Gefangen

 

 

In absoluter Perfektion führte der Tunnel immer tiefer in den Mond, direkt auf den kleinen Eisenkern zu. Die Wände waren so glatt, wie es keine jemals von Menschenhand erbaute Maschine hätte erschaffen können. Es gab weder Gesteinsporen, noch Blasen oder Einschlüsse. Gleich einem Spiegel, reflektierte die makellos geschmolzene Steinwand den spärlichen Lichtschein sämtlicher Scheinwerfer der Explorer in geisterhaften Bögen. Kein Ende in Sichtweite, reichte der ovale Tunnel wie eine endlose Gerade in das Milliarden Jahre alte Gestein.

„Ich fasse es nicht, wie James das solange geheim halten konnte. Wie war das bloß möglich, dass niemand davon wusste?“ Susannah konnte nicht anders, als dauernd aus den Fenstern zu starren. Doch viel sah sie nicht. Umso absurder war die Tatsache, wo sie hineinflogen. Faszination und Angst wechselten einander ab.

„Der Zwischenfall ereignete sich schon Ende der 60er. Aber vermutlich wusste er es noch nicht so lange. Es hatten sicher noch andere Mächtige ihre Finger im Spiel. Du kennst doch die Marotten der Konzerne.“

„Allerdings.“ Susannah schüttelte verächtlich den Kopf und rieb mit ihren Fingern über ein kleines unscheinbares Tattoo, das sich auf ihrem rechten Handrücken befand. Ein kleiner grüner Baum, umgeben von drei dünnen Kreisen, die sich ineinander schnitten. Nur wenige Millimeter unter dem Firmenlogo ihres ehemaligen korrupten Arbeitgebers befand sich der eingepflanzte deaktivierte Zugangschip, von dem sie regelmäßigen Hautausschlag bekam. Doch sie ließ ihn niemals entfernen. Das Tattoo sollte sie immer daran erinnern, in wessen Dienste sie stand und wessen Wohlwollen sie einst genoss. Zu lange hatte sie die Augen vor den skrupellosen Machenschaften verschlossen, wollte die bittere Wahrheit einfach nicht glauben. Konzerne. Sie gab ihnen die Mitschuld an diesem Ende.

Nachdem die Gesundheitssysteme vieler Staaten durch die unkontrollierbare Bevölkerungsexplosion und Vergreisung zusammengebrochen waren und völlig privatisiert wurden, klaffte die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie niemals zuvor. Pharma-Giganten wie „True Life“ sowie fast jeder andere Megakonzern, verfolgten stets nur ihre eigenen Interessen und profitablen Ziele jenseits vom Wohl des Einzelnen und gesunder Moral. Alles drehte sich nur noch um Dollars, Euros oder Yuan. Für Geld gingen einige dieser Konzerne über Berge von Leichen, stets hinter dem Deckmantel der Forschung. Susannah wusste mehr als ihr lieb war. Zu oft hatten sie ihre Hände zum Nichtstun und ihren Mund zum Schweigen verdammt oder sie gezwungen, die Stecker des Lebens zu ziehen. Oftmals, weil die Versicherungen die Kosten der Behandlungen nicht übernahmen. Leben zu retten, stand meist an zweiter Stelle. Scham überkam sie. Noch immer lastete immense Schuld auf ihren Schultern.

Sie kratzte ihre Hand und überlegte.

„Warum hast du es nie entfernen lassen?“, fragte Bone in diesem Moment, als könnte er ihre Gedanken lesen.

„Weil ich es brauche, um mich daran zu erinnern.“ Zaghaft strich sie über das Tattoo und blickte wieder dem endlosen Tunnel entgegen.

„Ja. Erinnerungen sind alles, was wir noch haben“, seufzte Caren leise. Angewurzelt stand sie hinter Bones Sitz und folgte der Leere des Tunnels. Dann begann sie unerwartet zu lächeln.

„Gott, wir fliegen immer tiefer hinein. In den Mond. Wer hätte sich das träumen lassen?“ Mit geistesabwesendem Blick und einer leichten Prise Wahnsinn starrte sie in die frontale Dunkelheit.

„Alles in Ordnung?“ Susannah schaute besorgt zu ihr auf.

„Klar, alles bestens“, lächelte sie zurück. „Wie tief sind wir denn schon?“

„Knapp 500 Kilometer“, rundete Bone großzügig auf. Tatsächlich bewegte sich der Höhenmesser langsam auf Minus 482 Kilometer zu.

„Dann ist es nicht mehr weit zum Kern. Sollten wir nicht etwas langsamer werden?“, merkte Susannah vorsichtig an.

„Noch langsamer? Soll ich anhalten und du schiebst?“ Bone hatte die Explorer bereits genug abgebremst und behielt das Tempo bei. Der Eindruck von Geschwindigkeit war relativ.

