ein
semiotischer krieg
Der Admiral hatte einen schlechten Tag.
»Verdammt noch mal, lassen Sie die Finger von mir!«, ranzte er seinen Offiziersburschen mit krächzender Stimme an. Robard achtete nicht darauf und fuhr fort, ihn anzuheben. Kurtzs zerbrechlicher Körper war gar nicht in der Lage, Widerstand zu leisten, als er den alten Mann aufsetzte und die Kissen in seinem Rücken aufschüttelte. »Ich werde Sie abholen und erschießen lassen!«
»Gewiss, Sir. Vor oder nach dem Frühstück?«
Der Admiral knurrte aus der Tiefe seiner Kehle heraus und schnappte gleich darauf gurgelnd nach Luft. »Mir geht’s nicht gut. Nicht so wie früher. Verdammt, ich hasse das!«
»Sie werden alt, Sir. So geht es uns allen.«
»Nicht diesem ver-verfluchten Attaché von der Erde, verdammt noch mal. Der wird nicht alt. Erinnere mich noch an die Begegnung mit ihm in Lamprey. Hat jede Menge Daguerrotypien von mir gemacht, wie ich vor einem Berg von Schädeln stehe, den wir auf einem öffentlichen Platz in Neu-Bokhara aufgeschichtet hatten. Hatte was mit der Rebellion der Gefangenen zu tun. Schließlich war kein Jesus da, der dafür gesorgt hätte, dass sich die Brotlaibe des Proviantmeisters auf wundersame Weise vermehrten. Sagte, er würde mich hängen lassen, der Mistkerl, hat’s aber nie gepackt. Schräger Vogel, dieser Weichling. Hätte schwören können, dass er regelrecht weibisch ist. Was glauben Sie, Kurt, ist er eine Schwuchtel?«
Robard hüstelte und stellte vor dem Admiral ein Tablett mit einer Tasse schwachem Tee und einem Rührei auf Toast ab. »Der Inspektor der Vereinten Nationen ist eine Dame, Sir.«
Verblüfft zwinkerte Kurtz mit den wässerigen Augen. »Na, so was, du meine Güte!« Er griff nach der Teetasse, aber seine Hand zitterte so sehr, dass er sie kaum anheben konnte, ohne den Inhalt zu verschütten. »Ich dachte, ich hätte es gewusst«, sagte er vorwurfsvoll.
»Das haben Sie wohl auch, Sir. Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie Ihre Medizin eingenommen haben.«
»Aber wenn er ein Mädchen ist und bei der ersten Schlacht von Lamprey dabei war, dann heißt das doch…« Kurtz sah verwirrt aus.
»Glauben Sie an Engel, Robard?«, fragte er mit schwacher Stimme.
»Nein, Sir.«
»Na ja, dann ist’s ja gut, also muss sie wohl ein Teufel sein. Und mit denen kann ich umgehen, wissen Sie. Wo sind meine Instruktionen?«
»Ich bring Sie Ihnen gleich nach dem Frühstück, Sir. Geschwaderführer Bauer lässt ausrichten, dass er sich um alles kümmert.«
»Na, wunderbar.«
Kurtz konzentrierte sich darauf, sein Frühstücksei zu attackieren. Nachdem das Ei kapituliert und er den Kampf mit ihm gewonnen hatte, räumte Robard ab. »Wir sorgen jetzt wohl besser dafür, dass Sie aufstehen und sich ankleiden, Sir. In einer halben Stunde findet die Stabsbesprechung statt.«
Fünfunddreißig Minuten später war der Admiral so weit, dass er seinen Stab in dem riesigen Konferenzzimmer, das an seine Suite angrenzte, empfangen konnte. Dass er jetzt eine Uniform trug und seine Medikamente eingenommen hatte, schien die Bürde eines ganzen Jahrzehnts von seinen Schultern genommen zu haben. Schwer auf seine Stöcke gestützt, schlurfte er ohne fremde Hilfe ins Besprechungszimmer. Allerdings unterstützte Robard ihn diskret, als er versuchte, die Ehrenbezeugungen der versammelten Offiziere zu erwidern (wobei er sich fast den Gehstock ins Auge gerammt hätte).
»Guten Abend, meine Herren«, eröffnete der Admiral die Sitzung. »Ich nehme an, das Rostpäckchen… Entschuldigung, ich meine das Postpäckchen ist inzwischen angekommen. Leutnant Kossov, was besagen die Botschaften?«
»Äh…« Kossov wirkte leicht grünlich im Gesicht, »wir haben ein Problem, Sir.«
»Was meinen Sie mit Problem? Bei uns dürften eigentlich keine Probleme auftreten, das ist Sache des Feindes!«
»In der Kapsel war ein Stapel von zwanzig Disketten…«
»Erzählen Sie mir nichts von Disketten, geben Sie mir Antwort! Was haben wir über den Feind erfahren?«
Geschwaderführer Bauer beugte sich vor. »Ich glaube, der Leutnant möchte sagen, dass die Nachrichten verstümmelt angekommen sind.« Kossov beäugte seinen Vorgesetzten mit so offenkundiger Dankbarkeit, dass es schon peinlich war.
