Der Abgrund
Eis soweit das Auge reichte. Kläglich hauchte eine leichte Brise winzige Eiskristalle über die unendliche Weite des Atlantischen Ozeans. Die Eiskruste des einst zweitgrößten Ozeans der Welt gab keine Ruhe. Immer wieder zerrten schwere Beben, Kontinentalverschiebungen und selbst die alten Gezeiten des Mondes am ewigen Eis des Atlantiks, so dass die Oberfläche uneben erschien. Vereinzelt ragten gebrochene Eisplatten aus dem Meer, Risse durchquerten die Weite bis zum Horizont, die aber mit den Jahren von Eiskristallen und Schnee zugeweht wurden. Den Horizont selbst vermochte man zwischen dem finsteren Matsch aus Grau und noch dunkleren Grau kaum zu erkennen. Und doch zeichnete sich im Osten die tiefhängende Sonne ab. Der Morgen hatte begonnen.
Puerto-Rico-Graben
23 Minuten später. 19° 51` Nord, 65° 31` West
Es war still. Der Himmel war bedeckt, als plötzlich ein tosender Schatten durch die Wolkendecke brach und zur Landung ansetzte. Scheinwerfer suchten die Gegend mit hellem Licht ab, so hell wie es seit Ewigkeiten nicht mehr war. Für einen Augenblick erstrahlte das Eis sogar in seiner natürlichen weißblauen Pracht.
Einen Moment hielt sich die Arche im Schwebezustand, zog dann seitwärts über einige Unebenheiten und konzentrierte alle Scheinwerfer auf ein bodenloses Loch.
Plötzlich fluteten ein Dutzend gleißend helle Landelichter das gesamte Areal. Schließlich setzte die Arche senkrecht zur Landung an, wobei die Triebwerke tiefe Mulden geschmolzenen Wassers bildeten, das zum Teil in Dampf aufstieg und binnen Sekunden wieder als Schnee zur Erde fiel. Erst als der Antrieb erlosch, kehrte wieder unheimliche Ruhe ein. Unterhalb der Arche brodelten noch einige Sekunden mehrere Lachen geschmolzenen Meerwassers.
Minuten vergingen, bis sich schließlich das Heck öffnete und soweit absenkte, dass es auf die Eisoberfläche reichte. Nach und nach traten alle Insassen ins Freie.
„Endlich fester Boden“, erklang eine männliche Stimme erleichtert durch das Intercom der anderen. Van Heusen kniete sich auf das Eis und scharrte die oberste Schicht beiseite.
Weißberg stampfte auf die steinharte Eisfläche. „Du meinst Tausend Meter pures Eis.“
„Rivetti? Beginnen Sie mit der Probenentnahme! Bleibt alle zusammen! Passt auf Risse und Spalten auf!“
Das Gesicht schwach beleuchtet, verschaffte sich Steven erst mal einen Rundumblick und kontrollierte erneut seinen Anzug auf Druck und Anzeigen.
„Was meinen Sie, Isabell? Wie ist die Luft?“, fragte Steven.
„Die Zusammensetzung ist noch atembar. Der Druck ist sehr niedrig. Stickstoff, Sauerstoff, alles vorhanden, allerdings ziemlich dünn, wie im Hochgebirge.“
„Du hast was vergessen zu erwähnen, Bell. Ist ’ne ziemlich üble Suppe geworden“, ergänzte Weißberg ironisch und prüfte ebenfalls die atmosphärische Zusammensetzung. Jeder konnte die Bio-Warnung seines Anzuges vernehmen.
„Warnung! Unbekannte biologische Erreger festgestellt. Sicherheitsstufe vier. Inkubationszeit unbekannt. Raumanzug nicht öffnen!“
„Ihr habt es gehört. Die Anzüge auf keinen Fall öffnen!“, befahl Van Heusen geknickt. Er hatte sich so darauf gefreut, endlich wieder frei atmen zu können.
Rivetti untersuchte inzwischen eine Eisprobe. Vorsichtig zog sie den winzigen Bohrkern aus dem Bohrer und schob das dünne Stäbchen in ein im Anzug integriertes universelles Messgerät. Auf ihrem Arm-Display erschien sofort die Auswertung der Analyse. Eine Vielzahl roter Balken verdeutlichte die vermuteten gefährlichen Substanzen und Verunreinigungen. Lebensgefahr!
„Dem kann ich nur zustimmen, Commander! Wir dürfen unsere Helme unter keinen Umständen abnehmen.“
„Wie stets um das Wasser?“, wollte Steven besorgt wissen.