Plötzlich schlug jemand die Tür auf. Von ihren Anzügen befreit, stürmten Vandermeer und Wullf völlig aufgebracht in das Cockpit, das unlängst zum Wallfahrtsort der beispiellosen Odyssee jenseits aller menschlichen Vernunft aufgestiegen war. Das Cockpit war der einzige Ort an Bord, an dem etwas los war. Der einzige Ort, der Antworten versprach und gegen den innerlichen Verfall und Wahnsinn antrat. Zu Zuschauern hinter der Mattscheibe degradiert, trennte das dicke Glas hier die existierenden Überreste der tragisch absurden Zukunft von den letzten Überlebenden einer vergangenen Zivilisation.

„Sind wir grad in den beschissenen Mond hineingeflogen? Wo sind wir hier, verflucht nochmal?“

„Sie verrückter Wahnsinniger. Sie hätten uns fast umgebracht!“, brüllte Wullf durch das Cockpit. Susannah sprang auf, um Bone zu schützen. Mühsam stemmte sie sich mit ihrem zierlichen Körper dem schwarzen Riesen in den Weg.

„Aaron, beruhigen Sie sich und setzen Sie sich! Los hinsetzen! Alle beide! Wir sind in Sicherheit. Sie wussten doch, was uns erwartet.“

„Einen Scheiß wusste ich! Das nächste Mal erklären Sie Ihren Plan etwas präziser.“ Aufgeregt nahm Wullf Platz und sah ebenso entsetzt in den Tunnel hinaus. „Wie konnten Sie uns hier reinfliegen? Das ist Wahnsinn. Wie sollen wir hier jemals wieder rauskommen?“

Bone antwortete nicht und hielt den Kurs. Neugier wurde Menschen schon oft zum Verhängnis. Er begann an seinem Plan zu zweifeln. Hatten sie gerade den einzigen Ausweg gesprengt?

„Der reinste Irrsinn!“ Vandermeer war außer sich. Dennoch konnte auch er kaum anders, als ständig auf die unfassbaren Anzeigen zu starren. 550 Kilometer. Der Kurs führte sie immer tiefer in den Mantel. „Wir kommen hier nie wieder raus!“

„Hey. Es war nicht seine alleinige Entscheidung. Es war meine Idee. Und wir hatten keine andere Wahl.“

Irritiert starrte Wullf in die Augen der Ärztin und kniff ungläubig die seinen zusammen.

„Was? Sie haben …?“, runzelte er seine Stirn.

„Ja“, antwortete sie überzeugend genug und hielt die Mappe mit den alten Fotos hoch. „Sehen Sie selbst!“

„Woher…“ Wullf nahm die Unterlagen in die Hand.

„Sie wussten von diesem Tunnel?“, wurde auch Vandermeer wütend, nicht fassend, dass derartige Geheimnisse zurückgehalten worden waren. „Wieso haben Sie uns das nicht früher erzählt?“

„Weil wir es gerade erst erfahren haben“, log Susannah.

„Bullshit! Er hat diese Region ganz gezielt angeflogen.“ Vandermeer glaubte kein Wort und sah Wullf beim Blättern der Dokumente über die Schulter.

„Seien Sie nicht pikiert! Sie sollten froh sein, dass wir die Dokumente des Admirals überhaupt gefunden haben.“

„Es hat doch funktioniert, oder? Wir leben noch“, meldete sich Bone wieder zu Wort. „Ich wusste nicht, ob es klappen würde. Wollen Sie wirklich wieder an die Oberfläche zu den Dingern? Ich kann Ihnen versichern, dass die irgendwann ernst gemacht hätten.“

„Was ist das hier alles?“ Wullf betrachtete die Bilder und war sprachlos. Die Strukturen der gezeigten Ausgrabungen kamen ihm höchst bekannt vor. „Das kann doch nicht sein. Steckt das etwa im Mond?“

„Das werden wir bald erfahren.“

„Noch 230 Kilometer. Da ist irgendwas“, verkündete Susannah die Ergebnisse ihrer Messungen. Unermüdlich blickte sie auf ihren Monitor. Das Ende des Tunnels kam immer näher.

„Na großartig.“ Vandermeer lehnte sich zurück und schlug die Arme über dem Kopf zusammen.

„Ganz ruhig, Mann. Wohin führt der Tunnel? Auf die andere Seite des Mondes?“, fragte Wullf etwas gefasster und ebenso neugierig.

„Nein. Wir nähern uns dem Kern“, erklärte Bone trocken.

„Dem Kern? Ich dachte, der wäre flüssig.“ Viktor wurde immer unruhiger.

„Offensichtlich ist er es nicht. Der Mantel ist fest und kalt. Vielleicht haben die Seismometer der Apollo-Missionen etwas ganz anderes empfangen, als wir dachten“, erklärte Susannah selbst leicht verstört. Das ganze Verständnis zum Aufbau des Mondes beruhte auf diesen Messungen.

„So, wie Sie das sagen, klingt das ziemlich unheimlich“, wurde Viktor langsam mulmig.

Aaron deutete auf ein bestimmtes Foto.

„Wir fliegen auf dieses Ding zu. Was ist das?“

„Darüber steht nichts in den Dokumenten“, antwortete Bone enttäuscht.

