TARTAROS

VINCENT VOSS

»Doch wie invadiert der Parasit die Zelle?« Charlotta vom Berg sieht sich um, sieht in einige gelangweilte, doch überwiegend interessierte Gesichter. »Also, der Tartaros-Parasit, hier grün …« Sie zeigt mit dem Pointer auf einige grüne Punkte eines Schaubildes, die einen roten, größeren Punkt umzingeln. »… dringt in die Zellmembrane mittels Schlüssel-Schloss-Prinzip und schießt eigene Proteine in die Zelle. Ein einzelner Baustein des Proteins AMA1 ist später für eine erfolgreiche Invasion verantwortlich. Allerdings nur durch eine Phosphatanlagerung an der Zellmembran, die eine bestimmte Aminosäure, wie bei der Malaria zum Beispiel, bildet, welche die Invasion erst aktiviert und …«

»Verzeihung.« Dr. Narumoto unterbricht sie. »Aber dieser Prozess findet doch bei dem Zwischenwirt statt, oder?«

Charlotta zieht Luft durch die Nase und ringt um Beherrschung. Zum Glück hat niemand aus ihrem Team diese unqualifizierte Frage gestellt. Sie spürt Schmerzen in ihrer Hand, weil sie ihren Daumennagel zu kräftig ins Nagelbett des Mittelfingers getrieben hat. Sie lächelt. »Nun, Dr. Narumoto. Wie Sie treffend erkannt haben, liegt genau hier das Problem, das ich gerade erkläre. Die Forschungsgruppe Walter vom Burnet-Institut unterscheidet bei diesem Parasit nicht mehr zwischen einem Zwischen- und einem Endwirt, denn es ist ein- und derselbe Gastkörper: der menschliche Organismus. Aber die Fortpflanzung des Parasiten wie auch seine Strategie, zur Fortpflanzung in den Darmtrakt zu gelangen, ähnelt dem Zwischenwirt-Endwirt-Kreislauf wie wir ihn kennen. Parasit will sich in Tier A fortpflanzen. Tier A frisst Tier B. Parasit manipuliert über Nahrungsaufnahme und spätere Invasion Tier B und manipuliert es dahingehend, dass es seine angeborene Scheu vor Tier A einstellt und seine Fluchtstrategien aufgibt.«

»Was macht das für einen Sinn? Also, wo liegt da ein evolutionsbiologischer Vorteil?« Sarah aus ihrem Team. Gute Frage. Sie nickt. »Der Parasit passt sich vielleicht seiner Umwelt an. Noch wissen wir nicht, woher er gekommen ist, aber Auftreten und Zahlen belegen, dass er sich in urbanen Räumen wohlfühlt. Die Ernährung der Menschen in den Großstädten ist allerdings zu vielfältig, der Parasit kann sich nicht auf einen Zwischenwirt spezialisieren. Das Einzige, was er zu wissen scheint: Mensch wird von Mensch umgeben. Auf engstem Raum. So eng, dass es für uns schwer vorstellbar ist. Um also in den Verdauungstrakt zu gelangen, wählt Tartaros dennoch die altbewährte Strategie, denn er weiß, dass Mensch von Mensch umgeben wird und er sich dadurch vermehren kann. Er infiltriert den Organismus wie einen Zwischenwirt und verändert dessen angeborenen Verhaltenskodex. In diesem Fall seine Abneigung, seinesgleichen und Verdorbenes bzw. Maden, genauer Madenwürmer, zu sich zu nehmen. Über den Madenwurm gelangt Tartaros wieder in den Darmtrakt seines Wirtes zurück. Und wie es auf Molekularebene vonstattengeht, wollte ich gerade anhand des AMA1 …«

»Sie meinen, der Tartaros-Parasit weckt in uns Menschen das Verlangen, Menschen zu essen?« Nun ist es Dr. Narumoto, der um Fassung ringt.

