12. ZERO HOUR
Auf der Reise über das Gebirge gen Norden überredete Fletcher Lt. Mitchell, einen Blick auf das Dorf zu werfen, in dem er sich in einer Woche mit Captain Van Zandt treffen wollte. Mitchell stimmte nur widerwillig zu, da sich sein Hubschrauber nur noch mit Kerosindämpfen in der Luft hielt.
Das kleine Drunder bestand nur aus fünf Häusern und ein paar Schuppen. Es wirkte völlig verlassen. Eine einspurige Straße führte hindurch und endete kurz darauf in einer Sackgasse. Hier würde sie so schnell niemand vermuten. Fletcher hatte eine gute Wahl getroffen.
Beim Weiterflug warf er einen Blick auf die Kisten im Heck des Hubschraubers. Durch die geöffneten Türen sah er den Chinook, mit dem Penny so gut es ging die Formation hielt. Ein Teil von ihm fühlte sich, als ob er Van Zandt abgezockt hätte. Erst die Zigaretten, dann den Transporthubschrauber mit den Kindern und am Ende sogar seine Ex-Frau. Irgendwann würde er sich dafür revanchieren müssen. Allerdings wäre er auch unter keinen anderen Bedingungen eine Abmachung mit Söldnern eingegangen. Die Dread Nova Mercenary Guard machte da keinen Unterschied. Im Gegenteil. Nach Coopers Meuterei würde es Fletcher nicht wundern, wenn in einer Woche niemand mehr von Van Zandts Männern in Drunder auftauchte. Sicher, er brauchte Verstärkung für seine Truppen, aber noch gab Fletcher die Hoffnung nicht auf, irgendwo echte Soldaten zu rekrutieren.
***
Dreißig Minuten später hatten sie die Biosphäre erreicht. Danny und Gabriel wurden sofort zur Krankenstation gebracht, wo Rachel dem Sanitäter lediglich einen Verband anlegte. Die Kugel wollte Dr. Webb erst herausholen, nachdem sie dem bewusstlosen Danny das Leben gerettet hatte.
Penny schlotterten nach ihrer Landung noch immer die Knie. Sie hatte in ihrer Laufbahn als Such- und Rettungspilotin schon viel Elend gesehen, war jedoch nie zuvor beschossen worden. Der Drohnenschwarm in ihrem Nacken ging ihr nicht aus dem Kopf. Während ihrer Flucht hatte sie ausschließlich an die Kinder gedacht und insgeheim auch ihrem Ex und seinen Männern vertraut, doch jetzt, wo sie in Sicherheit war, stürzte das Trauma wie ein Kartenhaus über ihr zusammen. Sie bestand darauf, ihren Chinook aufzutanken. Sie wollte nicht fliehen und wäre mit ihren zittrigen Händen vermutlich gegen die nächste Felswand gerauscht, aber sie traute dem Frieden noch nicht. Penny hatte das Tauschgeschäft in Raytown gelernt und hielt es lediglich für fair, ihren verbrauchten Treibstoff ersetzt zu bekommen.
Professor Howe rieb sich verwundert die Augen, als sechzehn Kinder und Teenager aus dem Transporthubschrauber stiegen und durch seine einst so leeren Biosphärenkorridore trappelten. Die Proviantmeisterin Chloe verteilte Bonbons aus dem Lager, wodurch die meisten ihre Scheuheit vergaßen und ihre Neugierde die Oberhand gewann. Sie hatten wochenlang nichts anderes als die sterilweißen Wände des Zeltlagers vor Raytown gesehen und Notrationen gegessen. Die Biosphäre wirkte dagegen wie ein riesiger Abenteuerspielplatz, von dem man sie nur mit Gewalt hätte fernhalten können. Misses von Bladensburg musste sich im Eilverfahren erklären lassen, welche Bereiche absolut tabu waren, weil darin Lebensgefahr durch unverkleidete Stromleitungen oder offene Maschinen drohte.
Auch die anderen Biosphärenbewohner wichen verdutzt zurück, als ihnen die Jugendlichen über den Weg liefen. Viele hatten auf ein Wiedersehen mit ihren Familien gehofft, als sie den Rotorenlärm bei der Landung vernahmen. Die Nachricht des Scheiterns der Mission, dem Verlust von Hawk-two und der Zerstörung von Raytown verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Yuen ließ ein Foto des Waldbrands herumgehen, damit niemand eine Verschwörung vermutete. Nach den jüngsten Erfahrungen mit Militär und Söldnern schloss er nicht aus, dass ihm einige Leute misstrauten.
Niedergeschlagen kehrte er bei Einbruch der Nacht in sein Quartier zurück. Jiao lag frisch gewickelt in seinem Arm und starrte ihn mit großen Augen an. Er gab seiner Tochter das Fläschchen und legte sie anschließend im Nebenraum schlafen. Er selbst hatte noch Arbeit vor sich.
