15. KAPITEL
Dann kam der Winter 1940/41, und es wurde kalt in Paris. Im Sommer hatte die Umstellung auf die deutsche Uhrzeit den Franzosen lange, lichte Abende beschert, an denen die Sonne erst nach zehn Uhr unterging und um Mitternacht noch letzte Streifen Tageslicht am Horizont glimmten. Jetzt aber büßten sie dafür, weil die Arbeitstage mitten in der Nacht begannen. Léon stand bei schwärzester Nacht auf und rasierte sich im fahlen Licht der Glühbirne; beim Frühstück konnte er sein Spiegelbild im dunklen Fenster sehen, und auf dem Weg zur Arbeit blinkten am Himmel die Sterne, als sei es nicht früher Morgen, sondern schon wieder Abend.
Was seine Arbeit am Quai des Orfèvres betraf, so wurde Léon in jenem Winter klar, dass Recht zu Unrecht geworden war und Unrecht zum Gesetz; das Gesindel war die neue Oberschicht, und das Gesetz wurde von Gaunern gemacht. In den Fluren erzählten die Beamten einander flüsternd die neusten Neuigkeiten über die berühmtesten Gauner von Paris – »Pierrot la Valise«, »François le Mauvais« oder »Feu-Feu le Riton« –, die ihre Gefängnisstrafen von zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren eingetauscht hatten gegen die Freiheit, Automobile und Benzin sowie gegen Feuerwaffen und deutsche Polizeiausweise. Noch war es nicht soweit, dass sie am hellichten Tag am Quai des Orfèvres auftauchten, um jene Polizisten zu verhaften, denen sie ihre Verhaftung verdankten – aber alle ahnten, dass es bald geschehen würde.
Zwar kam es Léon nun zustatten, dass er seine Arbeit anonym und ohne Kontakt zur Außenwelt verrichtete; aber er konnte die Gefahr doch jeden Morgen förmlich riechen, wenn er im Treppenhaus an den verschiedenen Abteilungen vorbeiging, und es war ihm klar, dass jeder Kollege, jede Sekretärin, jeder Wachmann ein Handlanger der Gauner und Mörder sein konnte. Einen Ausweg sah er nicht. So verkroch er sich in sein Labor, tat seine Pflicht und vermied sorgfältig jede nicht unabdingbare Begegnung.
Schon im November brachte ein umfangreiches Tief sibirische Kaltluft in die Stadt. Benzin und Diesel wurden rar, in den Straßen waren nur noch Fahrräder, Rikschas und Pferdekutschen unterwegs – und wenn mal ein Auto vorbeifuhr, konnte man mit großer Sicherheit annehmen, dass am Steuer ein Deutscher oder ein Kollaborateur saß. Das Auffälligste war die Stille in den Straßen und das kalte Schweigen der Menschen. Der Straßenlärm früherer Tage war verstummt, jetzt hörte man nur noch das Knirschen eiliger Schritte auf hartgefrorenem Schnee, gelegentlich ein Husten, einen hastigen Gruß oder die lustlosen Rufe eines Zeitungsausrufers, der schon längst nicht mehr daran glaubte, seine deutsch diktierten Blätter verkaufen zu können.
Lautlos standen die Menschenschlangen vor den Läden, und der Polizist an der Straßenecke tat, als sei er gar nicht da. In den Cafés drängten sich die Leute in die Wärme der Kaffeemaschine und der grellbunten Likörflaschen, von denen die meisten verboten waren, und betrachteten schweigend den vergilbten Martini-Kalender und das Gesetzesblatt über öffentliche Trunkenheit; viele Gesichter glänzten fiebrig und hatten gerötete Nasen, die meisten trugen Mützen, Wollschals und Handschuhe, und allen konnte man ansehen, dass sie aus Wohnungen geflohen waren, in denen es kaum wärmer war als draußen auf der Straße.
Die Le Galls gingen in langen Strümpfen, Handschuhen und Wollpullovern zu Bett, frühmorgens kratzten sie ihre gefrorene Atemluft von den Fensterscheiben. Gelegentlich brachte Léon ein Bündel Brennholz nach Hause, das er auf dem Schwarzmarkt ergattert hatte, dann saßen sie abends im Salon am offenen Kamin und schliefen wegen der ungewohnten Wärme reihum ein auf dem Sofa, im Fauteuil oder auf dem Perserteppich; lang nach Mitternacht, wenn das Feuer ausgegangen war und die Kälte wieder durch Ritzen und Spalten ins Haus kroch, trugen Yvonne und Léon die Kinder eins ums andere zu Bett.
In einer jener Nächte zeugten sie ihren kleinen Nachzügler Philippe, der seinerseits ziemlich genau zwanzig Jahre später, im September 1960, auf dem Boulevard Saint-Michel ein junges Mädchen aus der Schweiz kennenlernen sollte, das eigentlich auf der Durchreise zu einem Studienaufenthalt nach Oxford war, dann aber seinen Zwischenhalt verlängerte und an einem milden Herbstabend mit Philippe ins Mansardenzimmer an der Rue des Écoles ging, weshalb es neun Monate später einem Bübchen das Leben schenkte, das in der Eglise Saint-Nicolas du Chardonnet auf meinen Namen getauft wurde.
