Kapitel 13

Ich stand am Notausgang im Treppenhaus, der dritten geheimen Raucherecke des Jahres nach der Behindertentoilette im zweiten Stock und dem Abstellraum der Putzkolonne. Außer mir waren noch zwei andere Raucher da, ein Mann und eine Frau, die aber nicht zusammen hergekommen waren, und so sprach keiner von uns ein Wort. Es war nicht wie im Raucherbereich vor einem Pub oder einem Club, wo jeder mit jedem redet, vereint durch das angenehme Freizeitgefühl. Hier jedoch waren wir auf der Arbeit, und abgesehen davon, dass man eine Nikotindosis brauchte, kam man nur her, um eine Weile nicht reden zu müssen und sich erholen zu können von der pausenlosen Interaktion mit Idioten – beziehungsweise mit Menschen, die man für Idioten hielt, weil sie keine Gedanken lesen konnten und man ihnen geduldig und höflich erklären musste, was man dachte, obwohl man innerlich gegen den Impuls ankämpfen musste, sie zu ohrfeigen. Hier im Raucherversteck verlangte niemand diese Art von Höflichkeit, beim Rauchen stellte man das Gehirn einfach ab, ignorierte einander ohne Skrupel und konzentrierte sich ausschließlich darauf, den Rauch ein- und wieder auszuatmen. Nur dass ich das in diesem Moment nicht tat. Ich hatte nicht aufgehört zu denken, und ich rauchte auch nicht.
Als ich hinter mir eine Tür aufgehen hörte, machte ich mir nicht die Mühe, mich umzudrehen, denn es war mir gleichgültig, ob Raucherexil Nummer drei aufgespürt und wir alle entdeckt worden waren. Was bedeutete schon ein weiteres Vergehen auf meinem Vorstrafenregister? Die anderen beiden jedoch witterten Gefahr, versteckten ihre Zigaretten in der sich unverzüglich gelb färbenden hohlen Hand, vergaßen den aufsteigenden Rauch, der sie ohnehin verraten würde, und wandten die Köpfe, um zu sehen, wer da zufällig über ihr Versteck gestolpert war. Anscheinend war die Person, die sie entdeckten, nicht allzu bedrohlich, denn sie entspannten sich ein wenig, blieben aber auf der Hut, was bedeutete, dass es nicht der Chef war, aber auch nicht jemand, den sie kannten. Der Mann zog noch einmal ausgiebig an seiner Zigarette und verschwand dann hastig – der Schreck hatte ihm wohl den Nikotinrausch ruiniert. Die Frau blieb, wo sie war, beäugte den neuen Gast aber von oben bis unten, wie sie es vorhin auch bei mir gemacht hatte. Ich drehte mich immer noch nicht um, teils, weil es mir gleichgültig war, aber hauptsächlich, weil ich es ohnehin schon wusste.
»Hi«, sagte er und stellte sich so dicht neben mich, dass unsere Schultern sich berührten.
»Ich spreche nicht mit dir«, erwiderte ich und starrte stur geradeaus. Nun ahnte die Frau eine pikante Situation und machte es sich mit dem Rest ihrer Zigarette gemütlich.
»Ich hab dir doch gesagt, es wird schwerer, als du denkst«, sagte er leise. »Aber keine Sorge, wir schaffen das.«
»Na klar«, sagte ich und wandte mich dann an die Raucherin. »Entschuldigen Sie bitte, dürfte ich mir eine Zigarette von Ihnen borgen?«
»Ich glaube, sie wollte fragen, ob Sie ihr eine schenken. Sie kann die Zigarette ja nicht zurückgeben, wenn sie sie geraucht hat«, fügte mein Leben für mich hinzu.
Die Frau sah mich an, als würde sie lieber ihre Lieblingsgroßmutter verkaufen, gab mir aber trotzdem eine Zigarette, weil man das als höflicher Mensch so machte, und die meisten Leute hier waren höflich, auch wenn sie sich innerlich unhöflich fühlten.
Ich inhalierte. Und fing an zu husten.
»Du rauchst eigentlich gar nicht«, sagte er.
Ich inhalierte noch einmal direkt vor seiner Nase und versuchte das unvermeidliche Husten zu unterdrücken.
