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Landungsschiff Dhava, im Anflug auf Diana Kerensky-Sternhaufen, Clan-Raum29. Februar 3056
Auf dem Sichtschirm der Dhava sah Trent den Kugelsternhaufen, der die Clan-Heimatwelten verbarg. Er bemerkte das Flackern einer Reflexion von der Ladestation, die sie vor mehreren Tagen verlassen hatten. Die Admiral Andrews war an der Station angedockt zurückgeblieben. Von Sterncommander Allen wußte er, daß dem Schiff eine einmonatige Generalüberholung bevorstand, bevor es zurück in die Innere Sphäre aufbrach.
Trent war entschlossen, diesen Rückflug ebenfalls zu machen. Als er den Blick nach unten bewegte, sah er die grünblaue Planetenkugel größer werden, auf der die Dhava in wenigen Stunden aufsetzen würde. Diana. Die Heimat Clan Nebelparders. Nach fast einem Jahr Reisezeit, in dem er und Judith heimlich nach jedem Sprung und an jeder Sonne Daten gesammelt hatten, waren sie endlich im Clan-Raum angekommen. Jetzt brauchten sie nur noch mit ihren kostbaren Daten zurück in die Innere Sphäre zu kommen.
Als das Landungsschiff sich drehte, herrschte für eine kurze Periode Schwerelosigkeit, und Trent suchte sich einen Sitzplatz in der kleinen Beobachtungslounge. Judith saß bereits in einem der Sessel und ließ den Anblick der Parder-Heimatwelt auf sich wirken. Die Tür des Raums öffnete sich, und die hünenhafte Gestalt Sterncommander Aliens füllte die Öffnung, als er sich weit genug bückte, um hereinzukommen.
»Willkommen auf Diana«, verkündete er stolz. »Ist das kein eindrucksvoller Anblick?«Trent nickte. »Es ist mein erster Besuch hier. Ich habe festgestellt, daß der Bordcomputer keine Karten des Planeten enthält.«
Allen nickte. »Die Sicherheitsprotokolle verbieten die Mitnahme von Karten irgendeiner der Clanwelten an Bord unserer Schiffe.«
»Eine weise Vorsichtsmaßnahme«, stellte Judith fest. »Sollte jemand aus der Inneren Sphäre Kenntnis vom Clan-Raum erhalten, könnte man sie zu einem Angriff auf unsere Heimatwelten benutzen.« Sie sagte es in ihrem loyalsten Nebelparder-Ton.
»Pos«, bestätigte Allen. »Und die Risiken sind real. Auf unserer Reise hierher habe ich einige Zeit vermutet, daß sich ein Spion eingeschlichen hatte, oder zumindest ein Mörder.«
Trents Puls raste. »Neg! Ein Spion, mitten
unter uns?« »Pos«, erwiderte Allen. »Ein Tech namens Miles wurde im
Sprungtriebwerkskern getötet. Es hätte ein Unfall gewesen sein
können. Es hätte ein Mord gewesen sein können. Ich habe die Sache
untersucht, aber der einzige Kontakt während des betreffenden
Tages, den wir sicher feststellen konnten, war der mit dir,
Sterncaptain.«
»Mit mir? Unmöglich. Ich kenne keinen Tech namens
Miles. Aber ich erinnere mich, daß du den Zwischenfall unmittelbar vor dem Kampf auf Pivot Prime erwähnt hast.«
»Aye. Genau der. Es ist möglich, daß Miles keines natürlichen Todes gestorben ist, aber du hattest sicher nichts damit zu tun. Darauf würde ich mein Leben verwetten«, erklärte der Sterncommander. »Während unserer langen Reise habe ich dich kennen und respektieren gelernt, Sterncaptain. Du bist ein ehrenhafter Mann.«
»Und, war es ein Mord?« fragte Judith hastig.Allen zuckte die Schultern. »Ich habe es als Unfall eingetragen. Falls es ein Mord war, wurde Miles wahrscheinlich von einem Mitglied seiner eigenen Kaste getötet. Wir können unsere Sicherheitsmaßnahmen so genau nehmen, wie wir wollen, die Mitglieder der niederen Kasten schlüpfen gelegentlich durch die Maschen. Sein Tod ist eine Verschwendung, aber andererseits war er nicht mehr als ein Freigeburts-Tech.«
In diesem Augenblick rollte die Dhava um ihre Achse und brachte den Planeten in Sicht. Aliens Blick wanderte zurück auf den Sichtschirm. »Da, ich kann die grünen Wasser des Osissees sehen.« Er deutete auf den größten Kontinent.