Immerhin blieben sie alle gesund, und sie brauchten nicht zu hungern. Da Léon und Yvonne sich noch lebhaft des Ersten Weltkriegs erinnerten, hatten sie vom Tag der Kriegserklärung an Notvorrat herbeigeschafft, so viel sie nur konnten. Weil die Preise bis in den Herbst nur mäßig gestiegen waren, hatten sie ihre Schränke gefüllt mit Säcken von Reis, Weizen und Hafer; darüber hinaus stauten sich im Lichtschacht über der Toilette hinter einem unscheinbaren Vorhang, hinter dem kein Plünderer Nahrungsmittel vermutet hätte, Hunderte von Dosen mit Bohnen, Erbsen, Kondensmilch und Apfelmus.
Sogar Eier, Butter, Fleisch und Wurst kamen regelmäßig auf den Tisch, seit der älteste Sohn Michel jeweils am ersten Wochenende des Monats nach Rouen auf Besuch zu Tante Sophie fuhr, die ein herzliches Verhältnis zu einigen normannischen Milchbauern pflegte. Der Sechzehnjährige genoss es sehr, am Samstagmorgen mit den Taschen voller Geld zur Gare Saint-Lazare zu laufen und mit der Routine des Vielgereisten in den Zug nach Rouen zu steigen; etwas weniger angenehm war jeweils die Rückkehr am Sonntag mit dem schweren, zum Bersten gefüllten Koffer, den er, immer auf der Hut vor Polizisten und Wehrmachtsoldaten, die ganzen drei Kilometer vom Bahnhof bis zur Rue des Écoles schleppen musste.
Am schwersten war dieser Winter für Yvonne. Seit die große Politik es für nötig erachtet hatte, die kleine Muriel in den Kohlekeller zu sperren und damit zur Bettnässerin zu machen, war ihr scharfer Verstand Tag und Nacht damit beschäftigt, ihre Familie gesund, bei Kräften und beisammenzuhalten. Die Eintragungen ins Traumtagebuch hatten nun ein Ende, mit rosa Sonnenbrillen, fließenden Sommergewändern und leichthin geträllerten Liedchen war es vorbei. Um nichts anderes mehr drehten sich ihre Gedanken als um die Frage, wie sie ihren Mann und ihre Kinder bis zum Kriegsende beschützen, ernähren und wärmen konnte und wie sich Kummer und Leid von ihnen fernhalten ließ.
Sie verfolgte ihr Ziel mit der Schlauheit einer Geheimagentin, dem Opfermut einer Gotteskriegerin und der Rücksichtslosigkeit eines Panzersoldaten. Frühmorgens begleitete sie ihre Kinder eins ums andere zur Schule – auch den großen Michel, der sich vergeblich gegen den mütterlichen Geleitschutz sträubte –, und nachmittags holte sie sie alle wieder ab. Bevor sie Léon morgens aus dem Haus gehen ließ, spähte sie aus dem Wohnzimmerfenster und hielt links und rechts Ausschau nach Gefahren; und wenn er sich abends nach der Arbeit um ein paar Minuten verspätete, lief sie ihm entgegen und machte ihm bittere Vorhaltungen. Wenn eines ihrer Kinder hustete, besorgte sie unter Einsatz von Lügen, Falschgeld und ihres Decolletés Honig, Lindenblütentee und Sirolin, und als das Wasser in der Küche gefror, fällte sie am heiterhellen Nachmittag vor der rumänisch-orthodoxen Kirche unter den Blicken mehrerer Schaulustiger eigenhändig eine kleine Akazie, schleppte den ganzen Baum nach Hause und zerkleinerte ihn im Innenhof zu Brennholz.
Als eines Nachts im Treppenhaus sonderbare Geräusche zu hören waren, kaufte sie anderntags auf dem Schwarzmarkt eine Mauser Kaliber sieben Komma sechs samt Munition und verkündete ihrem stirnrunzelnden Ehemann, dass sie jeden Fremden, der ohne ihre Einwilligung diese Wohnung betrete, ohne Vorwarnung totschießen werde. Als Léon zu bedenken gab, dass eine Pistole, die im ersten Akt an der Wand hängt, im zweiten Akt abgefeuert werden muss, zuckte sie mit den Schultern und sagte, das richtige Leben folge anderen Gesetzen als das russische Theater. Und als er wissen wollte, weshalb sie sich ausgerechnet für eine deutsche Pistole entschieden habe, erklärte sie ihm, dass die deutschen Ermittlungsbehörden, falls sie in einer deutschen Leiche deutsche Munition fänden, mit einiger Wahrscheinlichkeit nach einem deutschen Schützen suchen würden.