»Warum sagst du mir nicht einfach, warum du so wütend bist?«
»Warum?«, fragte ich und wandte mich ihm nun doch zu. »Bist du bescheuert? Du weißt ganz genau, warum ich wütend bin. Du stellst mich hin als eine … eine …«
»Eine Lügnerin vielleicht?«
»Hör mal, ich hatte einen Plan. Ich hatte alles im Griff. Du solltest einfach nur dasitzen und zuschauen, genau wie du es versprochen hast.«
»Das hab ich nie versprochen.«
»Irgendjemand hat das aber gesagt.«
»Nein, das hast du nur angenommen.«
Ich kochte innerlich, schwieg aber.
»Dann sag mir doch mal – was war das denn für ein Plan? Wolltest du wieder lügen und plötzlich – Genie, das du bist – über Nacht perfekt Spanisch lernen?«
»Ich bin sehr sprachbegabt, das hat mein Französischlehrer schon immer gesagt«, schnaubte ich.
»Und dein Gemeinschaftskundelehrer hat gesagt, wenn du dich anstrengen würdest, hättest du bessere Noten«, konterte mein Leben und sah weg. »Ich hab das Richtige getan.«
Schweigen. Die Raucherin schnaufte.
»Okay, ich hätte also die Wahrheit sagen sollen, aber es gibt doch wohl bessere Möglichkeiten als deine Bulldozer-Methode, um meine kleinen Lügen richtigzustellen. Was hast du denn vor, wenn du meine Eltern kennenlernst? Willst du ihnen jede kleine Flunkerei auf die Nase binden, damit sie eine Herzattacke kriegen? Willst du ihnen erzählen, dass ich in der Nacht, als sie beim vierzigsten Geburtstag meiner Tante Julie waren, keineswegs eine Lerngruppe organisiert hatte, sondern eine Party, bei der ihr Lieblingsneffe Colin in ihrem Ehebett mit einem Mädchen Sex hatte und Fiona nach dem letzten bisschen Hasch nackt über den Rasen gerannt ist? Und, o ja, sorry, das auf dem Boden war auch leider keine Gemüsesuppe, sondern Melanies Kotze, also hätte ich vielleicht doch lieber nicht zulassen sollen, dass der Hund es aufschlabbert. Und außerdem kann Lucy kein Spanisch.« Ich schnappte nach Luft.
Er sah mich verdutzt an. »Sogar deine Eltern glauben, dass du Spanisch kannst?«
»Sie haben mir einen Sommerkurs in Spanien bezahlt, was hätte ich ihnen denn sonst sagen sollen?«, blaffte ich.
»Die Wahrheit vielleicht? Kommt dir das jemals in den Sinn?«
»Ich hätte ihnen sagen sollen, dass ich in einem Club als Gogo-Tänzerin gearbeitet habe, statt den Job an der Hotelrezeption zu machen, den sie für mich arrangiert hatten?«
»Na ja, dann vielleicht doch lieber nicht.«
»Ich meine, wo sollen die ganzen großen Offenbarungen hinführen? Gerade noch kaufst du Glühbirnen für mein Bad, und im nächsten Moment erzählst du meinem Vater, dass ich ihn für einen arroganten kleinen Scheißer halte, der gefälligst von seinem hohen Ross runtersteigen soll? Du musst da mit mehr Feingefühl rangehen. Du sollst mir helfen, mich zu bessern, aber mich nicht in die Arbeitslosigkeit treiben und das bisschen Kontakt, das ich zu meiner Familie habe, auch noch kaputtmachen. Wir brauchen einen Plan.«
Eine Weile schwieg er. Ich sah, dass er sich meine Argumente durch den Kopf gehen ließ, und erwartete schon eine seiner Metaphern, aber ich irrte mich. Stattdessen sagte er schlicht: »Du hast recht. Es tut mir leid.«
Ich tat so, als würde ich übers Geländer kippen, und er und die Raucherin zogen mich so entschlossen zurück, als würde ich es ernst meinen.
»Danke«, sagte ich ein bisschen verlegen zu der Frau, und sie ergriff klugerweise die Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen.
