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Planetare Kommandostelle der Nebelparder, Warrenton, Hyner
Nebelparder-Besatzungszone

32. März 3058

Der Schweber jagte aus dem Stadtgebiet Warrentons. Judith saß am Steuer. Weder sie noch Trent sagten etwas, als sie die Stadt hinter sich ließen. Beide schienen den vormittäglichen Sonnenschein zu genießen, so willkommen nach weit über einem Jahr Reisezeit von Diana, vom erbärmlichen Wetter dort ganz zu schweigen. Judith fühlte, wie die Wärme der Sonne durch ihre dünne Jacke und die graue Bluse darunter drang. Sie erinnerte sich an das erste Mal, als sie diese Fahrt gemacht hatten, vor gut drei Jahren. Damals hatte sie Trent hierher gebracht, an diesen besonderen Ort, den einzigen auf Hyner, der nur ihnen gehörte.

Trent war seit seinem Sieg im Positionstest nachdenklich geworden, still, fast verschlossen. Die Kämpfe hatten schließlich nach hartem Gefecht, in dem lange Zeit kein eindeutiger Gewinner zu erkennen war, zu seinem Triumph geführt. Jetzt kommandierte Trent Trinärstern Beta, Jez' frühere Einheit. Russou hatte verloren, aber wie ein wahrer Krieger nahm er es Trent nicht übel.

Dennoch, wenn sie erst im Brian-Kastell waren, würde alles in Ordnung kommen. Dort war sie mehr als eine Tech, und er war mehr als ein Krieger. Dort, in diesen Ruinen, hatten sie zwischen Dingen gestanden, die seit Jahrhunderten niemand berührt hatte, und hatten dieselbe Luft geatmet wie Männer und Frauen in einer glorreicheren Epoche der Menschheit. Dort schienen Trent und sie neue Kraft zu schöpfen. .

Es war ihr erster Besuch hier seit der Rückkehr nach Hyner. Beide waren mit ihren Pflichten beschäftigt gewesen. Trent organisierte seinen neuen Trinärstern, zu dem auch Russous Stern gehörte. Er ließ die Krieger seiner Einheit laufend in ihren neuen Mechs trainieren was seinerseits Judith und die anderen Techs beschäftigt hielt.

Als sie nach Norden auf den Braddock Pike abbog, fühlte Judith, daß Trent unruhig wurde. Sie wußte warum. Sie würden wieder an den Trümmern Chinns vorbeikommen, und er hatte nie aufgehört, sich die Schuld an der Vernichtung des Dorfes zu geben. Aber heute hatte Judith dringendere Dinge zu besprechen, und sie hoffte, die Geister Chinns vertreiben zu können.

