|69|Parasitäre Strategien
Sabine Fabo
Guerilla-Haltungen haben es heutzutage nicht leicht: Der Begriff der Guerilla ist hip und modisch wie selten zuvor und vor dem Hintergrund komplexer und verdichteter Strukturen im politischen wie im wirtschaftlichen Leben scheinen subversive Aktionen häufiger denn je die allein mögliche Gegenhaltung darzustellen. Gleichzeitig ist der Guerilla-Begriff in den beiden letzten Dekaden dermaßen populär geworden, dass wache Marktbeobachter Mitte der achtziger Jahre gar nicht umhin konnten, den Begriff des Guerilla-Marketings einzuführen.1 Das Imperium schlug nicht nur zurück, sondern griff Konter-Strategien auch zeitnah auf. Culture jamming und Adbusting, die sich auch in dieser Zeit etablierten, wurden mit einigen Jahren Verspätung in die Werbeindustrie »eingespeist« und von ihr vereinnahmt (vgl. Klein 2001: 309–313).
Den emanzipierten Konsumentenhaltungen stehen nicht minder emanzipierte Produzentenhaltungen gegenüber, die sich in intelligenten Sponsorings, Kooperationen oder Guerilla-Marketing-Aktionen äußern. »Werbung kann Spaß machen. Spontan, vom Zielpublikum nicht erwartet, erstürmen die Werbebotschaften die aufmerksamen Herzen potenzieller Kunden, hinterlassen ihre Werbebotschaft punktgenau und verschwinden wieder. Im Nichts. Das wirkt.«2 Was macht eine Konsumguerilla, wenn das Konsumsystem dieselben Strategien benutzt und diese konsumiert, bis sich der Hype des Rebellischen abgenutzt hat? Das Verschwinden einfacher Gegner erschwert die Überschaubarkeit der Lage. Eingekeilt werden mögliche kulturelle Gegenmaßnahmen von zwei Seiten: Zum einen zetteln Unternehmen und erfolgreiche Werbeagenturen wie TWBA kleine alltägliche Störungen des öffentlichen Raumes durch Werbung an, die sowohl in |70|marktorientierten Weblogs als auch bei YouTube ganz im Sinne einer viralen Philosophie verbreitet werden. Zum andern treibt die Selbstverharmlosung von künstlerischer Guerilla-Seite ironiefreie Blüten, wie das Guerilla-Art Kit von Keri Smith beweist. In dieser aktuellen Hobbythek des Widerstands wird man eingeweiht in die Kunst des Moosgraffitis oder der subversiven Installation mit Figürchen aus Toilettenpapierrollen. Sollte es dem zukünftigen Guerillero an Fantasie mangeln, können Protestmotive auch nach den Vorlagen der Künstlerin ausgeschnitten und vergrößert werden. Nichtsdestotrotz wird der Nutzer freundlich ermahnt, die Guerilla-Etikette zu wahren (vgl. Smith 2007: 22–24).
Auch die aktuelle Theorie vermeidet inzwischen die bloße Kritik an der Kulturindustrie und bezieht die Intelligenz des Systems Konsum ein. Die Kontrastierung von Konsum versus kreative Produktion verblasste schon in den achtziger Jahren mit Alvin Tofflers Portmanteau-Begriff des »Prosumers« (vgl. Toffler 1980). Hatte Tofflers Figur des produzierenden Konsumenten noch das Potenzial einer aktiven emanzipatorischen Haltung, so bleibt dem Konsumenten aus Bolz’ Konsumistischem Manifest nur noch die zynische Einsicht in die Systemautonomie der Konsumbedingungen: »Wenn wir vom System des Konsumismus sprechen, dann ist damit impliziert, dass der Konsum selbstbezüglich und damit autonom geworden ist […]. Shopping ist heute die letzte öffentliche Handlung – und damit das eigentliche Organisationsprinzip der Stadt« (Bolz 2002: 117). Der sozialistisch-utopische Entwurf des Kommunistischen Manifests wird in der Verschiebung des Zitats als veraltete Ideologie vorgeführt und der »Wertverzicht« der modernen westlichen Gesellschaft als permissive Freiheit interpretiert. Für Bolz stellt der Konsumismus »das Immunsystem der Weltgesellschaft gegen den Virus der fanatischen Religionen« dar (ebd.: Umschlagtext). Gleichzeitig macht Bolz einen »konsumistischen Virus« aus, der andere Kulturen auf dem Schleichweg der lustvollen Konsumption mit westlichen Werten »infiziert« (ebd.: 15). Die offensichtliche Metaphorik des Viralen verweist auf Ansätze, die sich taktisch und unauffällig verhalten und damit Guerilla-Prinzipien im Rahmen von Marketingstrategien ansprechen.
