Kapitel 18

»Wie bitte?« Ich lehnte mich an die Tür, und verschiedene Erklärungsmöglichkeiten huschten mir durch den Kopf. Aber ein Gefühl zog sich durch alle Szenarios, nämlich Wut. Okay, ich kannte Don Lockwood nicht, er war eine falsche Verbindung, aber ich war immer ehrlich mit ihm gewesen, obwohl ich mit niemandem sonst ehrlich gewesen war – einschließlich mir selbst –, und das mindestens die letzten zwei Jahre, vielleicht mein ganzes Leben. Deshalb tat es besonders weh, dass er mich reingelegt hatte. »Warum sollte er ein Foto von Ihren Augen machen und es mir schicken?«
Er grinste breit und lachte über einen Witz, den ich nicht verstand. »Nein, ich hab das Foto gemacht. Ich hab es dir geschickt. Lucy, ich bin Don.«
»Nein, das sind Sie nicht, Sie sind Donal, das steht auf Ihrem Hemd.« Und ein Hemd konnte nicht lügen, es war ja nur ein Hemd.
»Das hat meine Mutter eingestickt. Sie ist die Einzige, die mich Donal nennt. Lucy …« Er sprach meinen Namen sehr betont aus und lächelte immer noch. »Natürlich, du bist eine echte Lucy.«
Ich starrte ihn an, mit offenem Mund wie ein Fisch an Land, und während ich mich noch bemühte, mir einen Reim auf alles zu machen, nahm er seine Kappe ab, wuschelte sich leicht verlegen durch die Haare und sah mich an. Und da – peng – erkannte ich seine Augen. Die Erkenntnis traf mich körperlich, mein Kopf wurde nach hinten gerissen, als hätte mir jemand einen Kinnhaken verpasst. Das waren die Augen, die ich die ganze Woche angestarrt hatte, und jetzt waren sie im gleichen Raum wie ich, bewegten sich, blinzelten, und unter ihnen befand sich auch noch eine perfekte Nase und süße Grübchen. Ich weiß nicht, ob das für einen Menschen wirklich möglich ist, aber ich schmolz dahin.
»Ich bin dein Bildschirmschoner«, stellte er mit einem stolzen Grinsen fest und schwenkte mein Handy durch die Luft.
»Ja, ich fand deine Augen so hübsch. Nicht ganz so hübsch wie dein Ohr, aber auch hübsch.«
Er drehte den Kopf zur Seite und präsentierte mir sein Ohr.
Ich pfiff anerkennend, und er lachte.
»Ich wusste es«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich hab dich angeschaut und wusste sofort, dass ich dich kenne. Dann hattest du dich also doch nicht verwählt«, stellte er fest.
»Manchmal sind die falschen Verbindungen eben die richtigen«, sagte ich hauptsächlich zu mir selbst und wiederholte damit den Gedanken, den mein Leben vor kurzem geäußert hatte. Ich hatte geglaubt, er meinte das philosophisch, doch er hatte es ausnahmsweise wörtlich gemeint. »Aber die Auskunft hat mich mit der Firmennummer verbunden, nicht mit deinem Handy«, fragte ich, immer noch etwas begriffsstutzig.
»Du hast am Wochenende angerufen. Da arbeitet mein Dad nicht, deshalb werden die Anrufe von der Firmennummer an mein Handy weitergeleitet.«
»Ich bin so dumm! Ich hab Pub-Lärm gehört und angenommen …«
»Du bist doch nicht dumm«, unterbrach er mich sanft. »Höchstens ein Idiot.«
Ich lachte.
»Dann haben wir also den ganzen Nachmittag praktisch nebeneinander gestanden und uns SMS geschickt.«
Darüber musste ich noch einmal nachdenken. Ich hatte die Person gehasst, der er geschrieben hatte, dabei war ich die ganze Zeit diese Person gewesen. Was für eine Ironie des Schicksals.
»Was nebenbei bemerkt ganz schön unprofessionell von dir war«, sagte ich.
»Ich konnte nicht anders. Aber du hast auf meine letzte Nachricht nicht geantwortet, was nebenbei bemerkt ganz schön unhöflich von dir war.« Er gab mir mein Handy zurück.
Ich scrollte meine Nachrichten durch und las den Schluss seiner letzten SMS.
Aber was ich mir wirklich, wirklich wünsche? Dich zu treffen.
Er sah mich erwartungsvoll an, aber statt ihm direkt zu antworten, simste ich:
Okay. Treffen wir uns in fünf Minuten zum Kaffee?
Dann legte ich das Handy weg, ging zum Küchenschrank, ohne auf ihn zu achten, und holte zwei Becher und das Kaffeepulver heraus.
