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Planetare Kommandostelle der Nebelparder,
Warrenton, Hyner
Nebelparder-Besatzungszone
Judith schob das Gefechts-ROM in das Abspielmodul und steckte es in die Buchse des in den Schreibtisch von Sterncolonel Paul Moon eingebauten Kommunikationssystems. Die hünenhafte Gestalt Moons ragte über ihr auf, als sie das Gerät einschaltete, und auf dem Schirm, der automatisch aus der Tischplatte ausfuhr, flackerte ein Bild auf. Trent stand in Hab-Acht-Stellung hinter ihr und sah ebenfalls zu.
Der Schirm zeigte das Fallbeil, gegen das Trent und Jez gekämpft hatten. Es blitzte auf, als Jez' Kriegsfalke seine verbliebenen Waffen auf den Feindmech abfeuerte und der Söldner den Beschuß erwiderte. Dann zuckten Trents Waffen auf, trafen ins Ziel, vernichteten das Fallbeil und sandten es in sein Grab - in die schmutzigen Fluten des Sumpfes.
Das Bild drehte sich und zeigte das ausgebrannte Cockpit des Kriegsfalke, offenbar von der letzten Salve des Fallbeil vernichtet, bevor Trent es ausgeschaltet hatte. Rauchschwaden stiegen über der Maschine auf, und Paul Moon drehte das Bild mit Hilfe der Fernbedienung, als wolle er den angerichteten Schaden inspizieren. Schweigend schaltete er den Schirm ab, der lautlos zurück in den Schreibtisch sank. Er warf Judith einen kalten Blick zu.
»Sterncaptain Jez Howells Gefechts-ROM war
nicht mehr zu bergen, frapos?«
»Positiv, Sterncolonel.«
Er starrte ihr in die Augen, schien ihren Worten nicht zu trauen.
»Und sie war tot, als du eintrafst, frapos?« »Pos.«
Paul Moon zögerte einen Augenblick, bevor er weitersprach. »In
Ordnung, Tech, du bist entlassen.« Judith beugte sich zum Tisch und
nahm Gefechts-ROM und Abspielmodul wieder an sich, wobei sie nur
einen kurzen Blick in Richtung ihres Eigentümers warf. Dann verließ
sie das Büro und schloß die Tür hinter sich.
»Sterncaptain Jez Howell ist tot«, stellte Moon in einem Tonfall
fest, der klang, als rezitiere er eine Zeile der Erinnerung. »Sie starb den Heldentod im Kampf gegen
einen Feind, der es gewagt hat, den Nebelparder anzugreifen. So
wird man sich an sie erinnern.«
Trent nickte, sagte aber nichts. Seine Gedanken wirbelten vor
Aufregung, aber er ließ sich äußerlich nichts anmerken. Moon
starrte ihn an. »Stimmst du mir nicht zu, Sterncaptain?«
»Aye, Sterncolonel Moon.«
»Diese Söldner sind ins All geflohen, haben ihre Aktion hier auf
Grund ihrer Taten abgebrochen. Sie allein hat ihre Vernichtung
erreicht, und so wird ihr Kodax es verzeichnen.«
Innerlich krümmte Trent sich bei diesen Worten, aber wieder verbarg
er seine Reaktion. Er lügt, um ein Gebilde von
Lügen zu stützen. »Sterncolonel, ihr Posten ist damit
freigeworden, und ich halte den Rang eines Sterncaptains. Kann ich
voraussetzen, daß du mir jetzt den Befehl über Trinärstern Beta
übergibst, frapos?«
Paul Moons entgeisterte Miene machte deutlich, daß er keine
derartige Bitte Trents erwartet hatte. »Du bist ein Sterncaptain,
aber deine Einheit ist zerschlagen und beschädigt. Russous Stern
hat nur zwei Überlebende, und dein eigener nur drei.«
Es war deutlich, daß Moon versuchte, Zeit zu gewinnen.
