11

Magnus lachte über das Entsetzen in ihren Augen, dann las er ihre Verzweiflung und zog die Stirn in Falten. Rasch packte er zu.

»Du hast das Rennen verloren, Zarabeth.« Er drehte sie zu sich herum, froh, sie so rasch gefunden zu haben. Die blanke Angst in ihren Augen ließ ihn zögern. Blitzschnell riß sie sich los, zog das Messer aus den Falten ihres Kleides und fischte ihn zähnefletschend an: »Bleib mir vom Leib, Magnus! Ich steche zu. Ich verlasse York und dich. Du hast dich geweigert, Lotti zu holen. Ich konnte sie nicht bei Toki lassen. Nun gehe ich, ob es dir paßt oder nicht. Rühr mich nicht an!«

Er lachte über ihren Zorn. Er lachte sie aus! Das Blut pochte in ihren Schläfen, sie zitterte vor Zorn und Angst, fuhr herum und rannte los. Es war eine törichte und sinnlose Flucht. Er packte sie und riß sie herum. In ihrer Panik konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Ihr rechter Arm schnellte hoch mit dem gezückten Messer in der Hand.

Verblüfft wegen der gegen ihn gerichteten Waffe lockerte er seinen Griff, und wieder gelang es ihr, sich loszureißen. Doch das Kind war zu schwer für sie, um Lotti auf die Erde zu stellen, und Magnus warf sich auf sie. Jetzt lachte er nicht mehr.

»Rühr mich nicht an!«

Seine Bewegungen waren langsam, gelassen abwägend. Sie wich zurück. Sie würde das Messer benutzen, wenn er sie dazu zwang. Dann hörte sie Lottis Wimmern, ihre entsetzte, dünne Stimme, und sie warf dem Kind einen Blick zu. Magnus nutzte seine Chance, packte zu und drehte ihr den Arm um, der das Messer hielt.

Der Schmerz schoß ihr bis zur Schulter hoch, sie konnte einen Schrei nicht unterdrücken und versuchte, sich ihm zu entwinden. Er war doppelt so stark wie sie.

Mit der freien Hand schlug sie gegen seine Brust, in sein Gesicht, doch er drehte ihren rechten Arm umso mehr, bis sie stöhnend in die Knie ging. Er drehte weiter, bis ihr das Messer entglitt und klirrend zu Boden fiel.

Lotti rannte schreiend zu ihr. Es war das Kind, das seine Wut besänftigte. Er konnte nicht zuschlagen, wenn das kleine Mädchen schluchzend daneben stand und versuchte, seine Schwester zu beschützen.

Er stand drohend über der Sklavin, atmete tief durch, um seine Beherrschung wieder zu erlangen. Das kunstvoll gearbeitete Messer lag locker in seiner Haand. »Ich habe dieses Messer für einige verzierte Specksteinschalen getauscht. Es ist ein Geschenk für meinen jüngeren Bruder Jon. Ich hätte mich sehr geärgert, wenn es dir gelungen wäre, damit zu entkommen. Ich hätte Pferde kaufen müssen, um dich zu verfolgen. Aber du hast es mir leicht gemacht, Zarabeth. In Olavs Haus fand ich die schluchzende Toki und ihren verstörten Ehemann. Sie behauptete, du hättest versucht, sie umzubringen. Sie befahl Keith, zum Ältestenrat zu gehen und dich steinigen zu lassen, wie es einer Giftmischerin gebührt. Ich versprach Keith, für deine Bestrafung zu sorgen; keiner der beiden brauchte Angst vor dir haben. Wie du dir vorstellen kannst, hielt Toki nicht viel von meiner Zusage. Sie will dein Blut sehen. Sie zeigte mir die Würgemale an ihrem Hals. Sie muß Olav sehr zugetan gewesen sein, da sie seinen Mord so eifrig rächen möchte. Ich werde mich um deine Bestrafung kümmern, Zarabeth. Steh auf, ich möchte auf mein Schiff zurückkehren. Und dann werde ich entscheiden, was mit dir geschehen soll.«