»Was machst du denn da?«, fragte er.
Aber ich ignorierte ihn weiter. Dann piepte sein Handy. Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er las. Tippte. Drückte auf Senden. Dann sah er mich an und machte sich wieder an die Arbeit. Erst holte er die Couchteile von meinem Bett und stellte sie wieder vor den Fernseher. Ich sah ihm zu, während ich darauf wartete, dass das Kaffeewasser kochte.
Dann piepte mein Handy.
Muss noch schnell aufräumen. Seh dich in fünf Minuten.
Ich lächelte. Schweigend erledigten wir unsere restliche Arbeit, ich machte Kaffee, er setzte die Couch wieder zusammen. Als er fertig war, kam er zu mir in die Küche.
»Hi«, sagte er. »Don Lockwood.« Er streckte mir die Hand hin.
»Ich weiß«, antwortete ich und drückte ihm den Kaffeebecher in die Hand. »Wie war die Arbeit?«
Er sah in seinen Becher, als überlegte er, ob er trinken sollte oder nicht, stellte ihn schließlich auf der Theke ab, nahm mir auch meinen Becher aus der Hand und stellte ihn daneben. Dann kam er noch ein bisschen näher, umfasste mit der Hand mein Gesicht – seine Finger waren ganz zart –, beugte sich vor und küsste mich. Seit ich zwölf gewesen war und mit Gerard Looney im Freizeitzentrum bei der Halb-sieben-bis-halb-acht-Disco drei langsame Songs in Folge ununterbrochen geknutscht hatte, hatte ich niemanden mehr so lange geküsst. Aber ich konnte einfach nicht aufhören und wollte es auch gar nicht. Um ein bisschen Tapetenwechsel zu haben, arbeiteten wir uns schließlich vom Linoleum auf den frisch gereinigten und noch etwas feuchten Teppich vor, aber dann verließen unsere Füße den Boden, und wir fielen aufs Bett.
»Ich hab eine Idee für euren Werbespot«, sagte ich eine ganze Weile später, stützte mich auf den Ellbogen und flötete: »Wir reinigen Ihren Teppich und machen’s auch für Sie in Ihrem Bett.«
Don lachte und spann die Idee weiter: »Lassen Sie vom Fachmann überprüfen, ob Ihre Vorhänge wirklich zu Ihrem Teppich passen.«
»Iiieh«, lachte ich und haute ihn. »Außerdem hab ich überhaupt keine Vorhänge.«
»Nein«, sagte er und betrachtete amüsiert meine Vorhangstange. »Dein Teppich ist ja auch nicht der tollste.«
»Stimmt«, grinste ich, und wir lachten.
»Also«, meinte er dann in ernsterem Ton und drehte sich ebenfalls auf die Seite, so dass wir uns gegenüberlagen. »Erzähl mir was von deinem Leben.«
Ich stöhnte. »Das ist aber ein sehr ernsthaftes Bettgesprächsthema.«
»Ach, ich meine doch bloß den Typen, der vorhin hier war. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich mich für dich interessiere?«
»Ach was«, gab ich lachend zurück. »Ich bin sicher, dass es dir nur um meinen Körper geht.«
»Richtig.« Er rückte näher.
»Was weißt du denn über das Thema?«
»Nur dass man kontaktiert wird, und dann trifft man sich und muss was verändern. Ich hab ein Interview mit einer Frau gelesen, in einer Zeitschrift beim Zahnarzt.«
»Hatte die Frau eine total überstylte Föhnfrisur und stand neben einer Schale mit Zitronen und Limetten?«
Er lachte. »An die Details erinnere ich mich nicht mehr. Aber nach dem Treffen war sie jedenfalls glücklich, so viel weiß ich noch.« Er musterte mich aufmerksam, und ich wartete, dass er mich wie alle anderen auch fragen würde, ob ich unglücklich war. Aber er tat es nicht – vielleicht, weil er merkte, dass ich neben ihm steif wie ein Bügelbrett geworden war. »Ich bin noch nie jemandem begegnet, der sich tatsächlich mit seinem Leben getroffen hat. Du bist die Allererste.«
»Da bin ich aber stolz.«
»Na ja, stolz oder nicht, du solltest dich jedenfalls deswegen nicht schämen.«
Ich schwieg.
»Ist es dir peinlich?«
»Erzähl mir bitte einen Furzwitz oder so. Dieses Thema ist mir echt zu ernsthaft.«
»Ich setz sogar noch einen drauf.« Ich spürte, wie er sich neben mir bewegte, dann stieg mir ein ekelhafter Gestank in die Nase.