»Stimmt genau, Sir. Die persönliche Post war größtenteils unversehrt, aber die Zeitkapsel war auf einer Seite durch den Einschlag eines winzigen Meteoriten beschädigt, und deshalb sind drei Disketten nur noch in Bruchstücken angekommen. Ein Zehntel unserer Instruktionen konnten wir durch Kopie der übrigen Disketten teilweise retten, aber das Meiste, was noch lesbar ist, besteht aus Versorgungsanweisungen für den Proviantmeister und einem Menüvorschlag zu Kaisers Geburtstag. Keine Einzelheiten über den Feind, die Schlachtordnung, die Aufstellung, keine Analyse der diplomatischen Beziehungen, keine Informationen des Geheimdienstes oder etwas, das irgendwie nützlich wäre. Es ist alles zerstört.«
»Verstehe.« Der Admiral wirkte täuschend ruhig; Kossov zitterte vor Angst. »Also besitzen wir keinerlei Informationen über die Aufstellung des Feindes. Ah, das ma-macht das Leben leichter.« Er wandte sich Bauer zu. »Dann werden wir nach Plan B vorgehen müssen, um einen erfolgreichen Angriff führen zu können! Jeder Mann soll seine Pflicht tun, denn das Recht ist auf unserer Seite. Ich ne-nehme an, Sie haben für alle Eventualitäten Einsatzpläne, um entsprechend mit Aufständischen auf dem Boden zu verfahren? Gut, sehr gut. Wir werden im Orbit auf das Festival stoßen und, nachdem wir seine Schiffe zerstört haben, von der Annahme ausgehend handeln, dass die Rebellen am Boden und ihre Verbündeten aus dem feindlichen Lager vorhaben, den Kaiser zu entmachten! Geschwaderführer, Sie werden unseren Vorstoß zum Angriffsziel überwachen. Oberst von Ungern – Sternberg? Bitte erstellen Sie Pläne für die Kampfposition Ihrer Marineinfanteristen und auch für die Wiederherstellung der Ordnung, sobald wir dort gelandet sind. Kapitän Mirsky, Sie werden die Ma-Ma-Manöver der Flottille koordinieren. Berichten Sie bitte an Leutnant Bauer.«
Schwankend erhob sich der Admiral von seinem Platz und machte keine Einwände, als Robard ihn an einem Arm festhielt. »Wegwegtreten!«, schnarrte er, wandte sich um und humpelte aus dem Zimmer.
Prokurator Muller langweilte sich.
Er langweilte sich und war außerdem leicht verärgert. Abgesehen davon, dass sich der Ingenieur bei einem Weißbier in Neu-Prag nachweislich daneben benommen hatte, gab es nichts, das er ihm anhängen konnte. Die Tatsache, dass er ein Ausländer war, der radikale Meinungen äußerte – dazu angetan, das Lumpenproletariat in seiner moralischen Verworfenheit zu bestärken –, verband ihn lediglich mit rund neunzig Prozent der übrigen Bevölkerung im bekannten Universum. Zugegeben, da war diese zusätzliche Steckausrüstung, die zum Notebook des Mannes gehörte, aber auch das ließ keine weiteren Schlüsse zu, oder?
Wassily hatte jetzt fast zwei Monate seines Lebens damit zugebracht, wenigstens diese Informationen zu sammeln. Einen Großteil der Zeit hatte er sich so gelangweilt, dass er hätte heulen können. Die Besatzung, einschließlich der Offiziere, wollte nicht mit ihm reden. Schließlich war er einer der Männer des Kurators und mit dem Schutz der Gesellschaft beauftragt; wie alle Menschen im Polizeidienst weckte er damit ein gewisses Misstrauen. Und die kleine Bibliothek hatte er längst von vorn bis hinten durch. Da er keine anderen Aufgaben als die verdeckte Überwachung eines Verdächtigen hatte, der dazu noch davon wusste, gab es für ihn kaum eine andere Beschäftigung, als sich sinnlosen Spekulationen über die bevorstehende Begegnung mit seinem Vater auf Rochards Welt hinzugeben. Aber ihm fielen kaum Worte zu dessen Begrüßung ein – und es lag kaum Trost in der Vorstellung, sie tatsächlich auszusprechen.
Eines Abends jedoch kam Wassily der Gedanke, es könne noch einen anderen Weg geben, die Schritte des Tatverdächtigen zu überwachen. Verbrachte Springfield nicht auffällig viel Zeit mit der ausländischen Diplomatin? Mehr als gut für ihn war?