Andere Theoretiker wie Boris Groys möchten eine Kritik an den umfassend seligmachenden konsumistischen Maßnahmen nicht völlig aufgeben. Sie fordern die Intelligenz bisheriger ideologiekritischer Ansätze auf der Metaebene eines emanzipatorischen Konsumverhaltens heraus: »Der Künstler von heute erweist sich also nicht nur als ein einfacher Konsument, sondern als ein Konsument des Konsums – und somit auch als Autor |71|neuer Arten des kritischen Konsumverhaltens« (Groys 2003: 58). »Kritisches Konsumverhalten« ließe sich als die Erweiterung von Michel de Certeaus Kunst des Handelns (1988) ansprechen, demzufolge sich der Verbraucher die Konsum-Objekte durch »eigene Handlungen« wie strategische Umdeutung oder Missbrauch aneignet (ebd.: 79f.).
Die Oppositionschemata von Kunst und Konsum wurden spätestens mit den Themen der Pop Art in ihrer Simplizität entlarvt. Arbeiten von Jeff Koons oder Sylvie Fleury haben schon früh die Grenzen zwischen Kunst- und Konsumobjekten durchlässig gemacht. Das Thema Shopping erfuhr zudem mit dem neuen Jahrtausend eine Renaissance. In einer theoretischen und faktischen Bestandsaufnahme der Harvard Design School erklärte Rem Koolhaas Shopping zum Zentrum einer Problematisierung der urbanen Situation.3 Zeitlich parallel erfolgte die Musealisierung der Kaufleidenschaft: Im Lichte des Shoppings wurden auch die systemkritischen Arbeiten von Barbara Kruger in einer Shopping-Ausstellung in der Frankfurter Schirn (2002) neu kontextualisiert. Krugers kraftvoll ironisches Statement »I shop therefore I am« aus dem Jahr 1987 machte 15 Jahre später einer sanften Kooperation mit der Frankfurter Galeria Kaufhof Platz. Die Fassadeninstallation des Kaufhauses zeigte auf 2.200 Quadratmetern Fläche ein Augenpaar, dass Einkaufsbummler mit dem Schriftzug »Das bist Du, das ist neu, das ist nichts, das ist alles. Du willst es, Du kaufst es, Du vergisst es.« konfrontierte. Im Geschäft konnte man auf Anfrage Einkaufstüten mit dem Logo der Ausstellung erhalten. Dem Antwerpener Modemacher Walter van Beirendonck, der in den späten neunziger Jahren den Begriff des Terroristen auf das Protestpotenzial der Streetwear heruntergebrochen hatte, gelang es im Jahr 2000, seine Verkaufsausstellung Exorcism/Aesthetic Terrorism in das Boijmans van Beuningen-Museum in Rotterdam zu integrieren. Der Rahmen des White Cube endete, nachdem man den strengen Blick des Museumswärters hinter sich gelassen hatte, an den Rezeptionsbedingungen einer zeitgemäßen, minimalistischen Boutique: Suchen, Anprobieren, Kaufen waren die Akte, zu dem das Setting ermunterte. Van Beirendoncks Winterkollektion 2006/2007 nahm mit dem Slogan Stop Terrorizing our World allerdings Abschied vom verbalen Terrorchic.
