Mein Mann macht so was nicht!
2009
Ich lehne im Hausflur an der Wand und betrachte die leicht schimmlige Deckenfarbe, die an manchen Stellen schon abblättert, während mein Kollege Rudi die Klingel betätigt, zum x-ten Mal. Immer wieder sind Geräusche hinter der Tür zu hören, aber niemand öffnet.
»Ich geb’s auf, holen wir einen Schlüsseldienst!«, sagt Rudi laut und vernehmlich.
Ich greife in meine Jackentasche und wähle bereits die Nummer der Leitstelle, als sich die Wohnungstür, vor der wir jetzt bereits seit einer Viertelstunde stehen und Sturm läuten, öffnet. Ich lasse das Handy wieder in der Jacke verschwinden. Rudi grinst. »Schön, funktioniert doch jedes Mal! Vor dem Schlüsseldienst und den Kosten für ein neues Schloss haben sie dann doch alle Angst.«
In der Türöffnung erscheint ein Mann mittleren Alters. Trotz seines Jogginganzugs wirkt er gepflegt und nicht unattraktiv, denke ich noch kurz, bis mir der Grund unseres Hierseins die Röte auf die Wangen treibt.
»Tag, Kriminalkommissariat zwölf, Sexualdelikte und Kinderpornografie. Wir haben einen Durchsuchungsbeschluss!«, rattert Rudi seinen Spruch herunter.
Der Mann versucht, die Tür wieder zuzudrücken.
»Zu spät, wir kommen dann mal rein!« Lächelnd drückt Rudi die Tür weiter auf. Ich betrete hinter ihm die Wohnung. Manfred, ein weiterer Kollege, folgt uns.
Rasch verschaffen wir uns einen Überblick, und zumindest ich bin überrascht: Bisher hatten wir auf der Suche nach Kinderpornografie immer Junggesellenwohnungen aufgesucht. Kleine, schäbige Zufluchten, vollgestopft mit technischem Schnickschnack, zig Rechner, Fernseher, Filme und Festplatten, alles irgendwie schmierig. Häufig fand ich mehr bewichste Taschentücher als Lebensmittel.
Diesmal betreten wir eine ordentliche Wohnung, in der Küche steht eine junge Frau am Herd, ein Kleinkind auf dem Arm, zwei weitere Kinder spielen in einem Zimmer auf dem Boden, und der Mann, der uns geöffnet hat, tritt nervös von einem Bein auf das andere und studiert den Durchsuchungsbeschluss, den Rudi ihm unter die Nase hält.
»So was mach ich nicht!«, verkündet er im Brustton der Überzeugung.
»Dann haben Sie ja nichts dagegen, dass wir uns hier ein wenig umsehen!« Sprach’s, und wir fangen an.
Die Frau sieht uns schweigend zu, wie wir systematisch ihre Wohnung durchwühlen. Auch sie liest den Durchsuchungsbeschluss des Richters genau und schickt dann die Kinder aus der Wohnung. Dem Ältesten drückt sie das Kleinste in die Arme und sagt: »Geht spielen!«
Mit verschränkten Armen baut sie sich vor mir auf. »MEIN MANN MACHT SO EINEN DRECK NICHT! Ich stelle meinen Mann sexuell vollkommen zufrieden. Der braucht so was nicht!«
Ich schiebe sie routiniert und fast gleichgültig zur Seite und beginne, den Inhalt des Wohnzimmerschranks vor mir auf dem Boden auszubreiten. DVDs und Videokassetten, alle selbst aufgenommen und mit Filzstift beschriftet, türmen sich hundertfach vor mir auf. Mir wird ganz anders, als ich überschlage, wie lange ich brauchen werde, um das alles zu sichten.
