12

Zarabeth starrte ihn an, sah, wie seine Augen sich verdunkelten, seine Wangen sich röteten. Doch er blickte ihr nicht ins Gesicht, er starrte auf ihren nackten Bauch, auf das feuerrote kraushaarige Dreieck zwischen ihren Schenkeln. Ungewohnt sanft tastete seine Hand nach unten. Und seine Finger fuhren leicht durch das Kraushaar, um sie zu finden.

Sie konnte nicht fassen, daß er sie berührte. Sie drohte an ihrer Scham, ihrer Angst zu ersticken. Als seine Finger zwischen ihre Schenkel glitten, schrie sie, bäumte sich wild auf, um seine Hand loszuwerden. Doch statt von ihr abzulassen, schob er langsam seinen Mittelfinger in ihre Öffnung und weitete sie.

Sie schrie gellend.

Magnus schloß die Augen. Es war reine Lust, die er verspürte, Lust auf den Körper einer Frau, irgendeiner Frau; ihre Hitze, ihre Enge raubten ihm die Sinne. Sein Finger bohrte sich schmerzhaft in sie, weitete sie, denn sie war eng und trocken, ihr Körper bäumte gegen ihn auf. Sie weinte, schnellte wild von einer Seite zur anderen, um ihn abzuschütteln. Es gelang ihr, eine Hand aus seinem Griff zu befreien, und sie schlug ihm mit aller Kraft auf den Mund.

Er reagierte nicht, schob lediglich seinen Finger weiter in sie hinein. Sie stöhnte vor Schmerz auf, ihr Blick wurde glasig, sie erstarrte mitten in der Bewegung. Lächelnd drang sein Finger tiefer. Seine andere Hand lag flach auf ihrem Bauch. Sie schlug nach ihm, doch er spürte keinen Schmerz, spürte nur die Hitze ihres Körpers, ihre Weichheit.

Bei Odin, sie war noch Jungfrau, er konnte es kaum fassen, so eng war sie. Sein Glied schwoll und wurde härter. Er mußte endlich in sie stoßen, sonst würde er seinen Samen vergeuden.

Er zog seinen Finger zurück, um die Beherrschung nicht zu verlieren und spürte, wie sie zusammenzuckte, aber nicht aufhörte, ihn mit Fäusten zu bearbeiten. Unbeirrt spreizte er ihre Beine und rollte sich über sie, hielt sie mit seinem Körpergewicht gefangen und befreite sich von seinem Lendentuch, mit zitternder Hand, sein Körper bebend vor Lust. Plötzlich wurde sein Haar nach hinten gerissen. Schrille, lallende Laute wurden hörbar, kleine Fäuste trommelten auf seine Schultern.

Mit einem bösen Knurren, blind vor Wut, fuhr er herum, um seinen Angreifer loszuwerden. Es dauerte eine Schrecksekunde, bevor er Lotti erkannte, die ihrer Schwester zu Hilfe geeilt war, um sie vor ihrer Vergewaltigung zu retten.

Er schwankte zwischen Zorn und Verwunderung. Von draußen wurde nun Horkels Stimme laut: »Nein, geh nicht hinein, Tostig. Magnus wird mit dem Kind alleine fertig. Das geht uns nichts an.«

»Wir hätten sie aufhalten müssen! Er wird nicht sehr erfreut darüber sein.«

Das war eine starke Übertreibung. Magnus wußte nicht ein noch aus. Unter sich die wild um sich schlagende Frau, sein schmerzhaft steifes Glied; dazu ein Kind, das mit aller Kraft auf ihn einschlug. Plötzlich mußte er lachen, über sich selbst, über die lächerliche Situation. Er gab auf. Seine Begierde schwand, wie Strohfeuer sich im Nu in ein Häufchen Asche verwandelt. Er gab Zarabeth frei, rollte von ihr herunter, kam auf die Knie und bedeckte sich.