Denn die war nun wirklich eine äußerst zwielichtige Person! Wenn Wassily nur an sie dachte, bebten seine Nasenflügel. Hätte sie keinen Diplomatenausweis vorweisen können, hätte er sie im Nu zum Verhör vorgeladen. Springfield mochte ein Radikaler sein, aber Oberst Mansour trug Hosen! Auf den Straßen der Hauptstadt hätte allein das ausgereicht, um sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festnehmen zu lassen, ob sie über besondere Beglaubigungsschreiben verfügte oder nicht. Die Frau war eine gefährliche Degenerierte; offensichtlich mit schlechtem Geschmack, ein Mannweib, wahrscheinlich auch eine Lesbe. Von ihr ging die Gefahr aus, dass sie jeden, mit dem sie zu tun hatte, verderben würde. Eigentlich bedrohte schon ihre bloße Anwesenheit auf diesem Kriegsschiff die moralische Integrität der Besatzung! Dass der Ingenieur viel Zeit mit ihr verbrachte, war nicht zu übersehen (Wassily wusste aus Aufzeichnungen der Überwachung, dass Springfield in ihrer Kabine ein und aus ging). Die Antwort auf die Frage, wo das belastende Beweismaterial versteckt sein könnte, lag ziemlich deutlich auf der Hand. Springfield war ein gefährlicher anarchistischer Spion, und sie musste wohl diejenige sein, die seine üblen Vorhaben lenkte; eine geheimnistuerische Meisterin in der Kunst diplomatischer Verführung, wahnsinnig, von schlechtem Charakter und gefährlich für alle, die mit ihr Kontakt hatten.
Was auch der Grund war, warum er vorhatte, in ihre Kabine einzubrechen und ihr Gepäck zu durchsuchen.
Angefangen von dem Augenblick, da er Springfields Zusatzausrüstung zum Notebook, salopp ausgedrückt, als Schrott hatte einordnen müssen, hatte Wassily noch fast zwei Wochen gebraucht, bis er sich dazu entschlossen hatte.
Es war anderthalb Wochen her, dass die Flotte schwungvoll ihre Heimreise angetreten hatte. Zunächst war sie zu dem unbewohnten Doppelsystem mit dem Code-Namen Terminal Beta hinübergesprungen, danach von einem Stern zum anderen, wobei sie jeden Tag hundert Jahre in die Vergangenheit zurückgelegt hatte. Noch vier Wochen, und sie würden an ihrem Bestimmungsort ankommen. Dennoch hatte Wassily sich Zeit gelassen, da er wusste, dass er äußerst behutsam vorgehen musste. Ohne irgendeinen Beweis von Verrat konnte er gegen keinen von beiden vorgehen. Und der Beweis befand sich offenbar bei der Diplomatin unter Verschluss. Was er auch unternehmen würde, letztendlich konnte es ihn um Kopf und Kragen bringen, wenn man ihn schnappte. Nun ja, wenn man im Gepäck einer Diplomatin herumschnüffelte, war das so ungefähr die größte Indiskretion, die man begehen konnte. Sollte ihn irgendjemand dabei ertappen, so würde man ihn den Wölfen zum Fraß vorwerfen – vielleicht nicht im wörtlichen Sinne, aber er würde sich auf eine lange berufliche Zukunft freuen dürfen, die sich darin erschöpfte, dass er an der südlichen Polarstation die Pinguine überwachte.
Für seinen Raubzug suchte er sich einen frühen Abend aus. Martin Springfield befand sich in der Offiziersmesse, wo er Schnaps trank und mit dem Chefingenieur Krupkin Domino spielte. Während Wassily in Leutnant Sauers Kontrollbude saß, wartete er ab, bis Oberst Mansour ihre Kabine aus irgendeinem Grund verließ. Auf Sauers Monitoren war zu sehen, wie sie den Gang entlang und auf die sanitären Gemeinschaftseinrichtungen der Offiziere zuging. Sie würde mindestens zehn Minuten in der Dusche bleiben, wenn sie sich an ihren normalen Zeitplan hielt. Wassily schlich sich auf Zehenspitzen aus dem Kabuff, hastete zum Fahrstuhlschacht hinüber und eilte von dort aus zu dem Gang, der zu den Quartieren der Offiziere führte.
Während er die Kabinentür hinter sich zuzog, blickte er sich vorsichtig um. Oberst Mansours Kabine sah kaum anders als jede andere Offizierskabine aus. Sie ähnelte dem Liegewagenabteil eines Zuges und bot Platz für zwei Schlafkojen. Die obere diente als Bett, während die untere momentan zu einem Tisch ausgeklappt war. Zwei Spinde, ein winziges Waschbecken, ein Spiegel und ein Telefon vervollständigten das Inventar. Unter dem Tisch lugte die Ecke eines großen Schrankkoffers hervor. So viel stand fest: Die Inspektorin reiste nicht mit so leichtem Gepäck wie die Marineoffiziere.
Zunächst verbrachte Wassily eine Minute damit, den Schrankkoffer zu inspizieren. Nichts wies darauf hin, dass feine Haare oder Drähte über den Deckel geklebt waren. Auch die Schlösser sahen nicht so aus, als wären sie auf besondere Weise gesichert. Es war nur ein leicht lädierter Schrankkoffer aus Leder und Holz. Er versuchte, das Riesending unter dem Klapptisch hervorzuziehen, merkte aber schnell, dass sein Inhalt – was immer der Koffer enthalten mochte – unerklärlich schwer war. Also löste er die Klappvorrichtung des Tisches und schob das Gestell ganz hoch, sodass es am Schott lehnte. Als das Ding dem Licht ausgesetzt war, kam es ihm so vor, als grinste es ihn gesichtslos auf grässliche Weise an.
