|169|Apokalyptische Jungs – Formen von Männlichkeit auf MySpace
Jan Grünwald
»Man kann nicht das Gute befreien, ohne das Böse zu befreien. Das Böse sogar mitunter schneller als das Gute, in ein und derselben Bewegung.« (Baudrillard 2006: 45)
Dieser Aufsatz geht den Fragen nach, wie sich archaische Männlichkeiten präsentieren und verbildlichen, inwieweit die Medienstruktur von MySpace solchen Darstellungen zuträglich ist und welcher Strategien man sich bedient, um dem Anspruch gerecht zu werden, das absolut Böse zu verkörpern. Der Begriff von Männlichkeit, der diesem Aufsatz zugrunde liegt, sieht diese als ein kulturelles Produkt. Sie ist ein Konstrukt und wird inszeniert. Somit kann es nicht nur eine Männlichkeit als feststehende Entität geben, sondern es kann von Männlichkeiten gesprochen werden, die auf verschiedenen Ebenen in Relation zueinander treten. Männlichkeit ist keineswegs eine Zusammenstellung von Attributen die dem männlichen Subjekt von Geburt an inhärent sind, sondern eine Reihe an Erwartungen, die gesellschaftlich angemessen scheinen und so vermittelt werden. Die hier anhand der Musikrichtung des Black Metal beschriebene bildliche Inszenierung archaischer Männlichkeiten kontrastiert den zeitgenössischen Umgang mit Styles, Subversivität und deren Widerstandspotenzial. Den Mikroabgrenzungen, der Suche nach Nischen und der Fluidität zeitgenössischer, popkultureller Phänomene und Diskurse wird hier eine Form direkter widerständiger Opposition entgegengestellt, die ebenso unzeitgemäß anmutet, wie archaische Männlichkeiten selbst. Das bildgewaltige Auftreten der Black Metal-Szene will nicht subversiv unterwandern oder konterkarieren, sondern strebt ein apokalyptisches Moment an – als Negativ der Utopie einer popkulturellen Verheißung – teils auf symbolischer Ebene, teils mit Realitätsbezug.
Allgemein kann gesagt werden, dass (Medien-)Bilder keine Abbilder sind und Bedeutung durch Repräsentation erzeugt wird. Diese medial dargestellten und erzeugten Stereotype von Männlichkeiten reflektieren keine |170|bestehende Realität, auch keine längst vergangene, jedoch eignen sie sich besonders, Ideale zu festigen und diese auch »über den Ablauf ihres gesellschaftlichen Haltbarkeitslimits hinaus zu konservieren« (Mühlen Achs 1998: 15). Der Begriff gender impliziert eine kulturelle Codierung des Geschlechts, welche weitgehend medial bedingt ist. Somit ist die symbolische Ordnung nicht von den medialen Bedingungen und ihrer Entstehung zu trennen. Im Web 2.0 steht die Kommunikation über Bilder im Vordergrund (vgl. Richard/Grünwald 2008). Die Kraft visueller Medien als Vorbildproduzenten und Stereotypenkonservierer, begründet sich darüber, dass die Botschaften nicht über den abstrakten Modus der verbalen Sprache in Form von Konzepten vermittelt werden, sondern über den Modus der repräsentativen Symbolik kommunizieren und somit unmittelbarer aufgenommen werden können. Somit bieten visuelle Medien das ideale Instrumentarium zur Konstruktion und Kommunikation von Mythen (vgl. Mühlen Achs 1998: 37). Das Bild kann der Festigung tradierter Rollenmuster dienen, sie aber auch brechen. Die Visualisierung von (Stereo-)Typen und Stilen muss der Struktur des jeweiligen Mediums und der jeweiligen Plattform angepasst werden. Neben dieser Medienadäquanz (vgl. Richard 2008) muss beachtet werden, dass Bilder, die in verschiedenen Medien repräsentiert sind, auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Medienstruktur, als shifting image (vgl. Richard 2003) analysiert werden. Es gilt herauszufinden, ob sich Brüche ausmachen lassen, wie sie sichtbar gemacht werden und ob sie letztendlich eine Alternative zu tradierten Männlichkeiten und Rollenstereotypen bieten, oder ob eine Hypermaskulinität wie die archaischer Männlichkeiten eine Form von rückgewandter Avantgarde darstellt.