„Stark kontaminiert. Vielleicht kann ich da was machen.“
„Und Lebenszeichen?“
Rivettis Kopfschütteln war eindeutig.
„Nicht mal Amöben“, fügte sie hinzu.
Nachdem die ersten Fragen zweifelsfrei zum Nachteil beantwortet wurden, richtete sich Stevens Aufmerksamkeit wieder auf das hell erleuchtete Loch im Eis. Langsam näherten sich auch die restlichen Marines dem Rand des Schachtes.
„So was Ähnliches hab ich schon einmal gesehen. Weckt alte Erinnerungen“, meinte Braun zu Steven und spielte unverhohlen auf Capri an. „Dies hier ist nur eine Nummer kleiner.“
Tatsächlich maß Capris Betonwall ein Vielfaches des Durchmessers und haftete allen lebhaft in Erinnerung. Schließlich war es der Anfang der Tragödie.
„Es sieht nur so aus, hat aber einen anderen Zweck.“
Der bodenlose Abgrund wurde von einer äußerst merkwürdigen beinahe elastischen Konstruktion gestützt. Keine Querstreben, keine Stützen, welche sich den Kräften des Eises stellten. Stattdessen schmiegte sich die strukturlose schwarze Innenwand wie ein Schlauch in die Tiefe.
„Wow, das Material der Wände. Es hat dieselbe Zusammensetzung, wie die strahlenverseuchte Kuppel. Nur sehr viel dünner“, staunte Weißberg.
„Sieht aus wie ein gigantisches Lüftungssystem. Das hier ist nur einer von neun Schächten. Da unten muss etwas sein. Thermoscann!“, forderte Steven.
„Die Öffnung scheint heiß zu sein. Lauschige -13,5°C! Weiter unten steigt es sogar über null“, antwortete Kowski, hielt den gelben Geigerzähler über den Rand und nahm weitere genauere Messungen vor.
„Keine nennenswerte Strahlung. Sieht gut aus.“
„Sonst etwas von Bedeutung? Können Sie messen, was da unten ist? Wie weit reicht der Schacht?“, wollte Steven wissen.
„Die Wände reflektieren und zerstreuen jedes Signal“, schüttelte sie nur den Kopf.
„Okay. Diese Stelle ist kein Zufall. Wir stehen hier auf dem Milwaukee-Tief. Die tiefste bekannte Stelle im Atlantik“, wusste Steven.
„Wie tief genau?“, war Van Heusen neugierig.
„Tieeef! Über 9000 Meter“, sagte Steven.
„Es macht überhaupt keinen Sinn, gerade hier solche Konstruktionen zu bauen“, überlegte Weißberg laut.
„Ganz im Gegenteil. Offensichtlich ging es den Menschen um die große Tiefe. Ich vermute, der Schacht reicht bis in die Erdkruste hinein. Ganz egal was mit der Sonne passiert ist. Dort unten gibt es noch Erdwärme. Es ist tief genug, bietet sicheren Schutz vor weiteren Sonnenaktivitäten und dazu reichlich Energie.“
„Dafür ist die Erdbebengefahr zu hoch. Der ganze Graben ist eine Subduktionszone.“ Weißberg kratzte zur Erklärung eine einfache Skizze der Kontinentalplatten in das Eis. „Wir befinden uns genau an diesem Punkt. Hier treffen die Nordamerikanische und die Karibische Platte aufeinander. Verstehen Sie jetzt? Es ist nur eine Frage der Zeit bis dieses Bauwerk zerstört wird. Die Wahrscheinlichkeit von Beben ist hier enorm hoch. Vielleicht ist schon alles zerstört.“
Mit gebührendem Respekt beugten sich alle über den Rand, um in die Tiefe zu schauen. Van Heusen spitzte die Lippen und sammelte Speichel zusammen, um es wie als Kind in die Tiefe zu spucken. Dann schluckte er alles hinunter. Das Visier hätte ihm sonst sicher die Show gestohlen.
„Die Temperaturen da unten beweisen das Gegenteil, Corporal. Meinen Sie nicht, wir sollten wenigstens nachsehen, was da unten ist?“, meinte Steven.
„Wir sollten lieber Capri anfliegen und sehen, ob die Basis noch existiert“, gab Weißberg angespannt zu bedenken.
„Ein sehr guter Vorschlag. Das werden wir. Aber nun sind wir schon mal hier“, überlegte Steven.
„Sie wollen da runter, oder?“, war sich Braun sicher.