***
Zwei Stunden später schlummerten die Kinder in ihren notdürftig eingerichteten Betten. Die meisten Biosphärenquartiere boten offiziell nur Platz für zwei Personen, doch Misses von Bladensberg wollte ihre Schützlinge in der fremden Umgebung im Auge behalten. Alexandros und Fletcher hatten kurzerhand Holzkisten aus dem Lager mit Bettzeug ausgestattet und zwei nebeneinanderliegende Quartiere damit aufgefüllt. Misses von Bladensberg blieb bei den jüngeren Kindern, während die älteren nebenan schliefen. Die Kisten waren alles andere als Luxus, aber die massiven Stahlwände und die geringe Anzahl von Menschen in der Biosphäre sorgten zum ersten Mal seit Wochen für ein Gefühl von Sicherheit, das den Kindern in Groombridge sehr gefehlt hatte. Die Kleinen empfanden das Schlafen in Holzkisten ohnehin als Abenteuer und dachten nicht mal daran, sich zu beschweren.
Als sie mit ihrer Arbeit fertig waren, schlurfte Fletcher einsam den Flur entlang, bis er Yuens Quartier erreichte. Er überlegte kurz, ob er ihn zu so später Stunde noch stören sollte. Dann öffnete er die Tür einen Spalt und lehnte sich an den Rahmen.
»Was nun, Sir?«, fragte er, als spräche er mit einem vertrauten Offizier. »Wie geht‘s mit uns weiter?«
Yuen legte seinen Bleistift ab und blickte vom Schreibtisch hoch. Das warmgelbe Licht der Tischlampe reichte ihm nur bis zur Nasenspitze. Seine Schlitzaugen blieben in der Nacht verborgen.
»Ich versuche, eine Rede zu schreiben«, sagte er nachdenklich und winkte den Chief herein. »Eine Ansprache, mit der ich ihre Frage beantworten kann.«
Fletcher setzte sich auf den Gästesessel Yuen gegenüber und warf einen Blick auf das Papier. Ein paar dahingekritzelte Zeilen, mehr nicht, und die meisten davon bereits durchgestrichen.
»Darf ich?«, fragte er und hielt seine Zigaretten hoch.
Yuen sah nach der Tür zum Nebenraum, in dem Jiao schlief. Sie war geschlossen. Daraufhin nickte er, öffnete aber gleichzeitig die Fenster einen Spalt per Fernbedienung. »Wie ist die Stimmung da draußen?«
Fletcher zündete seine Zigarette an und nahm einen entspannten Zug, ehe er antwortete. »Finster«, sagte er. »Niemand will an den Weltuntergang glauben.«
»Aber die Welt geht unter, oder nicht?«
»Ist das wirklich als Frage gemeint?«
Yuen seufzte ermattet und sackte in seinem Chefsessel aus schwarzem Leder zusammen. »Was, wenn das alles doch nur ein lokales Phänomen ist?«, fragte er. »Was, wenn in ein paar Monaten plötzlich die Nationalgarde vor der Tür steht und uns zur Rechenschaft ziehen will?«
»Zur Rechenschaft?«, wunderte sich Fletcher. »Wofür denn? Wir haben uns doch nur verteidigt!«
»Für das, was als Nächstes kommt«, sagte Yuen grimmig. »Materialbeschaffung im Stil ihres neuen Freundes, Captain Van Zandt. Howe hat mir bereits ein paar Orte in der Gegend genannt, wo wir Ersatzteile für die Biosphäre herbekommen könnten. Baumärkte, Kraftwerke, Industriegebiete, Werkstätten und so weiter.«
Fletcher blies seinen Zigarettenrauch in Richtung Fenster. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht, wie ich ihnen das beibringen soll.«
»Haben sie dann vielleicht eine Idee, wie ich das alles den anderen erklären kann?«
»Wie wäre es, wenn ich die Einleitung übernehme?«, schlug Fletcher vor. »Mit einem sachlichen Lagebericht aus militärischer Sicht gefolgt von einem langfristig negativen strategischen Ausblick für den Fall, dass wir einfach auf Hilfe warten. Sie übernehmen im Anschluss daran den emotionalen Part und schweißen die Leute zusammen.«
Yuen dachte einen Moment darüber nach, dann nickte er. »Eine gute Idee. Sofern sie selbst von unserem Vorgehen überzeugt sind.«
Fletcher drückte seine Zigarette aus und erhob sich ächzend aus dem Sessel. Die zahlreichen Einsätze der vergangenen Woche forderten ihren Tribut.