„Vielleicht hat die Zeit bis 2093 nicht gereicht, es völlig freizulegen“, überlegte Susannah laut.

„Aber das ist einige Hundert Jahre her. Ich bin mir sicher, dass sie inzwischen sehr viel weiter gekommen sind. Es muss andere Zugänge geben. Die gibt es immer“, klang Bone fast überzeugt.

„Sie sind sich aber nicht sicher, oder?“, fragte Wullf den Piloten. Bone schüttelte den Kopf.

„Ich habs geahnt“, murrte Vandermeer und stieß mit seiner Faust in die Seitenverkleidung.

„Wollen Sie umkehren? Also was mich betrifft, ich muss das sehen.“

„Ich auch“, stand ihm Susannah bei.

„Und wie geht’s dann weiter?“, wollte Wullf wissen.

„Wir suchen nach Antworten, was sonst. Sagen Sie nicht, dass Sie das hier kaltlässt.“ Bone sah Aaron ins Gesicht.

„Nein. Sie haben mein Interesse geweckt, auch wenn es mir bei dem Gedanken eiskalt den Rücken runterläuft.“

„Hier steht alles drin“, erklärte Susannah und reichte die restlichen Unterlagen nach hinten. „Lesen Sie selbst!“ Sie hatte keine Zeit zum Lesen, sondern musste sich auf die Instrumente konzentrieren.

Interessiert überflog Wullf einige Schemata und streng geheime Schriftstücke.

„Herkunft des Strahls: Kolumbien? Südamerika? Was zum … Der Kern des Mondes hat den Strahl nach nur einer Sekunde gestoppt. Mein Gott.“

Während Aaron weitere Seiten überflog und sich etwas zu beruhigen schien, wurde Viktor immer nervöser. Neue Schreckensszenarien liefen in seinem Kopf Amok.

„Was zur Hölle wollen wir hier drinnen? Ich sag euch, wir sind in eine verfluchte Falle getappt. Das ist eine Sackgasse. Scheiße, ich schwöre…“

„Hören Sie auf, Panik zu verbreiten! Fürs Erste sind wir vor denen da draußen sicher. Was auch immer das für Schiffe waren, sie sind uns nicht gefolgt“, rief Bone zurück.

„Das vermuten Sie. Und wenn wir nur die Tür aufgesprengt haben, aus der sie gekommen sind? Woher wollen Sie wissen, dass sie nicht aus diesem Tunnel kamen? Hat auch nur einer von euch bemerkt, woher sie kamen? Ich sag euch, so schnell sind wir die noch nicht los. Die finden uns! Deren Technik ist unserer Jahrhunderte voraus.“

„Das glaub ich nicht. Der Eingang war unberührt und versteckt.“

„Sind Sie sicher?“, bestand Vandermeer auf einen Beweis.

„Nein, aber wir können das checken. Sue, überprüf das bitte.“

Susannah sprang zu den letzten Aufnahmen unmittelbar vor dem Durchbruch zurück. Bild für Bild zoomte sie an die unversehrten Ränder des Tunnels heran.

„Ich kann nichts entdecken.“

Nichts deutete darauf hin, dass sich das versteckte Tor unter dem Mondstaub in der letzten Zeit jemals geöffnet hatte.

„Hier“, zeigte Bone auf verschiedene Bildausschnitte. „Seht ihr, die Regolithschicht ist vollkommen unberührt. Hätte sich der Mechanismus geöffnet, könnten wir es sehen.“ Abgelenkt betrachteten alle die letzten Aufnahmen kurz vor dem Eintauchen in den Mondmantel.

„Und Sie denken, die aufgewirbelte Staubwolke reicht, um uns zu verstecken? Was ist, wenn Sie gesehen haben, wie wir hier hineingeflogen sind? Die suchen doch nach uns.“

„Sie sind nicht hinter uns! Was wollen Sie, Viktor? Sollen wir uns denen etwa ergeben?“

„Ach, ficken Sie sich! Sie bringen uns noch um.“

„Also gut. Fürs Erste sind wir hier sicher. Aber wie gehts nun weiter?“, wollte Wullf noch immer skeptisch wissen. „Was ist mit der Arche? Wenn wir sie nicht warnen…“, ließ er das Ende offen im Raum stehen. Jeder wusste, was er sagen wollte. Währenddessen sprang die Videoaufnahme vom Einschlag in die Oberfläche immer wieder zur gesetzten In-Marke.

„Fuck!“, spuckte Vandermeer auf den Boden.

„Wie lange reicht ihr Sauerstoff?“, erkundigte sich Susannah bei Bone, während sie angewidert zurück sah.

„Mit allen Reserven an Bord maximal 15 Tage. Das gibt ihnen immerhin einen gewissen Spielraum.“

„Und wenn sie es nicht schaffen und die Dinger noch da sind?“, fragte sie ängstlich.