„Sind Sie nicht neugierig?“, antwortete er geheimnisvoll, als hätte er den Einsatz schon beschlossen. „Wir könnten mit der Arche runter fliegen. Der Schacht ist groß genug.“
„Davon möchte ich abraten. Zu wenig Raum zum Manövrieren. Das ist viel zu gefährlich“, ruderte Kowski verhalten zurück.
Steven nickte zustimmend, denn er kannte Tascha schon ein wenig besser. Sie war alles andere als zimperlich, wenn es um Action ging. Diese Entscheidung fällte sie mit Vernunft.
„Dann gibt es nur einen Weg nach unten.“ Steven kehrte dem Rand den Rücken und ging mit zackigem Schritt zurück zur Arche.
„Das ist keine gute Idee“, sprach Weißberg zu Rivetti. Doch sie antwortete nicht, sondern folgte entschlossen zur Arche.
„Alles klar. Ohne mich“, murrte Weißberg, dem eine böse Vorahnung beschlich.
Auch Braun, Van Heusen und Kowski kehrten zur Arche zurück, um sich die Spezialausrüstung anzulegen. Nur einer haderte am Rand mit seinem Schicksal. Entschlossen keine weiteren Schritte mehr zu gehen, wartete er, bis die anderen aus der Arche zurückkehrten.
Wenige Augenblicke später traten sie wieder von der Rampe ins Freie. Schon aus der Ferne erkannte er die schweren Tornister auf ihren Rücken, die jede Beweglichkeit stark einschränkten. In Schwerelosigkeit oder auf dem Mond waren diese Geräte Gold wert, doch die unerbittliche Schwerkraft der Erde zog die 30 Kilogramm schwere Ausrüstung unaufhaltsam zu Boden.
Nacheinander streiften seine Blicke über seine Kameraden, bis er entnervt den Kopf schüttelte. Waren etwa alle verrückt geworden, in den Abgrund zu springen?
„Mann, ist der Tornister schwer“, stöhnte Rivetti schon nach wenigen Metern ins Intercom, dass jeder ihr Keuchen deutlich hören konnte.
„Wird es gehen?“, erkundigte sich Braun.
„Ich bin nicht fürs Rumsitzen. Ich schaff das schon.“
„Jemand sollte hier bleiben und ein Auge auf die Arche werfen“, meinte Braun.
Auch Kowski trug zu Weißbergs Verwunderung ein Jet-Pack locker über der Schulter.
„Dann werde ich das wohl sein“, war Weißberg sichtlich froh. Ein Stein fiel ihm von Herzen. Die Freude währte nur kurz. Kaum stand Kowski vor ihm, hielt sie ihm das schwere Gerät vor seine Nase.
„Keiner drückt sich, David. Einer für alle, alle für einen.“
„O nein“, ärgerte sich Weißberg. „Lass die Scheißsprüche. Ich werde da nicht runterspringen. Ihr seid ja lebensmüde. Was, wenn da unten nur Wasser ist? Die Antriebe funktionieren nicht unter Wasser.“
„Dann starten wir wieder durch, zurück zur Oberfläche.“ Steven selbst nahm Kowski das Jet-Pack ab und drückte es Weißberg in die Arme.
„Wir brauchen Sie da unten. Sie haben am meisten Erfahrung mit Computersystemen, Elektronik und Kommunikation.“
„Das glauben Sie da unten zu finden?“
„Ja, Mann. Da unten sind sicher die coolsten Rechner, die du je gesehen hast. Die willst du nicht hacken?“ Van Heusens Tonfall hatte etwas Ironisches an sich. Rivetti boxte ihn strafend in die Seite, konnte sich ein Grinsen jedoch kaum verkneifen.
Steven versuchte, ihn weiter zu überzeugen.
„Ohne Sie schaffen wir es nicht. Wenn wir nicht dort runtergehen, haben wir vielleicht keine Chance mehr zu überleben. Ich weiß genau, dass auch Sie vor Neugier brennen. Ich überlasse es Ihnen, aber wir zählen auf Sie“, redete Steven geschickt auf seine Ehre ein.
„Geht das nicht von hier oben? Ich hasse es“, haderte Weißberg und scharrte mit seinen Füßen im Eis.
„Komm schon!“, ließ auch Rivetti ihren Charme spielen, bis er schließlich nach innerlichem Ringen anbiss und das Jet-Pack an sich nahm.
„Das werde ich ganz sicher bereuen“, murmelte er leise weiter. „Haben wir nichts, um die Reichweite zu vergrößern? Wir sollten den Grund erst genauer scannen. Wir können doch nicht blind in ein 9000 Meter tiefes Loch springen. Was ist mit der UV3-Fackel oder der Impulsmunition?“
„Zu auffällig“, meinte Steven.