»Ich habe Probleme dabei, meine Kontakte zu erreichen«, stellte sie fest.
Trent rutschte auf dem Sitz hin und her und gab sich den Anschein, als wolle er das Schweigen in ihrem Schweber nicht brechen. »Probleme?«
Sie hielt die Augen auf der Straße. »Meine Kontaktfrau war zur Stelle, als wir zurückgekehrt sind, aber als ich versuchte, mich wieder mit ihr in Verbindung zu setzen, war sie fort.«
»Glaubst du, sie ist entdeckt worden?«
Judith schüttelte den Kopf. »Neg. Ich kenne mehrere Techs im Medozentrum der Kommandostelle. Wäre jemand verhört worden, hätte ich es herausgefunden. Ich nehme an, sie ist aus irgendeinem Grund untergetaucht.«
»Dann haben wir keine Möglichkeit, die Informationen weiterzugeben, die wir gesammelt haben.«
Wieder schüttelte sie den Kopf, konzentrierte sich dabei aber weiter auf die Straße. »Momentan nicht.«
Er schlug mit der Faust auf das Armaturenbrett. Sein seltsamer Gefühlsausbruch überraschte sie.
»Das ist unglaublich, Judith. Wir sind bis in den Kerensky-Sternhaufen und zurück geflogen. Wir haben es
geschafft, jeden Sprungpunkt zwischen Diana und der
Inneren Sphäre zu vermessen. Wir besitzen Informationen, für die jeder Hausfürst über Leichen gehen würde,
und wir können sie nicht weitergeben.«
»Ich habe eine Idee«, meinte sie. »Solange meine
ComStar-Kontaktfrau sich versteckt oder anderweitig unerreichbar ist, könnten wir möglicherweise mit
dem HPG hier auf Hyner eine kodierte Nachricht abschicken.«
»Glaubst du, deine ComGuard-Kameraden würden
nach Hyner kommen, um uns abzuholen?«
»Ich nehme an, Sie wollen eine ehrliche Antwort.« »Pos.«
»Nein. Ich glaube nicht, daß man uns abholen würde.
Die Gefahren bei einer Durchquerung der Besatzungszone sind viel zu groß. Das könnte als Bruch des Waffenstillstands von Tukayyid ausgelegt werden. Außerdem ist unser gesamter Sternhaufen hier. Die Sturmreiter sind eine enorme Bedrohung - eine FrontklasseEinheit. Jemand müßte mit einem Regiment Truppen
hier auftauchen.«
»Es muß einen Weg geben, Hyner zu verlassen und
die Informationen mitzunehmen. Ich habe Berichte
über Überfälle der Wölfe auf Parder-Ziele gehört, aber
ich sehe keine Möglichkeit für uns, das zu unserem
Vorteil auszunutzen. Selbst wenn die Sturmreiter in
diesen Konflikt verstrickt würden, würde man uns nirgendwohin schicken, wo wir in Reichweite ComStars
wären.«
Sie verstand, wie dringend er die Navigationsdaten
loswerden mußte. Trent hatte ihr von Galaxiscommander Benjamin Howell und seiner Operation erzählt.
Während ihrer Schachpartien an Bord der Dhava - auf
dem langen Flug zurück von Diana - hatten sie Stunden
damit zugebracht, über die Schmuggeloperation zu sprechen. Einige von Howells Helfershelfern aus den niederen Kasten hatten bereits versucht, mit Trent Kontakt aufzunehmen, aber bis jetzt war es ihm gelungen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Er hatte nie wirklich vorgehabt, sich auf eine Mithilfe einzulassen.
Das Problem dabei, und das hatte sie Trent unmißverständlich klargemacht, war, daß Operationen dieser Art früher oder später aufflogen. Und wenn es dazu kam, waren alle Beteiligten betroffen. In diesem Falle würde das auch Trent einschließen. Und die Daten über den Weg zu den Heimatwelten in seinem Armbandcomp würden verlorengehen.
Es war nicht der Zeitpunkt für Panik, wohl aber für sorgsame Planung. Nach allem, was sie schon durchgestanden hatten, konnte ein dummer, übereilter Fehler jetzt noch alles ruinieren.
»Ich schlage vor, daß wir wachsam bleiben, aber uns ansonsten in Geduld fassen«, erklärte sie. »Früher oder später wird sich eine Möglichkeit ergeben, Hyner zu verlassen. Wenn es soweit ist, werden wir sie ergreifen. Außerdem kann meine Kontaktfrau jederzeit wieder auftauchen. Falls das geschieht, können wir zumindest Verbindung mit ComStar aufnehmen und unser Vorgehen absprechen.«
»Positiv«, bestätigte Trent. »Wir können nur abwarten. Das Problem bei der Sache ist, daß Geduld keine Tugend ist, die uns in der Geschko anerzogen wurde. Der Nebelparder schlägt im Kampf immer zuerst zu. Ich verstehe die taktische Notwendigkeit, auf den richtigen Moment zum Zuschlagen zu warten, aber es kostet mich Überwindung, diese Einsicht in die Tat umzusetzen.«
Judith nickte. »Das Problem hatte ich früher auch.«
»Wie hast du es überwunden?«
Sie sah ihn an. Der Mann neben ihr war fürchterlich verunstaltet, und trotz der künstlichen Haut, die eine Hälfte seines Gesichts bedeckte, hätte ein Fremder in ihm wahrscheinlich ein Monster gesehen - verbrannt und entstellt. Sie aber sah etwas anderes hinter den Narben, tief in seinem Innern. Er war ein Mann von Ehre und Integrität, und das respektierte sie.
Es wird Zeit, es auszusprechen, mit ihm zu reden. »Meine Lektion in Geduld waren Sie.«
»Ich?«
»Pos. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich einmal Mitglied ROMs war, der Geheimdienstabteilung ComStars«, erklärte sie und konzentrierte sich wieder auf die Straße. »Was ich Ihnen nicht gesagt habe, war, daß ich ROM nie verlassen habe. Ich wurde für Sondereinsätze ausgebildet, verdeckte Einsätze, sogenannte >schwarze< Operationen. Als die Clans angriffen, wurde ich zu den ComGuards versetzt, aber weniger als Soldatin, mehr als Agentin. Mit dem Auftrag, die Clans zu unterwandern, sollte sich die Gelegenheit jemals dazu bieten. Meine Vorgesetzten waren sicher, daß die ComGuards eines Tages gegen die Clans kämpfen würden. Wenn es soweit wäre, sollte ich alle mir gegebenen Möglichkeiten nutzen, um die Clans zu infiltrieren und in Erfahrung zu bringen, was immer ich konnte. Wenn möglich, sollte ich nach Hinweisen auf den Weg zu den Heimatwelten suchen. Meine Missionsbefehle ließen mir reichlich Spielraum für Eigeninitiative. Meine ComGuard-Vorgesetzten hatten keine Ahnung davon, daß ich noch immer ROM-Agentin war. Nur der Präzentor Martialum selbst wußte davon. Auf Tukayyid habe ich um mein Leben gekämpft. Es war ein reiner Glücksfall, daß Sie mich als Leibeigene genommen haben. Es ist Jahre her, aber jetzt stehen wir auf der Schwelle des Erfolgs meiner ursprünglichen Aufgabe.«