»Ich hab gesagt, mein Mann macht so was nicht!!«
Ich ignoriere die Frau weiter und beginne, eine weitere Schublade auszuräumen. Als sie ihren Spruch zum dritten Mal wiederholt, gibt ihr Rudi in fast schon gelangweiltem Tonfall die Auskunft: »Im Rahmen einer Internetrecherche des Landeskriminalamts wurde festgestellt, dass von einem Ihrer Rechner diverse Videos mit belastenden Inhalten heruntergeladen und weiterverbreitet wurden.«
Bockig wiederholt sie ihren Satz. Während ich weiter den Schrank ausräume, behalte ich ihren Gatten im Auge, der nervös von einem Bein aufs andere tritt und immer blasser wird, je näher wir uns an den Schreibtisch heranarbeiten.
Ein wenig lasse ich ihn noch zappeln, dann tue ich, was wir für einen solchen Fall vorher abgesprochen haben: »Würden Sie mir wohl die Toilette zeigen?« Liebenswürdig und arglos lächele ich dabei die Frau an.
»Den Gang runter links!«
»Würden Sie freundlicherweise mitkommen? Nicht, dass es nachher heißt, ich hätte irgendwas mitgenommen.« Wieder lächele ich mein bravstes Sonnenscheinlächeln.
Schließlich nickt sie und begleitet mich den Flur entlang, wo ich sie in ein Gespräch über ihre Kinder und die Fotos im Flur verwickle, möglichst weit weg von ihrem Mann. Die Herren sind nämlich meist gesprächiger, wenn die Dame des Hauses nicht in der Nähe ist.
Aus dem Wohnzimmer höre ich gedämpfte Stimmen. Während ich die Frau weiterhin dümmlich anlächle, spitze ich die Ohren: »Könnten wir vielleicht … Also meine Frau muss ja nicht wissen … Kann schon sein, dass ich da mal so eine Datei runtergeladen habe … In letzter Zeit Potenzprobleme … Weiß auch nicht, was mich da geritten hat.«
Ich lächle zufrieden, schließe die Toilettentür hinter mir, tue so, als würde ich mich erleichtern, und betätige die Spülung, während die Frau draußen auf mich wartet.
Als wir das Wohnzimmer wieder betreten, sitzt der Mann am Rechner, über den Bildschirm flackert ein Pornovideo mit einer Siebenjährigen, das ich bereits kenne.
»Gut. Haben Sie sonst noch irgendwo was gespeichert?«, fragt Manfred, während der Mann das Video stoppt. Er sucht den Blick seiner Frau und wird, als er ihr entgeistertes Gesicht sieht, auf seinem Bürostuhl immer kleiner. »Nein, nur auf der Festplatte und mit dem Passwort gesichert, damit die Kinder nicht drankommen.«
»Mein Mann macht so was nicht!« Aus ihrer Stimme ist jegliches Leben verschwunden. Entsetzt schaut sie mich an. »Was mach ich denn jetzt? WAS MACH ICH DENN JETZT?« Ihr Blick klebt auf dem angehaltenen Video. »Du Schwein!«, entfährt es ihr, und ich kann ihre Hand gerade noch mit dem Unterarm abhalten, bevor sie den Kopf ihres Mannes erreicht. »Wie konntest du nur? Das sind Kinder!!«
»Aber ich hab doch nur geguckt, Mausi! Ist ja nicht so, als hätte ich selbst …«, stammelt er und reibt verlegen immer wieder mit den Fingern über die Hosenbeine.
»Du Schwein! RAUS HIER! RAUS AUS MEINER WOHNUNG!«
»Aber ich hab wirklich nur geschaut, Mausi, ich wollte doch nur …« Seine Stimme versagt.