»Nein«, widerspricht sie. »Der Parasit weckt in uns nicht nur das Verlangen Menschenfleisch zu essen, es weckt ebenso das Verlangen, tote Menschen bzw. ihre Besiedler nach dem Tod zu essen. Betroffene verlieren ihre Scheu vor Aas. Ganz konkret empfinden sie die Tartaros-Maden als äußerst schmackhaft, in denen der Parasit schlummert. Und das ist wissenschaftlich bahnbrechend und mutmaßlich eine Folge der Überpopulation. Allerdings haben wir die bisher Erkrankten schnell isolieren und extrahieren können. Dr. Geerling wurde in Prag fündig, Dr. Knowles in Tokyo und Dr. Oltersdorff in San Francisco. Alle Betroffenen haben sich glücklicherweise schnell Hilfe gesucht.«

»Konnten die Patienten erfolgreich behandelt werden?«

»Bisher nicht. Sie werden immer noch therapiert. Der Parasit ist äußerst resistent gegen gängige Präparate, wahrscheinlich sind ihnen die Gegenmittel ohnehin schon aus ihrem Wirt bekannt.«

Dr. Stalf aus Zürich hebt die Hand, räuspert sich. »Mich erinnert Tartaros sehr an Toxoplasma gondii. Der Parasit befällt Nager, vorwiegend Mäuse, lässt ihre Hemmungen vor Katzen fallen, in deren Darm er sich dann wiederum vermehrt. Und die bei Menschen dadurch verursachte Toxoplasmose wird entweder durch den Katzenkot oder durch rohes und halbgares Fleisch verursacht.«

Sie zuckt zusammen, ihr Mittelfinger beginnt zu bluten. Sie nickt Dr. Stalf zu. »Sehr gut, Dr. Stalf. Das wird der nächste Schritt sein, Ähnlichkeiten herauszuarbeiten. Denkbar ist auch eine Art Ableger durch den Kulturfolger Katze, auch sie kommt in allen urbanen …«

»Sind denn durch Tartaros schwangere Frauen gefährdet?« Schon wieder Narumoto.

Charlotta vom Berg öffnet den Mund, will antworten und wird von einem Schwindelgefühl heimgesucht. Ganz kurz schließt sie die Augen, hält sich unauffällig am Stehpult fest.

»Eine gute Frage, Dr. Narumoto. Bei Schwangeren verhält sich Tartaros tatsächlich auffällig. Ich würde hier gerne kurz unterbrechen und in zehn Minuten fortfahren.« Sie lässt keine Zeit zum Widerspruch, eilt aus dem Tagungsraum des Instituts und will auf die Toilette.

Schnell! Sie muss schnell auf die Toilette, sie weiß nicht, wie lange sie es noch halten kann. Sie geht eilig, kurz vor dem Laufen, und übersieht Frau Kreutzer von der Verwaltung.

»Frau vom Berg, können Sie mir sagen, wie lange Sie den Raum nun genau …«

»Doktor vom Berg bitte. Und, nein, ich kann Ihnen nicht sagen, wie lange ich den Tagungsraum damals gebucht habe. Das finden Sie bestimmt in Ihrem Schriftverkehr. Verzeihung.« Sie lässt die Kreutzer stehen, biegt um die Ecke, öffnet die Toilettentür, die Kabinentür und übergibt sich in die Kloschüssel. Dreimal, während sie die Spülung betätigt, um die Würgelaute zu übertönen. Sie bleibt kurz stehen, wischt sich mit Toilettenpapier den Mund ab und lauscht. Sie ist allein, niemand, der vor der Tür steht. Sie wirft das Toilettenpapier ins Klo, spült und schließt die Tür hinter sich. Am Waschbecken wäscht sie sich ihre Hände und spritzt sich Wasser ins Gesicht. Sie sieht in den Spiegel, ihre Lippen bewegen sich.

»Der Lazarus-Effekt. Invadierte abgestorbene Zellen. Nein, vor der Invasion sterbende Zellen. Das ist besser. Vor der Invasion sterbende Zellen revitalisierten durch Tartaros, der sogenannte Lazarus-Effekt setzte … ja, das ist gut.« Sie strafft ihren Zopf, beugt sich vor.

»Schwanger«, flüstert sie. »Du bist schwanger.« Tränen schießen ihr in die Augen, ihre Lippen beben, ihr ganzer Körper zittert. Es ist das erste Mal, dass sie diesen Gedanken, diese Gewissheit zulässt. Das erste Mal, dass sie das Kind in ihrem Bauch fühlt. Ihr Kind. Sie streicht sich über ihren Bauch, dann verdreht sie die Augen.

»Schwanger?«, zischt sie. Eine andere Stimme. Tiefer. »Wie willst du denn schwanger sein, du Schlampe? Hast du etwa gefickt?«

Sie schüttelt den Kopf. Das kleine Mädchen schüttelt den Kopf. »Nein«, flüstert es.