Zarabeth hatte zuerst nichts begriffen. Dann sah sie Lotti, die sich auf Magnus geworfen hatte. Jetzt ließ die Kleine von Magnus ab, Tränen liefen ihr über die schmutzigen Wangen. Völlig verschreckt, mit bebendem Kinn, wich sie nicht von Zarabeths Seite.

Zarabeth schossen die Tränen in die Augen über die Tapferkeit ihrer kleinen Schwester. »Komm zu mir, Liebes«, sagte sie, kam auf die Knie und streckte die Arme nach ihr aus. »Es ist alles gut. Weine nicht, hab keine

Angst. Magnus und ich haben nur gespielt, ja, gespielt. Es war ein Ringkampf, wie kleine Buben. Und Magnus wollte mir einen neuen Griff zeigen. Mehr nicht. Komm, laß dich umarmen.«

Sie zog das Kind an sich, es war tröstlich, die Kleine zu beruhigen. Sie preßte den Kopf des Kindes an ihre Schulter und blickte zu Magnus, der mit gekreuzten Beinen vor ihr saß. Er keuchte noch immer schwer, hatte sich aber jetzt gut im Griff. Ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen. »Ja, ein Ringkampf. Nichts als ein Spiel. Aber ein Spiel, das du verlieren wirst, Zarabeth. Denn ich bin dein Herr und Meister.«

»Du bist ein Tier«, entgegnete sie mit erstaunlich gefaßter Stimme. »Für dich ist es kein Spiel, sondern ein Machtkampf. Du bist der Stärkere, deshalb unterdrückst du Schwächere. Ich verabscheue dich.« Sie wandte den Kopf und fuhr fort, Lottis Rücken zu streicheln und flüsterte ihr sanfte Worte ins Ohr.

Er spürte, wie die Wut sich in seiner Magengrube zu einem Knoten verhärtete, nahm sich aber zusammen. Mit einer Handbewegung zum Kinn fragte er: »Was ist los mit ihr? Sie gibt so komische Töne von sich. Ist sie schwachsinnig?«

»Nein, sie kann nichts hören.«

Magnus machte ein ungläubiges Gesicht. Blitzschnell klatschte er hinter Lottis Kopf laut in die Hände. Das Kind machte keine Bewegung. »Hat sie das von Geburt an?«

»Nein. Olav hat sie geschlagen, als sie zwei Jahre alt war. Sie war zwei Tage ohne Besinnung, und seither kann sie nichts hören.« Sie schwieg, dachte an die Angst, die sie damals ausgestanden hatte, an ihren Haß gegen Olav. »Ich hätte ihn am liebsten umgebracht für das, was er ihr angetan hat, weil es ihn überhaupt nicht berührte. Wenn sie gestorben wäre, hätte es ihn auch gleichgültig gelassen. Um seine Untat zu vertuschen, behauptete er, sie sei schwachsinnig. Das erzählte er allen Leuten.«

»Du hast also Rache an Olav genommen«, sagte er und fügte rasch hinzu: »Sie sagt deinen Namen, aber irgendwie verschwommen.«

»Ja, sie konnte ein paar Worte sprechen, bevor er sie geschlagen hat. Sie kennt die Bedeutung einiger Worte und mit etwas Geduld wird sie lernen, besser zu sprechen.«

»Das hättest du mir sagen müssen.«

Erstaunen und Verachtung lagen in ihrem Blick. »Wozu? Damit du noch grausamer zu ihr sein kannst? Damit du eine Waffe mehr gegen mich in der Hand hast?«

»Ich würde ein Kind nicht als Waffe gegen Menschen benutzen.«

»Aber ich bin kein Mensch, ich bin nur eine Frau.«

»Nein, du bist eine Sklavin und dann erst eine Frau.«

Sie senkte den Blick. Welchen Sinn hatte es, ihm zu antworten? Sie tätschelte Lotti und sprach ruhig auf sie ein, nahm keine Notiz mehr von ihm. Sie verschloß sich, zog sich in sich selbst zurück. Das ärgerte ihn.

