1
York, Hauptstadt von Danelagh
Ihr Name war Zarabeth. Sie war die Stieftochter des Dänen Olav des Eitlen, eines reichen Pelzhändlers aus Jorvik, oder York, wie die ansässigen Angelsachsen es nannten. Sie war nicht die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Seine Sklavin Cyra sah verführerischer aus, war üppiger ausgestattet als diese Frau. Sie hatte nicht das blonde, in der Mittagssonne beinah weißschimmernde Haar der Frauen und Männer seines Heimatlandes. Ihr Haar war feuerrot, ein leuchtendes Rot, ein Rot wie Blut, wenn die Sonne es nicht durchglühte. Sie trug es offen in sanften Locken über den Rücken fallend, gelegentlich auch in zwei schweren Zöpfen, die sie hochsteckte. Dieses Haar mußte ein Erbe der Mutter sein, die von der Insel im Westen stammte, die man Irland nannte. Er hatte die Garnison in Dublin vor einigen Jahren angelaufen, um Sklaven zu kaufen und Handel zu treiben mit Elfenbein von Seehundzähnen, Pelzen, Hirschgeweihen, Gefäßen und Schmuck aus Speckstein. Wie es hieß, vermehrten sich die Iren wie die Karnickel, und solch auffallend rotes Haar war bei diesen Menschen häufig zu finden. Auch die Augen der Frau hatten eine seltsame Farbe, ein merkwürdiges Grün, ein Farbton, der ihm in Irland nicht aufgefallen war, ein Grün, das ihn an nasses Moos erinnerte. Er betrachtete sich gelegentlich in einer polierten Silberplatte und wußte daher, daß seine Augen — wie die seiner Landsleute — blau waren wie der Himmel, wenn er friedlicher Stimmung war, und tiefblau wie der Oslofjord, wenn der Zorn ihn packte. Seine Mutter Helgi hatte ihn einmal mit der Bemerkung in Verlegenheit gebracht, das Blau seiner Augen sei so glatt und warm wie das Ei einer Drossel.
Zarabeth war hochgewachsen, eigentlich zu groß für eine Frau, doch er war ein großer Mann und überragte sie um mehr als eine Hauptlänge, deshalb scherte er sich nicht viel darum. Dalla, seine erste Frau, war klein gewesen, sie reichte ihm kaum bis zur Brust, und er war sich oft vorgekommen, als hielte er ein Kind im Arm, nicht ein Weib.
Er betrachtete Zarabeth aus ziemlicher Nähe und sah ihre weiße Haut, die makellos wie frisch gefallener Bergschnee schimmerte.
Wenn sie lächelte, bildeten sich Grübchen in ihren Wangen. Dieses Lächeln zog ihn in seinen Bann. Schade, dachte er, daß kein Wikingerblut in ihren Adern floß; er bedauerte es ein bißchen.
Nein, sie war nicht die schönste Frau, die er je gesehen hatte, dennoch begehrte er sie stürmischer als je eine Frau zuvor. Er wollte mit ihr das Lager teilen, tief in ihr weibliches Fleisch eindringen und sich in ihr ergießen. Er wollte auch mit ihr reden, ihr seine Träume und Pläne mitteilen. Er wollte mit ihr nach Hedeby segeln, dem südlich gelegenen Handelshafen an der Mündung des Flusses Schlei, die Verbindung zum Baltischen Meer. Nördlich von Hedeby und der Inselgruppe der Schären lag die zerklüftete Südspitze Schwedens, nur zwei Tagesreisen auf See von York entfernt. Er wollte mit ihr durch den Großen Sund, der sich im Süden in das Baltische Meer öffnete, um dann die Dvina flußaufwärts und zum oberen Dniepr weiter nach Kiew zu segeln. Vielleicht würde er mit ihr über Kiew hinausfahren bis zu der goldenen Stadt am Schwarzen Meer, von den Wikingern Miklagard und von anderen Völkern Konstantinopel genannt. Und ebenso plötzlich, mit ebensolcher Heftigkeit dachte er an Kinder mit ihr, flachsblonde Knaben und Mädchen mit leuchtendroten Haaren. Er sah einen Knaben vor sich mit grünen Augen wie nasses Moos.