»Doc, meine Männer sind nicht desertiert, um sich irgendwo ein Kaff unter den Nagel zu reißen und bis zum Ende aller Tage die Beine hochzulegen«, sprach er ernst. »Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie die Welt zugrunde geht; und das nicht erst seit General McQueen aus seinem Helo geschossen wurde. Schon jahrelang fallen Staaten einer nach dem anderen wie Dominosteine in sich zusammen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir dran sind. Selbst wenn es da draußen noch irgendwo sowas wie eine Regierung mit Recht und Gesetz gibt, wird sie sich nicht mehr lange halten können. Es ist also aus strategischer Sicht am klügsten, sich hier niederzulassen und auf den Tag zu warten, an dem sich der Wiederaufbau lohnt.«
»Sie glauben wirklich, dass dieser Tag kommt?«
»Die Welt geht nicht zum ersten Mal unter«, erwiderte Fletcher. »Sie ist nur zum ersten Mal rund um den Globus vernetzt, so dass es alle gleichermaßen erwischt.«
Yuen faltete die Hände zusammen und lächelte ihm zu. »Eine gute Rede, Chief.«
»Dann schreiben sie sie besser auf, Doc«, rief Fletcher ihm beim Durchschreiten der Tür zu. »Alexandros hat nämlich das Schnapslager gefunden und bis morgen hab ich die bestimmt wieder vergessen!«
***
Yuen erwachte bereits um fünf Uhr früh, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Schlitze der Fensterschotten fielen. Jiao leistete ebenfalls ihren Beitrag dazu, in dem sie lautstark um Aufmerksamkeit bat. Inzwischen hatte ihr Vater gelernt, dass es nur einen echten Notfall gab, den Jiao mit Kreischen meldete. Mürrisch kämpfte er sich von seiner Tischplatte hoch, schnappte sich eine frische Windel und schlurfte in Unterhosen aus seinem Quartier heraus in Richtung Waschraum. Er gab offen zu, dass ihm dieser Teil des Vaterseins außerordentlich missfiel. Eine ganze Reihe von Freunden und Angestellten hatten im Vorfeld der Geburt angeboten, sich bei Bedarf um seine Tochter zu kümmern. In der Biosphäre war das nicht anders. Längst hatte nicht mehr nur Dr. Webb Patentante gespielt. Professor Howe, sein Sohn Adrian, Chloe und sogar Chief Fletcher hatten Zeit mit Jiao verbracht, doch jeder davon verlangte, ein frisch gewickeltes Baby zu erhalten. Es half also alles nichts. Diese Arbeit musste Yuen am Morgen selbst erledigen. Wenigstens hatte er inzwischen etwas Übung darin und saute sich nicht mehr von oben bis unten ein – sofern seine Tochter mitspielte.
Jiao quiekte fröhlich in einer sauberen Windel, als Dr. Webb den Waschraum mit einem Grinsen im Gesicht betrat.
»Nicht schlecht«, sagte sie. Dabei wankte sie von einem Bein aufs andere. »Du bist runter auf vier Minuten!«
»Hast du etwa draußen gewartet, bis ich fertig bin?«
»Bevor du mich da mit reinziehst, halt ich lieber eine Weile ein!«
Yuen schüttelte langsam den Kopf. »Wie lange muss ich das noch machen?«
Dr. Webb verschwand in einer Toilette. Der Gemeinschaftsraum machte ihr mit Yuen nebenan nichts aus, solange wenigstens eine Tür zwischen ihnen lag.
»Ich weiß nicht. Wie alt warst du denn, als du selber aufs Töpfchen gegangen bist?«
Einen kurzen Augenblick herrschte Stille, dann atmete Yuen schwer aus. »So viel Zeit hab ich nicht«, sagte er deprimiert. »Ich brauch einen Babysitter.«
»So lange also, hm? Was ist mit dieser Rektorin die du aus Groombridge mitgebracht hast?«
»Vielleicht, aber wir kennen die ja kaum.«
»Und Andrea?«
»Geht auch nicht. Die brauch ich, um Amy wieder zum Laufen zu bringen.«
»Hm ... bitte doch einfach den Chief, dir eine professionelle Ganztagsbabysitterin zu evakuieren!«, schlug Dr. Webb sarkastisch vor. Dabei drückte sie die Spülung und trat aus der Toilettentür heraus. »Wir haben ohnehin größere Sorgen.«
»Noch größer?«
»Jetzt reiß dich zusammen!«, mahnte sie ihn beim Händewaschen. »Du bist nicht der erste alleinerziehende Vater.«
Yuen brummte missmutig und verließ den Waschraum mit Jiao im Arm. Dr. Webb folgte ihm auf dem Weg zur Kantine.
»Nach dem was ich seit eurer Rückkehr gehört hab, will keiner so recht an den Tod seiner Angehörigen in Raytown glauben«, sagte sie mit gedämpfter Lautstärke. »Chloe hat schon nach weiteren Rettungsmissionen gefragt und Howes Leute leben ohnehin woanders.«
»Ich hatte gehofft, die Kinder würden sie zumindest eine Weile davon ablenken«, erwiderte Yuen verbissen.
»Das funktioniert nicht bei allen. Adrian will mit den Kindern am liebsten gar nichts zu tun haben und Rachel meinte, sie wäre aus gutem Grund Tierärztin geworden. Bei diesem Zwerg Maxwell bin ich mir noch nicht sicher.«
»Und du?«
»Ich bin gern bereit, dir Jiao für ein paar Stunden abzunehmen und die Kleinen medizinisch zu versorgen, aber für den Rest such dir bitte jemand anderen!«, entgegnete ihm Dr. Webb mit einer abwehrenden Handbewegung. »Nimm‘s nicht persönlich. Ich kann einfach nicht mit Kindern.«
»Schon gut. Ich hab auch eigentlich von dir gesprochen.«
Dr. Webb seufzte beim Betreten der Kantine. »Ich hab keine Ahnung, wo mein Bruder steckt«, sagte sie. »Unser Kontakt ist vor fünf Jahren abgerissen.«
Yuen ging in die Küche und füllte einen der Wasserkocher. Zuvor hatte er Jiao in einem geflochtenen Brotkorb abgelegt. Sie war längst wieder eingeschlafen.
