MEHR ALS EINE CHANCE

SANDRA LONGERICH

3. Mai 2020 / 2:36 Uhr

Dumpfe, aber doch wahrnehmbare Schreie drangen an ihr Ohr. Das Blut rauschte in ihrem verwundeten Körper und lief ungehindert aus unzähligen Wunden, die über ihren Leib verteilt waren. Die Nase war von Blut und Schnodder ganz verklebt, kein Zug frische Luft drang noch hindurch. Sie pochte schmerzhaft, wie alles an und in Floras Körper. Die Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Sie wollte schreien, doch ihre Rippen und alles andere protestierten vehement dagegen. Wie unter Zwang wollte Flora ihre Augen öffnen, um zu sehen, wo sie war. Im gleichen Moment, in dem sie ihre Augenlider hob, schoss es ihr wie ein gleißend heller Blitz durch den Kopf, dessen Schmerz sie wieder in die Bewusstlosigkeit abdriften ließ …

Schmerzen

3. Mai 2020 / 4:22 Uhr

Knistern, Knarzen ... Keine Schreie mehr. Nur dumpf, aber doch wahrnehmbar, hörte Flora die Geräusche. Vorwiegend vernahm sie das rauschende Blut in ihren Ohren. Langsam schaffte sie es, die Augen zu öffnen, ohne ein weiteres Mal das Bewusstsein zu verlieren. Ihr Blick war gen Sternenhimmel gerichtet. Klar leuchteten die Sterne und der Mond um die Wette. Alles wirkte friedlich, wenn da nicht der Gestank von heißem Kunststoff und verbranntem Fleisch wäre. Floras Nase nahm wenig davon auf, aber es reichte aus, dass ihr die Übelkeit den Hals empor kroch. Sie rollte sich noch rechtzeitig zur Seite, soweit es ihr möglich war, und übergab sich auf den Boden. Das wenige Essen von heute, Magenflüssigkeit und etwas Blut besudelten die Gräser und Kieselsteine vor ihr. Noch leicht würgend legte Flora sich zurück ins Gras und bemerkte rasch die Nässe, die sich an ihrem Rücken und ihren Beinen ausbreitete. Feuchtigkeit und Kälte machten ihr auf schmerzliche Weise bewußt, wie weh ihr alles tat.

Während Flora versuchte, sich selbst und ihrer Umwelt bewusst zu werden, bemerkte sie, dass ihre rechte Kniescheibe aus dem Gelenk gesprungen war. Da sie das aus ihrer Kindheit gewohnt war, wusste sie genau, was zu tun war. Mit vorsichtigem Druck schob Flora die Kniescheibe leicht, aber unter Qual in das Gelenk zurück. Wenn sie damit nicht gerechnet hätte, wäre ihr ein Schrei des Schmerzes über die Lippen gekommen.

Mit knackenden Gelenken richtete sie sich auf und strich sich das lange braune Haar zurück, das ihr verschwitzt und feucht vom Untergrund im Gesicht klebte.

Gedankenverloren murmelte Flora irgendetwas vor sich hin und versuchte sich mit ihrem Ärmel die Nase ein wenig zu säubern.

Zitternd vor Adrenalin, dem Schock und der Pein versuchte Flora vom kalten und klammen Boden auf die Beine zu kommen, was sich mit den ganzen Blessuren als schwierig erwies. Flora wollte sich erst einmal einen Überblick über die Situation verschaffen, denn ihr war immer noch nicht klar, warum sie hier im Dreck lag. Ihr Körper protestierte lautstark gegen die Bewegungen, als sie schwer atmend eine kleine Anhöhe erklomm. Oben angekommen stützte sie sich auf ihre Knie, um wieder Luft zu bekommen. Flora blickte auf und musste schlucken, denn die Bilder, die sich vor ihr auftaten, waren für sie nicht alltäglich. Ungewohnt und verstörend wirkte die Szenerie auf sie, weswegen sie sich zu Boden sinken ließ, um mit der Situation klar zu kommen.

Vor ihr auf der Straße stand ein Bus. Ein ausgebranntes, schwelendes Wrack. Flora dachte nicht groß nach, ob vielleicht noch jemand Hilfe gebrauchen könnte, nein, sie konnte mit nur einem Blick ausmachen, dass alle, die in diesem Bus saßen, tot waren.

Der Blick ihrer grünen Augen wanderte weiter. Ihr Auto! Oder zumindest das, was davon noch übrig war. Ihr alter, reparaturbedürftiger Wagen hatte sich um einen Baum gewickelt. Eng ineinander geschlungen wie ein groteskes Liebespaar.

Oh Scheiße ... Mein Auto?! Flora raffte sich auf, damit sie ihr Gefährt aus der Nähe betrachten konnte. Humpelnd, auf das Auto konzentriert, achtete sie nicht auf ihre Schritte und rutschte prompt aus.