»Wenn das Kind nicht hören kann, wieso ist es dann gekommen?«

Ohne den Kopf zu heben, antwortete sie: »Ich weiß nicht. Ich nehme an, sie hat gesehen, wie du hereingekommen bist. Sie hat Angst vor dir und wollte mich beschützen. Ich bitte dich, ihr nicht wehzutun.«

»Ich habe dir bereits gesagt, daß ich Kindern nicht weh tue.«

»Das ist eine Lüge. Ich kenne Wikinger, wie du einer bist, und ich habe von ihren blutrünstigen Raubzügen gehört. Ihr tötet ohne Grund und ohne Sinn und Verstand. König Alfred muß ständig Krieg führen, um sein Volk davor zu schützen, von euch Barbaren abgeschlachtet zu werden.«

»So sind wir eben. Es geschehen manchmal Dinge, die nicht nach meinem Wunsch sind. Aber wieso bedauerst du Alfred? Er ist für dich wie ein Wesen aus einer anderen Welt, über den die unglücklichen Sachsen am Herdfeuer im Winter reden. Wenn Alfred ihr König wäre, würde auch er sie schröpfen und ausbeuten. Guthrum ist dein König und der König deines toten Ehemannes. Du hast einem Wikinger treu zu sein, nicht einem Sachsenkönig.«

Sie hob die Schultern. »Um die Wahrheit zu sagen, ich hasse euch alle, eure sinnlose Gewalt, eure Mordlust. Ihr seid allesamt Wilde, und ich bezweifle nicht, daß der edle Alfred genau so wild und grausam ist, wie du es bist.«

»Du bist jetzt die Sklavin eines Wilden. Ich möchte mir deine Klagen nicht länger anhören.«

»Und ich möchte nicht, daß du mir Gewalt antust.«

»Ich habe keine große Lust, dich mit Gewalt zu nehmen, aber du zwingst mich dazu, wenn du dich mir weiterhin widersetzt. Wenn du damit nicht aufhörst, wirst du umso mehr leiden. Mich läßt dein Schmerz kalt, aber vielleicht denkst du darüber nach. Ich nehme dich, Zarabeth, das mußt du endlich begreifen. Deine Wünsche, deine Gefühlen haben für mich keine Bedeutung. Du bist noch Jungfrau, hab ich recht?« Er erwartete keine Antwort. Es war nur ein laut gedachter Gedanke. »Mein Finger konnte nicht in dich eindringen. In dir war noch kein Mann ... Du hast den Alten geheiratet . . . vielleicht hast du gewußt, daß er dich nicht nehmen kann. Hattest wohl keine Lust, seine Zudringlichkeiten länger zu ertragen? Oder hast du ihm bereits in der Hochzeitsnacht Gift gegeben, damit du ihn nicht in deinem Bett haben mußtest?«

»Du sprichst wie ein Rohling ohne Verstand. Es ärgert dich wohl, daß ich es vorgezogen habe, einen alten Mann zu heiraten, als deine Frau zu werden?« Sie sprach voller Hohn, und er wünschte, den Mund gehalten zu haben. »Was hätte ich mir wohl eingehandelt, wenn ich so dumm gewesen wäre, dich zu nehmen . . . einen starken Mann, so sanft und zärtlich, daß er eine hilflose Frau vergewaltigen muß. All die wunderschönen Versprechungen, die du mir gemacht hast, waren Lügen, die Lügen eines barbarischen Wikingers.«

Plötzlich baute er sich drohend vor ihr auf. »Ich habe nicht gelogen! Ich hätte dich geliebt und dich mit meinem Leben beschützt. Ich hätte dir alles gegeben, was ich bin, was ich besitze, aber du hast den alten Mann vorgezogen. Du hast ihn umgebracht, Zarabeth, darüber gibt es keinen Zweifel. Ich habe alle Zeugen gehört, bevor du dem König vorgeführt wurdest. Sie alle haben bestätigt, daß du es auf den Reichtum des alten Mannes abgesehen hast, daß du ihn am Gängelband hattest. Und weil er dich begehrte, hat er dir seinen ganzen irdischen Besitz vermacht. Hör endlich auf, mir die Unschuldige vorzuspielen.«