Ob diese schwere Zeit Yvonne und Léon noch enger zusammenschweißte, weil sie einander jeden Tag aufs Neue ihre Treue und Verlässlichkeit bewiesen, oder ob ihnen unter der steten Bedrohung noch die letzte Hoffnung auf romantische Liebe abhandenkam, weil sie ganz pragmatisch als Kampfgemeinschaft zu funktionieren hatten – ob sie einander unter diesen Umständen also nähergekommen sind oder nicht, ist schwer zu sagen; man kann sich vorstellen, dass sie sich diese Frage gar nie stellten. Denn von Bedeutung war nicht das Etikett oder die Überschrift ihres Zusammenseins, sondern das tägliche Überleben; und jenseits aller Metaphysik hatte schlicht die Zeit gewisse Fakten geschaffen, die stärker ins Gewicht fielen als alle Worte.
So war es eine Tatsache, dass sie beide nun über vierzig Jahre alt waren und mit einiger Wahrscheinlichkeit die Lebensmitte überschritten hatten. Eine arithmetische Tatsache war es auch, dass sie von ihrem bisherigen Leben die Hälfte miteinander verbracht und bald mehr Nächte miteinander im gemeinsamen Ehebett als ohneeinander geschlafen haben würden. Absehbar war weiter, dass ihre Kinder in überraschend kurzer Zeit halbwegs erwachsen sein und als lebende Beweise dafür in die Welt hinausgehen würden, dass Yvonne und Léon ganz ordentliche Eltern gewesen waren. Bald würden die Tage, die ihnen auf Erden noch blieben, immer rascher verrinnen, und bald würde die Summe ihrer gemeinsamen Erinnerungen so groß sein, dass sie in jedem Fall tröstlicher war als jede Hoffnung auf ein wie auch immer geartetes Leben ohneeinander.
Wohl konnte es noch aus diesem oder jenem Anlass geschehen, dass eines Tages sie vor ihm Reißaus nahm oder er vor ihr. Ein neuer Anfang aber, ein neues Leben würde das nicht sein, sondern nur die Fortsetzung ihres bisherigen Lebens unter neuen Bedingungen. Es gab kein zweites Leben, sie hatten nur dieses eine. Das mochte auf den ersten Blick niederschmetternd erscheinen, auf den zweiten aber war es der größtmögliche Trost; denn es bedeutete, dass ihr bisheriges Leben nicht gleichgültig, sondern unabdingbare Voraussetzung gewesen war für alles, was noch kommen würde.
Léon war der Mann in Yvonnes Leben, und sie war die Frau in seinem, zu Eifersucht bestand kein Anlass mehr. Das würde sich auch dann nicht mehr ändern, wenn sie einander doch noch verlieren sollten infolge einer Katastrophe oder einer Altersdummheit. Es blieb einfach nicht mehr genug Zeit, mit jemand anderem in einem anderen Ehebett ebenso viele Nächte zu verbringen, wie sie schon miteinander verbracht hatten.
Für Léon, der sich schon lange daran gewöhnt hatte, zwei Frauen zu haben – eine an seiner Seite und eine im Kopf –, änderte sich damit nicht viel; Yvonnes Seele aber fand nun endlich zum Frieden. Auch für sie hatte sich die Frage erledigt, ob sie füreinander bestimmt seien oder nicht, und es war nicht mehr wichtig, ob sie einander wirklich leidenschaftlich oder nur halbherzig liebten oder ob sie nur vorgaben oder irrtümlicherweise glaubten, sie würden einander lieben. Wichtig war einzig, was tatsächlich der Fall war. So einfach war das.
Und jenseits aller großen Worte musste Yvonne sich eingestehen, dass Léon ihr noch immer gefiel – vielleicht mehr noch als früher – in seiner schwerblütigen Männlichkeit. Sie mochte das leichte Geräusch seiner Tritte, wenn er die Treppe hochlief, und den schweren Klang seiner Schritte, wenn er durch den Flur ging, sie mochte die unbeabsichtigte Gutmütigkeit seiner Stimme und den starken, aber niemals scharfen Körpergeruch, der seinem Mantel entströmte, wenn er ihn am Ende eines Arbeitstages an die Garderobe hängte.
Es gefiel ihr, dass die Kinder, obwohl sie dafür eigentlich schon zu groß waren, noch immer zu ihm auf den Schoß krochen und dort still und ruhig wurden, und es gefiel ihr, dass er die Hände nicht über dem Bauch faltete, wie das Männer ab einem bestimmten Alter üblicherweise tun, und dass er noch nicht ächzte beim Aufstehen und noch keinen Hang zu Besserwisserei und langatmigen Belehrungen erkennen ließ.
Es gefiel ihr, dass seinem Wesen Boshaftigkeit und Grausamkeit fremd waren, und es gefiel ihr noch immer, dass er nachts im Schlaf seine langen Arme um sie legte. Und selbst wenn es vorkommen mochte, dass er gelegentlich im Traum eine andere Frau umarmte – die Macht der Fakten war auf ihrer Seite. In Tat und Wahrheit war sie die Frau in seinen Armen, und keine andere.