Verdammter Mist … Im Schein des Mondes schaute Flora vor sich auf den Boden und sah einen Arm, auf dem sich viele eklige Maden tummelten. Sie krochen vor ihr auf der Straße, bevorzugt wanden sie sich am Arm herum. Sie sah sogar, wie sich die Maden unter der Haut bewegten. Es sah einfach widerwärtig aus. Flora hätte sich fast noch einmal übergeben, aber ihr Magen krampfte nur noch; da würde nichts mehr kommen.

Angewidert verzog sie ihr Gesicht. Warum waren hier so viele Maden? So lange konnte der Arm doch noch gar nicht hier liegen. Flora kämpfte darum, bei Sinnen zu bleiben, dass war zu viel, sie zitterte.

Alles tat ihr weh. Es dauerte eine Weile, bis sie es schaffte aufzustehen, aber als sie sah, dass die Maden in ihre Richtung krochen war sie ganz schnell auf den Beinen. Flora machte sich auf, um zu ihrem Wagen zu kommen, aber dieses Mal passte sie besser auf und achtete darauf, nicht wieder auszurutschen. Auch wenn hier und dort ein Finger, Blut und sonstige menschliche Materie auf ihrem Weg lag. Das Kurioseste daran aber war, dass einfach überall Maden lagen. Bevorzugt auf und in den menschlichen Überresten.

Flora ruckelte an der Fahrertür, aber das Metall hatte sich so verzogen, dass ein Öffnen der Tür unmöglich erschien. Sie schnappte sich einen Stein von der Wiese neben ihr und schlug auf den Rest der Scheibe ein. Sie wusste, dass es Sicherheitsglas war, wollte dennoch nicht mit ihren Verletzungen an die Kanten kommen.

Flora streckte ihren Kopf durch die Öffnung des kaputten Seitenfensters und versuchte, im Mondschein zu erkennen, ob sie noch irgendwelche Habseligkeiten von sich retten konnte. Da! Im Fußraum, ihre große Handtasche. Ein Glück! Flora beugte sich tiefer in den Wagen, um an die Tasche zu kommen. Mit dem kleinen Finger der linken Hand schaffte sie es, den Trageriemen zu fassen zu bekommen, um sie zu sich zu ziehen. Freudestrahlend und erleichtert umarmte sie ihre Handtasche, als ob es der größte Schatz der Welt wäre. Was sie im Prinzip ja auch war. In dem Moment, als sie panisch den Reißverschluss ihrer Tasche aufriss und zitternd ihr Handy herausholte, hörte Flora ein Scheppern von Metall und ein Klirren von Glas. Erschrocken fuhr sie zusammen und ließ das Mobiltelefon fallen.

Wie an einem Rettungsring klammernd, drückte Flora ihre Tasche fest an sich und machte ein paar kleine Schritte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.

Langsam ging Flora um ihren Wagen herum und tastete sich vorsichtig vor, um nicht in Blut, Innereien und Maden auszurutschen.

Da! Flora betrachtete den angekokelten Körper, der ihrer Meinung nach vorhin noch nicht dort gelegen hatte, und schritt zaghaft darauf zu. Um den verbrannten Leib lagen noch mehr Maden. Die meisten schienen tot zu sein, vom Feuer verbrannt und der Rauch tat ihnen offensichtlich auch nicht gut.

»Mein Gott, wie das stinkt!« Der scharfe Geruch und der Rauch ließen ihr die Tränen in die Augen steigen.

Kaum hatte sie den Satz beendet, griff die Hand des Totgeglaubten blitzschnell nach Floras Fuß und riss sie mit einem leichten Zug um, da sie nicht damit gerechnet hatte. Noch etwas wackelig auf den Beinen, fiel Flora auf ihren Po und schrie wie am Spieß.

Sie wehrte sich, trat um sich und versuchte zu entkommen. Ein kurzes Stück schaffte sie es, auf dem Bauch wegzukriechen und zu krabbeln, da ihr Angreifer von ihr abgelassen hatte, bis sie sich ein scharfes Metallstück in die linke Hand rammte. Weinend, schreiend und lachend vor Hysterie rollte Flora sich auf den Rücken und riss sich aus Verzweiflung das Stück Metall aus der Hand. Eine kleine Blutfontäne schoss hinterher und rann danach munter weiter am Arm entlang und tropfte auf ihr Gesicht und Dekolleté.

Hastig rappelte Flora sich auf und flüchtete so schnell sie konnte. Humpelnd und blutend schleppte sie sich weiter, hielt sich die Rippen, keuchte. Atemlos blieb sie stehen und blickte zurück, um nach ihrem Verfolger Ausschau zu halten. Trotz der Dunkelheit konnte sie durch den Mondschein mehr erkennen, als sie erwartet hatte. Drei Gestalten schlurften auf sie zu. Diese einstigen Menschen, sie sahen auch aus der Entfernung furchtbar aus. Verbrannt und aus ihrem Mund quollen Maden! Aber sie liefen! Nein, das konnte nicht sein!