Wassily schnaubte und griff nach seinem Spezialdietrich, einem weiteren im höchsten Maße illegalen Werkzeug aus dem Büro des Kurators. Dieses Wunder der Ingenieurkunst vermochte mit seinen von Zylinderspulen gelenkten Sonden, den elektronischen Sensoren und Transmittern sowie dem kompakten Laser-Transponder fast jedes Schloss innerhalb von Sekunden zu knacken. Als Wassily sich über den Schrankkoffer beugte, konnte er sich augenblicklich davon überzeugen, dass das diplomatische Gepäck einer Vertreterin der Vereinten Nationen seinem Spezialdietrich genauso wenig entgegenzusetzen hatte wie jedes andere achtzylindrische Steckschloss mit bestimmter Frequenzresonanz, das auf Händedruck reagierte und naives Vertrauen in lange Primzahlen setzte. Der Deckel klickte auf und schwang nach oben.
Im Deckelboden waren Toilettenartikel und ein Spiegel verstaut. Nach kurzer Inspektion wandte sich Wassily dem Kofferinhalt zu und sah sich plötzlich einem Stapel von Damenkleidung gegenüber. Er schluckte. Unaussprechliches geriet ihm da unter die Augen, sodass er sich wie ein Narr vorkam: gefaltete Unterröcke, Schlüpfer mit langem Bein, ein Paar Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten. Vorsichtig schob er alles zur Seite. Darunter lag ein gelbes Seidengewand, das Wassily, dem der Anblick zutiefst peinlich war, erröten ließ. Er hob es auf, wobei es sich entfaltete. Verwirrt stand er auf und schüttelte es aus. Er musste zugeben, dass es wunderschön und sehr weiblich wirkte, keineswegs wie ein Kleidungsstück, das er bei dieser verdorbenen, dekadenten Agentin der Erde vermutet hätte. Diese ganze Schnüffelexpedition entwickelte sich ganz und gar nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Kopfschüttelnd legte er das Gewand auf das obere Bett und beugte sich wieder über den Schrankkoffer.
Weiter unten befanden sich ein schwarzer Overall und eine achteckige Hutschachtel. Als er versuchte, die Schachtel anzuheben, stellte er fest, dass sie sich nicht bewegen ließ. Sie war massiv und so schwer wie Blei! In seinem Verdacht bestärkt, griff er nach dem Overall und legte ihn über den Stuhl. Darunter stieß er auf eine glatte Kunststoffplatte, in der Lämpchen glühten. Der Schrankkoffer war nur rund fünfzehn Zentimeter tief! Eine ganze Bodenhälfte lag unterhalb der Oberfläche, auf der sich die Hutschachtel befand, und sie enthielt zweifellos lauter Schmuggelware und Spionageausrüstungen.
Wassily stupste mit dem Finger gegen die Kunststoffplatte, die ihn an ein Keyboard erinnerte, nur dass es hier keine Tasten aus Elfenbein und Ebenholz gab. Und auch keine Stelle, an der man gelochte Papierstreifen hätte eingeben können. Es sah alles beunruhigend fremd aus. Als er nochmals gegen die Platte stieß und eine auffällig hervorragende Fläche berührte, blinkten Schriftzeichen auf: ZUGANG VERWEIGERT. UNBEKANNTER GENETISCHER FINGERABDRUCK.
Verdammt.
Während er die verschiedenen Möglichkeiten durchging, tropfte ihm Schweiß vom Hals. Gleich darauf wandten sich seine Augen dem Kofferinhalt zu, den er an der Seite aufgestapelt hatte. Das Ding wollte eine Hautprobe, die es identifizieren konnte? Hm. Handschuhe. Er streckte sie hoch. Lange Damenhandschuhe, die schwach nach irgendetwas rochen. Genau! Wassily stülpte einen davon um, rollte ihn über die rechte Hand und den Arm und berührte nochmals die Erhebung in der Platte: ZUGANG… GEWÄHRT. Der menschliche Körper stieß fünf Millionen Hautpartikel pro Stunde ab. Und diese Handschuhe hatte Rachel Mansour getragen, deshalb…
Als ein Menü auftauchte, berührte Wassily es wahllos mit dem Finger. Die erste Option besagte: DESIGN-KATALOG DER SEARS FOUNDATION, was immer das bedeuten mochte. Darunter stand FREE HARDWARE FOUNDATION GNU-COUTURIER 15.6, noch weiter unten DIORS HISTORISCHER KATALOG. Er kratzte sich am Kopf. Keine Handbücher für Geheimcodes, keine verborgenen Waffen, keine versteckten Kameras. Nur unverständliche Betriebsanleitungen. Frustriert hämmerte er auf die Platte ein.
Als ein tiefes Summen durch den Raum drang, fuhr er so erschrocken zurück, dass er den Stuhl umwarf. Am Deckel der Hutschachtel öffnete sich ein Schlitz. Während das Ding wie verrückt zu scheppern und rasseln begann, warf es etwas aus: Irgendetwas Rotes landete auf seinem Kopf – ein Hauch von Spitze mit zwei Beinlöchern. Skandalös! Knirschend und kreischend spuckte die Hutschachtel in schneller Folge weitere Kleidungsstücke aus: ein Ballkleid aus glänzendem Tüll, gefolgt von Stiefeletten mit Eisenabsätzen und blauen Kniehosen aus grobem Gewebe. Er fasste die Sachen an: Sie waren warm und rochen schwach nach Chemie.