Ihr Handgelenk brannte wie Feuer. Atemlos blickte sie zu ihm auf. »Lotti«, stieß sie hervor. »Ich lasse Lotti nicht allein.«

»Du wagst es, Forderungen zu stellen? Du bist nicht mein Eheweib, du bist meine Sklavin, sonst nichts.«

»Ich lasse Lotti nicht allein«, wiederholte sie betont langsam, ihr Mund war vor Angst und Schmerz ausgetrocknet.

»Bei Odins Wunden, du zwingst mich, dich zu schlagen!« knurrte er. Doch dann sah er Tokis haßerfülltes Gesicht vor sich. Aufgrund der Vorfälle würde sie sich bestimmt an dem Kind rächen. Er blickte auf das kleine Mädchen hinunter, das mit entsetzt verzerrtem Gesicht neben seiner im Staub kauernden Schwester stand, die kleine Hand auf ihrer Schulter. Das Kind war unschuldig. Er seufzte.

»Steh auf. Ich muß aufs Schiff zurück. Du hast mich sehr verärgert und mir nur Scherereien gemacht. Ragnar ist so wütend auf dich, daß er dich am liebsten umbringen würde.«

»Das ist mir egal.«

»Es wäre dir nicht mehr egal, wenn ich dich Ragnars Willkür überlassen würde.« Er hatte Mitleid mit ihr, denn er hatte sie besiegt, ihr Wille war gebrochen, sie kauerte wie ein jämmerliches Häufchen Elend zu seinen Füßen. Er würde dem Kind nicht wehtun. »Steh auf. Das Kind kommt mit uns.«

Zarabeth hob den Kopf, ungläubig, argwöhnisch. »Schwörst du das?«

Irritiert schnappte Magnus zurück. »Ich lüge nicht wie du. Ich sage es nicht noch einmal.«

Er machte keine Anstalten, ihr aufzuhelfen. Zarabeth kam mühsam auf die Füße, streckte die Arme nach Lotti aus, doch Magnus hinderte sie daran. »Du bist müde und hältst mich bloß auf. Sag dem Kind, es braucht keine Angst vor mir zu haben. Ich trage sie.«

Zarabeth bückte sich und strich zärtlich über Lottis weiches Haar. »Hör zu, mein Liebling. Du mußt dich nicht vor Magnus fürchten. Er ist groß und stark, aber er tut dir nicht weh. Nein, bleib ruhig. Ich verspreche es dir. Laß dich von ihm tragen, mein Liebling.«

Magnus warf ungeduldig ein: »Kann das Kind dich nicht verstehen? Mußt du mit ihm reden wie in einer fremden Sprache?«

Zarabeth achtete nicht auf ihn. Endlich nickte Lotti, und Zarabeth wandte sich an Magnus. »Sie läßt sich von dir tragen. Bitte Magnus, sie kann nichts dafür. Sie ist ein kleines Kind. Tu ihr nicht weh.«

»Ich bin doch kein Ungeheuer. Ich tue Kindern nicht weh.«

»Lüge nicht! Ich weiß, was ihr Wikinger den Menschen antut — auch Kindern — auf euren Raubzügen! Ihr spießt sie auf Eure Schwerter. Ihr werft sie . . .«

»Halt den Mund. Ich tue ihr nicht weh. Im Gegensatz zu dir, Zarabeth, lüge ich nicht.«

Seufzend schwieg sie. Sie glaubte ihm. Wenigstens war Lotti bei ihr. Sie hatte irgendwie gesiegt, wenn man den Umstand, Sklavin zu sein, einen Sieg nennen konnte.

»Wenn du aus York entkommen wärst, wo wärst du denn hingegangen?« Seine Stimme klang belustigt, als er neben ihr herging, Lottis Kopf an seine Schulter gebettet.