Raum für Bildidentitäten
MySpace ist ein soziales Netzwerk im Web 2.0, bei dem Nutzerprofile mit Fotos, Videos, Audio und Blogs kostenlos eingerichtet werden können, und das sich über Werbung finanziert. Es gibt zwei Arten von Profilen auf MySpace: das Personen-Profil und das Musik-Profil, da MySpace ursprünglich als Kommunikationsplattform für Musiker gedacht war. Das Musik-Profil einer bestimmten Band muss nicht zwingend von der Band selbst stammen. Auch Fans können ein Profil ihrer Lieblingsband erstellen. Somit können Bands über diverse Profile auf MySpace in Erscheinung treten. |171|Vom MySpace-Profil kann die Webseite der Band verlinkt werden. Die Verortung innerhalb einer Szene, egal ob bei Personen- oder Musik-Profilen, wird, neben Angaben über persönliche Vorlieben oder Musikreferenzen, durch die friends list vereinfacht. Die top friends erscheinen auf der Profil-Seite und bieten dem Rezipienten so die Möglichkeit, beispielsweise neue Bands oder Privatpersonen kennen zu lernen, die ähnliche Interessen aufweisen.
Die Bildanalyse bezogen auf Männlichkeit ist auf MySpace diffiziler als auf anderen Plattformen des Web 2.0 wie Flickr (vgl. Richard/Grünwald/ Ruhl 2008) oder YouTube (vgl. Richard/Grünwald 2008). In Flickr ist das Bild, in YouTube das Video Hauptkommunikationsmittel, bei dem man sich über tags und groups fortbewegt. Auf MySpace dient das Bild der Unterstützung des eigenen Profil welches auch über Text kommuniziert, beispielsweise über die Beschreibung von Hobbies, Ansichten, Vorlieben. Quasi als Poesiealbum 2.0. Neben der Such-Funktion auf MySpace, die zwischen Personen, Gruppen, Musik und Videos unterscheidet und anhand der click rate ihre Ergebnisse sortiert, ist man auf MySpace häufig auf assoziatives Suchen angewiesen. Es kann auch gesagt werden, dass die Medienstruktur von MySpace zum assoziativen Suchen animiert, etwa über die friends list. Ein MySpace-Profil als ein ständig Veränderungen unterworfenes persönliches Archiv führt verschiedene Bild- und Textinformationen zusammen. Fotos, embedded Videos, Blogs und Links bilden ein Konglomerat, das somit nicht auf eine Form der Selbstpräsentation beschränkt ist. Unter dem Gesichtspunkt der Bildlichkeit auf MySpace können zwei Ebenen unterschieden werden.
Zunächst gibt es Einzelbilder, die auf der Profilseite genutzt werden. Beispielsweise das Profilfoto, Slideshows, embedded Videos oder Fotos und Videos auf untergeordneter Ebene. Dem Profilfoto, also dem Einzelbild, das repräsentativ für den User steht, kommt eine besondere Bedeutung zu, weil dieses eine wichtige Repräsentations- und Kommunikationsgrundlage bietet. Auf der zweiten Ebene kann zudem das gesamte Profil als Bild betrachtet werden. Diese Betrachtungsweise ist zur Analyse von individualisierten Profilen nötig. Das sogenannte customizing zeigt, dass der User nicht nur versucht, sich über Bildmedien und Textbeiträge darzustellen, sondern dass er auch daran interessiert ist, dem Profil als Ganzes ein individuelles Aussehen zu verleihen. Ein individualisiertes Profil, welches durch das Einfügen verschiedener html-tags erreicht wird, spricht dem User auch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Materie zu. Die Möglichkeit |172|des customizing zeigt aber auch einen anderen Umgang der Plattformbetreiber mit ihrem Programm und den Usern. Vergleichbare Plattformen wie Facebook oder Studivz lassen den kreativen Umgang der User mit ihren Profilen nicht zu.