»Bis Verstärkungen und Ersatz-OmniMechs eintreffen, nehme ich
Trinärstern Beta aus dem aktiven Dienst. Wenn er wieder
einsatzbereit ist, werden wir uns über deine Position innerhalb der
Einheit unterhalten. Verstanden, frapos?«
»Pos«, antwortete Trent. Er verstand nur zu gut, was Sterncolonel
Paul Moon damit sagen wollte.
Trent betrat die alte Kaserne, in der Judith zu Beginn ihrer Zeit bei den Nebelpardern einquartiert worden war. Er erinnerte sich unwillkürlich an seinen letzten Besuch hier, anderthalb Jahre zuvor. Die Luft im Innern des Gebäudes roch muffig.
Judith tauchte hinter einer Kistenwand auf und kam herüber. Sie hatten sich vor der Nachbesprechung abgesprochen, einander anschließend hier zu treffen, weil es der einzige Ort in der Basis war, an dem sie zumindest darauf hoffen konnten, unbeobachtet zu bleiben. Es hätte sie beide überrascht, wenn diese Lagerhalle jemals überwacht worden wäre.
»Ich nehme an, alles ist gelaufen wie geplant,
Sterncaptain«, meinte sie.
»Positiv«, bestätigte Trent und sah sich um, wie um sich davon zu
überzeugen, daß sie allein waren. »Du hast das Gefechts-ROM
vorbildlich bearbeitet. Soweit irgend jemand sonst es weiß, starb
Jez von der Hand der Söldner.«
Trent hatte kaum eine andere Wahl gehabt, als Jez dort draußen im
Sumpf zu töten, aber niemand durfte je erfahren, daß er eine
Kriegerin außerhalb eines formellen Tests getötet hatte. Dabei
arbeitete die Tatsache zu seinem Vorteil, daß keinem Clanner auch
nur der Gedanke an ein solches Verbrechen kommen würde. Niemand
vermutete irgendeine Beteiligung seinerseits am Tod seiner
Mitkriegerin in der Schlacht.
»Haben Sie darüber nachgedacht, worüber wir uns vor ein paar Wochen
unterhalten haben?« fragte sie. »Haben Sie mich deshalb um dieses
Treffen gebeten?«
Trent sah sie einen Moment lang ernst an, bevor er antwortete.
»Mein Volk hat das wahre Wesen der Clans verraten. Ich wünsche mir,
Truppen in den Kampf zu führen, aber auch das wird man mir
verweigern. Bevor sie starb, hat Jez mir erzählt, daß die
Korruption, die ich durchschaut habe, bis hinauf zum Khan unseres
Clans reicht. Ich kann nicht länger bei den Nebelpardern bleiben.
Ich bin derselbe, der ich immer war, aber der Clan hat sich
verändert. Ich verstehe nicht, was aus ihm geworden ist.«
»Und?«
Trent seufzte schwer, aber dann zog er die Schulter nach hinten und
hob stolz das Haupt. »Ich habe das Verlangen, die Nebelparder zu
verlassen. Wenn du deine Kontakte dazu verwenden kannst, das zu
arrangieren, möchte ich, daß du es so schnell wie möglich tust. Im
Tausch gegen mein Wissen über den Clan erbitte ich nur eine eigene
Einheit - die Möglichkeit, Krieger in die glorreiche Schlacht zu
führen.«
Judith hörte ihn an, ohne ihn zu unterbrechen, dann antwortete sie
langsam und mit Bedacht. »So einfach wird es nicht sein,
Sterncaptain. Es stimmt zwar, daß Sie reichlich Informationen über
die Nebelparder mitbringen, aber meine Kontakte außerhalb der
Besatzungszone wollen mehr. Mit nur einer kleinen Information kann
ich Ihnen ein sicheres Entkommen aus dem Clan und die Einheit
garantieren, die Sie sich wünschen.«
»Und was genau ist das für eine Information?« fragte Trent
mißtrauisch.