»Ich weiß nicht. Vielleicht nach Wessex zum Hof des Großkönigs Alfred. Dort hätte mich vielleicht eine reiche Dame in ihre Dienste genommen, ich hätte Näharbeiten verrichten können.«

Er schnaubte verächtlich. »Deine Dummheit erstaunt mich. Du hättest keine Stunde überlebt. Da draußen laufen gesetzlose Banditen herum, und du bist eine schutzlose Frau. Man hätte dich so lange vergewaltigt, bis du verblutet wärst. Jetzt bist du in Sicherheit, weil dich ein starker Mann beschützt. Du wirst für mich nähen und tun, was ich dir befehle. Du wirst rasch lernen zu gehorchen, denn ich habe die endlosen Scherereien mit dir satt.«

Sie schwieg, den Blick geradeaus gerichtet. Sie kamen an Leuten vorbei, die sie kannten. Die Menschen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Sie kamen an vertrauten Häusern vorbei, an kleinen Gärten. »Ich werde York vermissen.«

»Ja«, sagte Magnus gedehnt und spöttisch. »Eine Stadt mit freundlichen Bewohnern und von großer Schönheit und wundersamen Wohlgerüchen.« Abfällig wies er auf einen Haufen Dung, von Insekten umschwirrt. »Hör zu, Weib. Diese Leute zeigen nur Neugier, weil du unter meinem Schutz stehst.«

Sie seufzte. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber ich begreife nicht, warum mir niemand geglaubt hat.«

»Ich wünsche deine Unschuldsbeteuerungen nicht länger zu hören. Dort ist mein Schiff. Beeil dich. Wir stechen in See, sobald du deinen Fuß an Bord gesetzt hast.«

Der erste Mann, den Zarabeth an Bord der Seewind sah, war Ragnar. Er hob den Arm, um sie zu schlagen. Sie versuchte, ihm standhaft in die Augen zu sehen, doch die nackte Angst stand ihr im Gesicht geschrieben. Magnus schüttelte den Kopf, und Ragnar ließ widerwillig den Arm sinken. Doch der Haß in seinen Augen veränderte sich nicht. Sie folgte Magnus stumm in den überdachten Frachtraum, wo er Lotti auf einer geflochtenen Matte absetzte. »Bleib hier.«

Zarabeth sank zu Boden, zog Lotti zu sich auf den Schoß. Sie war vor Müdigkeit wie gelähmt. Ihre Flucht war gescheitert, doch Lotti war bei ihr und in Sicherheit, wenigstens so sicher wie sie selbst. Würde man das Kind in Norwegen wie eine Sklavin behandeln? Wie ging man mit Sklaven in dem fremden Land um? Wurden sie geschlagen und schlecht ernährt? Lebten sie unter so bedauernswerten Bedingungen wie im Sklavenlager in York?

Angst kroch durch ihre Eingeweide.

Sie hätte sich so gerne gewaschen; ihr eigener Gestank ekelte sie. Lotti kratzte sich immer wieder eine eitrige Wunde am Ellbogen auf, die dringend gereinigt werden mußte. Zarabeth zupfte Stroh und Erdklümpchen aus dem verfilzten Haar der Kleinen. Wie mochte sie erst aussehen. Doch sie mußte niemandem gefallen. Magnus ging es nur darum, sie zu demütigen. Sie fragte sich, wie grausam er war, ob er sie foltern würde. Mit diesem Gedanken schlief sie ein und rührte sich die ganze Nacht nicht.

Im Morgengrauen machten die Männer die Leinen los. Zarabeth hörte die Rufe der Seeleute. Magnus rief den Männern an den Rudern Befehle zu. Das riesige viereckige Segel würde erst gehißt werden, wenn der Hafen von York hinter ihnen lag.