Flora bog von der Landstraße ab und folgte der Richtung, in der sie ein großes Haus erkennen konnte. Sie lief so schnell sie konnte und musste sich durch eine Reihe von Bäumen schlängeln, was sich in der Dunkelheit als schwierig erwies. Der Mond schaffte es nicht mehr ganz durch das Blätterdach. Fast wäre Flora über einen niedrigen Zaun gestolpert, wenn sich nicht kurz ein Mondschimmer in ihm gefangen hätte. Sie stieg darüber, da er zum Glück nur hüfthoch war, und überquerte eine große Wiese, die vermeintlich mit zu dem Haus gehörte.

Sie steuerte auf das Gebäude zu, lief durch hohes Gras, das mit vielen Wald- und Wiesenblumen durchzogen war.

Alles wirkte fröhlich. Schön bunt. Selbst das Haus war traumhaft, ein Hauch von Bayern, wie damals im Urlaub.

Aber sie hatte wirklich andere Probleme. Sie ahnte, was sie dort vor sich oder vielmehr hinter sich hatte. Nein, dafür hatte sie zu viele Filme gesehen, um nicht zu wissen, um was für Kreaturen es sich hier handelte. Sie wollten Flora, am besten alles von ihr. Mit Haut und Haaren. Sie hielt kurz inne, damit Puls und Atmung sich erholen konnten. Nach Luft ringend schaute sie sich um und bemerkte, dass die Untoten weit zurückgefallen waren, ihrer Fährte dennoch unermüdlich folgten. Der Zaun hielt die verbrannten Gestalten ein wenig auf. Keinen interessierte, was der andere machte; sie waren völlig auf sich und ihr Ziel fixiert.

Rache

13. Juli 2021 / 20:59 Uhr

Panik überkam Flora, als sie sich blutend hinter einer eingestürzten Mauer eines ehemaligen Wohnhauses retten konnte. Warum musste sie auch unbedingt in die Nähe der Stadt kommen?

Völlig entkräftet presste sie ihre Hände auf die klaffende Schusswunde in ihrem Oberschenkel, die ihr kurz zuvor ein Soldat verpasst hatte. Es waren Männer der GSG9, der Antiterroreinheit aus Deutschland. Ein paar von ihnen lebten noch, um ihre Ansicht des verhängten Kriegsrechts auszuüben. Flora war ihnen schon vor mehreren Monaten begegnet, war sogar für ein paar Wochen bei ihnen gewesen. Erst ging es gut, die Jungs haben sie beschützt, aber irgendwann kam das Tier im Mann heraus … Ihre Namen würde sie nie wieder vergessen können!

Sie wühlte zu ihrer Rechten in einem Haufen Müll und fand glücklicherweise einen alten Vorhang, den sie versuchte, um ihr Bein zu wickeln. Aber zuerst untersuchte sie ihn; sie durfte keine einzige Made finden. Es war schon riskant, sich überhaupt so einen alten Fetzen um ihre Wunde zu binden, aber sie besaß keine Medikamente mehr. Ihr blieb nichts anderes übrig, sonst musste sie verbluten. Nach sorgfältiger Inspektion band Flora sich den Fetzen um das Bein, um die Blutung halbwegs zu stoppen.

Infizierte sah sie im Moment nicht. Die meisten waren durch den Beschuss eliminiert worden. Nichtsdestotrotz würde der Lärm der zuvor gefallenen Schüsse weitere Nachzügler anlocken. Sie musste schnellstmöglich hier weg. Das Laufen erwies sich mit dem Loch im Bein als unmöglich. Sie hatte keine medizinische Bildung, kannte nur das, was sie damals aus »Emergency Room« aufgeschnappt hatte. Aber ohne Besteck und Medikamente kam sie nicht weit. Flora biss sich so fest auf die Lippen, dass es schmerzte. Was sollte sie jetzt nur tun? Warten bis die Infizierten kamen oder die Soldaten sie fanden? Vielleicht erledigten sie auch die Maden ...

»Ich glaub, sie ist hier lang!«, hörte sie aus der Entfernung eine männliche Stimme bellen. »Ich habe sie getroffen, das weiß ich. Weit kann sie nicht sein. Findet sie!«

Durch einen Spalt in der Mauer konnte Flora noch sehen, wie sich sechs Uniformierte in Zweierteams aufteilten, um großflächig einen Bereich abzudecken. Die Abendsonne blendete sie ein wenig, aber sie konnte erkennen, dass eines der Teams auf ihr Versteck zusteuerte. Sie hatte nicht mehr viel Zeit.

Auf ihrem Hintern schob sie sich mit dem rechten Bein weiter über den dreckigen Boden in Richtung des noch heilen Schrankes, den sie in einer Ecke entdeckt hatte.

Ihren Rucksack warf Flora mit der wenigen restlichen Kraft, die sie erübrigen konnte, unter ein verrostetes Bettgestell. Es war wohl mal weiß gewesen. Die mit menschlichen Überresten übersäte rot-gelb-grün camouflierte Matratze wollte sie sich gar nicht näher anschauen. Aber sie sah aus dem Augenwinkel noch, dass sich auf dem Bett viele Madenleichen befanden. Ekelhaft.