»Hör auf damit!«, zischte er. »Aufhören!« Als Antwort darauf quollen mehrere Strümpfe aus dem Koffer, danach Hosen und ein Korsett, das seiner Trägerin die Luft abschnüren würde. Frustriert schlug er auf das Menü ein, was glücklicherweise den Erfolg zeitigte, dass der Koffer seine Kleiderproduktion einstellte. Als er das Wunderding verwirrt betrachtete, schoss ihm eine Erkenntnis durch den Kopf: Warum sollte sie auch einen Koffer voller Kleidung mit an Bord nehmen, wenn sie einen mitbringen kann, der jedes gewünschte Kleidungsstück auf Knopfdruck herstellt? Während der Koffer ein seltsames, mahlendes Geräusch von sich gab, starrte Wassily ihn zutiefst entsetzt an. Es war ein Füllhorn! Eines dieser geächteten, von Mythen umwobenen Schreckgespenster aus der Vergangenheit – die Maschine, die sozialen Abstieg, Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Niedergang über seine Vorfahren gebracht hatte, ehe sie vor der Singularität geflüchtet waren, um sich anderswo anzusiedeln und auf die Gründung der Neuen Republik hinzuarbeiten!
Das Füllhorn grunzte und summte. Völlig entgeistert blickte Wassily zur Tür. Falls Rachel Mansour bereits auf dem Rückweg war…
Plötzlich öffnete sich die Hutschachtel, und etwas Schwarzes, Glänzendes lugte hervor. Summende Antennen fuhren aus und scannten den Raum, während sich an der Seite der Hutschachtel, deutlich erkennbar, Klauen ausstreckten, um nach ihm zu schnappen.
Wassily musste nur einen Blick auf das Monstrum werfen, um völlig auszurasten. So kopflos, dass er die Kabinentür offen ließ, flüchtete er sich mit wirrem Haar und wildem Blick auf den Gang. Und immer noch steckte seine Hand in dem umgestülpten Damenhandschuh.
In der Kabine schloss der nagelneue Spionageroboter die Erforschung seiner unmittelbaren Umgebung ab. Primitive Programme vernetzten sich in dem Hirn voller Mikroprozessoren. Da kein Einsatz drängte, der Vorrang vor allem anderen hatte, entschloss sich das Hirn zur Fehlersuche und bereitete weitere Aufklärungsaktionen vor. Der Roboter grapschte sich das nächstliegende mobile Objekt, das ihm zur Tarnung dienen konnte, breitete es schützend über seinen krebsartigen Panzer und machte sich auf den Weg zum Lüftungsschacht. Als er es gerade geschafft hatte, das Gitter über dem Schacht zu entfernen, schepperte es in der Hutschachtel: Der zweite kleine Spionageroboter erwachte gerade rechtzeitig zum Leben, um zu beobachten, wie das gelbe Gewand im Schacht der Klimaanlage verschwand. Erneutes Scheppern: Gleich würde ein weiterer Roboter zum Leben erwachen…
Als Rachel Mansour zurückkehrte, war ihr Schrankkoffer halb leer – und der größte Teil ihrer gebrauchsfertigen Kleidung aus der Kabine geflüchtet.
»Du kommst mit mir«, teilte Siebente Schwester Burija mit. »Lage erkunden. Erklären, warum schlecht. Und Ursache verstehen.«
Der Wind, der durchs offene Fenster strich, brachte graue Wolken mit sich und verteilte sie über Nowyj Petrograd. Die Stadt war zu einem Inferno von Flammen geworden, die das Alte zugunsten von Neuem verzehrten. Häuser stürzten ein, während neue an ihre Stelle traten. Wie Pilze schossen sie aus dem seltsamen Boden menschlicher Träume. Im Bezirk der Goldschmiede ragten Bäume aus purem Silber in den Himmel, sodass sich die von Kumuluswolken verdeckte Sonne auf ihrer harten, glatten Oberfläche spiegelte.
Das unbehaarte weibliche Alien watschelte auf den Balkon hinaus und deutete mit den Stoßzähnen auf den Rummel am anderen Ende der Stadt: »Das Festival hat damit nichts zu tun!«
Hilflos folgte Burija ihr auf die Dachterrasse über dem Ballsaal des Herzogs. Ein übler Verwesungsgestank verstopfte ihm die Nase: Er drang aus der Ferne von den Leichen herüber, die an den Laternenpfählen im Hof baumelten. Politowski war zwar verschwunden, aber seine Männer hatten sich nicht einfach stillschweigend zurückgezogen. Und die meuternden Soldaten, außer sich vor Hass und Wut, hatten Gräueltaten gegen die Offiziere und ihre Familien begangen. Die darauf folgenden Vergeltungsmaßnahmen waren hart, aber notwendig gewesen…
Speere aus Licht rissen die Wolkendecke über ihren Köpfen auf. Sekunden später war ein Rumpeln zu hören, als sie durch die kalte Abendluft drangen. Von den noch unversehrten Fenstern der Stadt war der Widerhall ihres Donners zu hören.