Das sanfte Schwanken des Bootes brachte Zarabeth zu vollem Bewußtsein. Ihr wäre lieber gewesen, die Nacht hätte angedauert, denn die Dunkelheit bot ihr so etwas wie Geborgenheit.

Als der Wind in das mächtige Segel fuhr, schoß das Boot vorwärts, begleitet vom Jubel der Männer. Nun wurden die Ruder eingezogen, und jeder ging seiner gewohnten Arbeit nach. Zarabeths Magen knurrte. Sie wandte sich an Lotti, nahm ihr kleines Gesicht in die Hände und fragte leise: »Hast du Hunger, mein Liebes?«

Die Kleine machte ein fragendes Gesicht, und Zarabeth wiederholte ihre Worte langsam und machte dabei die Handbewegung des Essens. Lotti nickte eifrig und rieb sich den Bauch. Zarabeth tätschelte ihre Schulter und sagte mehr zu sich selbst: »Ich seh mal nach, ob noch etwas von dem Eintopf übrig ist, den Magnus mir gestern gebracht hat.«

Sie erhob sich und schlug die Otterfelle zurück. Einer nach dem andern starrten die Männer sie an. Magnus beugte sich zu Horkel am Steuerruder. Dann hob er den Kopf und sah sie. Mit Unmut im Blick kam er auf der Holzplanke in der Mitte des Bootes mit raschen Schritten auf sie zu, bückte sich unter dem geblähten Segel hindurch.

»Was willst du?« rief er laut, dennoch hatte sie Mühe, ihn zu verstehen, da der Wind in das flatternde Segel schlug.

Sie wartete, bis er bei ihr war. »Lotti hat Hunger. Hast du etwas zu essen für sie?«

Magnus hatte eine Bitte für ihr eigenes Wohlergehen erwartet, obwohl er seit gestern wissen mußte, daß ihre einzige Sorge ihrer kleinen Schwester galt. Hatte sie denn keinen Hunger, verdammt noch mal? »Verschwinde wieder in deinen Verschlag. Horkel bringt euch beiden Essen.«

Zarabeth nickte und wandte sich zum Gehen. Magnus hielt ihren Arm fest.

»Und komm nicht wieder heraus. Auch wenn du aussiehst wie eine zerlumpte Hexe, sind meine Männer hungrig nach Weibern, wenn sie von zu Hause fort sind. Wenn dir deine Weiblichkeit lieb ist, dann bleib da drin.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Ich binde die Felle zurück, dann bekommst du da drin etwas frische Luft und Helligkeit.«

Zarabeth nickte wieder. Bevor sie unter der Abdeckung verschwand, warf sie einen Blick aufs Meer. Der Wind wehte ihr das Haar ums Gesicht, und sie schmeckte das salzige Meerwasser auf der Zunge. Es wurde kühler, und sie schlang die Arme um ihren Leib. Die Wellen schwappten laut gegen den Bootsrumpf. In der Ferne konnte sie einen Küstenstreifen erkennen.

Sie ging zurück in den Frachtraum. Es dauerte nicht lang, bis Magnus wiederkam. Nicht Horkel. Er trug zwei Holzschalen mit dampfendem Eintopf. Er brachte auch Brot, weiches, frisches Brot, eingehüllt in ein grobes Wolltuch.

»Solches Essen gibt es nicht mehr lang. In fünf Tagen erreichen wir Hedeby, die große Handelsstadt in Dänemark. Dort habe ich einige Geschäfte zu erledigen, bevor wir nach Norden nach Kaupang im Oslofjord segeln.«

Er ist freundlich, dachte Zarabeth verwirrt. Ob er allmählich zur Einsicht kam, daß sie die Wahrheit gesagt hatte? Daß sie nicht gelogen hatte, als sie ihm ihre Zuneigung versicherte? Doch seine nächsten Worte belehrten sie eines Besseren.