»Willst du ihn suchen?«, fragte er leise.
»Ich weiß nicht. Er will doch gar nichts mehr von mir wissen.«
»Im Angesicht des Weltuntergangs ist er vielleicht bereit, euren Streit zu vergessen«, sagte Yuen. Er schaufelte je einen Löffel Kaffeepulver in zwei Tassen und lehnte sich auf die Küchenanrichte aus gebürstetem Stahl, während er auf das Wasser wartete.
»Lass uns erstmal die Probleme der anderen lösen«, entschied sie und setzte sich auf einen Küchenhocker. »Um mich brauchst du dir vorerst keine Sorgen machen.«
Der Wasserkocher klickte und Yuen füllte die Tassen. Er rührte einmal um und setzte sich zu seiner Freundin.
»Und was ist mit dir?«, fragte Dr. Webb. »Wie kommst du mit Sakis Tod zurecht? Irgendwelche Schlafstörungen, Herzrasen, Schweißausbrüche oder sowas?«
Yuen nahm einen Schluck Kaffee und blinzelte sie an, als schätzte er ihre sterile Arztfürsorge am Frühstückstisch nicht. In solchen Momenten hatte er seine Frau immer besonders gut verstehen können, die auf übertriebene Nachfragen allergisch reagierte. »Ich komm schon klar«, murrte er hervor. »Solange ich Arbeit habe ...«
»Hey! Guten Morgen Doc ... und Doc!«, rief Fletcher auf einmal durch das Fenster der Essensausgabe. »Gab‘s einen Wachwechsel in der Kantine oder warum–«
»Ssshhh!«, zischten ihm Dr. Webb und Yuen im Chor zu. Sie zeigten auf Jiao, doch es war bereits zu spät. Schlagartig drang ein Quengeln aus dem Brotkorb.
»Oh, Verzeihung!«, bat Fletcher ertappt. »Hab ihre Kleine nicht gesehen.« Jetzt, wo der Schaden einmal angerichtet war, stampfte er in die Küche und glotzte in die improvisierte Krippe hinein. »Na du! Gu-Gu! Guten Morgen! Gu-Gu!«
Dr. Webb und Yuen starrten einander verdutzt an. Den Chief hätten sie sich keinesfalls als Babynarr vorstellen können, doch er schien sich mindestens ebenso über Jiaos Lachen zu freuen, wie die Kleine über die Aufmerksamkeit.
»Haben sie mal darüber nachgedacht, einen Zweitjob als Babysitter anzunehmen?«, posaunte Dr. Webb prompt hervor.
»Sorry Docs, aber meine Frau und ich wollten beide keine Kinder«, entgegnete er mitleidig, so als verstünde er den Hintergrund der Frage.
»Ihre Frau?«, wiederholte Yuen. »Ich dachte, sie hätten keine Familie?«
»Sie ist vor zwei Jahren an Leukämie gestorben.«
»Das ... tut mir leid, Chief.«
Fletcher wiegelte ab und machte sich selbst eine Tasse Kaffee. »Wir hatten uns schon vorher getrennt«, sagte er und setzte sich mit einem Löffel im Mund dazu.
»Wie geht‘s dem Kopf?«, fragte Yuen.
Fletcher lachte. »Gut. Ihr Professor hatte anständigen Schnaps gebunkert.«
»Dann erinnern sie sich also noch an ihre Rede?«
»An meine strategische Tatsachenanalyse?«, erwiderte Fletcher und holte ein Datenpad aus seiner Militärhose. »Klar. Lieutenant Mitchell hat mir ein paar Kameraaufnahmen seines Helos auf das Pad hier geladen. Wenn ich das rumgehen lasse, wird niemand mehr unseren Bericht in Frage stellen.«
»Da unten sieht‘s ja aus wie in Pompeji«, sagte Dr. Webb bestürzt beim Betrachten der zerstörten Stadt. Sie hatte bisher nur das eine Foto gesehen, das Yuen am Vorabend verbreitet hatte. Die bewegten Bilder auf dem Pad wirkten viel schockierender.
»Pompeji?«
»Eine Stadtruine im heutigen Italien, die im Jahr 79 von der Asche des Vulkans Vesuv verschüttet wurde«, erklärte Yuen.
Fletcher nickte. »Klingt zutreffend. Der Ascheregen aus dem umliegenden Wald hat sich wie eine Bettdecke über Raytown gelegt.«
Während sie im kleinen Kreis den letzten Einsatz diskutierten, füllte sich die Kantine allmählich. Rachel bot wie in den vergangenen Tagen an, die Küche zu übernehmen, aber Yuen lehnte dankend ab. Er hielt es für eine gute Idee, jedem beim Ausschank von Kaffee, Kakao oder Tee in die Augen sehen zu können, um bei seiner Ansprache besser vorbereitet zu sein.