Die Verschränkungen zwischen Kunst, Konsum und Kritik sind enger und konformer geworden und subversives Gedankengut lässt sich nicht zwangsläufig hinter jedem Zusammengehen ausmachen. In Zeiten kooperativer |72|Umarmungen auf beiden Seiten äußert sich widerstandsfähiges Denken oft in der Nähe des Gegners. Es nutzt dessen Infrastruktur und Produktionsbedingungen und verfolgt aus der Position des uneingeladenen Gastes heraus eine subversive Strategie, die sich in Anlehnung an Michel Serres parasitär verhält:
»Der Parasit ist ein Erreger. Weit davon entfernt, ein System in seiner Natur, seiner Form, seinen Elementen, Relationen und Wegen zu verwandeln […], bringt er es dazu, seinen Zustand in kleinen Schritten zu verändern. Er bringt ein Gefälle hinein. Er bringt das Gleichgewicht oder die Energieverteilung des Systems zum Fluktuieren. Er dopt es. Er irritiert es. Er entzündet es. […] Er verändert den Zustand des Systems, seinen energetischen Zustand, seine Verschiebungen, seine Verdichtungen.« (Serres, 1987: 293f.)
Die Tücke der Objekte
Gegenstände, die sich parasitär in der Welt des Konsums verhalten, weisen eine irritierende, ambivalente Haltung auf. Sie funktionieren vollständig innerhalb der Logik der Ware: Sie werden produziert, verkauft, gesammelt, ausgestellt; zwischen Künstlern und Konsumenten herrscht Einverständnis über den Sinn dieser Objekte. Dennoch wagen sich diese Gegenstände so weit vor, dass sie ihre Rezeption verkomplizieren und einen ironischen Subtext bereithalten.
Die Mode ist ein weiteres Feld des Konsums, das in den letzten Jahren von der Kunst beobachtet und bearbeitet wurde. Nah an der Figur des Rebells erstellte Olaf Nicolai im Jahr 2000 seine pirate edition, bei der eine von dem Künstler ausgewählte Schneiderei in der ostdeutschen Kleinstadt Calbe den Auftrag erhielt, einen Anzug von Prada sowie ein Hemd von Gieves & Hawkes nach Vorlagen aus Werbeanzeigen zu kopieren. Ein Modell trug der Künstler selbst. Die Produktionsgeheimnisse der illegal kopierten Kleidung wurden in Form der Schnittmuster allen Lesern der Wochenendbeilage einer regionalen Zeitung zur Verfügung gestellt (Fricke 2004). Markenbewusste Konsumenten in einem strukturschwachen Gebiet konnten nun die Modelle der Nobelmarken an den überhöhten Preisen der Originale vorbei selbst anfertigen. Die Verknappungspolitik des Modesystems wurde regionaldemokratisch ausgehebelt und das eigene Nachschneidern reduzierte den Konsum auf den preiswerten Genuss der bloßen Marke. Der Teppich Lenin: 8 Quadratmeter, 2000, den Nicolai aus 8 Quadratmetern |73|eines Stoffes für Prada-Abendkleider erstellte, verknüpfte Lenins Idealvorstellung der Zuteilung von Wohnraum für eine Person mit dem glamourösen Luxus der High Fashion. Die für die Ideologie der sozialistischen Sowjetunion wesentliche Einschränkung des Konsums auf das Notwendige des Lebens wurde in der Installation mit den vom Markt genährten Wünschen nach mehr Glanz in den Hütten überblendet (Nicolai 2003: 116).

Abbildung 1: Erwin Wurm, ohne Titel, 1997, Palmers series
(Quelle: Erwin Wurm 2002: 78)
Gegen die Konvention ging auch Erwin Wurm mit Modeartikeln um. So hatte er 1997 in einer Werbeaktion für die österreichische Unterwäschefirma Palmers unter anderem hautfreundliche Bodys völlig gegen ihre Funktion über den Kopf gezogen oder die Beine durch Ärmelausschnitte gesteckt (Abbildung 1). Diese Palmers Series, die die One-Minute-Sculptures des Künstlers vorwegnahm, erfolgte in völliger Übereinstimmung mit dem |74|Wäschehersteller (vgl. Wurm 2002: 78f.). Die Kleidung wurde konträr zu ihrer Funktionalität vorgeführt und geriet zum Bestandteil eines skurrilen Körper-Bondages. Die Inszenierung exzentrisch gekleideter, umwickelter Körper machte den konfektionierten Gebrauch von Kleidung lächerlich, gleichzeitig konnte sich die Herstellerfirma mit ihrem Mut zum Risiko von anderer, eher klassischer Wäschewerbung abheben und somit die eigene Marke stärken.