»DU hast gefickt! Ich rieche es an deinem Döschen! Und jetzt hast du einen Balg in deinem Bauch!« Charlotta holt aus und ohrfeigt sich. Beißt sich in den Handballen und vertreibt die andere.

»Mein Baby«, sagt sie trotzig in den Spiegel. Sie sieht auf ihre Armbanduhr. Zehn Minuten sind gleich um. Sie geht zurück in den Tagungsraum.

Zuhause

Sie sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett, durch die geöffnete Balkontür weht neben einem sommerlichen Wind auch das Leben Eppendorfs an einem Samstagabend hinein. Leise spielt Musik im Hintergrund, Coldplay, es riecht nach dem Italiener in ihrer Straße und sie telefoniert mit ihrer besten Freundin Dorothea aus Berlin. Sie haben gemeinsam studiert.

»… und deshalb bin ich gerade so derangiert, weißt du? Weil so viel … Neues - Ein Baby! - passiert.« Eine Gesprächspause entsteht, Charlotta hört bei ihrer besten Freundin Kinderstimmen im Hintergrund.

»Sind das etwa deine Kinder?«, fragt sie und »Kinder« hätte sie auch durch das Wort »Spinnen« ersetzen können.

»Ja, das ist Alexander, mein Ältester, den du gerade hörst. Ich hatte dir doch in der Mail Fotos von seiner Einschulung geschickt, Charlotta.«

Charlotta überlegt, wann sie sich das letzte Mal bei Dorothea gemeldet und mit ihr gesprochen hat. Das ist schon eine Weile her, sie hat eben hart arbeiten müssen und Dorothea ist so … gewöhnlich geworden. »Ja. Ja, die Fotos … so groß ist er schon geworden, mein Gott, wie die Zeit vergeht …«, überbrückt sie die Gesprächspause und fragt sich, warum sie Dorothea überhaupt angerufen hat. Um Rat zu suchen. Aber sie dreht sich die ganze Zeit im Kreis.

»Du, ich glaube, ich bin schwanger, Dorothea.« Jetzt ist es raus! Weil du gepimpert hast, hört sie es in ihrem Kopf.

»Du? Du wolltest doch nie Kinder!«

»Ja … ich … weiß, aber jetzt ist es halt passiert«, antwortet sie und lutscht das Blut von ihrem Daumen. Sie hat sich das Nagelbett ihres Daumens wieder aufgepult.

Weil alle in meinem Alter Kinder kriegen oder haben. Frau MUSS Kinder haben, damit diese ganzen beschissenen Fragen endlich aufhören. Und dafür MUSS Frau eben ficken!

»Dorothea?«, fragt sie, weil sie nicht sicher ist, ob sie es nur gedacht oder tatsächlich gesagt hat. Ihr Herzschlag beschleunigt.

»Das ist toll, Charlotta! Ich freue mich riesig für dich. Für euch. Ich glaube, ein Baby tut dir gut, und du wirst bestimmt eine tolle Mutter werden«, freut sich ihre beste Freundin am anderen Ende für sie.

»Und was mache ich jetzt?«

Pause.

»Wie, Was mache ich jetzt

»Ich meine, jetzt, wo ich mir sicher bin, dass ich ein Baby bekommen werde.«

Wieder eine Pause.

»Warst du schon beim Arzt?«, fragt Dorothea.

»Nein. Muss ich? Ich kann doch alles nachlesen.«

»Natürlich geht man, wenn man schwanger ist, zu einem Arzt, Charlotta. Damit es dir und deinem Baby gut geht. Hör zu, …«

Bei Dr. Schulte

»Sie sind sich sicher, dass Sie nicht zu einer Frauenärztin gehen wollen?«, fragt Dr. Schulte seine neue Patientin, die untenrum bereits nackt auf dem Untersuchungsstuhl sitzt, ohne dass sie darum gebeten wurde.

»Ich bin schwanger. Ich weiß genau, was auf mich zukommt. Außerdem bin ich Wissenschaftlerin, Dr. Schulte, falsche Scham ist mir fremd.«

»Na gut, dann wollen wir mal.« Er rollt mit seinem Stuhl zu ihr, streift sich Handschuhe über.