»Der Weg zu den Heimatwelten. In diesem Augenblick sucht das
Explorer-Corps nach den Heimatsystemen der Clans, aber bisher ohne
Erfolg. Ich bin sicher, wenn Sie uns diese Daten liefern können,
steht ihnen jede Befehlsposition der Freien Inneren Sphäre
offen.«
Trent stieg das Blut ins Gesicht. »Was du verlangst, ist nahezu
unmöglich. Die Lage der Heimatwelten ist eines unserer größten
Geheimnisse.«
»Sie ist Ihre Fahrkarte in die Freiheit«, gab sie zurück. »Die
einzige Hoffnung, die Sie haben, jemals wieder als Krieger zu
kämpfen.«
Trent schüttelte bedauernd den Kopf. »Der Weg zu den Heimatwelten
ist nirgends festgehalten. Die Sprungschiffe, die ihn benutzen,
führen nur jeweils einen Teil der Karte mit sich. Die Routen werden
konstant verändert, und bei jedem Ladevorgang einer
Navigationskarte werden die Daten des zuvor benutzten Abschnitts
überschrieben. Selbst unser HPG-Verkehr wird segmentiert und
gebündelt durchgeführt, um zu verhindern, daß irgendwer über das
Kommunikationsnetz eine Route zu den Heimatwelten ermitteln
kann.«
»Aye«, gab Judith zu. »Aber irgendeine Möglichkeit muß es geben,
frapos?«
Trent schüttelte einen Moment lang den Kopf, während seine Gedanken
rasten. »Die Heimatwelten liegen etwa ein Jahr Flugzeit von der
Inneren Sphäre entfernt. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe,
bestünde darin, hinzufliegen - den Weg zu den Heimatwelten zu
beschreiten. Und dann müßten wir irgendwie zurückfinden.«
Judith nickte. »Aye, und ich habe eine Idee. Während der Reise
könnte ich ein paar Geräte zusammenbauen, die uns gestatten, die
Sprungentfernung zu messen. Verbunden mit Spektralanalysen
verschiedener Sterne entlang der Route müßte es uns möglich sein,
den Weg kartographisch zu erfassen.«
Auf Trents verwüstetem Gesicht stand ein Ausdruck der
Hoffnungslosigkeit. »Es dauert bestenfalls ein Jahr für den Hinflug
und ein weiteres für den Rückweg, Judith. Clankrieger meines Alters
und Status kehren nicht mehr von den Heimatwelten zurück, es sei
denn, sie sind Khane oder Blutnamensträger. Es wird nicht dazu
kommen. Ich hoffe zwar, mich um den Howell-Blutnamen zu bewerben,
der durch Jez' Tod frei wird, aber ich bezweifle, daß irgend jemand
mich vorschlagen wird. Der Sterncolonel hat meinen Ruf äußerst
wirksam ruiniert. Ohne einen Blutnamen werden Krieger wie ich, die
zu alt für die Schlacht sind, zwar häufig heimgeschickt, aber sie
kehren nicht wieder.«
Judith schien trotz seiner Worte fröhlich. »Sie sind ein brillanter
Krieger. Das ist nichts als ein taktisches Problem. Es gibt mit
Sicherheit Möglichkeiten, eine Rückkehr zu den Heimatwelten für Sie
zu arrangieren, besonders, nachdem Sterncolonel Moon einiges darum
geben würde, Sie loszuwerden.«
Trent verschränkte die Arme und dachte nach. Seine Stirn verzog
sich durch die Zweiteilung in natürliche und synthetische Haut
recht uneinheitlich, als er sie bei den Überlegungen kraus zog.
Judith hatte recht, er mußte das Ganze taktisch angehen, wie eine
Schlacht, für die er einen Plan brauchte. Während er die Frage von
verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchtete, erkannte er
plötzlich, daß es eine Lösung gab, auch wenn er sie mit seinem
Stolz würde teuer bezahlen müssen. »Du hast recht, Judith. Ich weiß
einen Weg, uns zu den Heimatwelten zu bringen. Wieder hierher
zurückzugelangen, wird nicht leicht werden, aber auch da muß es
eine Möglichkeit geben.«
»Ausgezeichnet. Aber wie?«
»Der Plan verlangt von uns, die Tricks und Täuschungen anderer zu
unserem Vorteil zu benutzen. Es läuft darauf hinaus, daß wir
Sterncolonel Moon dazu bringen müssen, daß er auf unserer
Einschiffung besteht...«