Abbildung 2: GALA Committee, Melrose Place Art, TV-Phage
(Quelle: Auktionskatalog Sotheby’s, Primetime Contemporary Art. Art by the GALA Committee as seen on Melrose Place, Beverly Hills 1998, Nr.7, unpaginiert)
Eine Zusammenarbeit mit dem Wirtssystem Fernsehen vollzog 1997/1998 die kalifornische Künstlergruppe GALA Committee mit der amerikanischen Fernsehsendung Melrose Place. Die Künstler sahen sich durchaus in der Tradition des Culture Jammings, dennoch waren hier die Tendenzen einer auf beiden Seiten akzeptierten Durchdringung so stark, dass man eher von einer asymmetrischen Kooperation sprechen konnte, aus der die Künstlergruppe als der effizientere Parasit hervorging. Melrose Place als Sinnbild leichter, amerikanischer Soap-Kost wurde mit intelligenten Objekten des Set Designs versehen, die sich widersprüchlich bis kritisch zu den Inhalten der Fernsehproduktion oder auch der Institution Fernsehen verhielten. Die regelmäßige Ausstrahlung der Melrose-Folgen sorgte für die Verbreitung des viralen Moments, das dann in einer Sendung als Kunstobjekt TV-Phage manifest wurde (Abbildung 2). Als verräterische Requisiten tauchten Kuscheldecken für |75|Schwangere auf, hinter deren plüschigem Ornament sich die Formel der Abtreibungspille RU 486 verbarg, chinesische Fastfood-Packungen mit systemkritischen Parolen sowie eine Bar, deren Flaschenetiketten die gesamte trübe Geschichte der amerikanischen Prohibition nacherzählten. Die sprichwörtliche Seifigkeit der Soap wurde nach dem Prinzip des cum grano salis arretiert und wandte sich in erster Linie an die bereits verfeinerten Geschmacksknospen. Der unraffinierte Geschmack konnte sich weiterhin ohne intellektuelle Eintrübungen an den TV-Schicksalen erfreuen, während die anderen um die kritischen Momente wussten. Die Produzenten der Sendung waren in alle Aktionen eingeweiht, für den Betrachter jedoch enttarnte sich der parasitäre Eingriff nicht auf Anhieb und setzte das Wissen um seinen Kontext voraus.
Kritik an konsumistischen Positionen wird auch dort artikuliert, wo die Liaison zwischen Kunst und Konsum nicht in einem strategischen Gestus überboten, sondern in der Verweigerung von Konsum dezidiert abgelehnt wird. Hier lässt sich am ehesten eine klassische Guerilla-Haltung beobachten. So steht Kunst als Dienstleistung und nicht als Ware in einem Tauschprozess ästhetischer Güter im Mittelpunkt der amerikanischen Künstlergruppe Temporary Services. Kunst soll aus ihrer privilegierten Position herausgelöst werden. Die Maßstäbe der Konkurrenz und des Wettbewerbs werden abgelehnt und durch Aktionen ersetzt, die Menschen einbeziehen, die außerhalb des Kunstsystems stehen. Ihnen will die Künstlergruppe zu einem eigenen Ausdruck und zu einem öffentlichen Forum verhelfen.
»Temporary Services seeks to create and participate in ethical relationships that are not competitive and are mutually beneficial. We develop strategies for harnessing the ideas and energies of people who may have never participated in an art project before, or who may feel excluded from the art community.«4
Neben einem Archiv des nicht-intentionalen Designs, in dem alltägliche Gestaltungen und Kommunikationsabsichten präsentiert werden, wird der öffentliche Raum auch für Guerilla-Aktionen und alternatives Productplacement aufgesucht. Im Ausstellungswesen bekannt wurde Temporary Services durch ihre Prisoners’ Inventions, einem Ausstellungs- und Buchprojekt über die Erfindungen von Gefängnisinsassen. Diese Objekte, die aus der Not mangelnder Konsummöglichkeiten und restriktiver Überwachung entstanden sind, sollen vor allem auf die reiche Fantasie der Häftlinge hinweisen|76|, die in kühner, auch lebensgefährdender Bricolage, Objekte des bescheidenen Genusses und der Erleichterung des Lebens herstellen wie Zigarettenanzünder, Pfeffer- und Salzstreuer aus Eisstielen, eine Tätowiermaschine oder eine Sexpuppe aus zwei mit warmem Wasser gefüllten Plastiksäcken (Abbildung 3; Prisoners’ Inventions 2003: 54, 84f., 96f.).