Médine,
am Ufer des
Senegal-Flusses
24. Dezember 1940
Mein geliebter Léon,
lebst Du noch? Ich lebe noch. Eben habe ich die Überreste eines außerirdisch zähen Hühnchens, das ich am Mittag gegessen habe, über die Mauer der Terrasse in den Senegal-Fluss geworfen; jetzt balgen sich die Zwergkrokodile darum, und die Nilpferde schauen gelangweilt zu und sperren die Mäuler auf, während ihnen diese komischen kleinen Vögel mit ihren spitzen Schnäbeln die Fasern zerkauter Seerosen zwischen den Zähnen hervorstochern.
Bald wird die Sonne untergehen und der Muezzin zum Abendgebet rufen, dann bricht die Stunde der Stechmücken an; die verbringe ich in unserer Festung im Rauchsalon der Offiziersmesse, die dicke Mauern aus Stein hat und dichte Moskitogitter vor den Fenstern. Die Messe ist in dieser alten, zerfallenden Kolonialstadt das einzige noch einigermaßen bewohnbare Gebäude; alle anderen europäischen Häuser sind Ruinen, in denen junge Bäume wachsen und die Afrikaner ihre Hütten errichten. Im Rauchsalon leisten mir der Festungskommandant, seine zwei Sergeanten und meine beiden Kollegen von der Banque de France Gesellschaft; mit von der Partie ist außerdem Giuliano Galiani, der spuckende Funker von der Victor Schoelcher, Du erinnerst Dich; er wurde uns als Verbindungsoffizier zur Seite gestellt (nur dass es hier nichts und niemanden gibt, zu dem man Verbindung aufnehmen könnte).
Bis zum Abendessen sitzen wir in Korbstühlen und rauchen, während draußen in den Mannschaftsräumen an der Festungsmauer die neunzig senegalesischen Tiralleurs, die unsere kostbare Fracht beschützen (über die ich nicht mehr reden darf), wehmütige Lieder von Liebe, Tod und Heimweh singen. Wenn die Glocke zum Essen ruft, ziehen wir um in den Salon, wo sich über dem Esstisch mächtig kreischend ein Ventilator mit rostzerfressenen Rotorblättern dreht, der eines gewiss nicht allzu fernen Tages von der Decke fallen und uns allesamt in der gleichen Hundertstelsekunde mit einem sauberen Rundumschnitt köpfen wird.
Bis es soweit ist, sitzen wir ergeben da und schwitzen, fluchen über die Hitze und phantasieren um die Wette von Wagenladungen eisgekühlten Biers und Champagners, und wenn uns dazu nichts mehr einfällt, rapportiert zuverlässig einer der Herren seine Abenteuer des Tages, deren unausweichliches Generalthema die chronische Unzuverlässigkeit und Arbeitsscheu der Afrikaner ist.
Tatsächlich haben unsere Arbeitsaufseher große Schwierigkeiten, die Leute bei der Stange zu halten; jeder Afrikaner verdrückt sich sofort in den Schatten des nächsten Baobab, wenn die Nilpferdpeitsche außer Sicht ist. Ich persönlich habe dafür Verständnis, denn bei fünfzig Grad Hitze ist das Steinebrechen, Wasserschleppen und Holzfällen, das sie für uns besorgen müssen, wirklich kein Spaß; unsereiner bricht in diesem Klima schon unter dem eigenen Körpergewicht zusammen.
Und wahr ist auch, dass die Malinké, die Wolof und die Toutcouleurs sich ja nie leidenschaftlich darum beworben haben, für uns hier kostenlos malochen zu dürfen, auch haben sie uns meines Wissens nicht hergebeten und nicht willkommen geheißen, haben uns nie die Freundschaft angetragen und uns, als wir dann mal hier waren, auch nie angefleht, doch bitte recht lang zu bleiben. Trotzdem wundern wir uns täglich aufs Neue, dass unsere Arbeitsaufseher die erwünschte Gastfreundschaft immer und immer wieder mit der Nilpferdpeitsche einfordern müssen.
Das ewige Peitschen und Prügeln, das Geschrei und das Blut und die Demütigungen schlagen hier allen sehr aufs Gemüt – vor allem natürlich den Geprügelten, aber auch den Prüglern selbst, mit denen ich Abend für Abend im Rauchsalon sitze. In den ersten Wochen habe ich mich oft gefragt, wie diese Peitschenschwinger es nur zustande bringen, so gar kein Mitgefühl zu haben, so grausam und frei von jeder Menschlichkeit zu sein. Unterdessen habe ich verstanden, dass die Prügler und Peitscher, wenn niemand ihnen Einhalt gebietet, einem Wahn verfallen, der sie antreibt, immer weiter und immer grausamer zu prügeln, weil nur durch die ständig wiederholte Gewalt die Bestätigung der eigenen Überlegenheit über das Opfer und damit auch die Rechtfertigung für das augenfällige Unrecht der Gewalttat zu erlangen ist.