„Nein. Wir gehen leise hinunter. Solange wir nicht wissen, was uns da unten erwartet, halten wir uns bedeckt“, stimmte Braun dem Commander zu.
Rivetti nutzte die Diskussion und legte ihren Tornister kurz beiseite, um ihre Kräfte zu schonen. Ohne aufzufallen, absolvierte sie kleine diverse Gymnastikübungen für Schultern und Arme, bis Braun die Streckübung auffiel.
„Sie können bei Kowski bleiben“, riet Braun ganz vorsichtig, als teste er ihre Reaktion. „Sie müssen das nicht tun.“
„Ich bin genauso neugierig wie Sie, was da unten ist. Sie glauben wohl, nur weil ich eine Frau bin, schafft mich der Anzug. Sie unterschätzen mich schon wieder!“
Voller Tatendrang schnallte sie sich den Tornister wieder auf den Rücken, schloss alle Clips und sicherte ihren Anzug.
„David hat Recht. Wir sollten der Reihe nach springen und das Intercom nutzen. So können wir die Nächsten warnen, falls es gefährlich werden sollte. Ich mach den Anfang.“
„Okay nach dir“, klatschte Van Heusen ihre Hand ab.
Rivetti rastete das Medikit an ihren Druckanzug, nahm eine Magnesiumfackel in die Hand und trat auf den erhöhten Rand. Ein letztes Mal sah sie kurz hinab und sprang schließlich mit einem großen Satz über den Rand in den Abgrund.
„Verrücktes Weibsbild“, schluckte Weißberg.
Van Heusen schnallte sein Großkaliber an seine Seite und sprang als Nächster, gefolgt von Steven und Braun.
Nur Kowski und Weißberg waren noch zurückgeblieben. Innerlich sträubte sich jeder seiner Muskel, über die Schwelle des Abgrundes zu treten. Er konnte unmöglich so verrückt sein. Nie wieder, hatte er damals geschworen. Er hasste es, unsinnigen halsbrecherischen Befehlen zu folgen. Worte seines alten Herren schossen ihm augenblicklich durch den Kopf. Altmodische herrische Sätze wie: „Solange deine Füße unter meinem Tisch sind…“, oder „… und wenn einer von der Brücke springt, tust du es auch? Du Schwachkopf. Womit hat uns Gott bloß gestraft, als er dich geschickt hat. Du bist ein Nichtsnutz! Eine Schande!“ Worte, denen meist eine harte Hand folgte. Eine sehr harte. Wie sehr hasste er seinen Vater. Alles war besser, als ihm zu gehorchen. Schließlich fand er seinen eigenen Weg, sich der Army anzuschließen. Dort konnte er seinen Mut beweisen, selbst wenn es nur dummer Ersatz war. Genau wie hier und jetzt, an diesem gottlosen Ort. Wieder musste er auf Kommando springen. Nicht, weil es jemand befahl, sondern aus eigenem Willen, aus seiner inneren Stärke. Er war frei und einsam. Kaum hatten ihn die Erinnerungen seiner Jugendsünden eingeholt, tat ihm alles leid, was er damals zu seinen Eltern gesagt hatte. Er würde es nie wieder ins Reine bringen können, noch seine Mutter wiedersehen. Alles schien verloren.
„Hey!“, riss ihn Kowski wieder aus seinen Gedanken. „Ich halte hier die Stellung. Die anderen verlassen sich auf dich. Mach schon, David. Spring endlich!“, schmeichelte sie ihm mit der Anrede seines Vornamens.
Er wusste, dass die Freundschaft nicht echt war. Beliebt zu sein, war nicht seine Stärke. Vielmehr verkörperte er den schrägen Außenseiter in Perfektion. So war es schon immer. Weißberg biss sich auf seine Unterlippe, nahm allen Mut zusammen und sprang in den schwarzstarrenden Schlund hinab.
Der freie Fall nahm schnell an Geschwindigkeit zu. Panisch ruderte er mit seinen Armen und Beinen, um nicht die Orientierung zu verlieren. Binnen Sekunden wurde ihm so schwarz vor Augen, wie es nur in den entlegensten Regionen der Galaxie sein konnte. So und nicht anders stellte er sich absolute Dunkelheit vor. Es war, als konnte er mit den Augen der Toten sehen.
Vollkommen blind, versuchte er, etwas Licht in die Dunkelheit zu bringen und schaltete die in den Anzug eingelassenen Scheinwerfer ein. Die grellen schmalen Lichtkegel verloren sich im bodenlosen Schacht. Sobald sie auf die Wände trafen, schien die immense Leuchtkraft der Strahler zu verpuffen, so wenig reflektierten sie das Licht.