Abbildung 3: Prisoners’ Inventions Tätowiermaschine
(Quelle: Temporary Services 2003: 97)
Der Parasit trägt Prada
Um 2001 wurde mit der kurzfristigen Etablierung des alternativen Labels Prada-Meinhof durch die Hamburger Modeagentur Maegde und Knechte der Terrorchic zur dekorativen Pose, die T-Shirts und Plakate zierte. Die parasitäre Partizipation an der RAF-Historie erhob die triste Erfahrung eines »Deutschlands im Herbst« in den Status modischer Attraktivität, der sich auch in entsprechenden Filmen und Ausstellungen zur RAF spiegelte. Die einprägsame, zynische Wortschöpfung ist inzwischen zu einer englischen Künstlerinnengruppe gewandert, die als Prada-Meinhof-Gang firmiert und ihre |77|Website mit roten, blutähnlichen Spritzern auflockert.5 Maegde und Knechte haben ihre intelligente Arbeit an den Slogans des Marktes derweilen weiterentwickelt und kontern die dumpfe Schnäppchenmentalität ihrer Mitbürger mit dem Diktum »Geist ist geil«.6
Innerhalb des Marktsystems ist die Position der Haltungen, die mit dem Konsum flirten, oftmals doppeldeutig. Für den klassisch ideologiekritisch geschulten Blick tarnt sich die Anbiederung an Geld, Aufmerksamkeit und Glamour als postmodernistische Kooperationsstrategie. Doch die parasitäre Zusammenarbeit kann zu durchaus kritischen Ergebnissen führen und den Diskurs um Kommerz und Kunst intensivieren. Die dahinterstehende künstlerische Haltung möchte den Gegner mit seinen eigenen Mitteln und Taktiken konfrontieren, sein System nutzen und aus seinem Innern heraus virale Veränderungen einleiten. Künstler wie Takashi Murakami arbeiten schon seit einigen Jahren mit Unternehmen wie Louis Vuitton zusammen. In dieser fast schon symbiotischen Beziehung hatte Murakami das Logo auf Vuitton-Taschen seiner persönlichen Farbskala angepasst. Ein kleiner Vuitton-Shop ist in die jüngste Murakami-Ausstellung in Los Angeles integriert und schmiegt sich konsequent in Murakamis Prinzip des Merchandizing ein.7 Der japanische Künstler verfährt dabei nur konsequent, da für ihn die Zusammenführung von etablierter Hochkultur und populärer Unterhaltungskultur vitaler Bestandteil seines Konzepts von Superflat ist. Das Zweidimensionale der Oberfläche japanischer Malerei und Animationsfilme wird hier als alternative Antwort auf den Mythos des Tiefgangs vorgestellt (Murakami 2000: 9–25).