»Aber was ich getan habe, tut mir nicht leid, nur meine Methode. Für die Zukunft sollten wir uns eine andere Strategie ausdenken.«
Ich empfand Respekt vor seiner Fairness und vor seiner Bereitschaft zuzugeben, dass er im Unrecht war. Also zog ich noch einmal an der Zigarette und drückte sie dann als Zeichen meiner Hochachtung aus. Aber er war noch nicht fertig, und ich musterte die zerquetschte, noch glimmende Zigarette und überlegte, ob ich sie nicht doch lieber aufheben und weiterrauchen wollte.
»Ich konnte nicht dasitzen und zuhören, wie du weiterlügst, Lucy, und dazu werde ich nie in der Lage sein, ganz gleich, welche Strategie wir ausarbeiten. Sie muss beinhalten, dass du nicht lügst. Ich bekomme Sodbrennen davon.«
»Wenn ich lüge, kriegst du Sodbrennen?«
»Ja, genau hier.« Er rieb sich den Oberbauch.
»Oh. Also, das tut mir echt leid.«
Er zuckte zusammen und rubbelte über die gleiche Stelle. »Deine Nase ist gerade schon wieder ein Stück gewachsen, Pinocchio.«
Ich schubste ihn. »Warum lässt du nicht mich den Leuten die Wahrheit sagen? Wenn ich so weit bin, meine ich.«
»Dann können wir warten bis zum Sankt Nimmerleinstag.«
»Na ja, ich kann unmöglich alles auf einmal zugeben, aber ich werde es schaffen, Stück für Stück. Zum richtigen Zeitpunkt. Wie wäre es, wenn wir abmachen, dass ich von jetzt ab keine Lügen mehr erzähle, und du machst einfach dein kleines Begleit- und Beobachtungsspielchen.«
»Wie willst du denn verhindern, dass du lügst?«
»Ich denke, ich weiß, wie das geht«, entgegnete ich ein bisschen beleidigt. »Ich bin ja nicht dämlich.«
»Was hat der falschverbundene Typ eigentlich an sich, dass du ihm die Wahrheit sagst?«
»Wer?«
»Du weißt genau, wen ich meine. Siehst du, schon wieder«, stellte er amüsiert fest. »Deine erste Reaktion war, einfach so zu tun, als hättest du keine Ahnung.«
Ich ignorierte seine Bemerkung. »Ich hab ihm gesagt, er soll mich nicht mehr anrufen.«
»Warum? Ist er besetzt?«
Obwohl er mit seinem Witz sehr zufrieden war, ging ich nicht darauf ein. »Nein, es war einfach nur komisch.«
»Schade.«
»Ja«, sagte ich unverbindlich, denn ich war nicht sicher, ob ich es wirklich schade fand. Dann streckte ich meinem Leben die Hand hin. »Also, abgemacht? Ich lüge nicht, und du schaust zu?«
Er dachte nach. »Ich möchte gern noch etwas hinzufügen.«
Ich ließ die Hand wieder sinken. »Hätte ich mir denken können.«
»Jedes Mal, wenn du lügst, gebe ich eine Wahrheit preis.« Jetzt streckte er die Hand aus. »Abgemacht?«
Ich dachte nach. Es gefiel mir nicht. Ich konnte nicht versprechen, nie wieder zu lügen, ich konnte es nur versuchen, und ich konnte auch nicht riskieren, dass er alle möglichen Wahrheiten aufdeckte. Aber wenn ich der Abmachung zustimmte, war ich wenigstens am Zug, und er konnte nicht einfach in meinem Leben rumtrampeln wie der Elefant im Porzellanladen. »Na schön. Abgemacht.« Wir schüttelten uns die Hand.