Etwas anderes kommt hinzu, ich habe meine prügelnden Kollegen, mit denen ich ja rund um die Uhr zusammen bin, schon recht gut kennengelernt; ich höre sie schreien in der Nacht, wenn sie sich in ihrem eigenen Schweiß wälzen unter Albträumen, ich höre sie wimmern und nach ihrer Mama rufen, ich höre sie Kommandos brüllen und Granaten werfen, und ich höre sie durch die Laufgräben am Chemin des Dames rennen, in die sie seit einem Vierteljahrhundert Nacht für Nacht zurückkehren auf der Flucht vor Pickelhauben und Giftgas und auf der Suche nach ihrer verlorenen Menschlichkeit.
Besonders traurig ist, dass nicht nur die Prügler, sondern auch viele Geprügelte am Chemin des Dames waren, und zwar Seite an Seite mit ihren heutigen Quälgeistern. Und noch trauriger ist die Aussicht, dass die Geprügelten eines Tages aufstehen und ihrerseits zur Peitsche greifen werden und dass sich die Prügelei, wenn niemand dazwischengeht, von Generation zu Generation weiter vererben wird bis in alle Ewigkeit.
Insgesamt ergeht es uns hier, würde ich sagen, ganz ähnlich wie den deutschen Besatzern in Paris; die sind ja dem Vernehmen nach auch ein bisschen unglücklich darüber, dass die Franzosen sie als Gäste einfach nicht richtig lieb haben wollen, obwohl sie doch die Panzer vor der Stadt haben stehen lassen und auch sonst recht artig sind. Eine eigenartige Sache ist das, dass der Prügler, wenn er mal für zehn Minuten die Peitsche beiseitelegt, vom Geprügelten immer gleich geliebt werden will.
Ich habe einmal in der Offiziersmesse zwischen Vorspeise und Hauptgang den Gedanken geäußert, dass wir hier am Senegal das gleiche Schicksal erleiden wie die Deutschen, vor denen wir doch geflohen sind – dass wir also quasi die Deutschen Westafrikas sind. Das kam gar nicht gut an. Seither habe ich gelernt, dass es gut ist, auch mal zu schweigen, wenn man sich sein Teil denkt. Noch besser ist es, gar nicht zu erkennen zu geben, dass man überhaupt etwas denkt.
Eigentlich dürfte ich Dir keine Zeile schreiben, hier draußen ist alles noch immer sehr geheim; ich war wohl etwas vorlaut in meinem letzten Brief, als ich für Dich die ganze Warentransportgeschichte breitschlug im Glauben, dass doch eh alles egal sei. Der Kommandant hat mich seither mehrmals streng ins Gebet genommen und mir eingehend auseinandergesetzt, dass es sehr wohl drauf ankommt, was eine kleine Tippmamsell an einem windstillen Abend bei Honigmilch und Butterkeksen so von sich gibt, wenn ihr grad langweilig ist ums Vordermaul, und dass ein bisschen Geplapper in Zeiten wie diesen einen leicht vors Exekutionspeleton führen kann. Seither nehme ich mich zusammen und halte die Klappe, denn das Vaterland ist immerhin das Vaterland; andrerseits sind wir beide, Du und ich, halt auch immer noch da, und es ergeht mir noch immer so, dass ich mich Dir umso näher fühle, je weiter ich von Dir weg bin.
Zu gern wüsste ich, weshalb sich das nicht geändert hat über die Jahre – denn so großartig & einzigartig bist Du ja nun, seien wir ehrlich, auch wieder nicht. Jedenfalls bin ich doch froh über den steten kleinen Seelenschmerz, den Du mir bereitest; erstens ist Schmerz etwas Tröstliches, weil er nur den Lebenden widerfährt, und zweitens weiß ich ganz sicher, dass Du ihn genauso wie ich empfindest.
So vergeht kein Tag und keine Stunde, da ich Dir nicht dieses oder jenes erzählen möchte und mir nicht wünschte, dass Du hier wärst und sehen könntest, was ich sehe, und dass ich hören könnte, was Du zu alldem hier zu sagen hättest. Wenn ich Dir jetzt also wieder einmal gegen jede Vorschrift ein paar Zeilen schreibe, dann deshalb, weil eine derart günstige Gelegenheit vielleicht lange nicht wiederkehrt; mein Arbeitskollege Delaporte, der an Gelbfieber erkrankt ist und eine Reiseerlaubnis nach Dakar erhalten hat, will diesen Brief für mich mitnehmen und dafür sorgen, dass er ungeöffnet in der Rue des Écoles ankommt.