Trotzdem fing ich an zu kichern. »Danke sehr.«
»Für dich tu ich doch alles.« Er küsste mich auf die Stirn.
»Sehr aufmerksam von dir. Jetzt sind wir praktisch verheiratet.«
»Wenn wir verheiratet wären, hätte ich’s dir rübergewedelt.«
Obwohl ich das ekelhaft fand, musste ich wieder lachen. Ich genoss seine Nähe, ich genoss die Behaglichkeit, aber ich machte mir auch Sorgen. Es war lange her, seit ich das letzte Mal mit einem attraktiven Mann im Bett gewesen war. Es war lange her, dass ich überhaupt mit einem Mann im Bett gewesen war – diesem Börsenmakler vor zehn Monaten, der meine Titten gut fand –, aber dass ich mich mit einem attraktiven Mann wohlgefühlt hatte, war noch viel länger her. Und ich hatte noch nie einen Mann in meine Wohnung gelassen. Don hatte meine Welt gesehen, er hatte mein Schneckenhaus betreten, das ich ausschließlich für mich gebaut hatte, und obwohl ich jede Sekunde mit ihm genossen und kein einziges Mal an Blake gedacht hatte, wollte ich jetzt, wo er mich so anschaute, mit diesen Augen, die viel besser auf mein Handy-Display passten, nur noch, dass er verschwand. Ich glaubte, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Auf einmal wurde die Erkenntnis von vorhin wieder lebendig – es war ja nur ein paar Stunden her, dass ich meine wahren Gefühle für Blake wiederentdeckt hatte. Ich dachte an Jenna, die Schlampe aus Australien, und fragte mich, ob die beiden wohl auch so beieinanderlagen, nackt und zusammengekuschelt, und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Don behutsam.
»Ja.« Widerwillig erwachte ich aus meiner Grübelei. Ich wollte allein sein, aber es war dunkel, zehn Uhr an einem Sonntagabend, und ich hatte keine Ahnung, ob Don vorhatte zu bleiben oder ob er gleich aus dem Bett springen und mir für den netten Abend danken würde.
»Hast du vorhin nicht gesagt, dass du zu spät dran bist für einen Termin?«, fragte ich.
»Nein, das ist okay, es war kein wichtiger Termin.«
»Ich würde es dir jedenfalls nicht übelnehmen«, beteuerte ich ihm. »Wenn du noch was zu erledigen hast, dann kannst du ruhig gehen.«
»Ich sollte zum Essen zu meinen Eltern kommen, aber du hast mir echt einen Gefallen getan. Sex mit einer Fremden ist natürlich viel wichtiger.«
Ich überlegte, wie ich ihn loswerden konnte, ohne grob zu werden. Sonst reichte es doch eigentlich immer, wenn man sich wünschte, dass ein Mann blieb.
»Worüber hast du vorhin nachgedacht?«
»Wann?«
»Du weißt doch, wann.«
Ich antwortete nicht.
»Ich hab dich verloren, du bist einfach weggedriftet«, sagte er zärtlich und strich mir mit hypnotisch langsamen, unglaublich entspannenden Bewegungen über die Haare. Ich musste mich anstrengen, die Augen offen zu halten. »Gerade noch warst du da, und dann warst du auf einmal weg.« Er redete so sanft, so melodiös, dass ich auf einmal wieder zu ihm zurückkam. Er rückte näher und küsste mich. »Ah, da bist du ja wieder«, murmelte er und küsste mich noch intensiver.
Und obwohl meine Gefühle protestierten und ich wegen meiner Liebe zu Blake innerlich mit mir haderte, reagierte mein Körper auf Don, ob ich wollte oder nicht, und ich verlor mich erneut in seiner Zärtlichkeit.
Er schnarchte nicht. Er schlief so ruhig, dass ich kaum merkte, dass er da war. Seine Haut war warm, nicht heiß wie die von Blake. Er blieb auf seiner Seite des Betts, kein Fuß, kein Knie mogelte sich über die Mittellinie. Seine Haut roch nach Marshmallows und schmeckte salzig vom Schweiß. Und obwohl ich dalag und überlegte, was ich noch in meinen halbvollen Koffer packen wollte, der zwischen unseren auf dem Boden verstreuten Kleidern stand, und mir ausmalte, was ich tun und sagen würde, wenn ich Blake wiedersah, tastete ich unter seinem warmen Laken nach seiner Hand, und er schloss sie um meine. So hielten wir uns an den Händen, und kurz darauf schlief ich ein. Irgendwann klopfte mein Leben an – das heißt, in meinem besonderen Fall öffnete es mit seinem eigenen Schlüssel die Wohnungstür.