Als ich ins Büro zurückkam, war die Stimmung angespannt. Den anderen fiel es offensichtlich schwer zu entscheiden, ob sie wütend auf mich sein sollten oder nicht, ähnlich wie vor kurzem bei Steve. Daher arbeiteten wir schweigend und sammelten alle offenen Fragen erst mal in der neugeschaffenen Rubrik »Wenn alles wieder normal ist« neben Posteingang und Postausgang. Mein Leben saß mir direkt gegenüber, was ganz akzeptabel war, denn an den Namen des Mannes, der da gearbeitet hatte, erinnerte sich außer Edna garantiert niemand mehr. Er war schon bei der ersten Entlassungswelle Anfang letzten Jahres aussortiert worden, und ich hatte sowieso nichts mit ihm zu tun gehabt, weil ich in der Ecke direkt neben der Lüftung saß und meine einzige Aufgabe darin bestand, mich einigermaßen warmzuhalten und mir von Graham so wenig wie möglich auf die Nippel starren zu lassen. Wahrscheinlich brauche ich nicht eigens zu erwähnen, dass Augusto Fernández’ Versprechen, Steve seinen Job zurückzugeben, hohles Geschwätz gewesen war und Steves Schreibtisch leer dastand. Hätte mein Leben sich dort niedergelassen, wäre das sicher nicht gut angekommen, es hätte grob und verletzend gewirkt. Aber so saß er den ganzen Tag mir gegenüber am Computer, tipp-tapp-tippte, machte sich Notizen, beobachtete mich und hörte zu, wenn ich mit den anderen redete, was aber kaum vorkam, weil ja keiner Lust hatte zu kommunizieren.
Irgendwann fing ich an, über das nachzudenken, was er gesagt hatte. Über die falsche Verbindung, über Don Lockwood, darüber, dass ich ihn nicht anlog. Ich hatte keine Ahnung, warum ich bei ihm nicht lügen konnte, aber die einleuchtendste Erklärung war, dass ich nicht log, weil ich ihn nicht kannte – er war ein Wildfremder, bei dem die Wahrheit keine Rolle spielte.
Die Wahrheit spielte keine Rolle. Warum war sie dann bei allen anderen wichtig?
Ich nahm mein Handy und sah mir meine Fotos an. Bei dem von Dons Augen hielt ich inne, studierte sie, zoomte sie ran und wieder weg, erst das eine, dann das andere, wie eine Besessene, sah die türkisen, fast grünen Flecken in ihrem Blau, und speicherte sie schließlich als Bildschirmschoner. Es sah ziemlich beeindruckend aus, als das Handy neben mir auf dem Schreibtisch lag und sie zu mir emporstarrten.
»Was lächelst du denn so?«, fragte mein Leben, so plötzlich, dass ich heftig zusammenzuckte.
»Was? Mann, hast du mich erschreckt. Du kannst dich doch nicht einfach so an mich ranschleichen.«
»Ich sitze hier. Was hast du gerade gemacht?«
»Oh«, begann ich und wollte gerade sagen: »Nichts«, aber dann sah ich auf meinen Bildschirmschoner hinunter und wollte nicht mehr lügen. »Ich hab mir nur ein paar Fotos angesehen.«
Zufrieden, dass ich die Wahrheit sagte, beschloss mein Leben, eine Pause zu machen und in die Küche zu gehen. Graham sah sich um, vergewisserte sich, dass wir anderen an unseren Schreibtischen sitzen blieben, und folgte meinem Leben. Ich behielt die Tür im Auge und wartete, dass einer von beiden wieder herauskam, aber als fünf Minuten verstrichen waren, und immer noch nichts passierte, begann ich mir Sorgen zu machen. Mein Leben war entschieden zu lange mit Checker in der Küche. Hoffentlich war er nicht einem von dessen Flirtangeboten zum Opfer gefallen – ein Gedanke, der nicht wahr sein konnte, mir aber trotzdem ein flaues Gefühl im Magen machte. Schließlich ging ich zu dem Aktenschrank, den Louise lauschstrategisch günstig direkt neben die Küchentür gestellt hatte, zog eine Schublade auf und tat so, als suchte ich etwas.
»Dann hat sie also gelogen, was Spanisch angeht«, sagte Graham.
»Japp«, bestätigte mein Leben. Es klang, als würde er etwas essen, und ein scharrendes Geräusch war zu hören. Bestimmt kratzte er einen Joghurtbecher aus. Der Joghurt gehörte sicher Louise, sie machte das Weight-Watchers-Programm und zog sich den ganzen Tag Joghurt rein, der mehr Zucker enthielt als jeder Donut.
»Hm. Und wegen dem Rauchen auch.«
»Japp«, sagte mein Leben wieder. Kratz, kratz, kratz.
»Sie wissen bestimmt, dass ich rauche«, sagte Graham.