***
Um Punkt acht Uhr war es so weit. Fast die gesamte Besatzung der Biosphäre hatte sich in der Kantine eingefunden; mit Ausnahme der verletzten Soldaten Gabriel und Ryan sowie den gefangenen Alpha Hounds. Inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass Yuen eine Erklärung geben wollte, so dass niemand vorzeitig den Raum verließ.
Fletcher erfüllte sein Versprechen und übernahm mit seiner Analyse den Vortritt. Die Filmaufnahmen aus Groombridge und Raytown sorgten wie bei Dr. Webb für Bestürzung, doch die befürchtete Panikstimmung blieb aus. Jeder der Anwesenden hatte zumindest eine Katastrophe miterlebt, so dass sich der Schock in Grenzen hielt. Die Stammbesatzung der Biosphäre hatte unter den Alphas gelitten und war sich der weiterhin bestehenden Bedrohung bewusst. Andrea, Chloe und der alte James Morgenstern hatten zwei Nächte allein auf der McKnight Air Force Base zugebracht; umgeben von genmanipulierten Hunden und bedroht von ferngesteuerten Kampfdrohnen. Misses von Bladensburg und ihre Schützlinge hatten wochenlang in Groombridge ausgeharrt und vergeblich auf Rettung gewartet. Selbst die Hubschrauberpilotin Penny reagierte ausgesprochen wortkarg, so als hätte sie sich ihrem Schicksal längst ergeben.
Fletcher beendete seinen Bericht mit ein paar Fakten, die laut der Militärführung eigentlich noch geheim bleiben sollten. Darunter Namen von Großstädten auf der ganzen Welt, die bereits im Chaos versunken waren, und die Meldung über ein Nuklearwaffenarsenal auf dem indischen Subkontinent, das terrorverdächtige Gruppen in ihre Gewalt gebracht hatten und das anschließend per Präventivschlag zerstört worden war. Fletcher nutzte diese Nachricht, um die zukünftige Isolation der Biosphäre als dringende Notwendigkeit erscheinen zu lassen. Jede Vorstadtgang könnte inzwischen über Massenvernichtungswaffen verfügen. Er sparte auch nicht mit Geschichten über die Gräueltaten der Black Razor Company.
Anschließend übergab er das Wort an Yuen, der bis dahin in der Küche geblieben war, um die versammelte Mannschaft ungestört durch das Fenster der Essensausgabe beobachten zu können. Er hatte sich einen weißen Laborkittel angezogen, um den Kontrast zur Armeeuniform von Fletcher zu vergrößern. Yuen wollte unbedingt als Zivilist wahrgenommen werden. Nach den schlechten Erfahrungen aller Anwesenden mit dem Militär oder Söldnern hielt er ein Symbol für die Rückkehr zu ziviler Führung für angebracht.
»Danke, Chief«, sagte er mit einem Räuspern und trat aus der Küche heraus. Mit hinter dem Rücken zusammengefalteten Händen stellte er sich vor die wartenden Menschen. »Ich weiß, wie schwer es ihnen fällt, das Ende der Zivilisation zu akzeptieren. Das Ende von mehr als zehntausend Jahren Evolution, Kunst, Politik und Wissenschaft. Das Ende von Kreativität und Leidenschaft, von Technologie und Fortschritt.«
Yuen machte eine kurze Denkerpause und tippte sich dabei mit dem Zeigefinger an sein Kinn. Seine Worte galten der Einführung, um die Mannschaft auf eine andere Bewusstseinsebene zu heben; weg von der kalten Analyse und hin zur Philosophie.