„Daran darfst du nicht denken. Steven macht das schon“, antwortete Bone. „Er ist Meister der Improvisation.“

„Ich hoffe, dass du Recht hast“, betete Susannah. “Vielleicht kommt er auf dieselbe verrückte Idee wie wir.“

„Mach dir keine …“

„O Mann, ich fasse es nicht. Immer diese Forschung“, schimpfte Wullf, während er die Dokumente überflog.

„Was haben Sie?“, fragte Susannah neugierig, als sie bemerkte, dass Aaron in James’ alten Akten las. „Was Interessantes gefunden?“

„Machen Sie Witze? Haben Sie das überhaupt gelesen?“ Wullf hielt mehrere blaue Blätter in die Höhe.

„Klären Sie uns auf!“ Bone hielt weiter Kurs und hörte zu.

„Ich versteh hier nur die Hälfte. Es geht um Neutrino-Strahlung aus der Sonne und Detektoren unter der Erde.“

„Geisterteilchen. Davon hab ich schon gehört, ja. Das sind ungeladene fast masselose Elementarteilchen von der Sonne, die alles ungehindert passieren“, erinnerte sich Bone. Schon damals war er von diesen Teilchen schwer beeindruckt gewesen. Während neu produzierte Fusionsenergie der Sonne Zehntausende Jahre und länger benötigte, um als Wärme und sichtbares Licht an der Oberfläche hervorzutreten, erreichten gleichzeitig entstandene Neutrinos bereits acht Minuten später die Erde und durchströmten diese in Bruchteilen einer Sekunde.

„Richtig. So ähnlich steht es hier auch beschrieben. Sie verursachen fast keine Wechselwirkung und können Sterne und Planeten mit Lichtgeschwindigkeit durchqueren. Aber hier steht, dass 2007 erstmals auch Neutrino-Strahlung aus dem Erdinneren gemessen wurde. Der Borexino-Detektor ist nur einer von vielen unterhalb des Gran-Sasso-Gebirgsmassiv in Mittelitalien.“

„Italien? Verdammt! Da klingelt was bei mir“, ahnte selbst Vandermeer einen Zusammenhang.

„Hört zu!“, meinte Wullf. „Borexino sollte als Experiment der Teilchenphysik ursprünglich solare Neutrinos spektroskopisch vermessen. Nach der Entdeckung der unbekannten Neutrino-Quelle im Erdinneren begann Borexino mit der Erforschung des Erdkerns und fing mehrere künstliche Signale auf. Im März 2021 wurde das internationale Forschungsteam aufgelöst und vom italienischen und amerikanischen Geheimdienst abgelöst. Und nun hört zu! In den folgenden fünf Jahren wurden mehrere dieser künstlichen Signale identifiziert und reproduziert. Manche Signale führten zu deutlichen Schwankungen im Erdmagnetfeld. Andere verursachten tiefe Kernbeben, deren Schockwellen durch den gesamten Erdmantel zogen. Die Intensität der ausgesandten Neutrino-Impulse bestimmte die direkte Stärke der gewünschten Auswirkungen.

„O Gott, wisst ihr, was das bedeutet?“ Susannah ahnte bereits, was aus diesen Forschungen wurde.

„Klingt waffenfähig. Kein Wunder, dass sie das geheim gehalten haben“, bemerkte Bone trocken.

„Auf der Suche nach einer schlüssigen Quelle wurden immer größere Tests durchgeführt.“ Wullf hielt kurz inne. „Das folgende Datum dürfte euch bekannt vorkommen. Am 24. Mai 2033 wurden in allen weltweit installierten Detektoren mehrfach erhöhte Neutrino-Impulse festgestellt. In beide Richtungen!“

„Wie, in beide Richtungen? Etwa ein Kontakt?“, staunte Susannah und fragte sich, warum sie nur die ersten Seiten gelesen hatte. „War das nicht der Tag?“

„Ja. Hier ! 9:32, 9:37, 11:21 und 11:36 Uhr.“ Wullf reichte ihr zwei Seiten des Protokolls, eines von Borexino und eins von Capri. Die Parallelen waren unverkennbar. Nach jedem Impuls erfolgten eine Signalabfolge und ein Erdbeben an der Oberfläche. War also die Strahlung der Experimente für die Aktivierung des Artefaktes verantwortlich?

„Alter. Was erzählst du da für einen Bullshit?“

„O Gott! Ich kann das gar nicht glauben.“ Susannah überflog die betreffenden Seiten und schüttelte betroffen den Kopf.

„Versteht ihr nun?“, meinte Wullf. „Die Wahnsinnigen haben die Katastrophe selbst ausgelöst.“

„Absichtlich? Das glaub ich nicht.“ Diese Vorstellung war Susannah zu absurd. Es war allenfalls Nahrung für unglaubliche Verschwörungstheorien. Und dennoch wollte das unheimliche Gefühl nicht aufhören.

„Vielleicht nicht absichtlich, aber sie haben es auf jeden Fall vertuscht.“

Eine unbehagliche Ruhe stellte sich ein.