Er schlug die Felle zurück und ging. Sie saß da, hielt Lotti immer noch umschlungen und wünschte sich den Tod. Doch sie durfte nicht sterben, Lotti zuliebe, ihrer tapferen, kleinen Schwester. Diesmal hatte das Kind sie gerettet. Und beim nächsten Mal? Ihr war klar, daß er ihr irgendwann seinen Willen aufzwingen würde.

Magnus stapfte verärgert die Mittelplanken entlang. Hätte einer der Männer gelacht, hätte er ihn kaltblütig über Bord geworfen. Doch keiner wagte auch nur ein schiefes Grinsen. Er war verärgert, sein Körper verkrampft, seine Kopfhaut brannte, wo Lotti ihn wütend an den Haaren gezogen hatte. Plötzlich blieb er stehen und sagte zu seinen schweigenden Männern: »Die Kleine kann nichts hören. Seid vorsichtig, wenn ihr mit ihr spielt. Es soll ihr nichts Böses geschehen.«

Tostig hob erstaunt den Kopf. »Wir wissen doch, daß sie nicht hören kann. Hältst du uns für blöde?«

»Ja«, stimmte Horkel ihm zu. »Aber die Kleine lernt rasch. Ich habe ihr ein Wort beigebracht — >Rabe<. Sie kann es fast schon richtig aussprechen.«

»Sie ist ein kluges, kleines Ding«, fügte Ragnar, wenn auch mürrisch, hinzu. Er würde seine Wut über die hinterhältige Irin nicht an der Kleinen auslassen. Sein Kopf schmerzte immer noch von dem Schlag, den die Hexe ihm versetzt hatte. »Sie hat meine Finger und Zehen gezählt.«

»Und warum habt ihr sie reingelassen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, begab Magnus sich mit einer wegwerfenden Handbewegung zum Heck des Schiffes.

Was war er bloß für ein Narr gewesen. Er hatte nicht bemerkt, daß das Kind nicht hören konnte, aber seine Männer hatten das ganz schnell begriffen. Seine Blindheit erschreckte ihn. Er war der Herr dieses Schiffes, der Anführer seiner Männer, alle gehorchten seinen Befehlen, und es war ihm nicht aufgefallen, daß das Kind kein Gehör hatte.

»Die Kleine hat ihre Schwester gerettet«, sagte Horkel in die Runde und warf Magnus einen Blick zu, der mit dem Rücken zu ihnen auf einer Kiste hockte. »Aber bald nimmt er sie doch, schätze ich.«

»Aber er wird dem Kind nichts antun.«

Lotti wich nicht mehr von Zarabeths Seite.

In der Nacht gab es ein Unwetter. Vom Himmel zuckten grelle Blitze. Der Donner polterte ohrenbetäubend, und Zarabeth kauerte vor Entsetzen gelähmt mit Lotti auf dem Schoß und stammelte beruhigende Worte, um nicht nur Lotti, sondern auch sich selbst zu beruhigen. Vom Sturm gepeitscht schoß das Boot die Wellen steil nach oben, um an den Kämmen mit rasender Geschwindigkeit und ohrenbetäubendem Getöse in den brausenden Wellenschlund zu stürzen. Die Wellen krachten über dem Boot zusammen, die Männer schöpften wie wild Wasser. Magnus' Stimme brüllte Befehle, die das Toben der Elemente kaum zu übertönten vermochten. Der mächtige Mast knarrte und schwankte bedenklich. Die Männer beeilten sich, ihn umzulegen, damit der Sturm ihn nicht zersplitterte. So sehr Zarabeths Gefühle für Magnus schwankten, tief im Innern wußte sie, daß sie den Sturm mit heiler Haut überstehen würden, weil Magnus den Elementen zu trotzen verstand. Und plötzlich wurde sie ganz ruhig. In diesem Punkt konnte sie ihm völlig vertrauen. Bald darauf schlief sie ein.