Ein halbes Jahr ist es jetzt schon her, seit ich Dir aus dem Hafen von Lorient geschrieben habe. Die Zeit vergeht rasch, besonders, wenn viel passiert, und mehr noch, wenn nichts passiert … und jetzt gerade, da ich dies schreibe, fängt dieser Vogel wieder an, der mich zum Wahnsinn treibt. Er ruft Ruuku-dii Ruuku-dii Ruuku-dii, stundenlang, tagelang und nächtelang mit einer Ausdauer, die seine Kräfte eigentlich übersteigen müsste, immer nur Ruuku-dii Ruuku-dii Ruuku-dii, bis ich spätnachts mit zerfetzten Nerven und den Zeigefingern in den Ohren einschlafe, weshalb ich nicht mal sicher zu sagen wüsste, ob das Vieh im Lauf der Nacht irgendwann mal für eine Stunde Ruhe gibt oder nicht. Versteh mich nicht falsch, es handelt sich gewiss um einen ganz harmlosen Vogel, und natürlich hat er genauso wie jeder von uns Anrecht auf sein Plätzchen in der Schöpfung, und objektiv gesehen ist sein Schrei vermutlich nicht mal besonders laut oder durchdringend; und doch treibt er mich dermaßen zur Weißglut, dass ich schon mehr als einmal mit der Pistole (jawohl, ich habe hier eine Pistole) ins Freie gelaufen bin und das Vieh ohne Zögern totgeschossen hätte, wenn ich es nur im Geäst der Akazie, in der es wohl sitzt, hätte ausmachen können.
Der Vogel hat mir nichts getan, wahrscheinlich ist er Vegetarier und macht sein Ruuku-dii Ruuku-dii aus ehrbaren Motiven, aus Gründen der Revierverteidigung vermutlich, vielleicht auch zwecks Weitergabe seiner Erbsubstanz oder einfach aus Spaß. Auf der Suche nach Erklärungen für seine unglaubliche Ausdauer bin ich darauf verfallen, dass es am Atmungssystem der Vögel liegen könnte, das ja irgendwie anders ist als bei uns Säugern; ich musste dazu am Collège hübsche Zeichnungen anfertigen mit blauen und roten Farbstiften, aber ich bringe es nicht mehr zusammen. Bei Vögeln fließt die Luft nur in einer Richtung durch die Lunge, ist es nicht so? Aber wie zum Teufel kommt die Luft dann wieder aus den Viechern raus? Natürlich gibt es hier keine Menschenseele mit einem Hauch von ornithologischer Bildung und keinen Larousse, in dem ich nachschlagen könnte; beides fände sich wohl in Dakar, aber das liegt tausend Kilometer westlich und ist unerreichbar ohne Reisebewilligung, die ich nach menschlichem Ermessen bis zum Ende des Krieges nicht erhalten werde.
Wäre ich zu Hause in Paris und säße der Vogel auf meinem Fenstersims, würde ich ihn wohl kaum beachten. Aber hier in der Einförmigkeit dieser roten, eisenhaltigen Hügel mit ihren immer gleichen Akazien und Baobabs, in der ich mich zu Tode langweile in der Ereignislosigkeit der Tage, der Beschäftigungslosigkeit meiner Stunden, der Stille der Nächte, da im Dunkeln kein Geräusch zu hören ist außer dem fernen Heulen der Hyänen, dem nahen Vorbeischlurfen eines menschlichen Schattens, dem Albtraumwimmern meiner Gefährten und ebendiesem Vogel, der immerzu Ruuku-dii Ruuku-dii Ruuku-dii macht … manchmal langweile ich mich so sehr, dass ich mir eine Katastrophe herbeiwünsche, einen Wirbelsturm, ein Erdbeben oder eine Invasion der Wehrmacht, die das alles hier hinwegfegt.
Übrigens kann ich Dir keine Landschaftsbeschreibung liefern. Gewiss gibt es hier Hügel und Ebenen sowie den Fluss und allerlei Flora und Fauna, und nachts ist der Himmel tiefschwarz und von Sternen übersät. Darüber könnte ich wohl ganz erbauliche naturphilosophische Betrachtungen anstellen, wenn ich eine englische Lady wäre und im Zug vorüberführe. Nun haben es aber die Umstände gewollt, dass ich keine englische Lady bin und nicht vorbeifahre, sondern ausgestiegen und geblieben bin, weshalb ich meine Notdurft hinter Büschen verrichte und mein wöchentliches Bad im Fluss nehme, mich dabei vor Hyänen und Alligatoren in Acht nehmen muss … was ich sagen will, ist dies: Wenn man in der Landschaft mittendrin sitzt, eignet sie sich nicht mehr als Objekt ästhetischer Betrachtung. Dann wird sie eine verdammt ernste Sache.