Somit ist ein besonderes Augenmerk auf das Profilfoto sowie das customized Profil als Ganzes zu richten. Bei dem Musik-Profil ist weiter zu fragen, inwieweit sich das MySpace-Profil von der Bandwebseite unterscheidet. Wie wird die Band/Person auf der jeweiligen Plattform, mit den ihr inhärenten medial bedingten Strukturvorgaben, dargestellt?
Die beiden hier gezeigten Musik-Profile wurden customized. Das obere Profil zeigt eine Fan-Seite der Band Burzum1 (Abbildung 1). Sie unterscheidet sich vom konventionellen MySpace-Profil durch ein Hintergrundbild, welches eine Fotomontage zeigt, auf der ein Bild des Musikers Varg Vikernes in einen dunklen Raum eingesetzt wurde. Die leichte Transparenz des Künstlerportraits lässt ihn geisterhaft erscheinen. Darunter steht in Frakturschrift Lord of Darkness. Im linken Bildbereich des Profils befindet sich das Profilfoto|173|, das Vikernes in ritterähnlicher Bekleidung zeigt. Rechts befindet sich der player, mit dem drei Songs von Burzum zu hören sind. Die Form, in der das Burzum-Profil customized wurde, ist die Gängigste. Es besteht die Möglichkeit, sich auf bestimmten Webseiten html-Codes zu kopieren und diese in sein Profil zu integrieren, um es persönlich zu gestalten. Die Grundstruktur des konventionellen Profils bleibt erhalten, wird aber einer piktoralen Erweiterung unterzogen.
Bei dem offiziellen MySpace-Profil der Band Gorgoroth2 (Abbildung 2) wurde durch das Hinzufügen von html-Codes und Verweise auf Bilder ein gänzlich neues Profil geschaffen, welches mit der ursprünglichen Profiloberfläche von MySpace nur noch wenig gemein hat. Das Profilfoto ist gänzlich verschwunden. Der Link-Bereich und der Player wurden neu positioniert und grafisch dem Layout angepasst. Einzig friends list und Kommentarfunktion sind gleich geblieben. Ein Link verweist auf die Webseite der Band. Auf der Startseite der Bandwebseite wiederum befindet sich der Link zurück zum MySpace-Profil, welches die Wichtigkeit von MySpace als Marketing- und Kommunikations-Tool unterstreicht. Die Bandwebseite unterscheidet sich in Gestaltung und Aufbau stark vom MySpace-Profil, |174|was unter anderem damit zusammenhängt, dass MySpace fast ausschließlich auf der Profilebene stattfindet (abgesehen von untergeordneten Seiten mit Bildern, Videos oder Blogs), während Webseiten gerade mit verschiedenen Ebenen und komplexeren Strukturen arbeiten können. Beide beschriebenen MySpace-Profile und die dargestellten Musiker weisen die Black Metal-typischen Insignien auf: Corpse paint, ernster Gesichtsausdruck, Dunkelheit/Naturbezug geben einer dämonisch wirkenden, archaischen Männlichkeit ihren Ausdruck.
»Pure Fucking Armageddon!«3 – Böse Männer im Web 2.0
Es gibt Subversion in Stil und Ausdruck, durch Symbolwanderung, Neubesetzung sub-/jugendkultureller Symbole und der Aktualisierung eben dieser. Es ist eine Differenz zwischen Bedeutungs- und Darstellungsebene männlicher Darstellungen auszumachen. Bei der medialen Präsentation von Männertypen hingegen (zum Beispiel hypermaskulin versus metrosexuell) sind auf der Bedeutungs- und Handlungsebene starke Ähnlichkeiten festzustellen. Ein anderes Männerbild impliziert also nicht gleich eine andere Form des Umgangs mit Männlichkeit. Der new man4 , genauso wie Formen archaischer Männlichkeiten, stellt in Machtverhältnissen zwischen Mann und Frau, sowie Mann und Mann oft gleiche, eher traditionelle Rollenverteilungen dar. Ein Justin Timberlake beispielsweise setzt seine männlich-sexuelle Kraft genauso ein, wie ein 50 Cent (dieses funktioniert sogar innerhalb des gleichen Musikvideos).5 Es unterscheiden sich aber die Stile, die damit einhergehende Körperlichkeit und die Verortung im Raum. Im |175|genannten Clip zeigt sich auch die Auflösung der Dichotomie Pop/Rock (wenn Hip-Hop, in diesem Fall, aufgrund der Wichtigkeit von Authentizität und realness, der Definition von Rock zugeordnet werden kann). Die Dekonstruktion dieser Dichotomien hat zugleich aber auch Auswirkungen auf die Bedeutung von Männlichkeit und umgekehrt.