Als Magnus gegen Morgen den Frachtraum betrat, nachdem der Sturm sich beinahe gelegt hatte, huschte der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht, als er Zarabeth und Lotti eng umschlungen, friedlich schlafend vorfand. Er breitete eine Wolldecke über die beiden, denn es war kühl geworden. Zarabeth schlug plötzlich die Augen auf und sah Magnus an. Schweigend drehte er sich um und ging.

Spät am Nachmittag lief die Seewind in den Hafen von Hedeby ein, eine enge Meeresbucht, von der offenen See durch Holzpalisaden geschützt, die in einem weiten Halbrund in das Wasser gerammt waren. Die Stadt war zum Landesinneren von hohen halbmondförmigen Befestigungswällen umgeben. Etwa ein Dutzend Wikinger Handelsschiffe waren an Land gezogen, denn es gab nur einen Steg, an dem zu beiden Seiten je ein Boot vertäut lag. Von den Häusern innerhalb des Befestigungswalles stieg Rauch auf, der sich wie eine Dunstglocke über die Stadt legte. Die Wege waren mit Holzplanken belegt und verbanden die Häuser miteinander. Es gab mehr Menschen als in York. Und alle schienen es eilig zu haben und einer wichtigen Tätigkeit nachzugehen.

Die Männer sprangen ins seichte Wasser und zogen die Seewind an Land. Magnus rief ihr zu: »Nimm Lotti auf den Arm und folge mir.«

Bald hatte sie festen Boden unter den Füßen, und Lotti blickte mit großen Augen auf die eilig dahinhastende Menschenmenge. Magnus und seine Leute wurden ehrerbietig gegrüßt. Doch der Wikinger hielt sich bei niemandem auf. An Zarabeth gewandt befahl er knapp: »Halte dich dicht hinter mir und trödle nicht. Ich habe keine Zeit mit dir zu verlieren.«

Sie folgte ihm, neugierig die neue Umgebung musternd. Sie sah Sklaven, die Lasten auf ihren Rücken schleppten; Frauen, die Wasser in Holzeimern von einem Brunnen in der Mitte eines Platzes trugen. Stämmige Händler boten ihre Waren vor ihren Läden an. Ein Runenmeister trieb magische Zeichen in ein Bronzegefäß;

ein Schmied hämmerte vor seiner Werkstatt an einem Schwert. An einer Holzhütte blieb Magnus schließlich stehen, vor der eine alte Frau kauerte, die Zarabeth mit zahnlosem Mund anlächelte. »Das ist eine Badehütte«, sagte Magnus. »Wasch dich und Lotti gründlich. Ich bin bald zurück. Und rühr dich hinterher nicht von der Stelle.«

Wohin hätte sie wohl gehen sollen. Sie nickte nur und folgte der alten Frau in die Hütte. Das Innere war in heißen Wasserdampf gehüllt. In der Mitte stand ein großer Holzzuber, mit breiten Eisenbändern beschlagen, in dem zwei Leute Platz gefunden hätten. Die Frau händigte Zarabeth ein großes Stück Seife aus und ging. Am Eingang sagte sie über die Schulter: »Dein Gemahl holt frische Kleider von seinem Boot.«

Mein Gemahl. Sie nickte nur. Dann wusch und schrubbte sie Lotti mit solcher Hingabe, daß die Kleine sich irgendwann ihrem Zugriff entzog. Sie wickelte das Kind in ein großes Leinentuch und setzte es auf die geflochtene Matte, die in einer Ecke der Hütte lag, nahm ihr kleines Gesicht in die Hände und sagte langsam: »Mach dich nicht wieder schmutzig, mein Liebling. Ich bin gleich bei dir.«

Zarabeth saß mit geschlossenen Augen im Zuber und legte den Kopf in den Nacken. Plötzlich riß sie die Augen auf, etwas hatte sich verändert. Magnus stand über ihr und starrte sie an, mit diesem eigentümlichen Ausdruck im Gesicht. Ihre Hände flogen hoch, um ihre Brüste zu bedecken, doch ihr nasses Haar schützte sie vor seinen zudringlichen Blicken.