»Und du machst meinen Männern keine schönen Augen. Sie nehmen, was ihnen geboten wird, und zum

Dank bekommst du ihre Verachtung. Sie sind mir ergeben. Du bist nur eine Sklavin, die man benutzt. Und das werde ich heute nacht tun. Du müßtest baden, aber das ist mir egal. Mach dich für mich bereit, Zarabeth. Denn ich komme zu dir, wenn es Nacht ist und meine Männer schlafen.« Noch während er sprach, bemerkte Magnus, daß Lotti ihn anstarrte, den Holzlöffel in der Hand haltend. Er hatte das Kind ganz vergessen; kam sich wie ein Narr vor. Schlimmer, er kam sich vor wie ein Mann, der in den Krieg zog, aber seine Waffe vergessen hat; wie ein nackter Mann im Schneesturm. Er bedachte Zarabeth mit einem rachsüchtigen Blick, drehte auf dem Absatz um und ging.

Zarabeth konnte nicht lachen. Sie gab Lotti in Zeichensprache zu verstehen, weiter zu essen. Sie selbst war nicht mehr hungrig. Die frische Seebrise sorgte wenigstens für bessere Luft in dem stickig engen Verschlag.

Die Zeit kroch dahin. Es wurde Nacht und wieder Tag. Die Sonne brannte vom Himmel, und sie wunderte sich, wie die Männer es in der sengenden Hitze aushielten. Sie spielte mit Lotti, lehrte sie Worte, die sie ihr immer wieder vorsagte und die entsprechenden Zeichen dazu machte.

Und sie dachte an Magnus, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte. Die Seewind war an die achtzehn Meter lang und in der Mitte, wo der Mast befestigt war, etwa vier Meter breit. Im Augenblick gab es wenig zu tun, und die Männer saßen an ihren Rudern und redeten miteinander, ohne sich um die Anwesenheit der Frau zu kümmern.

»Tostig sagt, den Brautpreis, den Magnus für sie bezahlt hätte, hat er in Danegeld dem Sohn des Mannes gegeben, den sie vergiftet hat.«

»Ja, sie hat ihn umgebracht, weil sie es auf seinen Reichtum abgesehen hat. Die Frau ist eine dumme Gans. Ich hätte es geschickter angestellt.«

»Aber der Alte hätte dich nicht geheiratet. Du bist zwar ständig brünstig, aber viel zu häßlich. Und außerdem hast du das falsche Ding zwischen den Beinen!«

Die Männer wieherten vor Lachen. Dann sagte einer: »Hübsch ist sie ja, aber genau so blöde. Erst verführt sie Magnus, und dann spuckt sie auf ihn. Warum tut das Weib so etwas? Aber dafür wird sie teuer bezahlen.«

»Ja, wenn Cyra sie in die Finger bekommt ... Bei Thor, die Frau kriegt jeden Schwanz steif. Die Rothaarige wird noch bereuen, was sie getan hat.«

»Und erst Ingunn. Sie ist eine strenge Zuchtmeisterin und hat eine böse Zunge, obwohl sie aussieht wie ein Unschuldsengel. Die Sklavin wird kein leichtes Leben unter ihrer Knute haben.«

Und so ging es immer weiter. Wer mochte wohl diese Ingunn sein? Wer Cyra war, erinnerte Zarabeth nur zu gut. Auch sie war eine Sklavin, doch sie teilte Magnus' Bett. Es kümmerte sie nicht, welche Frau zu ihm ins Bett kroch, so lange sie es nicht war. Sie würde niemals seine Hure sein.

Die Männer stellten Überlegungen an, wann Magnus sie besteigen würde. Sie erinnerte sich an seine Küsse, an seine zärtlichen Umarmungen. Das war vorbei.

Die Zeit schlich dahin. Sie verließ nur einmal am Tag den Frachtraum, um den Kübel mit Exkrementen zu leeren.