»Der Test war positiv?«, erkundigt er sich und überrascht sie dadurch.

»Test?«, fragt sie nach und bereut augenblicklich, seine Frage nicht bejaht zu haben.

»Einen Schwangerschaftstest. Sie halten einen Pappstreifen unter ihren Urinstrahl …«

»Ich pisse nicht auf Pappstreifen. Ich bekomme ein Baby!«, schreit sie ihn an.

Der Arzt zuckt zusammen, schiebt sich mit dem Handrücken seine Brille hoch. »Alles klar«, sagt er und will, dass sie so schnell wie möglich seine Praxis verlässt, aber er traut sich nicht, sie rauszuschmeißen. »Ich ertaste nun Veränderungen in ihrem Gebärmutterhals, die auf eine Schwangerschaft hindeuten können«, erklärt er und dringt mit Mittel-und Zeigefinger in sie ein.

»Ich weiß, dass ich schwanger bin, Herr Dr. Schulte, da brauchen Sie nicht …« Sie verstummt, wird steif wie ein Brett. Sie hat gesehen, wie etwas Längliches aus seinem Mund unten zwischen ihre Beine gefahren ist. Jetzt spürt sie, wie es sich tiefer in sie hineinwühlt, wo es bleiben will.

»Nein, Dr. Schulte! Nicht mein Baby!« Sie greift seinen Arm und holt seine Finger aus sich heraus, schlägt ihre Beine zusammen und windet sich aus dem Untersuchungsstuhl.

»Frau vom Berg?«, fragt Dr. Schulte ratlos.

»Dr. vom Berg. Und so nicht, Herr Kollege! Wenn Sie für Ihre Experimente irgendwelche Eier in einen Menschen ablegen müssen, dann sind Sie an die Falsche geraten!« Sie spuckt beim Reden, zieht sich ihre Unterhose und ihren Rock wieder an.

»Was?«, fragt er, schüttelt den Kopf und befürchtet, die Verrückte würde andere Patientinnen verschrecken. Charlotta reißt die Tür auf, stürmt aus dem Untersuchungsraum, schlägt die Tür hinter sich zu. Eines ist ihr klar geworden: Sie ist wieder auf sich alleine gestellt. Wie immer. Nur die Andere ist noch da.

Zuhause

Wochen später. Ihr Baby stirbt. Dessen ist sie sich sicher. Das Blut, das aus ihr fließt. Das Gefühl in ihrem Bauch. Ihr Baby stirbt! Charlotta weint, schreit in ihr Kissen und hasst sich und die Andere, die sie mit Spott überzieht. Das kommt vom Ficken!, schreit die Andere und lacht. Die Stimme erinnert Charlotta an ihre Kindheit, an ihre Mutter, wenn diese betrunken war.

»Aber ich will dieses Baby! Es kann doch nichts dafür!« Sie presst ihre Hände ans Gesicht und sieht durch ihre Finger und den Tränenschleier die frischen Blutflecken auf dem eierschalenfarbenen Läufer. Blut, weil ihr Baby stirbt. Weil irgendein kranker Kollege sie für seine Experimente missbraucht. Weil sie wieder mal allein gegen alle und alles kämpfen muss. Weil dieser Arzt sie, wie alle anderen auch, um ihren Erfolg beneidet. Weil sie keine erfolgreiche Frau sein darf. Erfolgreich mit Baby. Die ganze Welt dreht sich.

»Warum?!«, schreit sie in ein Kissen und schlägt darauf ein. Wieder löst sich ein Schwall Blut, rinnt ihren Oberschenkel hinab. Sie sieht auf, unterdrückt ihre Tränen.

»Ich werde das nicht zulassen, hörst du? Ich werde mein Baby bekommen!« Sie nickt sich selbst zu, knöpft den feuchten Kissenbezug auf und ist wieder stark. Die starke Charlotta. Mit Aufräumen und Ordnung schaffen, hören auch ihre Blutungen auf. Sie wird ihr Baby bekommen. Sie ist stark.