»Ich habe euch beiden saubere Sachen zum Anziehen gebracht.«

Dann kauerte er neben Lotti, die ihn mit wachsamen Augen ansah. Lächelnd holte er einen Hornkamm aus seiner Tunika. Behutsam und mit großer Geduld kämmte Magnus ihr das Haar. Lottis Gesicht entspannte sich bald, und wenn er sie unsanft ziepte, schlug sie ihm mit ihrer kleinen Faust gegen die Brust. Magnus lachte und sagte ihr, sie soll stillhalten und kämmte sie geduldig, bis ihr das Haar seidig glänzend über die Schulter fiel. Dann stand er auf. »Ich muß jetzt gehen. Zöpfe kannst du ihr flechten.«

Zarabeth blickte noch lange zur Tür, nachdem er verschwunden war. Dieser Mann gab ihr Rätsel auf.

Es dauerte ziemlich lang, bis sie sich angezogen und gekämmt hatte. Ihr Magen begann zu knurren. Am Morgen hatte sie nur einen Streifen gesalzenes Trockenfleisch gegessen. Sie nahm Lotti bei der Hand und trat mit ihr aus der Hütte.

Das emsige Treiben war nicht weniger geworden. Die Menschen hasteten umher oder standen schwatzend und lachend in Gruppen beisammen. Von ferne hörte sie Gesänge.

Die alte Frau war nirgends zu sehen. Die Sonne wärmte noch immer, und Zarabeth ließ sich auf einer Matte vor der Tür nieder und nahm Lotti auf ihren Schoß.

Sie bemerkte den kräftig gebauten, dunkelhaarigen Mann nicht sofort, der sich ihr näherte. Dann fiel ihr sein Lächeln auf. Dankbarkeit über ein freundliches Gesicht stieg in ihr auf, und sie erwiderte sein Lächeln.

»Guten Tag, Herrin«, grüßte er, als er nahe genug war. »Genießt Ihr mit Eurer Tochter die Sonne?«

»Ja. Nach einem erfrischenden Bad.« Sie wies ins Innere der Hütte. »Wir waren beide ziemlich schmutzig.«

»Jetzt nicht mehr«, sagte er und stand plötzlich zu nah. Zarabeth hob Lotti von ihrem Schoß, stand eilig auf und hielt das Kind eng an sich gedrückt.

»Nein.« Sie bemühte sich immer noch zu lächeln. »Jetzt nicht mehr.« Es gab gewiß keinen Grund, sich vor diesem Mann zu fürchten. Es waren Dutzende von Menschen in der Nähe. Er wollte nur nett zu ihr sein. »Ich bin zum ersten Mal in Hedeby. Hier gibt es viel mehr Leute als in York.«

Sein Lächeln wirkte irgendwie eingefroren, er achtete nicht auf ihre Worte. »Stimmt es, daß Ihr mit Magnus Haraldsson auf der Seewind gekommen seid?«

Sie nickte, argwöhnisch geworden, ohne zu begreifen, was der Fremde wollte.