„Verständlich“, antwortete Bone kalt. „Würdet ihr zugeben, dass ihr am Tod von 2,7 Millionen Menschen schuld seid?“

„Vielleicht war es ein missverstandener Kommunikationsversuch“, warf Susannah ein. Gern würde sie die allgemeine Forschung in Schutz nehmen. Doch je mehr sie darüber nachdachte … Es passierten zu viele schlimme Dinge unter dem Deckmantel der Forschung. Sie selbst war nicht ganz unschuldig. Erneut rieb sie ihr Tattoo auf ihrer Hand.

„Wissen Sie, was ich mich die ganze Zeit frage? Wie konnte Admiral Cartright mit diesen Menschen zusammenarbeiten? Nach allem, was passiert ist“, wunderte sich Wullf.

„Das hat er nicht. Als die Katastrophe geschah, war er noch ein Kind. Diese Leute lebten nicht mehr, als er dort anfing.“ Bone wollte das Ganze nicht mehr hören.

„Und die letzten 20 Jahre?“, bohrte Aaron nach. „Er ist zumindest in ihre Fußstapfen getreten und hat den ganzen Laden geschmissen. Meinen Sie wirklich, er hätte das geschafft, ohne sich die Hände schmutzig zu machen? Ich bin sicher, dass er all das hier gewusst hat.“ Wullf klappte die Mappe zu und warf sie auf die nächste Konsole.

„Er hat nach Antworten gesucht“, versuchte Bone die Ehre seines Ziehvaters zu verteidigen. Vielleicht wusste er nicht alles, aber mit Sicherheit war er kein schlechter Mensch. Jeder Mensch hat Geheimnisse.

„Hat Steven das schon gelesen?“, fragte er Susannah. Sie schüttelte nur den Kopf.

„Ist vielleicht besser so.“

 

Die Explorer hielt den Kurs und schoss weiter Richtung Kern den gewaltigen Tunnel hinab. Auch die beispiellose Perfektion hatte sich nicht verändert. Dunkelheit, soweit das Auge reichte. Bone starrte auf das grüne Raster der vorbeirasenden Wände.

Obwohl seine Müdigkeit ihn längst übermannt haben müsste, folgte er den Anzeigen so wachsam wie noch nie. Pures Adrenalin schoss durch seine Adern und hielt ihn wach. Was immer sie in Kürze vorfinden würden, welch großes Geheimnis James seit Jahrzehnten beharrlich versteckte, es war nur noch 60 Kilometer entfernt und kam näher. Plötzlich schrie Caren auf.

„Leute! Seht mal!“, deutete sie frontal hinaus. „Ein Licht.“

„Tatsächlich.“ Schwaches weißes Licht drang durch den Tunnel. Obwohl das Ende noch längst nicht zu erkennen war, brach es sich nach allen optischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Explorer entgegen. Die blanken Wände verstärkten den schwachen Lichtpunkt wie der Hohlspiegel einer Taschenlampe.

„Wie … woher kommt das?“, stolperte Bone selbst über seine Zunge und überflog sofort sämtliche Anzeigen. Sorgsam kontrollierte er Tiefe, Strahlung und Temperaturen des Mantelgesteins. Dieses Mal versagten die Scanner nicht.

Das unfassbare Ergebnis baute sich zügig als dreidimensionales Modell auf einem Bildschirm auf.

„Woher kommt das? Ist das Magma?“ Susannah beugte sich vor.

Bone blickte zum Höhenmesser, der gerade Minus 743 Kilometer passierte. 745, 747 … Auch die anderen Anzeigen widerlegten jegliche natürliche Theorie.

„Nein. Offenbar gibt es kein flüssiges Gestein mehr im Mond. Die Temperaturen liegen weit unter null. Das Licht kommt vom Kern“, verfolgte Bone den Aufbau der Sensoren-Animation. Immer wieder blickte er empor, dann wieder auf das klare, beinahe plastische Bild. Ungläubig, was sich vor ihm aufbaute, weiteten sich seine Augen.

„Die Sensoren orten eine riesige Höhle. Sie ist gigantisch!“, staunte Bone überrascht.

„Eine Höhle?“, stutzte Susannah. „Im Mond?“

„Das ist unmöglich.“ Wullf überzeugte sich selbst und konnte es dennoch kaum glauben. Das Licht kam näher.

„Kehren Sie um! Wir sollten nicht tiefer fliegen.“ Vandermeer wurde immer nervöser. Ihm war nicht mehr wohl in seiner Haut.

„Unsinn! Wir können nicht mehr zurück. Wollen Sie nicht wissen, was da vor uns liegt?“

„Ich will es wissen“, antwortete Susannah wie in Trance.

„Ich auch. Entspann dich, Viktor!“, stimmte Wullf ihr zu.

Wie Motten vom Licht angezogen, hielt Bone den Kurs. Sekunden verstrichen. Es wurde zunehmend heller und das Ende des Tunnels rückte immer näher.

„Das ist unheimlich.“ Carens Blick schien wie versteinert.

