als Thor, Odin klüger ist, als er aussieht. Thor ist nicht so vorsichtig.«
»Insbesondere, wenn du ihn kontaktierst, wie einer von den Anderen es tun würde?«
»Genau. Und versuche, jede russische Quelle zu aktivieren, die wir haben. Wenn jemand sich weigert, sag ihm, er wird mit schweren Flüchen im Genick aufwachen.« Er seufzte und reckte sich. So, das war's. Mehr kann ich nicht tun, bis Thor sich meldet und wir den Historiker finden. Nichts außer dem, was ich immer tue - meine Nase in staubige Bücher stecken und hoffen, dass irgendein Hinweis aus der Vergangenheit mir sagt, was die Zukunft bringt.
»Wohin wirst du gehen?«, fragte Wisperwind.
»In die Hölle.«
Beelzebub warf einen Blick auf Sams Aufzug und brach in Gelächter aus.
»Schnauze!«, schnappte Sam. »Ich wurde dazu gezwungen.« Unmutig streifte er den grünen Anorak ab und warf ihn in eine Ecke. Bello ignorierte ihn und kehrte zu einer langen Liste mit Notizen zurück, die er gerade zu ordnen versuchte.
»Ich habe versucht, etwas über die Schlüssel herauszufinden, während du fort warst«, sagte der alte Dämon, als Sam sich einen warmen schwarzen Pullover überstreifte und sich in den Sessel gegenüber fallen ließ.
»Wie schön«, sagte er, immer noch pikiert über Beilos Heiterkeitsausbruch. »Irgendwas Interessantes?«
»Kommt darauf an, was du weißt.«
»Über die Pandora-Schlüssel? Nur Legenden. Das ist alles, was man dem Dienstpersonal erzählt hat.«
Beelzebub beachtete die Bitterkeit und den Zorn in Sams Stimme nicht - für ihn als Dämon waren solche Gefühle ein alltäglicher Teil des Lebens. Er fuhr mit langem Finger über
das Blatt mit seinen Notizen. Aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen, ähnelte sein Fingernagel einer Klaue. »Wusstest du, dass die Fürsten des Himmels einst versucht haben, die Schlüssel zu zerstören - und die Geister, die sie gefangen hielten?«
»Ich weiß. Ich weiß auch, dass es ihnen nicht gelungen ist.«
»Wusstest du, dass Chronos es einmal versucht hat?«
Das weckte Sams Interesse. »Mein Vater? Was hat er gemacht?«
»Er hat versucht, jede einzelne Tür zu zerschmettern, um die Geister dahinter jeweils mit einem einzigen Schlag zu vernichten. Doch er vermochte es nicht. Die Erde ist ein Schatten des Himmels, die Hölle ein Schatten der Erde. Die Pandora-Geister zogen Macht aus dem Hass, dem Argwohn und der Gier der Erde und erneuerten sich genauso schnell, wie Vater Zeit sie zerstören konnte.«
»Wann war das?«
»In dem Jahr, bevor du geboren wurdest. Falls das irgendetwas zu besagen hat.«
»Davon wusste ich nichts.«
»Nun ja, es hat damals ziemliches Aufsehen erregt- dass die Zeit nicht imstande war, etwas zu zerstören. Die Leute waren mehr als nur ein bisschen erschrocken über diesen Beweis der Macht der Geister. Und über Uranos' Macht ebenso.«
Sam verzog das Gesicht. »Uranos. Ich schätze, er hat nicht mal einen Kratzer abbekommen.«
»Ich glaube nicht... Ich habe auch mal einige der hölleneigenen Aufzeichnungen durchstöbert. Du weißt, dass Belial ein Nachkomme von Zeit und Chaos in dritter Generation ist?«
»Ich hab davon gehört.«
»Belial wurde einmal nach seiner Abkunft befragt. Als er darüber sprach, dass Chaos eine Königin des Himmels sei, soll er gesagt haben: >Chronos hat ihr nie ganz getraut. Sie war eine von den vielen, denen er nicht gesagt hat, wie man die Pandora-Geister vernichten kann.<«
Sam, obgleich er in der Hölle war und damit so fern vom Himmel, wie man nur magisch sein kann, reagierte dennoch wie ein perfekter Sohn von Vater Zeit. »Unmöglich. Wenn er selbst die Geister nicht vernichten konnte, kann es keiner.«
»Logisch betrachtet ist Chronos als Verkörperung der Zeit am wenigsten geeignet, sie zu zerstören«, gab Bello milde zu bedenken. »Hass, Gier und Misstrauen, ja - er könnte imstande sein, sie zu vernichten. Aber nicht Uranos. Uranos ist alles, was Chronos nicht ist. Wenn diese beiden sich einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würden, würde nichts übrig bleiben, über das einer von beiden herrschen könnte.«
»Ach, hör auf. Belial wollte sich nur wichtig tun. Er hat versucht zu beweisen, dass er wusste, was jenseits der Tore lag, obwohl er nicht zwischen den Welten wandeln kann. Nun, ob du's glaubst oder nicht, Bello, er hat keine Ahnung. Er kann sich nicht vorstellen, aus welchen Schatten die armselige kleine Welt der Hölle hervorgegangen ist - er kann nicht einmal ansatzweise erraten, was Sterbliche und Unsterbliche zugleich erschaffen und erträumt haben.«
»Ich berichte nur, was ich herausgefunden habe, so wie du mich gebeten hattest. Ob die Quelle authentisch ist oder nicht, kann ich nicht sagen.«
Sam fühlte sich sofort schuldig. Und ich soll ein Sohn des Himmels sein. »Tut mir leid.« Ein paar Augenblicke lang starrte er ins Leere, ausdruckslos und starr wie eine Statue, abgesehen von dem Zucken der Finger auf der Sessellehne.