Vorsichtig zog Flora sich an dem Schrank hoch, kletterte hinein und schloss die Türen so weit, dass sie noch durch eine kleine Lücke spähen konnte. Ihre Blutspur, die sie auf dem Boden hinterlassen hatte, würde sie zweifellos verraten. Da ihr dies bewusst war, versuchte sie, sich diese Gegebenheit zu Nutze zu machen. Gleich würden die Soldaten da sein und die Indizien ihrer Anwesenheit entdecken. Sie atmete tief durch und hielt ihr Messer, das sie sich aus einem Angelsportgeschäft beschafft hatte, zum Angriff bereit. Ein Überlebensmesser. Ironie des Schicksals. Der Schweiß brannte auf ihrem Gesicht und lief ungehindert an ihrem Körper hinab.

»Hey! Sieh mal da! Blut!«

Flora schaute durch den Schlitz des Schrankes und sah, wie ein Soldat sich zu dem Blut hinunterbeugte und es berührte. Von der Körperhaltung her konnte es Michael sein, er war größer als der andere.

»Frisch, noch keine Maden, das muss von ihr sein. Los! Geh vorsichtig zum Schrank, sie muss darin sein. Für wie blöd hält die uns eigentlich? Ich deck dich«, sagte Michael, der sich das frische Blut vom Handschuh am Rücken seines Vordermannes abwischte und gab ihm dann noch Anweisungen. Das konnte eigentlich nur Victor sein.

Langsam und mit bedachten Schritten näherte sich Victor dem Schrank, während Michael mehrere Schritte hinter ihm blieb. Die Sonne war mittlerweile untergegangen. Durch den kleinen Schlitz im Schrank konnte Flora die Bewegung erkennen, dass jemand sich ihr näherte. Mit letzter Kraft sprang sie aus dem Schrank auf Victor zu und rammte ihm ihr Messer in den Hals. Genau zwischen Helm und Schutzweste. Blut spritzte ihr entgegen und übergoss ihr Gesicht und ihre Hände mit dem warmen Nass, das aus Victor herausströmte. Er gab keinen Laut von sich.

Mit Schwung traf sie ein Gewehrkolben am Kopf und ließ Flora benommen auf dem Boden zusammensacken. Michael beugte sich über sie und riss sich den Helm vom Kopf, um besser atmen zu können. Ein hässliches, wutverzerrtes Gesicht, an dem ein Ohr fehlte, starrte sie an und ließ sie zusammenzucken. Sie war benommen, fühlte keine Schmerzen mehr. Dieser Zustand, dachte Flora, war vergleichbar mit Schweben und es war ein angenehmes Gefühl. Sie hoffte, er würde sie schnell töten. In ihren Ohren rauschte es und sie verstand kaum, was Michael sagte. Flora versuchte den Kopf zu schütteln, um zu zeigen, dass sie nichts hören konnte.

Er beugte sich mit seinem Kopf ganz nah an ihr Ohr heran.

»Du kleine Schlampe, ich habe dir gesagt, eines Tages kriege ich dich. Noch einmal lasse ich mich nicht von dir verarschen. Jetzt zeige ich dir wo der Hammer hängt! Du wirst leiden, bis ich dich irgendwann töten werde.« Lachend riss er mit einem Ruck ihr Tanktop entzwei und rieb mit seinen behandschuhten Händen über ihre Brüste. Er nahm durch den dünnen Stoff des BHs eine Brustwarze zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte fest zu. Flora wollte schreien, doch er legte schnell seine linke Hand auf ihren Mund, die den Laut im Keim erstickte.

Mit der rechten Hand wanderte er langsam an ihrem Körper entlang, über ihren Bauch am Nabel vorbei, kurz hielt er an ihrem Gürtel inne ...

»Gleich ...«, flüsterte er mehr zu sich selbst und grinste freudestrahlend. Man merkte förmlich, wie er sich selbst feierte, weil er es endlich geschafft hatte, sie zu fassen.

Mit einem Mal riss er den blutgetränkten Vorhang von ihrem Bein ab und stopfte ihn Flora in den Mund, damit sie keinen Ton von sich geben konnte. Jetzt hatte er beide Hände frei. Er schien überhaupt nicht daran zu denken, seinen Fund bei den anderen zu melden. Er lebte gerade nur für seine Rache, die er an ihr ausüben wollte. Michael nahm einen Kabelbinder von seinem Gürtel. Mit einem Ruck zog er ihn Flora eng um die Handgelenke und holte anschließend sein Messer heraus, das man standardmäßig bei der GSG 9 benutzte.

Sanft strich er mit den Fingern über die Klinge, bevor er sie Flora schräg über den Bauch zog. Nur leicht, doch durch die Schärfe hinterließ es eine blutige schräge Linie, die von unterhalb der linken Brust bis zum rechten Hüftknochen reichte. Ein paar Tropfen Blut rannen ihr an den Seiten hinab. Nicht viel, doch es schmerzte. Die Qualen kehrten allmählich in ihren Körper zurück. Aber sie war hilflos und ihre Hände waren gefesselt, zudem saß der Soldat auf ihren Beinen.

Flora unterdrückte ihre Tränen; sie wollte ihm nicht noch mehr Munition liefern.