Die Überbietung der Logik des Marktes führte Tom Sachs Ende der neunziger Jahre mit seinen Bricolage-Arbeiten vor, welche die Logos weltbekannter Marken wie Chanel oder Prada in die raue Schönheit des Handgemachten überführten. Als Möbeldesigner und ehemaliger Schaufenstergestalter des New Yorker Warenhauses Barney’s war Sachs schon früh mit den Regeln der Inszenierung von Ware vertraut. Seine Regelverletzungen wie die berühmte Weihnachtskrippe mit Bart Simpson als einer der Heiligen Drei Könige sowie einer Hello-Kitty-Figur als Jesuskind empörten zwar rechtsgerichtete Christen und Sachs’ Arbeitgeber, aber die Kunstwelt und |78|der mit ihr assoziierte Kunstmarkt nahmen den Rebell sogleich auf. Schon die Bezeichnung von Sachs’ Werkstatt Allied Cultural Prosthetics verweist auf eine prothetische Dienstleistung, die sich parasitär im Zentrum der Kulturvermarktung aufhält und von dort aus Kunst und Konsum zynisch kommentiert:
»Faschismus und Mode – bei beidem geht es um den Verlust von Individualität […] Ich interessiere mich für die Hardware von Horror und Tod. […] Die Konzentrationslager sind erstaunliche Beispiele für deutsche Technik und Design. Es gibt klare Verbindungen zwischen Massen-Konsumgütern und jenen Produkten, die zu militärischen Zwecken entwickelt wurden.« (db-art.info 2003)

Abbildung 4: Tom Sachs, Prada Deathcamp
(Quelle: www.tomsachs.org/works/pradadeathcamp.htm)
Trotz des Faschismus-Vergleichs reagierte die Modewelt mit integrativer Hartnäckigkeit. Tom Sachs’ berühmte Prada-Hutschachtel Prada Deathcamp (Abbildung 4), aus der er ein KZ en miniature bastelte oder die in ihren Maßen naturgetreu umgesetzte Chanel-Guillotine sorgten zwar für einen Aufschrei der Kulturbeflissenen, bei den ins Visier genommenen Modemarken wurden die Arbeiten jedoch überaus positiv aufgenommen und mögliche |79|konsumkritische Untertöne perlten an dieser Umarmungsfigur ab. Stattdessen stützten sich Kunst und Modewelt durch ein angeblich zufälliges Zeitmanagement gegenseitig: Sachs’ Ausstellung Creativity is the Enemy in der Pariser Galerie Thaddeus Ropac erschien 1999 zeitgleich zu den Haute-Couture Schauen (ebd.). Die Fondazione Prada hatte Sachs bei einer anderen Gelegenheit ein unbegrenztes Kontingent an Schuhkartons angeboten und im Jahr 2006 hatte das Mailänder Modehaus eine große Tom Sachs-Ausstellung in seinen eigenen Hallen ermöglicht, wobei die kontroversen Werke der früheren Phase allerdings fehlten.
Die Philosophie des Prada-Konzerns ist gleichwohl zu vielschichtig, um die Verharmlosung künstlerischer Arbeit ins Modische zu betreiben, wie eine Äußerung von Miuccia Prada zeigt: »Ich will nicht, wie viele andere, zur immer leichteren Konsumierbarkeit von Kunst beitragen. Vielleicht ist Kunst inzwischen nicht mehr das Terrain von Rebellion und Radikalität wie früher« (Karcher 2007). Einer vordergründigen Überblendung von Mode und Kunst steht man eher skeptisch gegenüber. Die Indienstnahme der Kunst erfolgt auf der zunächst immateriellen Basis eines Ideengebers. Hierin gleichen sich künstlerische und marktorientierte Strategien. Der Konzern scheut sich nicht, auch die eigene Marke über die kommerzielle Verwertung und Markendistinktion hinaus als virales Vehikel einzusetzen, um Ideen zu verbreiten und die Kulturdebatten zu beleben.
»Prada: […] Mich interessiert die jeweils eigene Intelligenz der beiden Disziplinen [Mode und Kunst] und wie ich sie für mich fruchtbar mache. Wo ist sie, die neue Energie, die meine Visionen beflügelt? In der Kunst, oder doch eher in der Musik, Philosophie, im Theater, im Kino? Wo? Zurzeit suche ich fast hysterisch nach neuen Impulsen. Und wenn ich das Kapital von Prada und das Label selbst dafür nutzen kann […].
SZ: […] die Welt zu retten?