Es stellt sich die Frage, ob es eine abseitige/subversive Form von Männlichkeit gibt. Ist sie überhaupt möglich oder gibt es, gerade innerhalb einer weißen, männlichen, heterosexuellen Matrix, gar nicht die Möglichkeit, beziehungsweise das Verlangen zur Subversion? Ein erster Schritt wäre es, Varianten des Üblichen über die Selbstverobjektivierung im Bild sichtbar zu machen. Also zu analysieren, wie sich Männlichkeiten zeigen und wie sie, im jeweiligen Medium und mit der ihm inhärenten Medienstruktur, verbildlicht werden.
Destroy the Subliminal! – Subkultureller Elitismus
Was subversiv ist, bestimmt der Standpunkt. Bezogen auf das angestrebte Ideal des new man ist der Archetyp das abseitige Gegenmodell. Bezogen auf ein traditionelles, konservatives Geschlechterverständnis ist er überzeichneter Konsens, ohne Parodie zu sein. Archaische Männlichkeiten, wie sie im Black Metal auszumachen sind, verweigern sich dem Mainstream in doppelter Hinsicht, weil eine Hypermaskulinität präsentiert wird, die traditionelle Rollenstereotypen erfüllt sowie ironiefrei überzeichnet. Und weil die Ikonografie, der sich bedient wird, einen Mix aus vermeintlich bösen Phänomenen präsentiert sowie eine »Umwertung aller Werte« (Nietzsche 1986: 126) propagiert. Somit entsprechen diese Formen von Männlichkeit weder einem aufgeklärt-kritischen noch einem konservativen Konsens.
Ein männlicher Archetyp kann nur ideal/fiktiv – die idealisierte Projektionsfläche einer vormodernen Zeit – sein, weil Formen von Männlichkeit immer im Zeit- und Gesellschaftskontext gesehen werden müssen. Somit stellt der Archetyp ein längst nicht mehr vorhandenes Ideal dar, welches zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht bestehen könnte.
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Es handelt sich um die »Erinnerung an eine Vergangenheit, die (so) nie Gegenwart war« (Ernst 2002: 11).6 Gerade deshalb sind archetypische Männlichkeiten von Interesse, weil sie eine vormoderne, klarere Zeit repräsentieren, in der es vermeintlich klare Normen und Rollenverteilungen gab und die Hegemonie der Männlichkeit eine offensivere, kriegerische war. Ideal für diese fiktionale Vermännlichung des Selbst ist die Repräsentation über Bilder und im Web, weil hier die Möglichkeit besteht, sich zu kreieren, zu idealisieren und sich einem Bildreferenzpool zu bedienen und einzugliedern. Zudem ist der Referenzpool, aus dem sich bedient wird, ebenfalls fiktional: Filme, Musikvideos, Games und Rollenspiele. Dieses reenactment der Männlichkeiten dient auch dem Sichtbarmachen vermeintlich verloren gegangener Tugenden und der Exklusion des Todes aus dem alltäglichen Leben. Die beiden Bildbeispiele zeigen Rob Darken von der Ein-Mann-Band Graveland und Varg Vikernes von der Ein-Mann-Band Burzum, die sich as Krieger präsentieren (Abbildungen 3 und 4). Es sind zwei Formen von Archetypen zu unterscheiden: die hier thematisierte Inszenierung archaischer Männlichkeiten und neo-archaische Männlichkeiten. Archaische Männlichkeiten, auf die hier im Besonderen eingegangen wird, beschwören |177|vormoderne Bildwelten eines Kriegers mit starkem Naturbezug und zum Teil übergroßen, altertümlichen Waffen.
