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Planetare Kommandostelle der Nebelparder,
Warrenton, Hyner
Nebelparder-Besatzungszone
Judith benutzte speziell entwickelte antistatische Handschuhe dazu, das Myomerfasersegment in den Unterschenkel des Waldivolf einzuführen. Das Myomer fungierte als extrem starker künstlicher Muskel, und die Segmente, die sie jetzt anbrachte, ersetzten die im letzten Gefecht ihres Eigentümers verbrannten Fasern. Sie kämpfte mit dem Faserbündel, um es an seinen Platz zu bringen, dann zog sie langsam den Arm aus dem riesigen Bein des OmniMechs und drehte sich um. Sie sah MasterTech Phillip ein paar Schritte entfernt stehen und sie anstarren.
Phillip hatte sie seit ihrem ersten Tag bei den Nebelpardern gehaßt, und daran hatte sich nichts geändert. Das wußte sie. Im Verlauf der Zeit hatten seine körperlichen Mißhandlungen nachgelassen, aber er genoß es immer noch, sie zu beschimpfen und ihre Arbeit abzuwerten. Sie haßte ihn ebenfalls, zog aber eine gewisse Befriedigung daraus, so zu tun, als hätte sie eine Heidenangst vor ihm. Sie hatte immer schon gewußt, daß der Tag kommen würde, an dem sie das zu ihrem Vorteil ausnutzen konnte, weil er sich nicht würde vorstellen können, daß sie zu etwas anderem als willfährigem und verängstigtem Gehorsam fähig war. Und jetzt war dieser Tag angebrochen.
»MasterTechniker«, sagte sie schüchtern, zog die bis zum Ellbogen reichenden Arbeitshandschuhe aus und steckte sie in den Werkzeuggürtel. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Er starrte sie aus harten, grausamen Augen an. »Ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, daß der Sterncolonel mich gebeten hat, die Ersatzteile deiner Einheit zu rationieren.« Judith fand seine Wortwahl bemerkenswert. Indem er behauptete, der Sterncolonel habe ihn >gebeten< statt ihm zu >befehlen<, deutete er an, auf einer Ebene mit Moon zu stehen. »Der Wiederaufbau dieses Trinärsterns ist für den Sternhaufen derzeit von minimaler Bedeutung.«
In Gedanken ging Judith ihre mit Trent abgesprochenen Zeilen wieder und wieder durch. »Sterncaptain Trent wird das nicht gerne hören. Er hat mich gebeten, seinen Mech zu reparieren, damit er rechtzeitig für die formelle Ankündigung des Blutrechtstests für den Blutnamen Sterncaptain Jez Howells fertig ist.«
Der dickliche MasterTech zog eine Augenbraue hoch. »Dein Eigentümer glaubt also, ihren Blumamen gewinnen zu können, frapos?«
»Pos«, antwortete Judith fast stolz. »Und da er bereits den notwendigen Rang hat, ist er sicher, auch den Befehl über den Trinärstern zu erhalten.«
»Tatsächlich«, erwiderte Phillip. »Selbst du mußt schon davon gehört haben, wie sehr der Sterncolonel Trent verachtet, frapos? Viele Offiziere halten ihn für schwach und des Clans unwürdig.«
»Neg, MasterTech. Ich habe ihn im Kampf gesehen. Vielleicht haben die anderen das nicht.« Sie machte eine Pause, als ließe sie Trents Taten stolz vor ihrem inneren Auge Revue passieren, dann gestattete sie sich eine leichte Trübung ihrer Miene. »Er ist so tapfer, daß er nur vor einem Angst hat.«
Neugierig kam Phillip näher. »Und das wäre?«
Judith sah sich um. »Er hat mir das im Vertrauen gesagt«, meinte
sie fast flüsternd. »Kann ich Ihnen vertrauen, es nicht
weiterzusagen?«
»Ich habe dich zu der Tech gemacht, die du heute bist. Wir gehören
derselben Kaste an. Vertrau mir, Judith, mein Wort ist
sicher.«
Judith zögerte, als müsse sie es sich erst überlegen, dann redete
sie. »Er hat mir erklärt, daß das Giftake einer Blutnamensträgerin
zur Heimatwelt Diana gebracht werden muß, wo es in den Genfundus
aufgenommen wird.. Er hat Angst, daß der Sterncolonel ihn als
Ehrengarde mitschickt, wenn Jez Howells Genmaterial auf den Weg
geschickt wird. Mein Meister weiß, daß er in seinem Alter nicht
mehr von den Heimatwelten zurückkehren, sondern dort in eine
Solahma-Einheit gesteckt würde. Aber die Gefahr, daß das geschieht,
ist gering, nicht wahr, Master Phillip?«
Phillip fiel es schwer, ein verschlagenes Grinsen zu unterdrücken.
»Aye«, flüsterte er zurück. »Der Sterncolonel kann daran nicht
gedacht haben, sonst hätte er längst einen entsprechenden Befehl
erteilt.«
Judith stieß einen langen, heuchlerischen Seufzer der Erleichterung
aus. »Das ist gut zu wissen. Wenn mein Sterncaptain nach Diana
geschickt würde, müßte ich ihn sicher begleiten. Und obwohl ich
neugierig auf die Heimatwelten der Nebelparder bin, weiß ich nicht,
was dort aus mir werden würde, wenn ich versetzt werde.«
»Natürlich«, gab Phillip wieder in gewöhnlicher Lautstärke zurück.