Er nahm das Messer und schnitt ihr grob den Gürtel und den BH durch. Jetzt lag sie mit entblößtem Oberkörper da und konnte nichts tun. Brutal zerrte er Flora die Hose bis zu den Knien herunter und zerriss mit bloßen Händen ihr Höschen.

Ein Schlurfen und Stöhnen holte Soldat Michael aus seinen Fantasien. Er drehte sich um und blickte zwei Infizierten in die kalten toten Augen.

Sie sahen unbeschreiblich grotesk aus, die Maden krochen aus ihren Mündern, klebten an den dreckigen steifen Klamotten, die sie noch am Leib trugen, und man sah unter der dünn gewordenen toten Haut, wie sie sich wanden oder sich schon teilweise rausgebohrt hatten. Ohne große Kraftanstrengung und mit schnellen Hieben in Kopf und Hals schaltete er sie aus. Kinderleicht. Alltäglich.

Jetzt konnte er sich ganz ihr widmen. Leicht zitternd wandte er sich seiner Montur zu. Starr beobachtete Flora, wie Michael sich erst seiner Weste entledigte und sich danach seiner Hose zuwandte. Er zog sie sich mitsamt Shorts herunter und präsentierte Flora seinen voll erigierten Penis. Ihre Angst ließ sich nicht mehr messen, sie wollte lieber sterben, als sich noch einmal für so etwas herzugeben.

»Während ich dich hart und brutal ficke, wirst du mich die ganze Zeit anschauen. Jedes Mal, wenn ich sehe, dass du deine hübschen Augen schließt, werde ich dir irgendwohin ein Zeichen mit meinem Messer setzen! Haben wir uns verstanden?«

Hektisch nickte sie zur Bestätigung. Sie wusste, er würde es tun. Die Narben an ihrem Köper sind Beweis genug ... Sie dachte, sie könnte sich abkapseln. An etwas anderes denken. Auch wenn es schwierig war.

»Keine Angst, so viel Zeit können wir uns eh nicht lassen, bald werden die Maden da sein, sie dürften schon deine hübsche kleine Wunde bemerkt haben ...« Dabei drückte er in ihre Schusswunde, um sie wissen zu lassen, wie ernst er es meinte.

Flora schrie ihren ganzen Schmerz und Frust in den alten Vorhang. Sie hielt es nicht mehr aus, sie musste weinen ... Warme, salzige Tränen rannen an ihren dreckigen Wangen hinab, hinterließen im Schmutz eine feine Spur.

Mit Genugtuung beugte Michael sich hinab, und in dem Moment sah Flora mit verschleierten Augen eine rasche Bewegung hinter dem Soldaten, als dieser qualvoll zu schreien begann.

Flora sah, dass Victor sich heftig in die Hüfte von Michael verbissen hatte. Der Helm hing noch an seinem Kopf, er schien sich aber sein schwarzes Stoffteil vom Mund heruntergerissen zu haben, was im Kampf immer als Schutz diente. Das Blut lief an Michaels Hüfte und Bein hinunter. Die Maden quollen aus Victors Mund und verteilten sich schnell über und in Michaels Körper. Dieser kämpfte gegen den Blutschwall an, aber er verlor zu schnell zu viel Blut und sackte über Floras Beinen in sich zusammen. Jetzt musste sie schnell handeln, sie durfte keine von diesen dreckigen Überträger-Maden abbekommen.

Sie strampelte wild. Durch die heftigen Bewegungen kehrten das Gefühl und ihre Schmerzen zurück. Aber sie musste sich befreien, sonst würde sie das nächste Opfer des Infizierten oder auch der Maden sein. Sie musste um ihr Überleben kämpfen. Ohne ihren Selbsterhaltungstrieb hätte sie es nicht geschafft, alles so lange zu überstehen.

Das Messer von Michael war neben ihr zu Boden gefallen, aber sie kam nicht nah genug heran, um es mit ihren verbundenen Händen ergreifen zu können. Noch war der Verseuchte mit seinem Kollegen beschäftigt, aber sie sah, wie die Maden sich langsam, aber stetig auf sie zubewegten. Sie waren von der Schnelligkeit her nicht wirklich gefährlich, aber sie waren zahlreich. Zumindest arbeitete sich Victor an Michaels Körper voran. Erst knabberte er an der Hüfte und ging dann zu Hals und Gesicht über, um ihm dort die Haut herunterzufressen.