»Festival versteht Menschen nicht«, bemerkte Siebente Schwester gelassen. »Motivation von fleischlich-körperlichen Intelligenzen, die sich der Realität nicht bewusst sind, kann man nicht simulieren. Deshalb geht Festival von altruistischer Ästhetik aus. Ich frage: Ist dies ein Werk der Kunst?«
Burija Rubenstein stierte mit leerem Blick auf die Stadt. »Nein.« Es fiel ihm schwer, das zuzugeben. »Wir haben auf Besseres gehofft. Aber die Leute brauchen Führung und eine starke Hand, sonst laufen sie Amok…«
Siebente Schwester machte ein seltsames Geräusch, das wie ein Schnüffeln klang. Gleich darauf merkte er, dass sie über ihn lachte.
»Aufruhr! Freiheit! Das Ende aller Zwänge! Dumme Menschen. Dumme, nicht-organisierte Menschen, die ihren eigenen Platz unter den Leuten nicht erschnüffeln können und stattdessen in die Ecke der eigenen Unterkunft pinkeln und töten müssen. Machen Militärmusik. Marschieren viel und töten reihenweise. Ist doch Komödie, oder?«
»Wir werden es schon selbst in den Griff bekommen«, erwiderte Burija scharf. »Dieses Chaos ist nicht das Schicksal, mit dem wir uns abfinden werden. Wir stehen an der Schwelle zu Utopia! Wenn wir die Menschen erst einmal erzogen haben, werden sie sich rational verhalten. Was du hier siehst – Ignoranz, Verkommenheit und ein Dutzend von Generationen, die unterdrückt wurden –, ist das Ergebnis eines gescheiterten Experiments, nicht das menschliche Schicksal an sich!«
»Warum bist du dann kein Bildhauer und schälst neues Fleisch aus dem alten heraus?« Siebente Schwester kam näher. Ihr schnüffelnder Atem, der den Geruch nach Kohl ausdünstete, erinnerte ihn an ein Meerschweinchen, das seine Eltern ihm gekauft hatten, als er sechs Jahre alt gewesen war. (Als er sieben gewesen war, hatte es eine Hungersnot gegeben, und das Meerschweinchen war im Kochtopf gelandet.) »Warum schaffst du keine neue Geisteshaltung für diese Leute?«
»Das kriegen wir schon hin«, versicherte Burija nachdrücklich. Drei weitere emaillefarbene Diamanten schossen über ihre Köpfe hinweg: In Spiralen zischten sie umeinander herum, wendeten gleich darauf und schwenkten wie mit Bewusstsein begabte Sternschnuppen über den Fluss. Wenn du ins Zweifeln gerätst, wechsle das Thema. »Wie seid ihr überhaupt hierher gekommen?«
»Wir Kritiker. Festival hat viele freie Plätze für Gehirne übrig. Hat uns mitgebracht, genau wie andere Randexistenzen und Wesen, die im Dunkeln lauern. Festival muss reisen und lernen. Wir reisen und verändern. Finden, was zerbrochen ist, und KRITISIEREN, helfen, das Zerbrochene wieder ganz zu machen. Erreichen harmonischen Zusammenhalt im dunklen, warmen, gut versorgten Bienenstock.«
Etwas Großes, Dunkles glitt hinter Burija über den Hof. Als er sich hastig umdrehte, sah er zwei vielgliedrige Beine, die in Hühnerkrallen endeten und von einer wilden, dunklen Haarmähne gekrönt wurden. Die Beine knieten nieder, und der Körper senkte sich, bis eine Öffnung vor der Dachterrasse auftauchte, die so dunkel und wenig einladend wirkte wie die eingesunkene Nasenhöhle eines Totenschädels.
»Komm, begleite mich.« Siebente Schwester der Kriegslisten stand hinter Burija und verstellte ihm den Rückweg ins Arbeitszimmer. Es war kein Angebot, sondern ein Befehl. »Du wirst viel lernen.«
»Ich… ich«, Burija hörte auf zu protestieren, streckte stattdessen eine Hand nach seiner Kehle aus, fand den Lederriemen und zerrte heftig an dessen Ende. »Wachen!«
Mit der Naturgewalt eines Erdbebens wälzte sich Siebente Schwester vorwärts und fegte ihn nach hinten in den wandelnden Unterschlupf, wobei sie wieder das seltsame Schnüffelgeräusch von sich gab. Hinter ihr brach ein wütendes Zischen und Schnattern aus, auf das zielloses Gewehrfeuer folgte, als die erste der Wachgänse durch die Tür des Arbeitszimmers raste. Mit vier Zentnern Lebendgewicht über sich, die ihn niederdrückten, landete Rubenstein auf dem Boden, der schwankte, gleich darauf wie ein Fahrstuhl in die Höhe stieg, sich wieder senkte und zu beschleunigen begann. Das Gefühl war ähnlich wie bei einer Karussellfahrt auf dem Rummelplatz während der Winterkirmes. Rubenstein keuchte und versuchte, irgendwie Luft zu bekommen, aber ehe er ersticken konnte, rappelte sich Siebente Schwester hoch und lehnte sich zurück. Sie saß auf etwas, das wie ein Nest aus trockenen Zweigen aussah. Während sie ihn auf grässliche Weise angrinste und dabei ihre Stoßzähne entblößte, zog sie eine große Wurzel hervor und begann darauf herumzukauen.