Prada: Nein, nein, wie komisch, nein, das wäre ja unrealistisch. Aber vielleicht: sie etwas menschlicher zu machen, oder eben wenigstens ein winziges bisschen intelligenter. Ich verwende die Power der Marke als Vehikel, der Gesellschaft Ideen einzupflanzen, die Diskussionen auslösen, Probleme ansprechen und sie möglicherweise zum Besseren verändern.« (Karcher 2007)
Nicht nur Künstler nehmen kritische Metaebenen zu ihrem Werk ein, die Modebranche ist intelligent genug, dieses Privileg der kritischen Distanz selbst einzusetzen. Gleichzeitig gewinnt Prada durch diese Freigabe und Funktionsverlagerung der Marke ein weiteres Distinktionsmerkmal in einer Branche, die sich vor allem über die weichen kulturellen Faktoren ihrer Markenidentität behauptet.
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Abbildung 5: Elmgreen & Dragset, Prada Marfa
(Quelle: Elmgreen & Dragset 2007: 18)
Die wechselseitigen symbiotischen Verhältnisse können jedoch auch strategisch zum Stillstand gebracht werden und damit den Konsum wieder unterbinden. Das norwegisch-dänische Künstlerteam Michael Elmgreen & Ingmar Dragset, das bereits in früheren Installationen die Dekontextualisierung von Kunsträumen zum Thema gemacht hatte, hat mit der Prada Marfa eine Prada-Boutique an eine vereinsamte Landstraße mitten in Texas gesetzt (Abbildung 5). Dem ungestörten Konsum sind hier von vornherein Grenzen gesetzt. Zum einen ist das Angebot der kleinen Boutique auf sechs Handtaschen und 20 Paar Highheel-Schuhe begrenzt. Darüber hinaus ist die Boutique immer verschlossen geblieben, was ihren konsumistischen Charakter auf die visuelle Variante des Window Shoppings beschränkte. Die Eröffnung der Installation am 01. Oktober 2005 fand an der Straße in einem kleinen Kreis von Eingeweihten statt. Der Prozess, der zur Installation führte, erfolgte mit der Einwilligung von Prada. Das Modelabel stiftete die Inhalte der Boutique und ersetzte sie auch nach einem ersten Diebstahl. Ein direktes Engagement der Fondazione Prada in Form einer Kunstausstellung oder einem begleitenden Katalog gab es jedoch nicht.
Das Branding des Shops folgte den Strategien des Marktes. Obwohl die architektonische Skulptur in der Nähe der kleinen Stadt Valentine – 160 Einwohner – liegt, wurde die Boutique Prada Marfa benannt, wegen des einprägsameren Klangs und aufgrund der Tatsache, dass die Stiftungen, die das Projekt unterstützen, in der texanischen Stadt Marfa angesiedelt sind. Mit Marfa als Marke verknüpft sich zudem eine ganze Traditionskette der Suche nach dem schnellen finanziellen Erfolg. Marfa stellt seit Jahrzehnten für verschiedene Filmschaffende die Projektionsfläche menschlicher Sehnsucht dar: George Stevens drehte dort 1955 Giganten mit James Dean und |81|auch Paul Andersons aktuelle Umsetzung des Öldramas There will be Blood (2007) bediente sich des trostlosen Charmes dieser Landschaft, ebenso der oscargekrönte Film No Country for Old Men (2007) der Coen-Brothers. Neben dem Mainstream des Kinos übt Marfa durch die bekannte Minimal-Art-Sammlung des Künstlers Donald Judd auch eine gewisse Anziehungskraft auf die Kunstwelt aus.
Dem aus einfachen Ziegeln errichteten Marfa-Pavillion fehlt die Aktualität des Modischen, denn bis auf den Ersatz eines Diebstahls kurz nach der Eröffnung verharrt das Angebot im Zustand von 2005 und veraltet geduldig mit jedem Jahr. Einer alternden, verschlossenen Boutique im Niemandsland bleibt nur noch die Zuflucht in die künstlerische Skulptur. Der Prada-Modetempel en miniature steht sex-und-city-los an einer staubigen Landstraße und ist dem langsamen Verfall anheim gegeben, die sprichwörtlichen Wechsel der Mode haben vor ihm Halt gemacht. Prada Marfa zeigt die Enttäuschung angesichts einer ungenutzten, elegant designten Einkaufsumgebung. Solange das Ziel aller noch so raffinierten Inszenierungen unsere Kaufkraft ist, bleibt dieser Laden stumm und nur Kunst-Konsumenten kommen bei dieser Architektur für den Kopf auf ihre Kosten. Unsere Imagination und unsere Schaulust fungieren hier nicht, wie bei anderen Mode-Szenarien, als Gleitmittel eines Warentauschs, sondern sie sind das eigentliche Anliegen der Produzenten.