Flora gelang es, ganz langsam, um nicht die Aufmerksamkeit des Infizierten auf sich zu lenken, ihre Beine unter dem Körper von Michael wegzuziehen. Ihre Hände waren noch gefesselt, sie schaffte es aber dennoch, an das Messer heranzukommen. Sie schaffte es, das Messer zwischen ihre Handflächen zu platzieren und es mit der wenigen Kraft, die sie noch hatte, in den Hinterkopf von Victor zu stoßen. Ihre letzten Kraftreserven waren aufgebraucht …

16. Juli 2021 / 16:39 Uhr

Sie blinzelte, der Geruch von Desinfektionsmitteln, Essig und Kalk brannte in ihrer Nase, bahnte sich seinen Weg zu ihren Nebenhöhlen und ließ ihre Augen tränen. Flora versuchte sich mit ihrem Handrücken die salzigen Tropfen aus den Augenwinkeln zu wischen. Ein kleiner heller Sonnenstrahl lugte durch die Lumpen, die an einem Fenster hingen, und strahlte ihr direkt ins Gesicht. Sie vermutete, dass sie davon wachgeworden war. Flora lag auf einem Bett, einem sehr weichen Bett. Fast wären ihr wieder die Augen zugefallen, wenn ihr nicht bewusst geworden wäre, in was für einer Situation sie sich befand. Hektisch griff sie sich an das Bein, um an ihr geliebtes Messer zu kommen, aber es war nicht mehr da. Stattdessen streifte ihre Hand die Schusswunde. Sie schrie vor Schmerz und Schock auf. Es juckte stark. Flora trug keine Hose, aber zumindest eine Boxershorts, die ihr locker auf den Hüften hing. Sie setzte sich langsam auf, griff sich verwirrt an den Kopf. Schwindelig war ihr, ein trockener Hals kam noch dazu. Aber mit ihrer einen Hand kam sie nicht weit. Ein Seil war um ihr Handgelenk gefesselt und mit dem anderen Ende am Bettpfosten befestigt worden. Warum waren ihr nicht beide Hände und Füße gefesselt worden? Wahrscheinlich nur, um sicherzustellen, dass sie nicht direkt um sich schlagen würde. In so einer Welt kann und sollte man keinem trauen, es ging immer schief ...

Sie sah sich in dem Zimmer um, in dem sie sich befand. Es war noch als Schlafzimmer zu erkennen und wohl einmal richtig schön gewesen, doch jetzt rollte sich die Tapete an einigen Stellen von der Wand ab. Es war muffig und warm. Ihr Blick flog über weitere Möbel hinweg, die den Raum füllten, zur Tür hin und ließ Flora erschrecken.

Der Lauf einer Pistole ragte durch den Türspalt und zielte unmittelbar auf sie. Schemenhaft konnte sie eine männliche Person ausmachen. Erstarrt und mit geweiteten Augen blickte Flora zur Tür. Langsam und quietschend schwang sie auf und man konnte erkennen, wer hinter der Pistole stand. Alt war er wohl noch nicht, sehr jung im Gegensatz zu Flora. Auch wenn sie erst fünfundzwanzig war. Dunkelbraune Haare zierten ein argwöhnisches Gesicht, welches sie misstrauisch anschaute. Aber eine allzu große Gefahr schien - trotz der Pistole - nicht von ihm auszugehen.

»Hi«, krächzte Flora mit ihrem trockenen Hals.

»Hallo!«, antwortete der Junge mit fester Stimme.

»Wie alt bist du, Kleiner?«

»Nenn mich nicht Kleiner, ich bin siebzehn und kein Kind!«

»Entschuldigung. Wer bist du?«

»Wer bist du?«

»Flora.«

»Ich bin Max.«

»Hallo Max. Hast du mich gefesselt?« Flora riss leicht an dem Seil, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

»Wahrscheinlich.« der Lauf der Pistole senkte sich ein wenig und Max kratzte sich am strubbeligen Haarschopf.

»Hättest du vielleicht die Güte, mich los zu machen? Oder hast du vor irgendetwas Angst?«

»Ich habe vor nichts Angst und vor dir schon gar nicht! Aber ich trau dir nicht ... Noch nicht.«

Erst jetzt sah sie, dass er eine Wasserflasche und einen Müsliriegel in der anderen Hand hielt. Er schmiss sie zu ihr aufs Bett.

»Iss! Achso, bevor ich dich hergeschafft habe, musste ich dich erst auf Madenbefall untersuchen, ich hoffe, du verstehst das. Ich habe keine Lust, dass mein Haus verseucht wird, nur weil ich eine Streunerin mit hierher gebracht habe ...«

»Danke«, erwiderte Flora nur und biss hungrig in ihren Müsliriegel.

Verloren

13. November 2022 / 22:55 Uhr

»Max, nein! Bitte nicht, bleib bei mir ... Ich ... Ich werde etwas finden, das dich wärmen wird ...«

Zitternd hockte Flora vor Max auf dem Küchenboden. Sie fror erbärmlich, der Wind fegte um das Haus herum, in dem sie beide Unterschlupf gefunden hatten. Es war bitterkalt, die Fensterläden hingen schief in ihren Angeln oder waren schon gar nicht mehr vorhanden. Es knarzte und quietschte. Trotz der ganzen Geräusche klang alles dumpf und wie in Watte gepackt. Die Schneeflocken drängten sich so dicht aneinander, dass es wirkte, als ob eine Wand den Himmel hinabstürzen würde. Leichte Lichtmomente des Mondes tanzten durch die Flocken, fingen sich im brüchigen Glas des Hauses. Ein winziges Flackern stach Flora durch die Fensterscheibe ins Auge und ließ sie aus ihrer Lethargie erwachen.