Zwei Tage, bevor sie Hedeby erreichten, erwachte Zarabeth plötzlich und wußte, daß etwas nicht in Ordnung war. Sie schnellte hoch, mit einem Schlag hellwach. Lotti war weg. Ein Schauer der Angst durchfuhr sie, und sie stürzte zum Eingang des Verschlags und blieb mit offenem Mund stehen. Lotti saß auf dem nackten Schenkel eines kleingewachsenen Mannes mit dichtem, schwarzen Bart, den sie Tostig nannten. Lachend zeigte er dem Kind verschiedene Seevögel. In der Nähe des Bootes tummelte sich ein Seehund spielerisch im Wasser. Lotti lachte und gestikulierte begeistert, und die anderen Männer scharten sich um sie. Sie war in Sicherheit. Ihr glänzendes, braunrotes Haar umwehte ihr Gesicht. Zarabeth sah verwundert, wie einer der Männer in die Hocke ging und ihr das Haar zu Zöpfen flocht und dabei so sanft mit ihr umging, daß Lotti kaum Notiz davon nahm. Ein anderer Mann brachte ein Lederband zum Vorschein und band den Zopf zusammen. Lotti streckte ihre Hand nach ihm aus. Er lachte und tätschelte ihre Wange, dann seine Beine, und Tostig setzte ihm das kleine Mädchen auf die Knie.

Zarabeth kam aus dem Staunen nicht heraus über die Behutsamkeit, mit der die Männer mit dem Kind umgingen.

Magnus stand untätig am Steuerruder. Sie begab sich wieder unter die Überdachung, setzte sich und lehnte sich an eine Kiste, in der Schalen und Krüge aus Speckstein verpackt waren, die vermutlich in Hedeby auf dem Markt angepriesen werden sollten. Sie schloß die Augen und hatte den Wunsch zu vergessen, wo sie war, und warum sie hier war.

Er trat so plötzlich ein, daß ihr keine Zeit blieb zu schreien oder zu protestieren. Er stand riesig vor ihr, die Sonne im Rücken. Dann zog er die Tierhäute herunter, und es wurde dämmrig in dem kleinen Verschlag.

»Lotti ist gut bei den Männern aufgehoben. Ich habe es satt, zu warten. Jetzt nehme ich dich, Zarabeth.«

Sie rührte sich nicht, starrte ihn ungläubig an. »Warum?«

Er lachte. »Weil ich keine Lust habe, länger zu warten. Du bist meine Sklavin. Wenn ich dich haben will, nehme ich dich.«

Sie sah, daß es ihm ernst war. Sie wich nach hinten bis zur Schiffswand. »Bitte nicht. Es ist Unrecht . . .«

»Aber ich will! Ich habe viel Geld für dich bezahlt, Zarabeth!«

Sie schüttelte wild den Kopf. »Nein, Magnus. Ich bin nicht deine Hure.«

»Du bist eine Sklavin, und das ist weniger als eine Hure. Und da du die einzige Frau auf dem Schiff bist, muß ich mich mit dir begnügen. Doch ich wüßte gerne, wie viele Männer du vor mir gehabt hast.«

Sie starrte ihn an, diesen Mann, der ihr versprochen hatte, für sie zu sorgen, der sie heiraten wollte, der sie zärtlich im Arm gehalten und innig geküßt hatte und sie mit seiner kühnen Rede erschreckt hatte. Diesen Mann gab es nicht mehr. An seine Stelle war dieser grobschlächtige, grausame Riese getreten, dessen Augen so kalt waren wie das Eismeer des Nordens.