Der Parasit unserer Zeit kommt auf leisen Sohlen daher und entgeht seinem Hesitation Blues angesichts der Übermacht des faktischen Konsums, indem er unmerkliche Verschiebungen vornimmt. Als Konsum-Kooperationist hält er sich in den Zwischenräumen von Kunst und Kommerz auf und weiß sich einzurichten, irgendwo zwischen den Weiten der texanischen Wüste und dem Hamburger Pragmatismus eines Geist ist geil.
Literatur
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Beirendonck, Walter van, http://www.waltervanbeirendonck.com/HTML/home. html?/HTML/CV/cv.html&1, 29.02.2008.
Certeau, Michel de (1988), Kunst des Handelns, aus dem Französischen übersetzt von Ronald Voullié, Berlin.
Elmgreen & Dragset (2007), Prada Marfa, Köln.
|82|Fabo, Sabine (Hg.) (2007), »Parasitäre Strategien«, Kunstforum International, Bd. 185, Mai–Juni.
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Groys, Boris (2003), »Der Künstler als Konsument«, in: Ders. Topologie der Kunst, München/Wien, S. 47–58.
Guerilla-Marketing, http://www.guerilla-marketing.com, 29.02.2008.
Harvard Design School Guide to Shopping (2001), Köln/London u.a.
Karcher, Eva (2007), Miuccia Prada im Interview »Ich suche fast hysterisch nach neuen Impulsen« in: sueddeutsche.de, http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel /435/147092, 29.02.2008.
Klein, Naomi (2001), No Logo!, München.
Koerner von Gustorf, Oliver (2003), »Waffen, Status, Shopping. Tom Sachs’ ultrademokratische Modellwelten«, in: db-artmag, 11, http://www.db-artmag.de/ 2003/11/d/1/96.php, 29.02.2008.
Levinson, Jay Conrad (1984), Guerrilla Marketing: Secrets for Making Big Profits from Your Small Business. Boston.
Maegde und Knechte ® - Elternhaus ®, http://www.maegdeundknechte.de, 28.02.2008.
Murakami, Takashi (2000), Superflat, Tokyo.
Nicolai, Olaf (2003), << rewind >> forward, Susanne Pfleger/Olaf Nicolai (Hg.), Katalog zur Ausstellung: Die Flamme der Revolution liegend, Wolfsburg/Ostfildern-Ruit.
Serres, Michel (1987), Der Parasit, Frankfurt/M.
Smith, Keri (2007), The Guerilla Art Kit, New York.
Temporary Services (2003), Prisoners’ Inventions, Chicago.
Toffler, Alvin (1980), The Third Wave, New York.
Wurm, Erwin (2002), in: Peter Weibel (Hg.), Katalog centre national de la photographie Paris, Galleria d’Arte Moderna Bologna, ZKM Center for Art and Media, Karlsruhe, Ostfildern-Ruit, S. 242.
1 |
Der Unternehmensberater und Marketingexperte Jay C. Levinson veröffentlichte sein Guerilla-Marketing-Handbook 1984. |
2 |
Unter http://www.guerilla-marketing.com/weblog lässt sich die Philosophie der werbefreundlichen Guerilla anhand intelligenter Werbeaktionen nachvollziehen. |
3 |
»Shopping is arguably the last remaining form of public activity« (Harvard Design School Guide to Shopping 2001: Innenseite Einband). |
4 |
Siehe Website der Organisation http://www.temporaryservices.org/contact.html, 27.05. 2008. |
5 |
Siehe http://www.pradameinhof-gang.com, 27.05.2008. |
6 |
Siehe die Kollektion des Labels unter E-Kommerz auf der Webseite http://www.maeg deundknechte.de, 27.05.2008. |
7 |
Siehe © MURAKAMI, The Museum of Contemporary Art, Los Angeles, 29.10.2007– 11.02.2008, http://www.moca.org/murakami, 26.02.2008. |