„Heilige! … Was zum … “, verschluckte Wullf den Rest. Das computerberechnete Gebilde im Innern des Mondes nahm groteske Konturen an. So abstrakt hatte sich niemand den Kern vorgestellt. Er wollte nichts aussprechen, was er später vor dem Herrn bereuen würde. „Das ist der Kern?“

„Das werden wir gleich sehen“, blickte Bone wieder auf. Der kleine Punkt war in kürzester Zeit zu einer hellen Scheibe herangewachsen. Grelles Licht überstrahlte den Ausgang des Tunnels. Noch immer konnte niemand etwas mit eigenen Augen erkennen. Mit Spannung erwarteten sie das Ende der Dunkelheit.

 

Außerhalb der Explorer, Nahe des Kerns

Finsternis erfüllte den Tunnel jenseits des Lichtes. Entgegen des strahlenden Mondinnern verschluckte die fast 800 Kilometer lange Röhre sämtliche Beleuchtung des geheimnisvollen Kerns. Inmitten der Schwärze gewann plötzlich ein kleiner weißer Punkt an strahlender Intensität und wurde immer heller. Aus dem einen kleinen Punkt wurden schließlich zwei, dann vier. Je näher die Explorer dem Ende des Tunnels kam, umso bedeutungsloser wurden ihre acht Suchscheinwerfer am Bug und den eingefahrenen Tragflächen. Blendend hell überstrahlt, verließ die Explorer den Ausgang und tauchte in die atemberaubende Weite der lichtdurchfluteten Höhle ein. Es dauerte einen Moment, bis sich die Augen der restlichen Besatzung an die Helligkeit gewöhnten. Dann gab der Mond sein unglaubliches Geheimnis preis und offenbarte zugleich ein neues Rätsel, fern von jeder Vorstellungskraft.

Wie eine asymmetrische gigantische Nervenzelle bildete ein bronzefarbenes Artefakt den Kern des Mondes und durchbohrte den gesamten Trabanten mit unzähligen langen stachelartigen Ausläufern. Nur wenige der riesigen Arme waren vollständig freigelegt worden. Einige reichten zur Höhlenmitte, während andere im Gesteinsmantel des Mondes verschwanden.

Jeder, der über einen gesunden Verstand verfügte, wusste, dass dieses Ding nicht natürlichen kosmischen Ursprungs war. Nur was war es und wie kam es hier in den Kern?

Das fast 800 Kilometer im Durchmesser umfassende unförmige Objekt war zu großen Teilen aus dem Mondgestein freigegraben worden. Tausende zurückgelassene technische Apparaturen, riesige Bergbaumaschinen und im Mantel errichtete Stationen zeugten vom einst emsigen menschlichen Treiben. Die entstandene Höhle breitete sich hunderte Kilometer in alle Richtungen aus. Wäre das riesige Artefakt vollständig freigelegt worden, würde sich die Höhle wie eine konzentrische Kugelschale um das fremdartig anmutende Objekt ausbreiten. Nur die langen stachelartigen Ausläufer verbanden den übrigen Mantel des Mondes fest verschmolzen mit dem Artefakt. Von dem verborgenen Geheimnis sollte niemand je etwas erfahren. Doch irgendetwas musste schiefgegangen sein. Alle Bergbaumaschinen waren längst verstummt. Die Menschen waren nur zu Dreiviertel fertig geworden.

Es war still geworden im Mondinnern, doch das solare Feuer war noch nicht gänzlich erloschen. Zwei der atemberaubenden künstlichen Lichtquellen brannten noch, solange der Brennstoff für ihr atomares Feuer reichte. Es waren intakte Mini-Sonnen. Technologische Wunder, seit Jahrhunderten ein Traum der Menschheit. Unbegrenzte Energie für die Welt. Grundlage für Exosolares Leben, Raumfahrt oder Landwirtschaft in den entlegensten Gebieten des Universums. Lange Zeit galten sie als unrealisierbar. Kleine Sonnen, angetrieben von echter Kernfusion, im Zaum gehalten und kontrolliert von einem gigantischen Magnetfeld und anderen fernen Technologien. Seit dem 20. Jahrhundert experimentierten eine Handvoll Staaten mit dem Wunder des solaren Feuers. Unkontrolliert, als verheerende H-Waffen, waren sie schon lange bekannt. Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gehörten sie zum Standard militärischer Drohgebärden.

Noch brannten zwei von ihnen im Innern des Mondes. Drei weitere waren erloschen, während eine sechste noch in den unterschiedlichen Rottönen seit unbestimmter Zeit ausglühte. Einmal entfacht, brauchte es eine kleine Ewigkeit, ehe sie endgültig erloschen. Aus irgendeinem Grund hatte die Technik der letzten zwei noch nicht versagt.

Behutsam korrigierte Bone den Kurs, flog eine leichte Kurve und folgte einem der langen Ausleger direkt auf eine Minisonne und dem dahinter liegenden Kern des Artefaktes zu. Auf ein Minimum der Triebwerksleistung reduziert, konnte jeder hastige Fehler den Tod bedeuten.