»Lassen sie mich eines klarstellen. Ich akzeptiere das Ende nicht«, sprach er mit entschlossener Stimme. Ein Tuscheln an der Grenze zum Raunen ging durch sein Publikum. »Ja, viele Länder sind bereits untergegangen und viele Metropolen im Chaos versunken. Recht und Gesetz sind vielerorts nur noch Schall und Rauch und das Recht des Stärkeren wird vermutlich bald die Welt regieren. Aber wenn uns die Wissenschaft eines lehrt, dann ist es das Prinzip der Hoffnung. Wenn ein Experiment einmal funktioniert, dann muss es dafür einen Grund geben, und wenn es dafür einen Grund gibt, dann kann man das Ergebnis reproduzieren, selbst wenn es Jahre dauert. Wieso sollte es ausgerechnet uns anders ergehen?« Er holte seine Hände vom Rücken und hielt sie vor die Brust, so als versuchte ein Professor seinen Studenten etwas mit Gesten in der Luft zu erklären. »Wir sind hier. Vereint und für den Moment in Sicherheit«, fuhr er fort und zeigte dabei zuerst auf Dr. Webb, Chief Fletcher und am Ende auf Glen Howe in dessen Rollstuhl. »Medizin, Militär, Wissenschaft. Gemeinsam haben wir uns an diesem Ort versammelt, gemeinsam werden wir den Feuersturm aussitzen. Und wenn es uns gelingt, dann ist es schlicht vernünftig anzunehmen, dass andere auf der Welt ebenfalls überleben. Enklaven der Menschlichkeit, der Kunst und der Wissenschaft. Es ist die Pflicht unseres Schicksals, zehntausend Jahre menschlicher Evolution zu bewahren und an unsere Kinder weiterzugeben, so dass wir bereit sind, wenn der Wiederaufbau der Erde beginnt. Nach jedem Flächenbrand, jedem Krieg, jeder noch so großen Katastrophe folgt eine Phase der Erholung und des Neubeginns. Davon bin ich fest überzeugt. Unsere Aufgabe ist es, bis dahin zu überleben, unsere Werte zu bewahren, unser Wissen zu überliefern und bereit zu sein, wenn die Zeit reif für diesen Neuanfang ist!« Yuen faltete seine Hände wieder auf dem Rücken zusammen und streckte die Brust raus. »Kann ich auf eure Unterstützung zählen?«, fragte er und legte dabei besondere Betonung auf das Wort eure, um die persönliche Nähe zu erhöhen.
Eine bedrückende Stille hielt Einzug. Keiner wollte der Erste sein, der Yuen eine Antwort gab. Fletcher und Dr. Webb wären gerne für ihn in die Bresche gesprungen, betrachteten sich jedoch aufgrund ihrer klaren Überzeugung als disqualifiziert.
»Verdammt, ja!«, raunte plötzlich eine krächzende Stimme aus der letzten Ecke. Sie gehörte zum alten James Morgenstern, der dazu noch mit seiner knöchrigen Faust auf den Tisch pochte. »Ich hab das Ende schon lange kommen sehen und keiner wollte auf mich hören! Aber ihr...« Er zeigte auf Yuen und Fletcher. »Ihr habt Rückgrat bewiesen, als ihr mich und meine beiden Täubchen rausgeholt habt!«
»Der Laden hier ist doch dazu gedacht, auf dem Mars oder so zu überleben, oder nicht?«, fragte Penny zustimmend. »Eine bessere Chance um diesen Shitstorm da draußen zu überstehen, werd ich wohl kaum finden.«
Bei ihrer derben Wortwahl kicherten die meisten Kinder los, woraufhin Misses von Bladensburg Penny einen bösen Blick zuwarf. Bei einer gegenteiligen Meinung wäre die Reaktion der Kinder jedoch weniger lustig ausgefallen, was Yuen als gutes Zeichen wertete.
»Die Biosphäre sollte etwa fünfzig Menschen Platz bieten«, meldete sich Howe zu Wort. »Es ist möglich, aber wir brauchen Ersatzteile und Nahrung.«
»Ich hab doch schon gesagt, dass wir mit Charles reden sollen«, fiel ihm Rachel dazwischen. »Bei seiner riesigen Farm gibt‘s bestimmt genug zu holen.«
»Vielleicht wollen die mit uns Handel treiben«, stimmte Adrian zu und nickte zu Fletcher. »Wenn ihnen der Chief dafür Abschaum wie die Alphas vom Hals hält.«
Kaum war die Diskussion im Gange, entwickelte sie sich zum Selbstläufer. Eilig wurden Vorschläge zur Materialbeschaffung oder Rekrutierung neuer Biosphärenbewohner vorgebracht. Jeder schien irgendwo ein fehlendes Bauteil zu vermuten oder einen dringend benötigten Spezialisten zu kennen. Kein Wort mehr über den Untergang der Welt oder das drohende Ende. Yuen hatte es geschafft, den Kurs in Richtung Hoffnung zu lenken. Hoffnung auf eine Zukunft nach dem globalen Untergang, bei der jeder dabei sein wollte.
Er lehnte sich mit einer Tasse Kaffee in der Hand an die Wand zur Essensausgabe und ließ sich von den Ideen berieseln wie von einem warmen Sommerregen. Dr. Webb und Chief Fletcher hatten sich zu den anderen gesellt und kritzelten Notizen auf ein paar Zettel, um nichts zu vergessen. Schon bald würden sie als Köpfe ihrer Abteilungen für den Fortbestand der Biosphäre sorgen müssen. Die Zweifel waren nicht aus ihren Gesichtern gewichen, aber sie diktierten nicht länger ihr Denken und Handeln. Nun schmiedeten sie wieder Pläne und Strategien mit der Überzeugung, dass es nur noch bergauf gehen konnte.
***
Die Aufbruchsstimmung hielt den ganzen Tag lang an. Fast alle Bewohner schmiedeten nun an Plänen, um ihre eigene Lage zu verbessern.