»Wohin bringst du mich? Ich verlange, dass du mich wieder absetzt…«
»Nach Plotsk«, erwiderte die Kritikerin. »Damit du verstehen lernst. Willst du Karotte?«
Sie kamen Martin holen, als er fest schlief. Seine Kabinentür wurde aufgerissen, zwei stämmige Rekruten traten ein und machten Licht. »Was ist los?«, fragte Martin verwirrt.
»Aufstehen!«, befahl ein Maat, der an der Tür Posten bezogen hatte.
»Was…«
»Aufstehen!« Energisch wurde ihm die Bettdecke weggerissen. Martin fand sich halb aus seinem Bett gezerrt, ehe er sich überhaupt an das grelle Licht gewöhnt hatte.
»Schnell, schnell!«
»Was geht hier vor?«
»Halts Maul!«, sagte einer der Rekruten und schlug ihn beiläufig ins Gesicht. Als Martin zurück auf das Bett fiel, packte der andere Rekrut seinen Arm und legte ihm Handschellen an. Während Martin versuchte, nach seinem Mund zu tasten – er war wund, brannte und tat weh, war aber nicht schlimm zugerichtet –, schnappten sie sich sein anderes Handgelenk.
»In den Bau, Marsch, Marsch!« Nackt und in Handschellen wurde Martin durch die Tür geschleppt. Sie trieben ihn zu der Ebene, die unterhalb der technischen Räume und des Antriebskerns lag. Alles zog in einem schmerzlichen Nebel aus grellem Licht an ihm vorbei. Als er ausspuckte, sah er einen Streifen Blut über den Fußboden sickern.
Eine Tür ging auf: Sie stießen ihn hindurch, sodass er vornüberstürzte. Danach schlug die Tür zu.
Schließlich setzte der Schock ein. Martin kauerte sich zusammen, wälzte sich auf die Seite und übergab sich auf den Fußboden, ohne dass viel kam. Von Anfang bis Ende hatte der Überfall nicht einmal zwei Minuten gedauert.
Er lag immer noch am Boden, als die Tür sich wieder öffnete. Ein Paar Stiefel geriet in sein Blickfeld.
»Wischen Sie diesen Schlamassel auf«, sagte eine gedämpfte Stimme. Und lauter: »Sie – sofort aufstehen!«
Als Martin sich herumwälzte, sah er, dass Sicherheitsoffizier Sauer auf ihn hinunterstarrte. Hinter ihm stand der junge Beamte aus dem Büro des Kurators, zusammen mit zwei Rekruten. Martin setzte sich auf.
»Raus«, befahl Sauer den Wachen, die sofort den Rückzug antraten. »Aufstehen!«, wiederholte er.
Martin rappelte sich auf und lehnte sich dann aufrecht gegen eine Wand.
»Sie sind in großen Schwierigkeiten«, erklärte der Leutnant. »Nein, sagen Sie nichts, Sie sind in Schwierigkeiten. Sie können sich selbst noch tiefer hineinreiten oder aber mit uns zusammenarbeiten. Ich möchte, dass Sie eine Weile darüber nachdenken.« Er hielt eine dünne schwarze Mikroplatte hoch. »Wir wissen, was das ist. Sie können uns alles darüber erzählen – auch, von wem Sie das Ding haben –, oder aber uns unsere eigenen Schlüsse daraus ziehen lassen. Das hier ist kein Zivilgericht, es handelt sich auch nicht um eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft. Hier handelt es sich, falls Sie es noch nicht erraten haben, um eine militärische Angelegenheit der Spionageabwehr. Ihr Verhalten uns gegenüber wird darüber entscheiden, wie wir mit Ihnen verfahren, kapiert?«
Martin blinzelte. »Ich hab das Ding noch nie zuvor gesehen«, beteuerte er mit rasendem Puls.
Sauer sah angewidert aus. »Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht genau, worum es hier geht. Das Ding hat sich in Ihrem Gerät befunden. Und die Vorschriften der Marine besagen ausdrücklich, dass es ein Vergehen darstellt, nicht genehmigte Kommunikationsmittel an Bord eines Kriegsschiffes zu bringen. Was also hat das Ding hier zu suchen gehabt? Haben Sie vergessen, es herauszunehmen? Wem gehört es überhaupt?«
Martin zögerte. »Die von der Werft haben mir aufgetragen, es mitzunehmen«, sagte er. »Als ich an Bord kam, war mir ja nicht klar, dass ich mehr als jeweils eine Schicht dort bleiben würde. Oder dass es ein Problem darstellt.«
»Die Werft hat Ihnen aufgetragen, es mitzunehmen.« Sauer wirkte skeptisch. »Es ist ein toter Kausalkanal, Mann! Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, was eines dieser Dinger wert ist?«
Martin nickte unsicher. »Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, was dieses Schiff wertist?«, hielt er dagegen. »MiG hat es gebaut. Und MiG hat vor, eine Menge Geld mit Nachbauten dieses Prototyps zu verdienen. Und noch mehr, wenn sich dieses Schiff in der Schlacht bewährt. Ist Ihnen schon mal in den Sinn gekommen, dass meine ursprünglichen Arbeitgeber – die Leute, von denen Sie mich entliehen haben – ein legitimes Interesse daran haben zu erfahren, welche Veränderungen Sie an dem Schiff vorgenommen haben, das sie Ihnen geliefert haben?«
Sauer warf die Kassette auf Martins Koje. »Plausibel. Bis jetzt halten Sie sich ganz gut, aber lassen Sie sich das nicht zu Kopf steigen.« Er drehte sich um und klopfte an die Tür. »Wenn das alles ist, was Sie uns zu sagen haben, werde ich es so an den Kapitän weiterleiten. Falls Sie mir noch mehr zu sagen haben, lassen Sie’s den Aufseher wissen, wenn er Ihr Mittagessen bringt.«
»Ist das alles?«, fragte Martin, als sich die Tür öffnete.