»Erzähl mir mehr von Diana, Sterncommander«, forderte Trent ihn auf, erleichtert, nicht mehr wegen Miles' Tod unter Verdacht zu stehen. Und er freute sich, daß Judith sich an ihre Position im Clan erinnert und auf einen Kommentar zu Aliens Freigeburts-Bemerkung verzichtet hatte.
Allen nickte. »Unser Volk lebt auf dem größeren Kontinent. Er heißt Parder Primo. Der zweite, kleinere Kontinent ist Trostlos - und der Name paßt. Er besteht hauptsächlich aus lebensfeindlicher Wüste, und die einzige Siedlung ist eine kleine Trainingsbasis. Wir werden in der Hauptstadt Lutera landen. Irgend jemand hat mir einmal erklärt, daß es ein Hindiwort für Raubtier ist. Ein feiner Name, frapos? Lutera liegt an der Ostküste, an der Einmündung des Schwarzen Shikari ins Dhundhmeer. Es ist eine schöne Stadt, ein Tribut an das Leiden und die Opfer, die unserem Volk ermöglichten, zu überleben und zu gedeihen. Über der Stadt ragt der Mons Szabo auf. Der Gipfel ist von jedem Punkt der Stadt aus zu sehen. Er ist wahrhaft atemberaubend und eine ständige Erinnerung daran, daß der Nebelparder über Diana herrscht.«
Trent nickte. Er hatte von Mons Szabo gehört. In die Seite des steil über Lutera aufragenden Berges war ein springender Parder, das Wappen Clan Nebelparders, gehauen. Das mit Lasern aus der fast zweihundert Meter hohen Felswand geschnittene Bild wurde nachts von riesigen Scheinwerfern erleuchtet und reichte bis knapp unter die Wolkenlinie. Er hatte schon oft gehört, wie beeindruckend der Anblick sein mußte.
»Der Genfundus wird in Lutera aufbewahrt, richtig?« Trent hatte seit Monaten nicht mehr an Jez oder ihr Giftake denken müssen. Tatsächlich hatte er den Gedanken an diese ganze Angelegenheit bewußt verdrängt, aber das war jetzt nicht länger möglich.
»Aye«, bestätigte Allen. »Ich war nie im Innern, aber ich habe das Gebäude häufig bewundert. Es liegt am Fuß des Mons Szabo, eine Pyramide mit einer ewigen Flamme. Vom Kriegerviertel aus ist es nicht zu verfehlen.«
Trent erhob sich und sah zu Judith hinüber. »Wir haben einiges zu tun. Ich muß unsere Krieger auf die Ankunft vorbereiten. Ich soll sie dem Garnisonskommandeur übergeben.« Der Gedanke an Jez brachte Erinnerungen an Feuer und brennendes Fleisch. Er verließ das Observatorium. Es wurde Zeit, sich auf die Landung auf der Heimatwelt der Nebelparder vorzubereiten.
Trent hatte seine Einheit im Mechhangar des Schiffs zusammengerufen. Die verbliebenen Solahma-Krieger standen um ihn versammelt, alle in frisch gestärkter grauer Ausgehuniform. Die BattleMechs, die schweigend in ihren Lagerkokons aufragten, zeugten von der Schlacht, die sie auf Pivot Prime geschlagen hatten. Sie waren verbrannt und vom Kampf gegen die ComStarSöldner schwer gezeichnet.
An der Spitze der Formation stand Krista, über deren Wange eine Narbe als Erinnerung an dieselbe Schlacht prangte. Aber sie hatte überlebt, ebenso wie Lucas, auch wenn dessen Überleben zwei lange Tage, in denen die MedTechs sich um ihn gekümmert hatten, ungewiß gewesen war. Einen vollen Schritt hinter ihnen standen Marcus und die anderen, die keinen Pilotenplatz in einem der Mechs ergattert hatten. Trent war stolz auf seine kleine Truppe, und er sah, daß seine Ausbildung und ihre Leistung auf Pivot Prime ihnen etwas vom alten Stolz und Selbstvertrauen wiedergegeben hatten.