Im Institut

Hier steht sie jetzt in Raum UIII/42b, dort, wo Tartaros lebt und sich in einer Nährlösung zu Tausenden windet. UIII/42b ist keimfrei, in kobaltblaues Licht getaucht und hinter hermetisch versiegelten Glasvitrinen, unter darmfloraroter Bestrahlung, vermehrt sich Tartaros bei konstanten 36,9C°. Tartaros A1 aus Prag im Darm des Patienten 0, A2 aus Tokyo, A3 aus San Francisco. Tartaros B1, B2 und B3 sind jene Madenwürmer, die sich nicht fortpflanzen, sondern deren Aufgabe es ist, den Wirt zu manipulieren. Einen äußerlichen Unterschied kann man nicht erkennen. Sie schlängeln sich wohlversorgt in ihrem klinischen Lebensraum. Ihnen gegenüber leben ihre zu Forschungszwecken weitergezüchteten Artgenossen. Jene, bei denen die Invasionsdauer deutlich geringer ist, jene, bei denen die vitalisierende Wirkung auf sterbende Zellen deutlich stärker ist. Esperanza-Maden haben sie sie inoffiziell getauft. Sogar in der Krebsforschung wird mittlerweile mit ihnen gearbeitet. Vor der erfolgreichsten ihrer Art, B3ZwW11, bleibt sie stehen und verharrt. Sie lauscht ihrer Atmung im Schutzanzug, wartet auf eine Stimme. Die Andere schweigt aber. Charlotta nickt sich zu und schiebt die Thermobox unter die Vitrine, bis diese hörbar einrastet. Mit einem Sicherheitscode aktiviert sie die manuelle Steuerung über die Vitrine und öffnet den Boden, sodass Tartaros-Madenwürmer abgezählt in die Thermobox fallen. 2000 Gramm Biomasse entnimmt sie und weiß, dass sie auffliegen wird. Es wird das Ende ihrer Karriere sein. Sie tut es für ihr Baby. Sie hat nicht viel Zeit. Anschließend fährt sie nach Hause.

Die Wissenschaftler wissen noch nicht, auf welche Art Tartaros im Einzelfall vor der Manipulation in den menschlichen Organismus gelangt. Wie und in welchen Mengen nimmt Mensch ihn zu sich. Sie denkt, dass 2000 Gramm reichen sollten. In Etappen zu je 500 Gramm schlingt sie die vor ihr in der Box kriechenden Madenwürmer hinunter. Beißt nicht, sondern schluckt einfach. Sie spürt, wie sie sich in ihr bewegen. Nach 500 Gramm Tartaros-Madenwürmern trinkt sie 500 Milliliter lauwarmes Wasser und pausiert eine Viertelstunde. Danach nimmt sie die nächsten 500 Gramm zu sich. Am Ende bleibt sie eine weitere halbe Stunde in der Küche sitzen, nimmt dann ihre gepackte Reisetasche und verlässt ihre Wohnung in Hamburg-Eppendorf. Für immer. Weil es zu unsicher ist. Sie will nämlich ihr Baby bekommen.

Später

In ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung auf St.Pauli spürt sie, wie sie sich verändert. Sie glaubt, ihre eigenen Zellen fühlen zu können, wenn sie sich konzentriert. Aber ihr Baby spürt sich nicht. Sie weint. Stunden verrinnen, vielleicht auch Tage. Dann bewegt es sich. Und die Wehen setzen ein. Ihr Baby. Sie gebiert, wie sie es gelesen und auf Videos gesehen hat. Ihr Baby. Sie hat es geschafft! Sie ganz allein. Es ist ein Mädchen. Sie wird es Esperanza nennen. Sie befreit es von der Käseschmiere, von den Maden, und es schreit.

»Mein Baby!« Sie drückt es an sich, weint vor Glück, wärmt es und küsst es in den Nacken.

»Friss es auf!«, hört sie und denkt, es sei die Andere. Aber es ist B3ZwW11. Und B3ZwW11 sagt ihr, was zu tun ist.

In Hamburg in der Hopfenstraße auf St. Pauli ist es zu tumultartigen Zuständen gekommen, als Mitarbeiter des Ordnungsamtes einer unangenehmen Geruchsentwicklung aus einem Mehrparteienwohnhaus nachgegangen sind. Die Beamten sind brutal von den Bewohnern des Hauses angegriffen worden. Die herbeigerufene Polizei wurde selbst Opfer von Übergriffen der Bewohner aus den Nachbarhäusern. Mittlerweile scheint ein ganzer Stadtteil außer Kontrolle, wir berichten im weiteren Verlauf der Sendung über aktuelle Geschehnisse von dort.