»Ob das alles ist?« Sauer schüttelte den Kopf. »Sie gestehen ein Kapitalverbrechen ein und fragen, ob das alles ist?« Er blieb im Eingang stehen und starrte Martin ausdruckslos an. »Ja, das ist alles. Aufzeichnung beenden.«
Gleich darauf war er verschwunden.
Unmittelbar nach der vorzeitig abgebrochenen Durchsuchung von Rachels Gepäck war Wassily sehr erschrocken zu Leutnant Sauer geeilt, um dessen Rat einzuholen. In Sauers Anwesenheit sprudelte schließlich alles aus ihm heraus, woraufhin der Leutnant bestätigend nickte und ihn beruhigte, ehe er ihm erklärte, was sie unternehmen würden.
»Die machen gemeinsame Sache, Sohn, so viel ist mal klar. Aber Sie hätten zuerst mit mir reden sollen. Wollen uns diese Kassette mal ansehen, die Sie ihm weggenommen haben, wie?«
Wassily reichte ihm die Kassette, die er aus Martins Notebook geklaut hatte. Nachdem Sauer einen Blick darauf geworfen hatte, nickte er vor sich hin. »Hab so ein Ding noch nie gesehen, Sie etwa? Na ja, machen Sie sich keine Sorgen; das ist genau der Hebel, mit dem wir ansetzen können.« Er klopfte viel sagend auf den toten Kausalkanal. »Ich weiß ja nicht, warum er das mit an Bord genommen hat, aber es war verdammt dumm von ihm, ein klarer Verstoß gegen die Vorschriften Seiner Majestät. Sie hätten damit sofort zu mir kommen können – ich hätte keine Fragen gestellt –, anstatt im Gepäck der Frau herumzustöbern. Was Sie selbstverständlich gar nicht getan haben, oder?«
»Ah… Nein, Sir.«
»Na, wunderbar.« Sauer nickte wieder vor sich hin. »Denn wenn Sie’s getan hätten, müsste ich Sie natürlich festnehmen. Aber ich gehe davon aus, dass sie die Tür aufgelassen und irgendein Rekrut versucht hat, sich an ihrer Garderobe zu bedienen. Nun ja, in diesem Fall können wir ja die Ermittlungen aufnehmen…« Er ließ den Satz gedankenvoll im Raum schweben.
»Warum können wir die Frau nicht festnehmen, Sir? Wegen… ähm… Besitz eines illegalen Geräts?«
»Weil…«, Sauer sah an seiner Nase vorbei auf Wassily herunter, »sie einen Diplomatenpass besitzt. Sie hat die Erlaubnis, illegale Gerätschaften in ihrem Gepäck mitzuführen. Und, offen gesagt, hat sie dafür auch eine Rechtfertigung, soweit ich weiß. Würden Sie sich auch beschweren, wenn sie eine Nähmaschine dabeihätte? Genau das wird sie aber behaupten: dass es sich lediglich um eine Maschine zur Kleiderherstellung handelt.«
»Aber ich habe gesehen, wie Wesen da herauskamen, Wesen mit unnatürlich vielen Beinen! Sie haben mich verfolgt…«
»Niemand sonst hat die gesehen«, sagte Sauer mit beschwichtigender Stimme. »Ich glaube Ihnen; wahrscheinlich haben Sie wirklich etwas gesehen, vielleicht Spionageroboter. Aber gute, so gute, dass sie sich verstecken und keinen Beweis ihrer Existenz hinterlassen…« Er zuckte die Achseln.
»Was werden Sie jetzt unternehmen, Sir?«
Sauer wandte den Blick ab. »Ich denke, wir werden Mr Springfield einen Besuch abstatten«, murmelte er. »Wir nehmen ihn mit und stecken ihn ein Weilchen in den Bau. Und dann«, er grinste unangenehm, »werden wir sehen, welche Schritte unsere Diplomatin unternimmt. Was uns eigentlich verraten müsste, was all das zu bedeuten hat, nicht wahr?«
Keiner von beiden bemerkte das Paar Unterhosen mit lustigen Punkten, das sich hinter dem Luftschacht über ihren Köpfen versteckt hatte, geduldig lauschte und alles aufzeichnete.