Sie konnte ihm am Gesicht ablesen, daß der Samen Früchte trieb, den
sie in seine Gedanken gepflanzt hatte. »Keine Sorge, Judith. Bei
mir ist dein Geheimnis sicher.«
Trent füllte in der Offiziersmesse sein Tablett und setzte sich ans Ende eines der langen Tische in dem kleinen, makellos sauberen Speiseraum. Er saß für sich allein, in steifer, fast kadettenhaft präziser Haltung. Er aß langsam und sah keinem der anderen anwesenden Offiziere ins Gesicht. Niemand sprach ihn an oder rief ihn zu sich herüber, und ausnahmsweise war Trent diesmal nicht verärgert darüber, in seinem eigenen Clan wie ein Außenseiter behandelt zu werden. Er kaute einfach weiter seine Rationen, in dem Bewußtsein, die Verachtung seiner Kameraden heute für seine Zwecke ausnutzen zu können.
Sterncaptain Oleg Nevversan überraschte Trent, indem er herüberkam. Er hatte weder ein Tablett noch ein Getränk dabei, aber er setzte sich neben Trent. Oleg war bei den Kämpfen im Sumpf verwundet worden, als die Söldner sich zu mehreren auf seinen Mech gestürzt hatten. Soweit Trent wußte, hatte er eine Gehirnerschütterung erlitten. Heute hatte er offensichtlich etwas auf dem Herzen, und seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, war es nichts angenehmes. Trent aß weiter und ignorierte ihn.
»Sterncaptain Trent«, erklärte Nevversan langsam. »Jez hat immer gesagt, daß du schwach bist, und jetzt haben wir den Beweis. Sie ist tot, und du lebst und bist unverletzt.«
Trent drehte sich um und starrte den Mann an. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt. »Stellst du meine Fähigkeiten als Krieger in Frage?«
Nevversan ließ sich nicht einschüchtern und grinste zurück. »Ich weiß nur, daß Jez Howell, eine angesehene Kriegerin und Offizierin, uns mitgeteilt hat, du wüßtest, wo der Feind landet. Sie hat uns Mut gemacht, unsere Gebote zu senken. Jetzt ist sie tot, ebenso wie einer meiner Krieger. Aber du lebst.«
»Was versuchst du zu sagen, Oleg Nevversan?« fragteTrent gelassen und aß weiter, ohne sich stören
zu lassen. »Manche Stimmen behaupten, für eine
Befehlsposi
tion würdest du alles tun. Sag mir, Trent, was war es für
ein Gefühl, eine wahre Kriegerin wie Jez sterben zu
sehen?«
Trent sah Oleg in die Augen und schenkte ihm ein trotziges Grinsen.
»Sie hatte ihren Tod verdient. Und ihr
Posten wird mir gehören.«
»Es wird viele geben, die sich dagegen stellen, daß ein
zernarbter alter Krieger wie du einen solchen Posten
übernimmt.«
»Mag sein. Aber es gibt nichts, was mich jetzt noch
aufhalten könnte. Ich werde mich um ihren Blutnamen
und ihre Position bewerben können.« Trent grinste so
selbstzufrieden, wie es sein verwüstetes Gesicht erlaubte. »Jetzt
braucht nur Jez' Giftake noch so schnell
wie möglich zurück nach Diana geschickt zu werden.« Das überraschte
Nevversan offensichtlich, denn er
versuchte nicht einmal, seine Neugier zu verbergen.
»Warum ist das denn so wichtig?«
Zum ersten Mal, seit Jez von seiner Hand gestorben
war, lachte Trent. »Das braucht dich nicht zu interessieren,
Sterncaptain«, erklärte er, stieß den Stuhl zurück
und stand auf. Er machte sich nicht die Mühe, das Tablett
wegzuräumen, und konnte Nevversans Blick in
seinem Rücken fühlen, als er die Messe durchquerte
und verließ.
Sterncolonel Paul Moon blickte über den Schreibtisch auf Phillip hinab, seinen persönlichen Tech und MasterTech des Sternhaufens. Durch das Fenster hinter ihm zeigten sich die ersten Sterne zwischen den Wolken am Abendhimmel über Warrenton. Der Tag versprach ruhig und friedlich zu Ende zu gehen.
»Die Information, die du mir gebracht hast, scheint sich mit Informationen zu decken, die einer meiner Offiziere geliefert hat«, meinte er.
Der rundliche Phillip neigte respektvoll den Kopf. »Ich lebe für den Dienst an den Nebelpardern und der Kriegerkaste, Sterncolonel.«
»Und du machst deine Sache gut«, antwortete Moon. »Von nun an werde ich mich selber um diese Angelegenheit kümmern, Phillip. Du wirst das niemandem gegenüber erwähnen.«
»Aye, Sterncolonel«, bestätigte der Tech und
verließ rückwärts den Raum.
Als sich die Tür hinter ihm schloß, ließ Paul Moon sich mit breitem
Grinsen zurück in den Sessel sinken und genoß sein Glück. Endlich
hatte er einen Weg gefunden, mit diesem stravag Trent ein für
allemal fertigzuwerden. Weder er noch seine drecksgeborene
Leibeigene würde seine Einheit weiter besudeln. Sie würden zurück
in die Heimat der Nebelparder fliegen, nicht als Helden, sondern
als Anwärter auf den Abfallhaufen.
»Schlaf gut, Trent«, flüsterte Moon. »Morgen wird dein schlimmster
Angsttraum wahr.«
Sterncolonel Paul Moon drehte sich mit seinem Sessel zum Fenster
und betrachtete zufrieden den Sternenhimmel über Hyner.