Beelzebub ließ ihm seinen Moment des Nachdenkens. Es hatte keinen Sinn, sich zu fragen, auf welche anderen, verborgenen Erkenntnisse aus seiner langen Vergangenheit Sam zurückgriff.
»Nun denn«, ergriff Sam schließlich wieder das Wort, »was ist aus den Schlüsseln geworden?«
»Sie wurden zerstreut.«
»Wodurch?«
»Durch wen?«, korrigierte Bello automatisch. »Durch Weisheit, die Königin des Himmels, der Chronos am meisten vertraute.«
»Und keiner weiß, wo sie sind?«
»Nein.«
»Hmm.« Wieder Schweigen, diesmal lange genug, um selbst Bello zu beunruhigen. »Sonst noch was?«
»Nichts, was du nicht schon weißt.«
Sam nickte und erhob sich. Bello stand mit ihm auf, was angesichts seines hohen Alters eher ungewöhnlich war. »Das heißt - eine Sache wäre da noch ...«
»Was denn?« Es klang schärfer, als Sam beabsichtigt hatte - er war schon ungeduldig zu gehen, berstend vor neuen Theorien und Plänen.
»Asmodeus. Du solltest wirklich mit ihm reden.«
»Jetzt nicht. Ein andermal.«
»Na gut. Wann immer es dir genehm ist.« Bello machte einen niedergeschlagenen Eindruck.
Sam seufzte und klopfte dem alten Dämon auf den schuppigen Rücken. »Tut mir leid. Doch wenn die Dinge auf der Erde außer Kontrolle geraten, dann weißt du, was in der Hölle geschehen wird. Jede Welt spiegelt die andere, eine wohlbekannte Tatsache.«
»Ich weiß. Aber bitte vergiss es nicht.«
Sam lachte. »Ich? Vergessen? Bei meinem Gedächtnis?«
»Ich habe Angst, dass es dort langsam ein bisschen voll wird.« »Oh, bitte, hör auf. Das Gehirn ist größer, als einige Leute dir weismachen wollen.«
»Weißt du, warum du mit Asmodeus sprechen solltest?«
»Ich dachte, du hättest es gerade erklärt.«
»Nein.«
Sam verschränkte die Arme und sagte ruhig: »Na schön. Du hast das Schlimmste für zuletzt aufgespart, vermute ich.«
»Da hast du absolut Recht.«
»Schieß los!«
»Das Gehenna-Tor hat sich geöffnet.«
»Und?«
»Ein Weltenwanderer kam hindurch.«
»Du erstaunst mich. War es jemand, den ich kenne, oder einfach bloß so ein Weltenwanderer?«
»Es war Seth.«
Sams selbstgefälliger Gesichtsausdruck war wie weggewischt. Seth? Was hat Seth mit der ganzen Sache zu tun? Warum Seth, der Sohn der Nacht? »Seth?«, wiederholte er, um irgendetwas zu sagen. »Was wollte er?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie lange ist er geblieben?«
»Ein paar Stunden. Ich halte das Gehenna-Tor ständig unter Überwachung.«
»Wohin ist er gegangen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du überwachst das Portal, aber bei den seltenen Gelegenheiten, wenn jemand anders als der Fürst der Finsternis hindurchtritt, hältst du es nicht für nötig, dranzubleiben?«
»Er ist ein Sohn der Nacht. In diesem Reich ist es schwer, einem Mann zu folgen, der zur Dunkelheit geboren ist.«
»So wie du das sagst...«, murmelte Sam. »Du musst irgendwann mal Dracula sehen. Toller Film. Du wirst dich biegen vor Lachen.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Bello milde, »und das weißt du.«
Sam runzelte die Stirn. »Tut mir leid«, hörte er sich selber wie aus weiter Ferne murmeln. Doch seine Gedanken waren Meilen entfernt. Das kann kein Zufall sein. Seth... hier?