Ein Teil der Heavy Metal-Ikonografie ist hier zu verorten. Neo-archaische Männlichkeiten finden ihr Repräsentationsfeld im Jetzt eines urbanen Kontexts, wie beispielsweise im Hip-Hop. Im Hip-Hop allerdings sind mittlerweile auch Tendenzen zu erkennen, die ein apokalyptisches Männer- und Repräsentationsbild verkörpern, bei dem sich nicht mehr den urbanen Gangstermythen, sondern ähnlichen Referenzen wie im Black Metal bedient wird (siehe Horror- und Gore-Rap; beispielsweise von Necro7 und Kampfhund6668 ). Für diese Kleinstformen einer Musikrichtung ist MySpace ideal.
|178|Dystopische Bildwelten als subkulturelles Kapital – Das Böse bekommt ein Gesicht
Die Zerstörung der Welt quasi als absolute Provokation, zur Steigerung der subkulturellen Reputation. Es stellt sich die Frage, wie das Böse dargestellt wird und ob die bildliche Repräsentation der angedeuteten Apokalypse standhält. Das Böse hat viele Gesichter, derer sich bedient werden kann, um den eigenen Authentizitätswert zu steigern.
Die Formen der Provokation passen sich den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten, der medialen Repräsentation des Bösen an. Somit ist die perfekte Formel einer universellen Provokationsstrategie die Selbstpräsentation eines Kriegertypus mit antidemokratischem und sozial-darwinistischem Weltbild.9 Es geht nicht um eine Gegenposition im diskursiven Sinne, sondern |179|um die bildliche Heraufbeschwörung eines apokalyptischen Moments über unkontrollierbare, scheinbar virale Phänomene, in denen der Tod zu einer absoluten Waffe gegen ein System wird, welches gerade vom Ausschluss des Todes lebt (vgl. Baudrillard 2003: 21). Ebendies wird von Baudrillard als Geist des Terrorismus beschrieben: »Das System nie in Form von Kräftebeziehungen zu attackieren. Das nämlich wäre das (revolutionäre) Imaginäre, das einem vom System selbst aufgezwungen wird, welches nur dadurch überlebt, dass jene, die es attackieren, dazu gebracht werden, sich auf dem Feld der Realität zu schlagen, das stets das dem System eigene Terrain sein wird. Stattdessen aber den Kampf in die symbolische Sphäre zu verlegen, in der die Regel der Herausforderung, des Rückstoßes, der Überbietung gilt.« (Baudrilllard 2002: 21) Die symbolische Gewalt zeitgenössischer gesellschaftlicher Angstgegner, wie islamistische Terroristen oder amoklaufende Jugendliche, wird popkulturell bricolagiert und in die Ikonographie des Bösen eingegliedert. Als Beispiel hierfür dient das Cover Artwork der schwedischen nationalistischen Black Metal Band Sigrblot10 (Abbildung 5), welches auch eine Fanseite auf MySpace schmückt. Sigrblot zeigen in dem Design eine altertümlich wirkende Visualisierung von 9/11, des zeitgenössischen Symbols der Verwundbarkeit, der modernen westlichen Welt.
Genderspezifische Machtstrukturen werden erhalten, überzeichnet und radikalisiert. Diese Männerbilder, welche sich der symbolischen Gewalt als Stil bedienen, entwerfen kein neues Modell von Männlichkeit, sondern repräsentieren die konsequente Verschärfung in einer faschistoiden Rückgewandtheit als ästhetisches Mittel. Das Erreichen einer absoluten Authentizität wird über die reale Verwirklichung einer bösen Tat und der Selbstverortung in einer vormodernen Zeit angestrebt. Die Mordfälle innerhalb der norwegischen Black Metal-Szene verkörpern diese Taktik (und gleichzeitig das Ideal) des Ernst machens. Was vorher nur in einer dem Metal oft inhärenten Horror-Ikonografie visualisiert wurde, fand in den neunziger Jahren seine Verwirklichung. Der Black Metal selbst bietet in seiner Gesamtheit (Sound, Bild, Ideologie) ein Bedeutungsfeld rund um die Todesmetapher. Der Tod steht symbolisch für die Stärke des Außenseiters, der einer Konsenswelt zu entfliehen vermag. Der Tod als Grenze zum Alltag, als mannhaftes Symbol einer übermächtigen Gestalt, die sich gesellschaftlichen Tabuisierungen vom Tod nicht beugt, sogar vom Tode unbezwingbar scheint. |180|Der Begriff der Marter, wie Foucault ihn verwendet, scheint, bezogen auf die Form der Gewaltanwendung als tragender Bestandteil der Ikonografie des Bösen, passend.11 Die Marter als »düsteres Fest der Strafe« (Foucault 1977: 15), beruht auf einer »quantifizierten Kunst des Schmerzes« (ebd.) und muss einige Hauptkriterien erfüllen, um Marter zu sein. Sie muss eine bestimmte Menge an Schmerzen erzeugen. Der Tod ist eine Marter, wenn er Anlass und Abschluss einer »kalkulierten Abstufung von Schmerzen« (ebd.) darstellt. Die Einstellung zum Tod ist heute eine andere als zu Zeiten des Ancien Régime, als Martern ein legitimes Mittel der Strafe darstellte. Die Verachtung des Körpers hängt mit dieser Einstellung zusammen, die durch christliche Wertungen sowie demografische und biologische Situationen, wie »Verheerungen von Krankheit und des Hungers, die periodischen Massaker der Epidemien, die ungeheure Kindersterblichkeit, die Labilität der bio-ökonomischen Gleichgewichte, hervorgerufen wurde« (ebd.: 72). Diese Vertrautheit des Todes lässt Rituale entstehen, »die ihn integrieren und annehmbar machen, seiner ständigen Aggression einen Sinn verleihen sollten« (ebd.). Der Diskurs einer öffentlichen Moralität, welcher das Empfinden von Angemessenheit einer Gewaltanwendung bestimmt, wird ersetzt durch die körperliche Marter, bei der die Abschreckung durch Formen des Terrors funktioniert, dessen Bilder »sich ins Gedächtnis der Zuschauer eingraben wie das Brandmal auf die Wange oder Schulter des Verurteilten« (ebd.: 141).
Heute ist der Tod aus dem Leben verbannt, somit wirkt die Marter maßlos und barbarisch – ein wichtiger Grund, sie in den düsteren Bildwelten diverser Musikgenres neu zu beleben. Der (gewaltsame) Tod als die endgültige Standardverletzung. Genauso ist die Marter als Bestrafungsmethode Andersartiger/Andersgläubiger bildgewaltig wieder aufgetaucht: Abu Graib, Nick Berg und die Amokläufe in Tuusula, Blacksburg und Illinois (sowie torture porn als wiedererstarktes, ironiefreies filmisches Mittel), fiktionalisieren sich über die mediale Präsentation. Diese Martern sind der unbeschriebene Teil der Repressionsapparate, dessen Sichtbarmachung über eine neue Form der Bildberichterstattung stattfindet (Internet, Amateurfotografie). Die Gemarterten werden zu Bildikonen jetmöglicher Interpretation und ihre Vollstrecker werden zu Ikonen des Bösen stilisiert. Allen voran Varg Vikernes, der als Count Grishnackh die Ein-Mann-Band Burzum betreibt |181|und 1994 wegen Mordes an einem anderen Mitglied der Black Metal-Szene zu 21 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Mit der Verwirklichung der bösen Tat, wird die Trennung von Theorie und Praxis, sprich eine Symbolwelt zu kreieren, die auf symbolischer Ebene bleibt und der Transfer zur bösen Tat nicht vorgesehen ist, aufgehoben.
Der Ikonografie Burzums und des Black Metal dieser Zeit bedient sich der Black Metal, aber auch viele andere Musiker und Musikfans, noch heute, um dem Anspruch des absolut Bösen12 gerecht zu werden. Ähnlich dem vermeintlichen Echtheitsanspruch der Pornografie über den realen Akt des Beischlafs, wird hier der Horror, mit Referenzen zum Horror-, Gore-, Splatterfilm, Wirklichkeit. Der Starkörper, wie der von Varg Vikernes, wird zum Symbolträger und verleiht Musik und Selbstpräsentation eine Aura des Bösen, die nicht nur Klischees und Urängste einer christlich geprägten Gesellschaft wecken soll, sondern diese auch in die Wirklichkeit transportiert. Diese Hybridisierung der Metal-Ikonografie mit der Echtheit der bösen Tat bietet Musikern und Fans die Möglichkeit zur Partizipation und Selbstaufwertung, indem diese durch Echtheit »geadelte« Ikonografie individuell genutzt wird.13
Die Gefährlichkeit speist sich also weniger über das Verbrechen als isolierte Tat(sache), als über Ikonen bildlicher Gewaltdarstellung. Vikernes Wandlung vom einst satanistisch anmutenden, mittelalterlichen Krieger hin zum Neo-Nazi scheint einerseits logisch, weil eine Erweiterung und Verschärfung des Provokationswertes betrieben wird und die Strategie des Ernst machens nicht über die Symbolik eines Musikgenres sondern über eine politische Ideologie und deren Stilwelt erreicht wird. Andererseits wird so diese universelle Provokationsstrategie in politische Bahnen gelenkt und verliert so das apokalyptische Moment, das dem Black Metal in musikalischem und visuellem Ausdruck seine Kraft verleiht.