 

Cockpit Explorer, B-Deck

Sprachlos starrten alle in die Weite der Höhle. Warmes helles Licht schien gefiltert durch die Glasscheiben und warf weiche Schatten auf Boden und Armaturen.

„Was hast du uns vorenthalten, alter Mann?“, flüsterte Bone.

„Glaubst du, er wusste davon?“, zweifelte Susannah.

„Er wusste mehr, als wir denken“, war sich Bone sicher. Noch immer hatte er das mysteriöse Gespräch vom Rückflug zur Kolumbus-Station kurz vor dem Start in Gedanken. Das zweite verborgene Artefakt auf der Erde. Kolumbien. Die vielen Ausläufer hier im Mond. Auf einmal ergab alles einen Sinn.

„Ja. Er wusste es. Vielleicht etwas anderes als das hier.“

„Seht euch das nur an!“, sah Caren mit verträumtem Blick in die nächstgelegene Mini-Sonne. „Wunderschön. Dieses Licht.“

„Ja, unglaublich. Einfach unglaublich“, stimmte Susannah ihr zu. Auch sie blickte zur Mini-Sonne, schloss die Augen und spürte die wohltuende Wärme der immensen Infrarotstrahlung auf ihrer Haut. Die restliche tödliche Strahlung wurde von den verschiedenen Schilden der Explorer kompensiert.

„Ich hätte nie gedacht, dass Menschen so etwas erschaffen könnten. Gott, es sieht aus wie eine Dyson-Sphäre.“

„Was meinen Sie damit, Aaron? Eine Dyson-Sphäre?“, fragte Susannah einmal mehr verwundert. „Davon hab ich noch nie gehört.“

„Ich habe so etwas Ähnliches schon einmal in einer Science-Fiction-Serie gesehen. Aber es steckt mehr dahinter.“

„Science Fiction. Pffff“, spottete Vandermeer. „Na klar. Ich hätt es wissen müssen. Denselben alten Schwachsinn, den Weißbrot sich immer reinzieht. Ihr seid ein tolles Gespann.“

„Lassen Sie ihn ausreden!“ Susannah war ganz Ohr.

„Eine Dyson-Sphäre ist eine hypothetische Megastruktur mit dem Radius einer Astronomischen Einheit. Es ist nur ein Modell, eine Theorie. Stellt euch eine riesige Kugel um die Sonne vor, in der es unendlich viel Platz zum Leben gibt. Auf der Innenfläche gäbe es Kontinente, riesige Ozeane, genug Platz für Millionen Planeten so groß wie die Erde, Billiarden von Menschen und unendlich viel Energie. Ich gebe zu, in Star Trek war es nur Science Fiction. Aber diese hier ist real.“

Noch immer sah Wullf die Skepsis in sämtlichen Gesichtern. Als er aber schließlich noch den sichtbaren Beweis des Modells auf einen Screen brachte, wurde es ganz still. Wullf öffnete die Datenbank. Das geballte Wissen der Menschheit war vom irdischen Netzwerk in die Datenbank der Explorer integriert worden. „Wikipedia“, einst die größte jemals von Menschen zusammengetragene Enzyklopädie, war Teil der Datenbank und kannte fast jeden Begriff, sofern er existierte.

„Glauben Sie mir jetzt?“

Die Tatsache, dass sich der Begriff wirklich in den Schaltkreisen der Explorer befand, ließ selbst die letzten kritischen Töne Vandermeers verstummen. Wullf aktivierte die Sprachausgabe des Hauptcomputers.

IVI: „Eine Dyson-Sphäre ist ein hypothetisches Konstrukt, das einen Stern im Idealfall vollständig kugelförmig umschließt, um dessen Energie zu absorbieren oder umzulenken und damit optimal nutzen zu können. Solch eine Struktur wurde erstmals von dem Physiker Freeman Dyson in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Science im Jahr 1960 beschrieben. Dabei ging es darum, bei der Suche nach fortgeschrittenen außerirdischen Intelligenzen nach Infrarotquellen zu suchen, da die Energie des jeweiligen Zentralgestirns auch nach ihrer vollständigen Nutzung für die Zwecke jener Zivilisation wieder abgegeben werden muss …“

Während alle den Ausführungen des Computers zuhörten, sahen sie in die weite Höhle hinaus. Unzählige Stationen und Basen säumten den Mondmantel. Vielleicht dienten diese Bauwerke dem Überleben der Menschheit. War es ein Versuch, die echte Sonne zu simulieren, oder gar ein verzweifelter Versuch, das Leben selbst zu erhalten? Wullf schaltete den Computer wieder ab.

“Das ist die erste künstlich geschaffene Dyson-Sphäre. Nur viel kleiner, mitten im Mond.“

„Nein. Es ist die letzte.“ Bone drehte sich um. „Interessant, aber nutzlos. Es löst nicht das eigentliche Rätsel, was das da für ein Ding ist.“

„Vielleicht steht es dort drin.“ Wullf deutete auf die Dokumenten-Mappe auf der Phalanx. „Haben Sie schon alles gelesen?“

„Nein.“

Währenddessen näherte sich die Explorer unvermittelt der Oberfläche eines riesigen Auslegers, der bereits so nah war, dass er seinen eigenen Horizont bildete und groß genug, um eine ganze Stadt darauf zu beherbergen. Als führe die Explorer auf einer gewaltigen Autobahn, schoss sie auf das zentrale Artefakt des Mondes zu. Überall, selbst auf der völlig freigelegten Oberfläche des bronzefarbenen Metalls, befanden sich verlassene Anlagen und gewaltige Tagebaumaschinerien.