Trent blieb einen Moment lang stumm. »Ich bin nur ein Auftrag für dich?«

Sie biß sich auf die Unterlippe. »Neg, Trent, du bist mehr.« So viel mehr. Judith fühlte eine Sehnsucht nach ihm, unter der gelegentlich ihr ganzer Körper vor unerfülltem Verlangen erzitterte. Selbst jetzt auf der Fahrt fühlte sie unsichtbare Funken zwischen ihnen überspringen. »Ich habe Gefühle für dich entwickelt, Trent.«

Trent senkte den Kopf. »Ich verstehe, was du meinst, Judith«, hauchte er fast.
»Wirklich?«
»Pos. Aber hier und jetzt sind wir immer noch Nebelparder. Paarungen zwischen den Kasten sind verboten. Vielleicht können wir ... mehr ... werden, wenn wir erst von hier fort sind, Judith.«
Sie wollte ihre Sehnsucht und ihr Verlangen noch einmal zum Ausdruck bringen, aber plötzlich verlangte etwas auf der Straße vor ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit. Hinter einer Straßensperre standen zwei mit Lasergewehren bewaffnete Infanteristen, die Waffen in der Hand. Ihre Panzerwesten, Beinschützer und getönte Helmvisiere verliehen ihnen ein bedrohliches Aussehen. Sie nahm den Fuß vom Gas und ließ den Wagen langsamer werden.
Trent warf ihr einen schnellen Blick zu, dann lächelte er. »Bleibe ruhig, Judith. Ich werde mich um sie kümmern.«
Sie hielt den Schweber an, und die Wachen traten links und rechts neben den Wagen, um durch die heruntergelassenen Fenster zu sehen. Die Helmvisiere der Soldaten füllten die Fensteröffnungen, und aus den Filtersystemen der Helme entwich zischend ihre Atemluft. »Dieses Gebiet ist gesperrt.«
Trent hob das Kodaxarmband, und der Infanterist auf seiner Seite des Wagens las mit einem Handgerät den Speicherbaustein. »Ich will Spazierengehen, mich entspannen. Ich bin Sterncaptain Trent, 3. Parder-Kavalliere.«
»Und sie?« Der Mann deutete mit dem Gewehrkolben auf Judith.
»Meine Leibeigene. Ich benutze sie als Fahrerin. Die Aufgabe ist ihrer Position angemessen, frapos!« Eine Lüge, aber sie ist notwendig.
Der Soldat nickte und antwortete mit vom Helm gedämpfter Stimme. »Positiv, Sterncaptain. Du mußt neu auf Hyner sein.«
»Neg. Aber wir waren einige Zeit fort.«
»Dies ist heiliger Boden, Sterncaptain. Unsere Wissenschaftlerkaste hat dort in den Hügeln ein Brian-Kastell entdeckt.« Der Mann deutete den Hang hinauf.
Trent täuschte Überraschung vor. »Davon hatte ich keine Ahnung, Soldat. Ein solcher Ort - an dem einst der Sternenbund stand. Ich würde ihn gerne sehen.«
Der Infanterist schüttelte den Kopf. »Negativ. Es tut mir leid, Sterncaptain, aber Sterncolonel Paul Moon hat erklärt, daß nur die Blutnamensträger des Clans diesen Ort besichtigen dürfen.«
»Aber ich bin ein wahrgeborener Krieger.«
»Pos, aber kein Blutnamensträger, Sterncaptain. Blutnamensträger anderer Einheiten dürfen auf Einladung des Sterncolonel passieren, aber wir haben Befehl, niemand sonst durchzulassen.«
Trent zuckte zusammen wie unter einem physischen Hieb. Er senkte den Kopf und strich sich mit der Hand über das Gesicht. »Na gut, Soldat«, erwiderte er. »Judith, bring uns zurück zur Basis.«
Sie nickte und war sich sicher, daß er dieselbe unterdrückte Wut fühlte wie sie. Das Brian-Kastell war ihr Platz. Sie hatte es zuerst entdeckt. Sie hatte ihn hierher gebracht. Dort war Trent mehr als ein Eigentümer für sie geworden. Jetzt hatten die Nebelparder ihnen das genommen. Was einst ihr Ort der Freiheit gewesen war, blieb jetzt der Blutnamenselite des Clans vorbehalten. Ohne Zweifel benutzte Paul Moon den Ort auf diese Weise für politische Ränkespiele mit anderen Einheiten.
Judith schloß die Fenster und wendete den Schweber. Weder sie noch Trent sprachen auf der Fahrt zurück nach Warrenton ein Wort. Es war nicht nötig. Ihre gemeinsamen Geheimnisse verbanden sie enger als jede Leibeigenenkordel.

BattleTech 38: Exodus
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