Er hatte natürlich das Gerücht gehört, dass Seth hinter der versuchten Ermordung von mehr als einem seiner Brüder stecke. Er hatte auch mit Interesse beobachtet, wie der geschniegelte Sohn der Nacht sich in seinen eleganten Kleidern mit Verbeugungen, Schmeicheleien und Charme überall durchgeschlängelt hatte. Der gewiefteste Redner im ganzen Himmel. Der so leicht lügt, wie er seine Schuhriemen zubindet, der selbst den misstrauischsten Zuhörer um den Finger wickelt und ein Lächeln auf sein Gesicht zaubern kann, auf das alle Sterne ihre Gunst scheinen lassen.
Es war in jenem längst vergessenen Zeitalter - bewusst vergessen von Sam als sein Vater, Chronos selbst, zu seinen anderen Nachkömmlingen über ihn gesprochen hatte. Dieses Kind ist notwendig für meinen großen Plan. Tut ihm nichts an. Sam war in einem fremden Bett aufgewacht und hatte sich einem Dutzend fremder Gesichter gegenübergesehen, die ihn anstarrten. Du bist ein Bastard, hatten die Gesichter geschrien. Wir haben nichts mit dir zu schaffen, außer dass unser Vater uns dazu gezwungen hat. Und auch wenn wir lächeln und lächeln und dich Bruder nennen, wird es immer Geflüster hinter deinem Rücken geben, und wir werden dich nie, nie als einen von uns akzeptieren. Wir werden dich mit ungesagten Worten vertreiben, bis du taub von ihnen bist.
Jehova hatte ihn völlig aus seinem Leben ausgeklammert. Nicht ein Wort, ob freundlich oder aggressiv, war zwischen ihnen gefallen, seit Sams wahre Herkunft offenbar geworden
war. Doch Sam hatte die Gerüchte gehört, die vom Sohn von Glaube in die Welt gesetzt worden waren, und wusste, dass sie von einem geschliffen worden waren, der Glaube wie ein Schwert führte. Damals hatten die Kinder der Zeit sich gefragt, welche Notwendigkeit die Anerkennung eines illegitimen Kindes im Himmel erforderte, und waren im Zweifel gewesen, ob er Feind oder Freund war, und ungewiss über das Ausmaß seiner Macht.
Seth war zu ihm gekommen, in einen Hain an einem Fluss, wo Sam gerne saß. Andere waren auch zugegen, doch sie alle mieden seinen Blick. Alle bis auf Seth.
»Lucifer?«
Sam hatte fragend aufgeblickt und wollte automatisch aufstehen, als er einen anderen Sohn der Zeit sah, wenngleich einen von zweifelhaftem Ruf. Seth lachte und deutete ihm, sitzen zu bleiben, setzte sich selbst zu ihm, als wäre er Sams ältester Freund und ganz ungezwungen in dessen Gesellschaft
»Nur keine Formalitäten. Ich bin der niedrigste Schurke des Himmels, und es ist nicht recht, dass ein Sohn der Magie vor mir aufstehen sollte.«
»Wenn das so ist, dann freut's mich, dich kennen zu lernen, Schurke«, antwortete Sam. »Was kann ich für dich tun?«
»Oh, ich bin nur bei meinen üblichen Spielchen. Kabalen, Intrigen ...« Er winkte die Worte lässig weg. »Entschuldige, wenn ich gleich mit der Tür ins Haus falle, aber das ist nun mal meine Natur. Sag mir, Lucifer - ich darf dich doch so nennen —, wie groß ist das Ausmaß deiner Kräfte? Ich meine, wirklich?«
Sam hatte gezögert. »Ich weiß nicht, wie ich es bestimmen soll«, sagte er schließlich. Viele Leute, ob auf der Suche nach einem Verbündeten oder um seine Stärke als Feind zu kennen, hatten ihn gefragt, wozu er imstande wäre. Er hatte sofort begonnen, seine Magie argwöhnisch zu hüten. Es war das einzige Geheimnis, das ihm noch blieb.