„Eins versteh ich nicht“, wunderte sich Wullf. „Wo ist das abgetragene Gestein geblieben? Das müssen doch Billionen von Tonnen gewesen sein. Wie konnten die so eine Höhle geheim halten?“

„Vielleicht haben sie es an die Oberfläche gebracht oder eingeschmolzen, um die Metalle zu nutzen. Seht doch die ganzen Stationen. Die Baustoffe stammen sicher von hier“, meinte Caren sicher.

„Das sind tausende Kubikkilometer. Die verschwinden nicht so einfach. Unmöglich!“, entgegnete Wullf und schüttelte energisch den Kopf.

Bone schwieg und dachte an das Schwarze Loch, dessen Kraft die Erde auf die Größe einer Kirsche zu quetschen vermochte. Wozu waren wohl die Menschen dieser Zeit in der Lage gewesen? Ein Blick auf die Minisonnen verriet ihm alles, was er wissen musste. Wenn sie schon solch starke Kraftfelder erschaffen konnten, wären sie auch in der Lage, Materie zu verdichten.

„Unmöglich?“, sprach Bone mit ausdrucksloser Miene. „Mit diesem Wort wäre ich vorsichtiger.“

Angesichts des verstörenden unfassbaren Ausblickes schien nichts unmöglich.

„Sachte, sachte. Fliegen Sie etwas langsamer und bleiben Sie auf Distanz!“, mahnte Wullf, als Bone den gewaltigen Ausleger fast zu berühren schien. Sowohl die Explorer wie auch ihr Schatten waren fast Eins.

„Bitte, Bone. Flieg etwas langsamer!“

„Schon gut. Schon gut“, hörte er auf Susannah und drosselte schließlich spürbar das Tempo. Bremstriebwerke zündeten und verlangsamten das Schiff auf die Hälfte der Geschwindigkeit.

„Was haben Sie vor? Wo wollen Sie hin?“, fragte Vandermeer und zeigte den Daumen nach Achtern. „Da ist der Ausgang.“

„Wie nah wollen Sie da ran?“, fragte auch Wullf neugierig.

„So nah, wie es nur geht. Ich will wissen, woraus es besteht und wie alt es ist“, traf Bone weitere Vorbereitungen zu umfassenden Scans, um dem Computer möglichst viele Daten zu entlocken.

„Es muss schon ewig hier im Mondinnern sein. Millionen, ach was sag ich, Milliarden Jahre“, überlegte Susannah laut.

„Für mich sieht es so aus, als wenn es von Anfang an hier drinnen steckte. Damit wäre dieses Ding so alt wie die Erde.“

„Oder noch älter“, vollendete Bone Carens Schätzung und übertraf ihre Hypothese um eine weitere unbekannte Variable. Zeit. Handelte es sich um ein fünf Milliarden Jahre altes Geheimnis? Das älteste Rätsel überhaupt? Älter als das ganze Sonnensystem?

„Und Sie wollen wirklich umkehren?“, fragte Bone sicher. Vandermeer gab keinen Laut mehr von sich. Die Flut nicht zu fassender Ereignisse, Fakten und Tatsachen hatte ihn vollkommen benebelt.

„Was glaubst du? Ist es außerirdisch?“, fragte Susannah.

„Was denn sonst? … Andererseits, was heißt außerirdisch?“, erwiderte Bone nachdenklich. „Alles hier ist außerirdisch. Selbst der Mond.“ Seine Augen konnten einfach nicht ablassen. „Weiß Gott, wie dieses Ding hier reinkam.“

„Das meinte ich.“ Susannah wirkte ziemlich eingeschüchtert.

„Schwachsinn! Das ist doch nicht natürlichen Ursprungs! Irgendjemand hat das hier platziert und die Frage ist: warum?“, war auch Wullfs volles Interesse geweckt.

„Aber der Mantel ist 4,5 Milliarden Jahre alt …“

Mutmaßungen und Theorien überschlugen sich haltlos. Bone hörte nicht mehr zu, was die anderen sprachen. Es stand außer Frage: Es war fremdartig und verdammt alt. Doch vor allem ein Punkt ließ ihm keine Ruhe. Es kam ihm bekannt vor. Bone dachte einen entscheidenden Schritt weiter.

„Ich kann euch nicht sagen, wie alt es wirklich ist und woher es kommt. Aber ich weiß, wo ich das schon einmal zu Gesicht bekommen haben. Ihr alle habt das schon einmal gesehen. Auf Capri!“

Er machte eine kleine Pause.

„Besser gesagt: unter Capri.“