„Verdammt! Könnt ihr was sehen? Leute?“, rief er in die Tiefe, doch niemand antwortete.
Ohne nennenswerte Sichtverbesserung schaltete Weißberg an seiner Armkonsole herum. Wenigstens konnte er seine Arme erkennen, wenn auch nicht besonders hell. Auch Kombinationen der verschiedenen Spektralmodi brachten keine Besserung, daher kramte er wie Rivetti nach einer Magnesiumfackel und entzündete sie. Endlich hatte er Licht.
„Ja, schon besser. Neeeiin!“, erschrak er. „Scheiße! Ahhh!“, rauschte er in die herannahende Wand des Schachtes, die er zu spät erblickte. Überraschend hart schlug er auf diese ein, so dass er die Fackel aus den Händen verlor. Funkenregen prallte von der Wand, während die Fackel in einigen Metern Abstand mit gleichem Tempo in die Tiefe fiel.
Im Licht der gleißend hellen Magnesiumfackel raste die umliegende Wand an ihm vorbei. Viel zu schnell, um Einzelheiten zu erkennen. Er konnte die Geschwindigkeit nicht einmal abschätzen.
„Nein, nein, nein. Verdammt!“, nuschelte er hastig vor sich hin und konzentrierte sich auf die Tiefe. Wie er es in der Ausbildung gelernt hatte, flog er in der X-Lage, also mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen. Auf diese Weise fiel ein Fallschirmspringer normalerweise mit knapp 200 Km/h oder 55m/s. Doch der geringe Luftanteil bedeutete auch weniger Windreibung, die ihn bremsen konnte. Er wusste, dass ihm bei dieser Geschwindigkeit nur Sekunden der Reaktion blieben, wenn er überhaupt so viele hatte.
Zu wenig Luft, die geringe Sichtweite, dazu die hohe Geschwindigkeit und die Zeit, die nötig war, bis sich der Fallschirm vollständig entfalten würde. Es war eine gefährliche Gleichung. Er wusste nicht einmal, ob ihn der Fallschirm bremsen konnte.
„Wie weit seid Ihr da unten? Könnt Ihr schon was sehen?“, rief er in seinem Helm. Weißberg starrte auf die Displayanzeige an seinem Ärmel. Die Signalstärke halbierte sich schon nach knappen 300 Metern. Er konnte praktisch weiter sehen als funken. Die Wände zerstreuten oder absorbierten einfach alles. Was, wenn sie ohne Vorwarnung aufschlugen. Er beschloss eine zweite Fackel zu zünden und warf diese in Flugrichtung voraus. Das gab ihm zumindest einen kleinen Vorlauf.
Wiederholt wechselte er sämtliche Spektralmodi durch, um vorausschauend herannahende Hindernisse oder das Ende erblicken zu können. Jeder weitere Meter bedeutete mehr Zeit vor einem ungewollten tödlichen Aufprall. Die Kombination aus mehreren Ebenen erschien ihm schließlich am sichersten. Den Blick stets nach unten gerichtet, stets eine Hand an der Reißleine des Fallschirms, raste er weiter dem endlosen digitalen Echoraster entgegen.
Die letzte Fackel entfernte sich zunehmend und leuchtete immer heller. Offensichtlich nahm der Sauerstoffgehalt zu. Neugierig prüfte er die Luftdichte auf Zusammensetzung. Der Luftdruck stieg und näherte sich mit 0,7 bald einem Bar. Das entsprach dem normalen Oberflächendruck auf Meereshöhe. Zumindest war es früher so gewesen.
Zeit, den kleinen Bremsfallschirm zu ziehen, dachte er. Ein Ruck durchfuhr seinen Körper. Der flatternde graue Schirm normalisierte seinen schnellen Fall. Eine weitere halbe Minute verging, bis er glaubte, endlich Lichter zu sehen. Sofort zerrte er an der Reißleine und der Hauptschirm öffnete sich. Der enge Schacht weitete sich zu einem gewaltigen düsteren Areal. Decke und Wände entschwanden ins Nichts. Dunkelblaues Licht, deren Quelle er nicht erfassen konnte, breitete sich unter seinen Füßen aus.
„Unfassbar. Seht ihr das?“, blickte er in die atemberaubende Tiefe. Schwarze gewaltige Türme streckten sich ihm entgegen. Er konnte nichts Genaues erkennen, noch sagen, was er dort sah oder in welcher Höhe er sich befand.
„Was zu Hölle ist das hier? Leute? Wo seid ihr?“
Keine
Antwort.