Die Tierärztin Rachel setzte sich mit Chloe, dem Koch Maxwell und James Morgenstern zusammen. Sie wollten der Nahrungsversorgung der Biosphäre ein stabiles Fundament verschaffen und spielten dazu die Inbetriebnahme der Anbau- und Viehhaltungsmodule durch. In dem einzigen bisher genutzten Habitat pflegte Howe ein kleines Gemüsebeet, das ausschließlich der Hobbygärtnerei eines Rentners entsprach, aber es war ein Anfang. Die Wasserversorgung sollte mit tiefen Bohrungen in die Erde gewährleistet werden, doch die dafür erforderlichen Maschinen waren seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Eine gründliche Wartung tat not, an dessen Ende sie Fletcher eine Liste benötigter Ersatzteile überreichen wollten. Die Reise zur Farm von Charles stand für die kommende Woche auf dem Programm, die sie jedoch mit den Soldaten koordinieren mussten. Keiner von ihnen wagte es, ohne schlagkräftige Eskorte durch die Endzeitsteppe zu fahren.
Lieutenant Mitchell verbrachte den Tag auf der Krankenstation bei seinem Flügelmann Danny, der noch einige Zeit im Streckverband liegen würde. Dabei informierten sie Chief Fletcher über einen weiteren Hubschrauber aus der Reserve, für den kein Pilot mehr vorhanden gewesen war, als sie zur Unterstützung der McKnight Air Force Base gerufen wurden. Aufgrund des Zusammenbruchs der lokalen Militärführung hielt Mitchell es für sehr wahrscheinlich, dass die Maschine nach wie vor im Depot stand. Als Fletcher davon erfuhr, erklärte er die Bergung zur Priorität. Er wendete sich an Penny, die ihrerseits bereit war, Lt. Mitchell mitsamt Eskorte dorthin zu fliegen, sofern sie ihren Treibstoff wieder ersetzt bekam.
Die Computerspezialistin Andrea Kane erhielt von Professor Howe unbegrenzten Zugriff auf den Mainframe der Biosphäre. Sie sollte eine Bestandsaufnahme vornehmen, Ersatzteillisten erstellen und die Integration von Amys Chip vorbereiten. Howe und Yuen suchten unterdessen nach einer geeigneten Kühlung, da der Quantencomputer nur nahe dem absoluten Nullpunkt von -273,15 Grad Celsius funktionierte. Noch hielten sie den Nutzen einer künstlichen Intelligenz für das nackte Überleben für überschaubar, planten jedoch im Voraus. Ein Computer, der eigenständig die Anbau- und Viehhaltungsmodule in Betrieb halten konnte, würde ihnen in den nächsten Jahren sehr gelegen kommen.
Corporal Alexandros gesellte sich zu seinen verletzten Kameraden Gabriel und Ryan auf die Krankenstation. Gemeinsam gingen sie ihre militärische Laufbahn durch und überlegten, wo sie Verstärkung für ihre Truppe finden könnten. Die angestrebte Allianz zwischen ihrem Chief und der Dread Nova Mercenary Guard stellte für sie nur eine Notlösung dar, der sie echte Soldaten vorzogen. Sie erhielten von Yuen die Erlaubnis, sämtliche Informationen über den laufenden Weltuntergang zur Überzeugungsarbeit zu verwenden. Er behielt sich jedoch das Recht vor, die Position der Biosphäre weiterzugeben.
Der alte James Morgenstern erwies sich abseits seiner Gärtnertätigkeit als Kinderfreund und talentierter Geschichtenerzähler. Misses von Bladensburg nahm seine Hilfe nach kurzem Zögern an und schon an diesem Abend versammelte sich die Rasselbande, um seinen Märchen zu lauschen.
***
Um Mitternacht betrat Chief Fletcher die Kantine auf der Suche nach einem späten Snack. Zu seiner Überraschung fand er Dr. Webb und Yuen bei abgeschaltetem Licht an dem Tisch vor, an dem sie am Morgen die Stunde Null eingeläutet hatten.
»Sie können wohl auch nicht schlafen?«, fragte Yuen mit gedämpfter Stimme.
»Ja ...«, nuschelte Fletcher mit einem Schokoriegel zwischen den Zähnen. »Nicht schlafen. Genau.«
Als er die Flasche Whisky auf dem Tisch bemerkte, holte er sich ein Glas und setzte sich dazu. »Eins der Kinder hat gefragt, ob vielleicht Gott seine schützende Hand über uns ausgebreitet hat und wir deswegen entkommen sind«, sagte er beim Einschenken.
Dr. Webb und Yuen warfen einander einen ernsten Blick zu, dann schmunzelten beide gleichzeitig.
»Naja, es war zu erwarten, dass auch ein paar von denen darunter sind«, antwortete Yuen kurz darauf.
»Von denen?«, erwiderte Fletcher.
»Kinder mit religiösem Hintergrund.«
»Sie glauben also nicht an sowas?«
Yuen stellte sein Getränk ab und setzte sich gerade hin. »Wir sind Wissenschaftler«, erklärte er. »Wenngleich es theoretisch im Bereich des Möglichen liegt, dass die Bausteine des Lebens von einer extraterrestrischen Intelligenz auf die Erde gebracht worden sind, ist es völliger Unsinn zu glauben, dass diese Intelligenz auf uns aufpasst oder nach Gehorsam verlangt.«
»Was ist mir ihnen, Chief?«, fragte Dr. Webb.