»Er ist ein Narr.« Der Mann streckte seine Hand aus und strich sanft über eine ihrer feuchten Haarlocken. Sie wich langsam zurück. Er lächelte immer noch. »Du bist schön.« Dann berührte er ihren Arm und riß sie plötzlich an sich, daß sie das Gleichgewicht verlor. »Er ist ein Narr, dich hier ohne Schutz zu lassen. Ja, du bist sehr schön.« Wieder berührte er ihr Haar und wand sich eine kräftige Locke um die Faust. Sie sah den Hunger in seinen Augen und wußte Bescheid. »Eine solche Farbe habe ich nie zuvor gesehen. Und diese Augen — ein Grün, von dem ein Mann nur träumen kann. Ich will dich haben. Komm mit mir, und ich befreie dich von diesem Magnus. Er ist ein grausamer Mann, das wissen alle, ein wilder Normanne, der keine Ahnung hat von den geheimen Wünschen eines süßen und sanften Geschöpfes, wie du es bist. Er wird dir nur wehtun, vielleicht bringt er dich sogar um, wenn er dich verprügelt. Komm mit mir, schnell. Ich sorge für dich, behandle dich wie eine Königin. Komm schnell, komm!«

»Geh weg und laß mich zufrieden!«

»Hab keine Angst vor mir. Ich würde nie einer solchen Schönheit etwas zuleide tun. Man sagt, du bist seine Sklavin. Du wärst eine Närrin, wenn du bei ihm bleibst. Komm mit mir.«

Blitzschnell beugte er sich über sie, riß ihr den Kopf an den Haaren zurück und küßte sie hart auf den Mund.

Kurz darauf hörte sie einen wütenden Aufschrei. Er kam von Magnus. Im nächsten Augenblick wurde der Mann von ihr weggerissen. Von Magnus' Faustschlag getroffen taumelte er rückwärts und stürzte zu Boden.

Magnus stand über ihm mit einem Messer in der Hand. »Du wagst es, etwas anzufassen, was mir gehört, du feiger Hund?«

Der Mann rieb sich die Backe und rappelte sich auf. Verärgert hob er die Schultern und sagte abfällig: »Die Frau hat mir schöne Augen gemacht, mich zu sich gewinkt und schöne Worte zu mir gesagt. Würdet Ihr Euch nicht nehmen, was eine Dirne Euch anbietet?«

Zarabeth schüttelte den Kopf und schrie gellend: »Er lügt! Er . . .«

»Halt den Mund!« Magnus wandte sich wieder dem Mann zu, fletschte ihn mit verengten Augen an: »Geh mir aus dem Weg, sonst schlitz ich dir die Kehle auf.«

Der Mann warf Zarabeth ein bedauerndes Lächeln zu und machte sich eilig aus dem Staub. »Er lügt, Magnus«, sagte sie wütend. »Er lügt! Er kam zu uns herüber und redete freundlich mit mir. Und plötzlich packte er mich an den Haaren und verlangte, ich solle mit ihm gehen. Ich sagte, er solle mich in Frieden lassen, ich schwöre es.«

»Genug!« befahl er barsch. »Wie konnte ich bloß denken, ich könne dir auch nur einen Augenblick trauen! Du verfluchte Schlampe! Ich weiß, was du brauchst. Komm!«

Er packte ihren Arm und zog sie hinter sich her. Lotti lief neben ihr her, sich an ihren Rock festklammernd. Er zerrte sie an etwa einem Dutzend Hütten vorbei bis zum Schmied. Dort stieß er sie ins Innere.

Sie wußte nicht, was er mit ihr vorhatte. »Was tun wir hier?«

»Du bist eine Sklavin und es ist Zeit, daß du das Zeichen trägst.«

Dann wußte sie Bescheid. »Nein, bitte Magnus.«

Er achtete nicht auf sie und sprach mit dem Schmied.

Bei Sonnenuntergang ging Zarabeth neben Magnus zurück zur Seewind. Er trug Lotti auf dem Arm.

Um ihren Hals lag das Eisenband der Sklaven.

Im Schatten der Mitternachtssonne
titlepage.xhtml
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_001.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_002.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_003.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_004.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_005.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_006.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_007.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_008.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_009.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_010.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_011.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_012.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_013.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_014.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_015.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_016.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_017.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_018.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_019.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_020.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_021.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_022.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_023.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_024.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_025.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_026.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_027.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_028.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_029.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_030.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_031.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_032.html
Wikinger_0_Im_Schatten_der_Mitt_split_033.html