»Ach-tung!« brüllte er. Seine Krieger nahmen
Haltung an.
Trent setzte sich an die Spitze der Formation und führte sie mit
der Drillpräzision, die er in seiner Geschko gelernt hatte, zum
Außenschott und auf den Boden Dianas.
Die Luft außerhalb des Schiffes war drückend, voller Feuchtigkeit
und unbekannter Gerüche. Auf dem Asphalt waren die Techs damit
beschäftigt, die Ladung der Dhava zu
löschen. Sie schienen Trent und die Handvoll Krieger, die ihm die
Rampe hinab folgten, nicht zu bemerken. In der Ferne lag Lutera,
aber was Trent im Augenblick davon sehen konnte, war eher
enttäuschend.
Das einzige, was ins Auge sprang, war Mons Szabo im Norden. Auf
seiner Felswand hing das gewaltige Bild des Nebelparders über der
Stadt. Es ist grau und öde. Nach allem, xvas
ich über diesen Ort gehört habe, hätte ich so viel mehr
erwartet.
In einiger Distanz vom Schiff stand eine kleine Gruppe
Parder-Krieger und unterhielt sich. Sie schienen weder das
Landungsschiff noch Trent und seine Gruppe weiter zu beachten.
Trent marschierte auf sie zu, den Rücken kerzengerade, den Kopf
hoch erhoben. Er blieb keine fünf Meter vor den Offizieren stehen
und nahm Haltung an. Er wartete, während die Sonne am Himmel glühte
und die natürliche linke Seite seines Gesichts zum Schwitzen
brachte. Schließlich drehten sich die Offiziere zu ihm um, und als
er einen von ihnen erkannte, loderte ein wütendes Feuer in Trents
Innerem auf.
Aber er ließ sich nichts davon anmerken, als er zackig vortrat.
»Sterncaptain, Galaxis Delta, 3. Parder-Kavaliere«, bellte er mit
präziser Artikulation. »Ich übergebe den Befehl über die Krieger
des Landungsschiffs Dhava.«
Galaxiscommander Benjamin Howell trat vor und lächelte breit, als
er Trent sah. »Ich, Galaxiscommander Benjamin Howell, Galaxis Zeta,
nehme diese Krieger unter meinen Befehl. Die Nachricht von eurem
Gefecht auf Pivot Prime erreichte uns vor einigen Tagen während
eures Anflugs. Alle Krieger, die sich im Dienste unseres Clans
ausgezeichnet haben, sind zur Verteidigung Dianas in Galaxis Zeta
willkommen.« Howell winkte einem der anderen Offiziere, der Trents
Platz an der Spitze der Gruppe einnahm und sie wegführte. »Es freut
mich, dich wiederzusehen, Trent von der HowellBlutlinie.«
Trent sagte nichts. Er hielt den zerschnittenen Mund streng
verschlossen und kniff die Augen zusammen, um seine Wut zu
beherrschen. Dies war der Mann, der ihn um das Recht betrogen
hatte, nach einem Blutnamen zu greifen - alles im Namen von Ehrgeiz
und kleinlicher Politik. Dies war der Mann, der, genaugenommen, den
Blutnamen statt dessen Jez zugesprochen hatte - den Blutnamen, von
dem Trent überzeugt war, daß er ihm zugestanden hatte. Es war das
gewesen, was Benjamin Howell getan - vielmehr gelassen - hatte, und
was Trent soweit gebracht hatte, alles anzuzweifeln, wofür die
Nebelparder standen.
»Du bist verbittert und wütend«, stellte Howell fest. »Das verstehe
ich. Laß uns in meinem Büro darüber reden. Wir waren einmal
Freunde, Trent. Es gibt keinen Grund, warum wir es nicht wieder
sein könnten.«
»Ist das ein Befehl, Galaxiscommander?« fragte Trent
eisig.
Benjamin Howell lächelte dünn. »Wenn das nötig ist, dann aye, es
ist einer.«
Howell drehte sich um und ging davon, und Trent erkannte, daß Diana
ihm nicht gefiel. Nein, Diana gefiel ihm ganz und gar nicht.