Manfred, der bereits den Rechner in einen Karton packt, blickt ihn kalt an. »Was glauben Sie, warum diese Videos gedreht werden? Warum jemand diesen Kindern all das antut? Nur weil es einen Markt dafür gibt! Weil es Menschen gibt, Menschen wie Sie, die sich diesen Dreck auch noch ansehen. Tut’s nicht auch ein normaler Porno? In dem alle erwachsen sind? Von mir aus, wenn’s denn sein muss, achtzehnjährige Mädchen. Aber nein, es müssen Kinder sein! Wissen Sie, wie alt das Mädchen auf dem Video da ist? Sieben! Genauso alt wie Ihr mittlerer Sohn!« Mühsam beherrscht, wendet er sich wieder den Kabeln zu und überlässt mir und Rudi das Reden.
Wir tragen unsere Kartons aus der Wohnung. Zwischen der Frau und ihrem Mann herrscht Schweigen, während wir Laptops, den PC, DVDs, Videokassetten und Festplatten sicherstellen.
Vorsichtig versucht der Mann, ihr eine Hand auf den Arm zu legen. »FASS MICH NICHT AN!« Ihre Stimme ist so laut, dass ich sie auch im Flur noch deutlich höre.
Er kommt hinter mir hergelaufen und tippt mir auf die Schulter: »Wann bekommen wir das alles wieder? Die Computer und all das?«
»Wenn wir es durchgesehen und als unbedenklich klassifiziert haben. Alles an bedenklichem Material bleibt bei uns, bis das Gericht anders entscheidet.«
Fassungslos sieht er mich an. »Sie können doch meine Computer nicht einfach mitnehmen!«
Manfred trägt eine Kiste mit Videokassetten die Treppe runter und drängt sich mit den Worten »Doch, können wir!« an uns vorbei.
»Aber da ist überall das Zeug drauf«, stammelt der Mann, »Sie können doch nicht alles behalten!«
»Ich dachte, das sei nur auf der einen Festplatte?«, frage ich.
Betreten blickt er zu Boden, dann geht er stumm zurück in die Wohnung, die nun von allem technischen Schnickschnack befreit ist. Sogar die Playstation haben wir eingepackt, da in ihr eine Festplatte verbaut ist, auf der auch Filme gespeichert werden können.
Seine Frau drückt ihm eine Tasche in die Hand, die sie wohl gerade in Windeseile gepackt hat. »RAUS!«, höre ich ihre Stimme ein letztes Mal, dann knallt sie ihm die Tür vor der Nase zu.
Mit uns gemeinsam geht er die Treppe hinunter, sein Jogginganzug raschelt beim Gehen. Vor dem Haus spielen seine drei Kinder in einem Sandkasten. Als er auf sie zugehen will, ruft seine Frau aus dem Fenster: »Fass sie ja nicht an, oder ich schrei aus dem Fenster, was du getan hast!«
Er hält in der Bewegung inne. Drei Augenpaare blicken ihn verdutzt aus dem Sandkasten an. »Was ist denn, Papa?«
Er fährt sich mit einer Hand übers Gesicht, dann schaut er zum Himmel und atmet tief durch. Als er seine Kinder wieder ansieht, erwidert er: »Der Papa hat was Böses gemacht. Ich fahr für ein paar Tage zur Oma. Geht hoch zur Mama, und seid lieb.«
Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und geht die Straße hinunter.
Mein Blick folgt ihm, und ich entscheide, dass mir die vergammelten Buden von einsamen Junggesellen als Durchsuchungsobjekte doch wesentlich lieber sind, egal, wie eklig es dort oft ist, wie viel seltsames Sexspielzeug, dessen Sinn und Zweck sich mir manchmal erst nach eingehender Internetrecherche erschließt, ich dort finde oder wie muffig es dort häufig riecht. Egal, wie skurril so mancher Konsument von pädophilen Videos eingerichtet ist oder wie viel Schwachsinn der eine oder andere mir während der Durchsuchungen an den Kopf wirft – viel schockierender als all das finde ich, dass sich diese perverse Neigung offenbar sogar in einer auf den ersten Blick total normalen Familie findet und dass eine Ehefrau neben ihrem Mann herlebt und über Jahre nichts davon mitbekommt.
Wie schrecklich muss sich eine solche Frau fühlen?