Es gibt hier mondsüchtige Unteroffiziere, die mich hinters Gebüsch zerren wollen. Ich muss direkte Sonneneinstrahlung meiden und vor dem nächsten Wolkenbruch im Trockenen sein. Ich ärgere mich mit meiner Schreibmaschine herum, bei der seit einiger Zeit die Buchstaben A,V, P und Z hängen bleiben. Ich sollte meine Zähne mit keimfreiem Wasser putzen, und es wäre gut für mein weiteres Fortkommen, wenn ich die Ehefrauen des Malinké-Königs, die alle fünf unerträglich hochmütige Perlhühner sind, auf dem Gemüsemarkt freundlich grüßen könnte … kurz und gut: Ich muss hier, wenn ich überleben will, bei aller Langeweile doch den Kopf bei der Sache haben und kann mir die Poesie von Bäumen, Bergen und Baobabs nicht leisten.
Unser Funker Giuliano Galiani hingegen, der doch gar nichts zu funken hat, scheint sich prächtig zu amüsieren. Er trägt einen alten französischen Tropenhelm, den er sich, wenn er frühmorgens zur Jagd geht, quer auf den Schädel setzt, damit er ihm beim Zielen nicht in die Quere kommt. Mittags kehrt dieser zu groß geratene Napoleon mit dem sonnigen Gemüt, der eher an Bluthochdruck als an Leberkrebs sterben wird, aus dem Busch zurück mit einer Antilope über der Schulter, und nachmittags stolziert er über den Markt und zwinkert den hochbeinigen Peul-Mädchen mit den kleinen festen Brüsten zu, die ihrerseits zart errötend lächeln, als hätten sie seine Bekanntschaft schon zu ganz anderen Tageszeiten an ganz anderen Orten gemacht. Abends sitzt er im Schneidersitz bei den Dörflern am Feuer und unterhält sich prächtig in den verschiedensten Eingeborenensprachen, von denen er jeweils ein paar Brocken beherrscht, und manchmal verschluckt ihn die Nacht und taucht er erst am nächsten oder übernächsten Tag wieder auf. Ich sollte mir an dem Mann ein Beispiel nehmen.
Gewiss bist Du in Sorge um mich. Das sollst Du nicht, ich komme zurecht. Meine größte Sorge ist meine Verdauung, die zweitgrößte die Langeweile und die dritte die Tatsache, dass ich die einzige weiße Frau im Umkreis von fünfzehn Kilometern bin; das verhilft mir bei den weißen Männern der Umgebung zu einer Popularität, auf die ich gern verzichten würde.
Und Du? Lebst Du überhaupt noch, mein kleiner Léon? Hast Du Hunger, während ich mich über mein zähes Hähnchen beklage? Müssen Deine Kleinen frieren, während mir der Schweiß von der Stirn in die Augen läuft? Lebt Ihr in täglicher Angst und Sorge, während ich mich langweile? Wird geschossen in den Straßen von Paris, fallen Bomben vom Himmel?
Ach, ich möchte alles wissen und weiß doch, dass Du mir nicht antworten kannst; Du brauchst es gar nicht zu versuchen, wir erhalten seit Monaten keine Post mehr, und Telefon und Telegraf sind schon lange tot. Ich bin in furchtbarer Sorge um Dich, die umso furchtbarer ist, als ich ohne Nachricht von Dir bin und es nichts gibt, was ich für Dich tun könnte, falls Du meine Hilfe benötigen solltest.
Zwischen uns liegen viertausendfünfhundert Kilometer, uns trennt ein Ozean und die größte Wüste der Welt, und zwischen uns stehen die Nazis und die Faschisten und die Alliierten sowie, falls das noch nicht genug sein sollte, Marschall Philippe Pétain und General Charles de Gaulle sowie Francisco Franco und Adolf Hitler, und fast alle von denen sind hinter uns her – hinter mir zumindest, oder ich stelle es mir vor.
Ruuku-dii Ruuku-dii Ruuku-dii, macht der Vogel, während die roten Hügel in der Abendsonne glühen. Kein anderer Vogel ist von meinem Zimmer aus zu hören, immer nur dieser eine, Ruuku-dii Ruuku-dii Ruuku-dii, und ich frage mich, ob es wirklich nur einer ist, also ein einzelnes Individuum, oder ob mehrere Exemplare derselben Spezies einander ablösen, um mich mit vereinten Kräften in den Wahnsinn zu treiben.
Für Ersteres spricht der Umstand, dass das Ruuku-dii immer nur einzeln und niemals mehrstimmig erklingt, dagegen die schlichte Wahrscheinlichkeit: Wieso sollte es ausgerechnet von dieser Gattung in kilometerweitem Umkreis nur ein Exemplar geben? Weil er der letzte seiner aussterbenden Art ist? Weil er sich verflogen hat und eigentlich ganz woanders hingehört, nach Finnland oder Saarbrücken vielleicht? Hat er im Überschwang des Balzens alle Artgenossen beiderlei Geschlechts aus seinem Revier vertrieben und ruft sie nun einsam und verzweifelt zurück, unermüdlich in die Steppe hinaus bis ans Ende seiner Tage? Hockt dort oben in der Akazie gar kein exotisches Federvieh, sondern eine ganz gewöhnliche Taube, die nur deshalb Ruuku-dii macht statt Grugruu-grugruu, weil sie von Geburt an einen missgebildeten Kehlkopf hat? Ist die Taube deshalb so verzweifelt ausdauernd, weil ihr verzerrter Lockruf von den anderen Tauben nicht verstanden wird?