Formen archaischer Männlichkeit finden auf MySpace einen Raum, in dem szenetypische Darstellungsmuster konserviert werden. MySpace ist besonders für die bildliche Huldigung des Starkörpers geeignet, weil es sich um ein Medium handelt, welches sich über die Verortung innerhalb eines Genres und einer Subkultur definiert, die dann über Bilder, Clips, Musik und Text dargestellt und kommuniziert werden.
|182|Während Flickr der Veröffentlichung des eigenen fotografischen Werks und der Kommunikation darüber dient und YouTube die Möglichkeit bietet, Clips zu präsentieren sowie diese bewerten oder kommentieren zu lassen, lebt die MySpace-Darstellung primär von Profilen. Die Kommunikation läuft entlang der Beschaffenheit des Mediums, zwar nicht nur über Einzelbilder oder customized Profile, jedoch bietet es die Möglichkeit, verschiedenste Bilddaten zu sammeln und über das Userprofil zu visualisieren. MySpace als Repräsentations-Plattform für archaische Männlichkeiten ist aufgrund der Vielfalt der Darstellungsformen ideal und bietet Produzenten und Rezipienten Möglichkeiten zur (Bild-)Kommunikation. Im Gegensatz zu klassischen Bandwebsites findet MySpace fast ausschließlich auf einer Ebene statt, auf der so ein konzentriertes Bild- und Informationskonglomerat entsteht. Das abseitige Potenzial archaischer Männlichkeiten liegt in den Divergenzstrategien, der Optimierung von Provokationsformen und deren Sichtbarmachung. Diese Maskerade der Hypermaskulinitäten überzeichnet patriarchale Allmachtsfantasien, allerdings ohne sie zu ironisieren oder tradierte Rollenstereotypen zu hinterfragen. Die mögliche Differenz von Theorie und Praxis schlägt sich nicht auf der Ebene bildlicher Repräsentation nieder. Das visualisierte Böse findet über archaische Männlichkeiten eine Konservierung in den Archiven des Web 2.0.
Literatur
Baudrilllard, Jean (2003), Der Geist des Terrorismus, Wien.
— (2006), Die Intelligenz des Bösen, Wien.
Ernst, Wolfgang (2002), Das Rumoren der Archive, Berlin.
Foucault, Michel (1977), Überwachen und Strafen, Frankfurt/M.
Hodkinson, Paul (2004), »The Goth Scene and (Sub)Cultural Substance«, in: Andy Bennett/Keith Kahn-Harris (Hg.), After Subculture: Critical Studies in Contemporary Youth Culture, London, S. 135–147.
Mühlen Achs, Gitta (1998), Geschlecht bewusst gemacht, München.
Nietzsche, Friedrich (1985), Götzendämmerung, Frankfurt/M.
— (1986), Der Antichrist, Frankfurt/M.
Raabe, Jan/Speit, Andreas (2002), »L árt du mal«, in: Andreas Speit (Hg.), Ästhetische Mobilmachung, Münster.
Richard, Birgit/Grünwald, Jan/Ruhl, Alexander (2008), »Me, Myself, I: Schönheit des Gewöhnlichen. Eine Studie zu den fluiden ikonischen Kommunikationswelten|183| bei flickr.com«, in: Kaspar Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären. Ästhetische Erfahrung der Gegenwart, S. 114–132, Frankfurt/M.