Fletcher flegelte sich in seinen Stuhl und nahm einen kleinen Schluck. »Ich bin davon überzeugt, dass jeder seines eigenen Schicksals Schmied ist. Jeder ist für seine Handlungen verantwortlich. Alles Weitere geht mich nichts an.«
»Eine vernünftige Einstellung«, sagte Yuen.
»Hilft uns aber nicht, wenn sich das Problem vergrößert«, sagte Dr. Webb. »Wir dürfen die Saat gar nicht erst aufgehen lassen.«
»Die Saat?«, fragte Fletcher. »Sie reden ja gerade so, als handele es sich beim Glauben um was Schlechtes.«
»Tut es das etwa nicht? Der Glaube ist nichts weiter als die Kapitulation vor der Realität. Die Flucht vor einem Universum, dessen Komplexität die eigene Intelligenz übersteigt.«
»Karen hat schlechte Erfahrungen damit gemacht«, wandte Yuen ein, ehe sich die Ärztin in Rage redete. »Eltern, die bei ihren Kindern Bluttransfusionen verboten oder Impfungen abgelehnt haben und solche Sachen.«
»Ich bin nicht umsonst zum Militär gewechselt!«, bekräftigte Dr. Webb. »Diesen ganzen Blödsinn werde ich hier nicht zulassen.«
»Das verlangt auch keiner von dir. Aber wir sollten die Kinder vielleicht erstmal kennenlernen, bevor wir ihnen eine Gehirnwäsche verpassen.«
»Sagt später nicht, ich hätte euch nicht gewarnt«, sprach sie in die Richtung beider Männer.
»Wir sind Wissenschaftler«, wiederholte Yuen. »Und so werden wir sie auch erziehen. Der Rest erledigt sich hoffentlich von selbst.«
»Dein Wort in ... deren Gehörgänge«, murmelte Dr. Webb.
Gemeinsam prosteten sie einander zu und tranken ihre Gläser aus. Chief Fletcher zeigte nicht die geringste Reaktion auf den starken Alkoholgehalt. Dr. Webb räusperte sich kurz, schien sich aber nicht daran zu stören. Nur Yuen sah man die Tränen in den Augen an. Bei Tageslicht wäre wohl noch ein knallrotes Gesicht dazugekommen, doch in der Dunkelheit fiel seine Alkoholunerfahrenheit kaum auf.
»Glaubt ihr, dass wir es schaffen?«, fragte Dr. Webb nach ein paar Minuten der Stille. Dabei starrte sie prophetisch in ihr leeres Glas.
»Uns bleibt keine andere Wahl«, antwortete ihr Yuen. »Oder kennt einer von euch eine Alternative?«
Dr. Webb und Fletcher schüttelten leicht die Köpfe.
»Wir müssen einfach vorsichtiger werden«, sagte der Chief. »Wir haben bereits einen Chopper verloren, weil wir den Gegner unterschätzt haben. Und dieser Dreikäsehoch von einem Piloten wäre um ein Haar mit draufgegangen.«
»Keine Abenteuer mehr«, stimmte Yuen zu. »Risiken können wir nicht ausschließen, aber wenn uns diese Razors auf die Spur kommen, sind wir geliefert.«
»Das heißt dann wohl, dass wir die nächsten Wochen nicht damit verbringen werden, wahllos Flüchtlinge hierher zu evakuieren?«, fragte Dr. Webb.
»Nur wen wir brauchen.«
»Ganz schön kaltherzig«, brummte Fletcher. Bevor Yuen sich erklären konnte, fügte er hinzu: »Aber vollkommen berechtigt.«
»Wir tragen inzwischen die Verantwortung für fast vierzig Menschen, die Hälfte davon Kinder«, sagte Yuen. »Unsere Leute haben Vorrang.«
Dr. Webb griff nach der Whiskyflasche und füllte den Männern nach.
»Gott weiß, wer noch alles da draußen rumrennt«, sprach Yuen derweil weiter.
»Gott?«, wiederholte Fletcher.
»Sie wissen, was ich meine, Chief. Wie war denn ihre erste Reaktion, als sie das Wort Biosphäre gehört haben?«
»Schnaps und Schokoriegel, hm?«, antwortete Dr. Webb für ihn.
»Glaskuppeln mit Wiesen und Wäldern«, sagte Fletcher. »Selbstversorgende Habitate, die sich perfekt zum Aussitzen des Endes der Welt eignen.«
»Genau«, bestätigte Yuen. »Wenn wir da draußen auch nur erwähnen, wo wir herkommen, werden uns die Menschen die Tür einrennen. Zumindest, bis uns irgendwer mit seinen Bomben erwischt.«
»Nun dann«, sprach Fletcher und hob feierlich sein Glas. »Für eine Zukunft auf Zeit!«
Noch einmal stießen sie zusammen an und ließen sich den Whisky auf der Zunge zergehen, als sei es der letzte Tropfen Alkohol der Welt.