Sie stand auf, rieb sich die dünnen, eisigen Finger und ging langsam und vorsichtig auf eines der Fenster zu. Staubige kleine Spitzenvorhänge zierten die Scheiben, aus welchen sie hinaus blickte. Haarrisse bildeten ein feines Spinnennetz im Glas und die ehemals weiße Farbe splitterte vom morschen Holzrahmen ab. Alte Bauernfenster mit einfacher Verglasung, nichts, was dämmen und ein wenig mehr Schutz bieten würde. Alles, auch wenn es nur wenig war, könnte hilfreich sein. Flora lugte aus dem Fenster hinaus und sah ein paar Infizierte, die sich versammelt hatten. Sie hatten offenbar Floras und Max´ Spur verloren, andernfalls würden sie mit Stümpfen und blutigen Fingernägeln schon an Wänden und Türen kratzten. Einen Vorteil hatte die Kälte: die Untoten waren langsamer, froren teilweise fest und die Maden hielten die Kälte nicht wirklich aus. Sie erfroren sogar im befallenen Körper. Gefährlich konnten sie trotzdem werden; es gab immer irgendwo eine Made, die dich kriegen konnte.

Leise machte sie sich von dem surrealen Anblick los und widmete sich dem Raum, in dem sie sich befanden. Eine alte Küche mit einem Gasherd, einer braunen Spüle und Schränken aus dunklem Holz. Die Schranktüren waren alle geschlossen, was eventuell etwas Gutes sein konnte. Dann war vielleicht noch keiner hier gewesen.

Komisch, hier zu sein ... Sechs ganze Jahre hatte es gebraucht, bis ich dieses Haus wieder sehe. Dabei wollte ich Max doch nur mein Zuhause der Kindheit zeigen ...

Flora beugte sich zu der ersten Tür in der Küchenzeile, öffnete sie vorsichtig und sah nichts als Töpfe und Pfannen. Es gab insgesamt sechs Türen, vier oben und zwei unten. Unter der Arbeitsplatte waren der Herd und der Kühlschrank. Den wollte sich Flora aber nicht näher ansehen. Was sich in den letzten zwei Jahren so im Inneren gesammelt hatte, sollte auch weiter verborgen bleiben. Aber tote Maden lagen unter dem Kühlschrank auf dem Boden, keine lebenden. Ein Glück. Die zweite Tür im unteren Bereich war der Jackpot! Konserven, Nudeln, Süßigkeiten und ein paar Flaschen zu trinken. Wasser, Cola, Eistee ... Alles, was man sich wünschen konnte. Freudestrahlend drehte sich Flora zu Max um, um ihm diese Neuigkeit mitzuteilen, doch bei seinem Anblick holte sie die Realität wieder ein. Max war immer noch bewusstlos. Sie ließ ihre Funde dort liegen, wo sie sie gefunden hatte, und stand auf.

Ich muss dringend Decken finden …

Flora wandte sich von Max ab, zückte das gute Anglermesser und ihre LED-Taschenlampe und schritt langsam die Treppen hinauf. Sie durfte keine Geräusche machen, um nicht die Aufmerksamkeit der Monster draußen auf sich zu lenken. Schritt für Schritt tastete Flora sich voran, leuchtete in die Dunkelheit. Sie konnte von Glück reden, dass die Infizierten das LED-Licht nicht als Reiz zu empfinden schienen. Der Geruch von Menschlichkeit machte sie viel mehr an.

Im Haus roch es auch nicht nach gammeligen Leichen, die herumlagen oder laufen konnten. Ihre Eltern konnten nicht hier sein, denn sie waren drei Monate vor dem Zusammenbruch der Menschheit und der Welt gestorben. Ein Betrunkener war als Geisterfahrer über die Autobahn gefahren und frontal gegen das Auto von Floras Eltern gerast. Alle waren auf der Stelle tot gewesen. Flora hätte in diesen drei Monaten ins Haus zurückkehren müssen, um sich um alles zu kümmern. Aber sie hatte es nicht über sich gebracht. Und jetzt hatte es noch weitere zwei Jahre gedauert, bis sie es endlich geschafft hatte. Alles sah noch so aus, wie Flora es in Erinnerung hatte, mal davon abgesehen, dass Staub und Zerfall im ganzen Haus Einzug gehalten hatten. Vorsichtig musste sie dennoch sein. Oben angekommen stand sie vor der Badezimmertür. Wenn sie schon hier war, konnte sie auch dort hineinschauen; Medikamente konnte man immer gebrauchen. Von Klopapier ganz zu schweigen. In solchen Zeiten war es ein Segen, eine Rolle Klopapier dabei zu haben.

Zaghaft und mit erhobenem Messer schnupperte Flora am Türspalt. Nichts. Nur der Mief ehemals schöner Pflanzen.