— /Grünwald, Jan (2008), »Charles Manson tanzt auf den Achsen des Bösen im Web 2.0! Zur Re-Dramatisierung des Bösen in der digitalen medialen Alltagskultur«, in: Werner Faulstich (Hg.), Das Böse heute. Formen und Funktionen, S. 151–169, Paderborn.
— (2003), »9/11. World Trade Center Image Complex + ›shifting image‹«, in: Kunstforum International, Das Magische, Band 164, S. 36–73.
— (2008), »Epistemologische Medientheorie produziert immer wieder unmittelbare Kurzschlüsse mit der Alltagswirklichkeit unserer Medienkultur«, Gespräch mit Wolfgang Ernst in: Kunstforum International, Band 189, Denken 3000, S. 147–152.
1 |
http://www.myspace.com/eiworgjviemie, 03.06.2008. |
2 |
http://www.myspace.com/gorgoroth, 03.06.2008. |
3 |
Vgl. Mayhem: Pure Fucking Armageddon, Demokassette 1986. |
4 |
Also der Typus Mann, der im medialen und auch wissenschaftlichen Diskurs das zeitgenössische Idealbild, im scheinbaren Gegensatz zu traditionellen und archaischen Typen, von aufgeklärter Männlichkeit präsentiert. Trotzdem partizipiert auch diese Form von Männlichkeit von einer patriachialen Dividende und stellt vielleicht einfach nur das Update traditioneller Männertypen im zeitgemäßen Gewand dar. Es gibt allerdings bereits Updates des new man, der nicht mehr, wie häufig geschehen, über Metrosexualität stereotypisiert wird, sondern im Begriff des übersexual, seine Beschreibung findet: »Ubersexuals are the most attractive [not just physically], most dynamic, and most compelling men of their generations. They are confident, masculine, stylish, and committed to uncompromising quality in all areas of life.« http://news.monstersandcritics.com/lifestyle/ life/article_1054424.php/Goodbye_metrosexuals_the_new_new_man_is_an_ubersexual, 03.06.2008. |
5 |
Vgl. das Musikvideo von 50 Cent mit Justin Timberlake »Ayo Technologie«. |
6 |
Ernst bezieht sich hier auf die Politik der Archive. Seine Einschätzung trifft aber auch auf die Fiktionalität der Bilder zu. |
7 |
Vgl. http://www.myspace.com/necro, 03.06.2008. |
8 |
Vgl. http://www.myspace.com/kampfhund666, 03.06.2008. |
9 |
Antimodernes Bewusstsein ist tief im Bürgertum verwurzelt. Ein ästhetischer Fundamentalismus, beispielsweise die Ästhetisierung von Kriegs-und Kampfmythen zu einem Stil bedeutet, laut Raabe und Speit, »dass der Stil vor die Gesinnung tritt, die Form vor der Idee steht. Der Stil ist folglich weder Gesinnungsethik noch Verantwortungsethik, da er die Moral unterordnet« (Raabe/Speit 2002: 73). Oder wie Nietzsche es ausdrückt: »L’art pour l’art heisst: der Teufel hole die Moral!« (Nietzsche 1985: 82). Die Entkontextualisierung eines Stils nach dem Konzept l árt pour l árt, also hier die Entideologisierung einer faschistisch fundamentalistischen Ästhetik, kann der jeweiligen Ideologie zuträglich sein, weil sie ursprüngliche Hintergründe diffus lässt. |
10 |
Vgl. http://www.myspace.com/affenhasser, 03.06.2008. |
11 |
Gewaltförmige Handlungen, in ihrer bildlichen Darstellung im Web 2.0, haben meist Andeutungscharakter. Es handelt sich um Formen latenter Gewaltinszenierungen, also um eine Gewalt, die noch nicht präsentiert wurde. |
12 |
Wie Baudrillard richtig bemerkte, kann man vom »Bösen in seiner Reinform« (Baudrillard 2004: 121) nicht sprechen, jedoch bietet sich die Möglichkeit der individuellen Visualisierung der Idee davon. |
13 |
Auf MySpace finden sich über 60 verschiedene Profile zu Burzum (dies ist möglich, weil der Profilname nicht der MySpace-URL entsprechen muss). |