Er, Magnus Haraldsson, war ein 25 Jahre alter Jarl, ein Edelmann, und zweiter Sohn von Herzog Harald. Er besaß das Gehöft Malek, das ihm von seinem Großvater vermacht worden war. Sein Boden war reich und fett, im Gegensatz zu den steinigen Böden im Süden Norwegens, die sich nicht zum Ackerbau eigneten. Seine Erde brachte ihm gute Ernten von Gerste, Weizen und Roggen. Magnus war auch Handelsmann, dem sein Vater nicht ohne Stolz einen gewitzten Geschäftssinn bescheinigte. Und er besaß sein eigenes Schiff, die Seewind. Dazu besaß er ein Dutzend Sklaven, die er bei seiner letzten Fahrt gekauft hatte. Für ihn arbeiteten die Anführer kleiner Stämme im Tausch gegen Ländereien, wo sie Ackerbau treiben konnten, um ihre Familien zu ernähren. Viele dieser Edelmänner waren seine Freunde, sie segelten nicht nur mit ihm in die Handelszentren, sondern boten dort auch ihre eigenen Waren an.
Magnus war mit siebzehn eine von seinen Eltern arrangierte Heirat eingegangen, und er hatte einen Sohn, Egill, der nun bald acht Jahre alt war. Seine Frau Dalla, auch sie noch ein halbes Kind, war zwei Jahre nach der Geburt des Sohnes gestorben. Er hatte um sie getrauert, als habe er einen Spielgefährten verloren. Im Verlauf der Jahre, als er älter wurde und sich mit vielen Frauen vergnügt hatte, glaubte er, keine zweite Frau und keine weiteren Kinder zu brauchen. Er verachtete verheiratete Männer als an Haus und Herd gebundene Schwächlinge, selbst wenn sie vier Monate im Jahr auf See und mit Raubzügen verbrachten. Doch mit einem Mal dachte er anders darüber. Seine derzeitige Bettgenossin Cyra interessierte ihn nicht mehr, obschon sie sanftmütig war, zumindest in seiner Gegenwart, und ihm körperliche Lust bereitete.
Während er Zarabeth beobachtete, dachte er an seinen Sohn, der eine Mutter brauchte, war aber ehrlich genug, sich einzugestehen, daß Gedanken an Egills Wohlergehen nicht im Vordergrund seiner Überlegungen standen.
Er wollte sie haben, und er würde sie bekommen.
Beim Klang ihres Lachens hob Magnus den Blick zu ihrem Gesicht. Melodisch, kehlig und frei klang dieses Lachen. Er sah ihre Grübchen, die weißen Zähne, und er war vollends verzaubert. Ihre Brüste hüpften mit ihrem Lachen, das sein Herz erwärmte; die Bewegung ihrer Brüste machte ihn hart wie Stein. Am liebsten hätte er sie sich über die Schulter geworfen, sie in den Wald getragen und sie unter den tiefhängenden Zweigen einer Föhre bestiegen.
Ihr Stiefvater, Olav der Eitle, war ein wohlhabender Mann; ihr Brautpreis würde entsprechend hoch sein, höher als die meisten Männer bezahlen konnten. Doch er würde bezahlen, obschon er Olav den Eitlen verachtete, der bei vielen Wikinger Kaufleuten den Beinamen Olav der Betrüger hatte. Er redete mit großen Gesten, blendete seine Umgebung mit unvermuteten Ausbrüchen von Großmut, drehte er sich daraufhin um, betrog er genau dieselben Leute in kleinen Dingen. Er war schwierig zu durchschauen, hochmütig und engstirnig, gab sich aber großzügig und war im Herzen ein Kleinkrämer. Magnus hätte gerne gewußt, wie er seine Stieftochter behandelte.
Zunächst galt es, diese Zarabeth kennenlernen, ein Name, der ihm nicht leicht über die Zunge kam, der fremdländisch und geheimnisvoll klang. Er hatte sich irgendwie verändert, seit er sie zum ersten Mal vor zwei Tagen gesehen hatte. Er zauderte, beobachtete sie wie ein hungriger, junger Wolf, ging nicht wie gewohnt direkt auf sein Ziel los. Diese plötzliche Unsicherheit, dieser Mangel an Selbstvertrauen erstaunte und verärgerte ihn. Schließlich war sie nur eine Frau, dem Mann untertan. Sie mußte seinen Befehlen gehorchen: er würde sie den rechten Weg führen — doch noch hatte er ihren Weg nicht einmal gekreuzt. Der Aufruhr an Gefühlen, den sie in ihm auslöste, war ihm lästig. Sie weckte seinen Beschützerinstinkt, löste Zärtlichkeit in ihm aus. Plötzlich blitzte es schelmisch in ihren Augen, und er lächelte, hätte gerne ihre Gedanken gewußt.