»Nein, das wusste ich nicht.« Mein Leben klang nicht besonders interessiert.
»Manchmal gehen wir nämlich zusammen eine rauchen, ich und Lucy«, berichtete Graham mit gedämpfter Stimme. Natürlich redete er nicht deshalb so leise, weil es um unsere geheime Raucherecke ging, sondern weil Männer über sexuelle Dinge, die sie getan hatten oder – noch häufiger – die sie sich wünschten, einfach immer so leise redeten.
»Zur Treppe beim Notausgang«, sagte mein Leben in normaler Lautstärke, was jedem, der nicht Graham war, klargemacht hätte, dass er keine Lust hatte, leise zu reden, und dass ihm außerdem das Thema nicht gefiel.
»Ich dachte, dass sie vielleicht was für mich übrighat. Dass sie vielleicht so tut, als würde sie rauchen, weil sie gern in meiner Nähe ist.« Jetzt brachte Graham auch noch ein anzügliches Kichern hervor. Anscheinend hatte er völlig vergessen, dass er es war, der mir folgte, wenn wir rauchen gingen.
»Meinen Sie?« Kratz, kratz.
»Na ja, bei der Besetzung hier ist es schwierig, sich näherzukommen. Aber was glauben Sie? Hat Lucy schon mal irgendwas über mich erzählt? Sie müsste es ja nicht mal aussprechen, Sie würden es bestimmt auch so wissen, oder nicht? Kommen Sie, Sie können es mir ruhig verraten.«
»Ja, ich weiß so ziemlich alles«, sagte mein Leben. Es ärgerte mich, dass Checker über mein Leben Bescheid wusste – es reichte doch wirklich, dass er sich ständig an mich ranschmiss, da musste er sich doch nicht auch noch bei meinem Leben einschleimen.
»Was glauben Sie? Will sie es?«
»Will sie was?« Abrupt verstummte das Kratzen. Der Joghurt war vertilgt, die Hemmschwelle übertreten.
»Sie hat mich ein paarmal abblitzen lassen, da will ich Ihnen gar nichts vormachen, aber das Problem ist, ich bin verheiratet, und so was ist wohl nicht Lucys Ding. Trotzdem hab ich immer noch das Gefühl, als wäre da was … Hat sie denn irgendwas in dieser Richtung gesagt?«
Jetzt war ein Quietschen zu hören – der Mülleimerdeckel wurde angehoben. Dann ein Rascheln – der Müllbeutel – und ein leiser Aufprall – der Joghurtbecher landete im Mülleimer. Kurz darauf ein Klirren in der Spüle – der Löffel. Und ein langer Seufzer – mein Leben.
»Graham, ich kann Ihnen versichern, dass Lucy Sie gerne mögen würde und dass sie gelegentlich Spuren von einem netten Kerl in Ihnen entdeckt, aber tief drinnen, tief, tief in ihrem Innern findet sie, dass Sie ein absolutes Arschloch sind.«
Ich grinste, schob die Schublade wieder zu und kehrte eilig an meinen Schreibtisch zurück. Zwar war mir mein Leben heute Morgen in den Rücken gefallen, aber heute Nachmittag hatte er eindeutig Stellung für mich bezogen. Das Büro – und insbesondere Graham – wurde noch stiller, und ich wurde nicht gefeuert.
Als ich abends im Bett lag, wusste ich, dass mein Leben noch wach war, weil er nicht schnarchte. Ich ließ mir noch einmal alles durch den Kopf gehen, was an diesem Tag geschehen und was zwischen mir, meinem Leben und allen anderen Beteiligten gesprochen worden war. Endlich kam ich zu einem Schluss.
»Du hast das alles geplant, stimmt’s?«, fragte ich in die leere Dunkelheit hinein.
»Was hab ich geplant?«
»Du bist absichtlich reingegangen und hast Edna die Wahrheit auf eine Art und Weise gesagt, die mich auf die Idee bringen sollte, die Wahrheit lieber selbst zu sagen.«
»Ich glaube, du analysierst alles ein bisschen zu viel, Lucy.«
»Aber hab ich recht?«
Schweigen.
Dann: »Ja.«
»Was hast du sonst noch vor?«
Er antwortete nicht. Aber das machte auch keinen Unterschied.