Ihre Mutter hatte immer gerne ein oder zwei Pflanzen im Badezimmer stehen gehabt. Sie hatte es einfach schön gefunden. Kleine Farbkleckse zwischen den strahlend weißen Kacheln. Damals zumindest. Jetzt waren der Farn und die Orchidee nicht mehr farbenfroh. Völlig vertrocknet, während die Blätter und Blüten sich auf dem Boden verteilt hatten. Schimmel breitete sich ungehindert an Wänden und Decke aus. Mit wenigen Schritten war Flora an der großen Eckbadewanne vorbei am großen Spiegelschrank, der über dem Waschbecken hing. Und noch mehr unvorstellbares Glück ließ sie mehrere Wärmekissen finden. Eine gelartige Flüssigkeit, die mit einem Knicken des integrierten Metallplättchens aktiviert werden musste. Dann wurden sie ziemlich fest und fast schon heiß.

Da fiel ihr ein, dass ihr Vater sie immer mit zum Angeln genommen hatte. Morgens um vier war es meist noch sehr kalt, damit hatte er sich immer etwas wärmen können. Für Flora war Angeln nie etwas gewesen, sie war vor dem Zusammenbruch sogar Vegetarierin gewesen, aber jetzt durfte sie nicht mehr wählerisch sein. Fleisch ist ein guter Engergielieferant.

Flora freute sich so sehr, dass sie etwas für Max gefunden hatte.

Nur merkte sie nicht, wie etwas Kleines hinter ihr in der Tür auftauchte. Ein Schnaufen, ein schweres Atmen hauchte in die Stille hinein. Ein, zwei laute Tapser und schon sprang die kleine Gestalt auf Floras Rücken. Mit großem Geschrei beiderseits, stürzte Flora auf den gefliesten Boden und schlug hart mit dem linken Arm auf. Sterne tanzten vor ihren Augen. Kurz benommen, merkte sie dennoch schnell, dass das Mistvieh ihr in die Weste biss, die sie über ihrer Jacke trug. Für das Gebiss eines Kindes zu dick, um an ihre Haut zu kommen. Aber die Maden flossen aus seinem Mund heraus, verteilten sich über ihren Klamotten, bereit, sich einen Weg zu ihrem Fleisch zu suchen und zu finden. Flora riss ihren rechten Arm herum und schlug ihn mit aller Gewalt gegen den Kopf des infizierten Kindes. Ein Stück der Weste wurde abgerissen und hing jetzt im verfaulten Maul des Untoten. Flora robbte rückwärts, bis sie gegen die Toilette stieß und griff nach ihrem Messer, das in einer Halterung an ihrem Bein befestigt war. Gerade wollte Flora zustechen, als sie das Mädchen erkannte.

»Oh mein Gott! Josie! Nein, das kann nicht sein. Warum bist du hier?«

Fast hätte Flora ihr Messer fallen gelassen, konnte es aber noch mit einem festen Griff bei sich behalten. Sie hatte zwar schon das eine oder andere Kind töten müssen, was ihr immer schwer gefallen war, aber noch nie hatte sie eines von ihnen gekannt. Flora hatte oft auf Josie aufgepasst, als sie noch ein Baby gewesen war. Sie war damals zwei gewesen, als Flora abgehauen war, aber sie wusste instinktiv, dass es Josie sein musste. Sie hatte damals schon blondes, gelocktes Haar gehabt, jetzt war es nur etwas länger, schmutziger und die ein oder andere Made hatte sich darin verfangen.

Josie musste die ganzen letzten zwei Jahre hier gewesen sein, aber warum hatte Flora sie nicht gerochen? Jetzt, so aus der Nähe, ging ein wenig Gestank von dem Mädchen aus. Die Maden krochen unter ihrer Haut herum oder drückten sich durch die Bisswunde an ihrem Arm durch und fielen auf ihre dreckigen Kleider. Josie griff an, der natürliche Instinkt eines Infizierten, wenn er Lebendiges vor seinen milchigen Augen hatte.

Mit Tränen in den Augen schoss Flora nach vorne, hielt die Kleine fest um den Hals gepackt und drückte sie auf den Boden.

»Es tut mir leid ...«, flüsterte sie und stach zu.

23:28 Uhr

Mit langsamen Schritten, die Hitzekissen in der Hand, schlich Flora wieder zurück zu Max. Sie wusste nicht wieso, aber kein einziger Infizierter hatte etwas von dem Kampf und dem Geschrei mitbekommen.

Mit ihren letzten Kraftreserven klappte Flora das Schlafsofa im Wohnzimmer auseinander und schaffte es nur mit Müh und Not, Max auf die Couch zu hieven. Er war sehr kalt, aber er atmete noch. Sie knickte die Metallplättchen in den Kissen und verteilte sie an seinem Körper. Flora breitete die dicke Wolldecke über ihn aus und setzte sich soweit wie möglich weg. Mit ihrem heißgeliebten Messer in der Hand. Tränen tropften auf die Klinge.

»Ich bin da Max. Ich pass auf dich auf so ... solang ich es kann. Du musst die Nacht nur i...irgendwie überstehen, hörst du? Ich ... Ich werde sterben Max ...« Mit zappelnden Bewegungen unter ihrer Haut und zitternder Stimme, drehte sie ihr Messer zu sich hin. .. Bereit, zuzustoßen ...