Aber er redete sich immer wieder ein, daß sie nur eine Frau war, der er seinen Willen aufzwingen, die er bald besitzen würde. Dann würde sie nur für ihn lachen, und ihre Brüste würden nur für ihn lustvoll auf und ab hüpfen. Er war Magnus Haraldsson, Herr seines eigenen Gehöftes. Malek würde ihr gefallen, und das Gravaktal kannte nichts Vergleichbares an Schönheit. Sie würde nicht einsam sein, da seine Eltern und sein älterer Bruder nicht weit weg wohnten, und Kaupang lag nur eine Tagesreise mit dem Schiff entfernt, die Handelsstadt an der Westküste Norwegens, direkt am Oslofjord.
Sie hatte sich in Bewegung gesetzt, und er löste sich von dem Türstock, gegen den er lehnte. Sie nahm ein kleines Mädchen an die Hand, das still neben ihr stand, beugte sich zu ihr und redete leise auf das Kind ein, dabei machte sie seltsame Handbewegungen. Dann richtete sie sich auf, verabschiedete sich lächelnd von den Frauen, mit denen sie geplauscht hatte und schritt über den Platz mit dem Stadtbrunnen. Dabei wich sie anmutig den Schmutzpfützen und Kothaufen aus, verscheuchte Fliegen, die scharenweise im Schmutz summten. Ihr herrliches, rotes Haar glühte wie Feuer in der frühen Nachmittagssonne. Sie war schlank, und unter dem weichen Wolltuch ihres Gewandes verbargen sich gewiß stramme, weiße Hinterbacken. Es kribbelte ihm in den Fingern bei dem Gedanken, ihr Fleisch zu kneten.
Dann runzelte er die Stirn. Sie war kein junges Mädchen mehr. Sie mußte mindestens achtzehn Jahre alt sein, älter als die meisten Frauen, die bereits verheiratet waren und Säuglinge an den Brüsten nährten. Nicht Zarabeth, Stieftochter von Olav dem Eitlen. Forderte ihr Stiefvater einen zu hohen Brautpreis für sie? Wieso war sie noch unverheiratet? War sie zänkisch? Schätzte er sie falsch ein?
Gelegentlich durften Frauen einen Bewerber ablehnen. Vielleicht gewährte Olav der Eitle ihr dieses Recht, und sie war noch keinem Mann begegnet, den sie zum Ehemann haben wollte.
Er lächelte. Ihn würde sie nicht ablehnen; daran hegte er keinen Zweifel. Er würde schon dafür sorgen.
In der Straße der Zimmerleute, dem Coppergate, blieb sie erneut stehen und redete mit dem Goldschmied, einem Mann, dessen Vater und Großvater vor ihm bereits Armbänder und Ringe gefertigt hatten, in feinstes Silber und Gold gefaßten honigfarbenen Bernstein vom Baltischen Meer oder Gagat, dem schwarzen Bernstein, aus der Gegend um Whitby. Sie verabschiedete sich, beschleunigte ihre Schritte und strebte einem großen Haus mit Wänden aus schweren Eichenplanken und einem Dach aus kunstvoll geschichteten Holzschindeln zu. In York standen sämtliche Häuser dicht aneinander gedrängt, in den engen Gassen zwischen den Häusern stank es erbärmlich und sie waren düster und nicht ungefährlich, da sich allerlei Gesindel darin herumtrieb.
Magnus blieb stehen und zog seinen Wolfspelz enger um die Schultern. Seine Finger tasteten nach der ziselierten Goldbrosche, die den Pelzumhang an der Schulter festhielt. Die Brosche hatte er letztes Jahr in Birka gegen drei Otternhäute getauscht.
Ein scharfer Wind war aufgekommen, und er war froh um den Wolfspelz. Plötzlich ärgerte ihn seine Unentschlossenheit. Er war schließlich nicht nur ein reicher Gutsherr und Handelsmann, er war der Sohn eines Herzogs, eines Jarls; ein Edler, erzogen zu herrschen und zu befehlen.
Eine Frau mit fremdländischem Namen und fremdartiger Haarfarbe machte ihn unsicher, verschaffte ihm dieses warme, beklemmende Gefühl in der Brust. Wütend und unwirsch wandte er sich um und kehrte auf sein Schiff zurück.