»Jetzt komm, einem Schurken wie mir kannst du es doch sagen«, sagte Seth. »Tatsächlich bin ich wohl der Letzte, dem du es sagen solltest. Ich muss dich warnen - alle meine Freunde lernen mich sehr bald hassen.«
»Ich werde es mir merken.«
»Jetzt komm!« Sein Lächeln funkelte, und er stieß Sam in die Rippen, als er sprach. »Ich weiß, du traust mir ungefähr so weit, wie du einen Blitz schleudern kannst. Doch das ist der Punkt, nicht wahr? Denn du könntest durchaus imstande sein, Blitze zu schleudern, nach allem, was man weiß.«
»Ich furchte, ich kann dir wirklich nicht helfen.«
Für einen Moment sah es so aus, als wollte Seth nachsetzen, doch dann wurde sein Lächeln breiter, und er hob die Hände, als gäbe er sich geschlagen. »Nun, ich kann deine Haltung verstehen. Doch wenn ich noch eine weitere Frage stellen darf - du musst sie nicht beantworten, wenn du nicht willst -, aber was ist es? Dieses ... Ding in dir, das freigesetzt wurde, als du das erste Mal die Krone aufsetztest?«
»Ich weiß es nicht.«
»Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?«
»Ja. Unser Vater gebot mir, die Krone aufzusetzen, und ich gehorchte. Welches Geheimnis darin liegt, welche Absicht Vater Zeit damit verband, sie mir zu geben, weiß ich nicht. Ich nehme an, es ist eine Art Bestrafung.«
»Meinst du? Aber er bezeichnete dich als das notwendige Kind.«
Sam sagte nichts. Seine Augen waren auf einen fernen Punkt gerichtet Sein Gesicht hatte einen Ausdruck von beinahe heiterer Entrücktheit. Auch Seth schwieg: ein brüderliches Schweigen geteilten Leids oder was immer Sam seiner Meinung nach in diesem Augenblick fühlen mochte.
Schließlich sprach Seth mit seiner leisesten, ruhigsten Stimme: »Schau, ich will dir helfen - wir sind schließlich Brüder. Es hat Gerüchte gegeben. Gerede. Ich hatte das Gefühl, ich sollte es dir sagen, das ist alles.«
Sam wandte sich um, sein Gesicht unlesbar. »Sag's mir.«
In seinem verschwörerischsten Tonfall fuhr Seth fort: »Man hat Nachforschungen angestellt. In den Bibliotheken, bei den Mächten, den Elementen. Es hat eine Menge Ideen gegeben, doch die im Augenblick favorisierte ist die, dass dieses... Licht eine Art Waffe ist. Zum mindesten wird es ein Opfer blenden oder betäuben, wenn es entfesselt wird. Niemand ist sicher, wie es funktioniert, aber man glaubt, das Grundprinzip ist, dass das Licht, wenn es losgelassen wird ... alle Gedanken, alles Bewusstsein, alle Gefühle in sich hineinzieht. Um die Waffe auszulösen, bedarf es nur eines genauen Ziels, auf das der Zauber gerichtet ist.«
»Sprich weiter.«
»Stell es dir nur mal vor. Alle aggressiven Gedanken, die je gedacht wurden, alles Böse, jede Sünde, kondensiert in einem Lichtimpuls. Stell dir vor, was mit den Zielpersonen passieren würde. Ihnen würde der Kopf explodieren.«
Sam sagte nichts. Er starrte wieder in die Ferne und lauschte auf die ungesagten Worte. Schließlich wurde Seth klar, dass er aus seinem Bruder nichts herausbekommen würde.
Er stand auf. »Es ist nur eine Theorie. Doch es gibt Leute da draußen, die es glauben - die sogar Angst davor haben. Die ultimate Waffe, so nennen sie es. Sie furchten sich vor dir. Ich denke, du solltest das wissen.«
In einem Wirbel von maßgeschneiderter Seide wandte er sich um und war schon im Begriff zu gehen, als Sams Stimme ihn innehalten ließ.
»Du hast den Rest nicht erwähnt«, sagte Sam. Seine Stimme schien seinem Geist folgen zu wollen, so losgelöst klang sie. »Die Gedanken und Gefühle von allem, was das Licht berühren kann, gebündelt auf ein einziges Ziel, würden nicht nur
das Ziel vernichten, sondern auch die Person, die diese Kraft trägt. Das heißt, wenn man es in großem Maßstab verwendet. Wenn eine Entladung nur die Gedanken von zehn oder zwanzig Menschen aufgreifen würde, wäre das kein Problem. Der Träger könnte vermutlich mit dem Lärm jener Geister fertig werden, selbst wenn er sie zu Schrecken oder Hass oder Liebe anstacheln würde.
Doch in großem Maßstab - eine Million, eine Milliarde, zehn Milliarden Geister zu bündeln?« Er schüttelte den Kopf. »Der Träger würde in einem Meer von Gedanken ertrinken, seine eigene Identität verlieren. Wenn der Schock ihn nicht umbringt, wird er wahrscheinlich den Verstand verlieren. Ich würde den Verstand verlieren, wenn ich dies anders als in einem kleinen, begrenzten Umfang versuchte. Tausend Geister, die in meinem Kopf um Raum kämpften, wären genug, mich zu vernichten. Ich weiß es. Tu nicht so, als wüsstest du es nicht, Bruder.«
Seth sagte nichts, doch Mitgefühl lag in seinem Gesicht Ob echt oder nicht, konnte Sam nicht erkennen.
Es dauerte lange, bis er wieder mit seinem Bruder sprach.