Man wird ganz blöd im Kopf hier draußen. Wir sind abgeschnitten von der Heimat und von unseren Lieben, wir bekommen keine Post und keine Zeitung, wir erhalten längst keinen Lohn mehr und haben keine Ahnung, wann die Ablösung kommt und ob überhaupt noch eine kommen wird. Es ist nicht die Hitze, nicht der allgegenwärtige Staub während der Trockenzeit und der Schlamm während des Rests des Jahres, es sind nicht die Hyänen und nicht die Schlangen, die mich zermürben, es ist auch nicht die Fremdheit der Menschen, denen wir bei aller Gewöhnung doch nie nahe sein werden, weil die Nilpferdpeitsche uns voneinander fernhält und fernhalten muss bis zu jenem unausbleiblichen Tag, an dem der schwarze Mann den weißen Mann nach Hause schicken wird; es ist auch nicht die Einförmigkeit der Steppenlandschaft mit ihren immer gleichen Akazien und Baobabs, die sich über Hunderte von Kilometern hinzieht und nur selten belebt wird von kleinen Hügeln, die kaum der Rede wert sind; was mich zermürbt, ist die Abwesenheit von Beton und elektrischem Licht, von Buchhandlungen und Bäckereien und Zeitungsverkäufern; das Fehlen öffentlicher Parkbänke und regnerischer Sonntagnachmittage, die man im Kino verbringt; es fehlen mir Eclairs au Chocolat und flüchtige Gespräche im Büro, ein rasches Steak Frites am Mittag und ein schönes Abendessen Chez Graff neben dem Moulin Rouge; es fehlt mir das Kreischen der Tramway und das Rumpeln der Métro, und wie gern würde ich wieder mal an einem milden Spätsommerabend einen langen Spaziergang durch die Tuilerien unternehmen am Arm meines jungen Verehrers aus dem Musée de l’Homme, der eigentlich gar nicht mehr so jung ist, mich aber hoffentlich noch immer für eine Dame hält.
Weil mir all das fehlt, befasse ich mich mit den Phänomenen, die sich mir hier nun mal darbieten. So wundere ich mich jeden Tag aufs Neue darüber, dass gekochte Kartoffeln in der afrikanischen Hitze viel langsamer zu mundgerechter Temperatur abkühlen als in Europa; umgekehrt muss man sich beim Trinken des Morgenkaffees nicht beeilen, denn es dauert Stunden, bis er kühl wird. Lustig finde ich auch, dass die Afrikaner im Dunkel der Nacht praktisch unsichtbar sind, wohingegen wir Weißen beim geringsten Sternenlicht weithin sichtbar leuchten.
Und dann gibt es hier den sehr eigenwilligen Anabaum (Acacia Albida), der mitten in der Regenzeit, während es allseits grünt und wuchert, seine gefiederten Blätter abwirft und mit seinem weißen Stamm wie tot dasteht; in der Trockenzeit hingegen, wenn ringsum alles für viele Monate verdorrt und verkümmert, schlägt er zartgrün wieder aus und blüht und strotzt in sattestem Grün triumphierend als weithin sichtbarer Beweis dafür, dass das Leben auch unter widrigsten Umständen, nach langen Durststrecken und endlos scheinenden Zeiten von Tod und Vernichtung weitergeht – ich hoffe, das ist Dir jetzt nicht zu viel an Metapher und Allegorie. Mir ist es zu viel.
Bevor ich nun vom langen, ruhig dahinziehenden Strom des Senegal anfange oder von seinen fruchtbaren Gestaden, an denen Gärten wuchern, Orchideen blühen und Paradiesvögel brüten, welche die Flamme des Lebens weitertragen, lasse ich es gut sein und komme zu einem Ende. Nur dieses eine lyrische Aperçu noch: die Afrikaner stecken sich, wenn sie Fieber haben – das ist mir vielfach bestätigt worden –, zwecks Heilung eine Pfefferschote in den Anus.
Ich küsse Dich zärtlich, mein lieber Léon, und glaube gewiss, dass wir eines Tages wieder vereint sein werden.
Deine Louise
P.S.: Die beiliegende Fotografie habe ich an der Gare de Lyon wenige Minuten vor der Abreise auf Anweisung meiner Vorgesetzten in einem Fotomatonkasten gemacht; wir sollten zwanzig Passbilder auf Vorrat mitnehmen für Visa und Passverlängerungen und Ähnliches. Beachte bitte die weiße Strähne an meiner rechten Schläfe, die finde ich sehr apart. Ich wünsche mir sehr ein Bild von Dir. Schicke mir bitte eines nach Médine, Französisch-Westafrika; vielleicht kommt es ja durch ein Wunder der Post trotz allem an. Ach, und leg doch ein paar Packungen Turmac-Zigaretten bei, wenn Du kannst.