Jedes Gefühl für ihn erstarb in ihrem Innern. Sie hob ihr Gesicht zu ihm auf. »Ein Dutzend Männer«, sagte sie. »Ich habe mehr Männer gehabt, als ich zählen kann. Nachdem Olav mich entjungfert hatte, zählte es ohnehin nicht mehr. Er war alt und hatte mir wenig zu bieten. Mindestens ein Dutzend Männer, verschiedener Größen, haarige und dunkelhäutige, andere glatt wie poliertes Holz.« Lächelnd hob sie die Schultern. »Da ich nur eine Frau bin, fällt mir das Zählen schwer, aber ich glaube, es waren wenigstens zwölf verschiedene Kerle.«

Sie glaubte, er würde sie schlagen. Sie sah den Pulsschlag in seinen Adern am Hals, sah die glühende Wut in seinen Augen.

»Lüge mich nicht wieder an, Zarabeth, das verärgert mich.«

»Dann stell mir keine dummen Fragen, du hirnloser Grobian!«

»Nun gut. Ich sage dir, was du jetzt tust. Heb deinen Rock, ich möchte deine Weiblichkeit sehen.«

»Nein.« Das Wort klang wie ein Peitschenknall. Zarabeth spürte, wie sich ihr Bauch vor Angst verkrampfte.

Sie hatte nicht viel Zeit zu überlegen. Sie hatte keine Zeit zu reagieren. Er ging neben ihr in die Knie, packte ihre Handgelenke und zog sie an sich. Nahe an ihrem Gesicht raunte er: »Du tust, was ich dir sage. Ich habe deinen Trotz endgültig satt, deinen dummen Stolz und deine dreisten Lügen.« Er warf sie grob auf den Rücken und legte sich auf sie, hielt ihre Hände über ihrem Kopf auf dem Boden fest.

Dann küßte er sie und zwang ihre Lippen schonungslos auseinander, um sie zu demütigen, um ihr seine Macht zu zeigen. Sie kämpfte gegen ihn, bäumte sich auf, drehte sich zur Seite, hatte freilich keine Chance gegen ihn. Er rollte von ihr herunter, lag nun auf der Seite und schaute sie an. Seine freie Hand riß ihr blitzschnell den Rock hoch.

»Nein!« Sie drehte ihm den Kopf zu und biß ihn in den Unterarm. Er zog lediglich vor Schmerz hörbar die Luft ein und umklammerte ihre beiden Handgelenke fester.

»Warum zierst du dich? Ich bin doch nur einer von vielen Männern, die dich bereits gehabt haben.« Sie spürte sein pochendes Geschlecht an ihrem Schenkel und wußte, daß er ihr das antun würde, wozu Olav nicht in der Lage war.

»Magnus bitte, tu mir nicht weh.«

Da lachte er laut auf. Plötzlich haßte sie ihn so sehr, daß sie ihm kaltblütig die Kehle aufgeschlitzt hätte, hätte sie ein Messer gehabt. Dann lächelte er ihr grausam ins Gesicht, und seine Hände tasteten über ihre Brüste nach unten zum Bauch. Sein Blick blieb auf ihr Gesicht fixiert, als er langsam den Rocksaum nach oben schob.

Es bereitete ihm Vergnügen, ihre Demütigung zu beobachten, ihre rasende Wut. Er würde den Willen dieser Frau brechen, die ihn abgewiesen, einen anderen Mann geheiratet und aus Habsucht ermordet hatte.

Seine Hand berührte die Innenseiten ihrer Schenkel, und er schloß einen Moment die Augen; die Hitze der Erregung, die in ihm aufstieg, drohte ihn zu übermannen. Dann berührte er das weiche Fleisch ihrer Weiblichkeit und fürchtete, seinen Samen zu ergießen.

Er konnte es nicht länger ertragen. Ihm war klar, daß seine Männer wußten, was er tat, sie würden ihren Schrei hören, wenn er in sie stieß; er scherte sich nicht darum.

Er riß ihr das Kleid über der Brust auf, entblößte sie bis zur Hüfte, dann machte er sich frei und warf sich auf sie. Heiser keuchte er: »Halt still, Zarabeth. Wehre dich nicht. Sonst wird es dir leid tun.«

Im Schatten der Mitternachtssonne
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