Polizeinotruf, wie kann ich Ihnen helfen?

2004–2011

 

Meine zweite Hospitation verbringe ich im Jahr 2004 auf der Leitstelle der Autobahnpolizei, die heute ebenfalls zum Polizeipräsidium Köln gehört. Ein paar Wochen lang soll ich dort meine Kenntnisse im Bereich der Einsatzbearbeitung erweitern und den Kollegen hilfreich unter die Arme greifen. Meine Aufgabe ist es, die eingehenden Funksprüche und Notrufe entgegenzunehmen, Streifenwagen ihre Einsätze zuzuteilen und diese weiterzubearbeiten.

Zunächst muss ich mich daran gewöhnen, den ganzen Tag still an einem Schreibtisch mit drei Monitoren zu sitzen, nicht ständig Auto zu fahren und nicht herumlaufen zu können. Für mich eine Herausforderung. Ich nutze jede Funkpause, um mir ein wenig die Beine zu vertreten, flitze schnell um mein Funktischchen herum oder mache Dehnübungen auf meinem Schreibtischstuhl. Heute finde ich es ganz angenehm, wenn ich mal einen Tag auf der Wache am Funktisch sitze, doch damals hat es mich fast wahnsinnig gemacht, am Funk mitzuverfolgen, wie die Kollegen spannende Einsätze bewältigten, und nicht helfen oder gar dabei sein zu können.

Trotzdem gibt es auch auf der Leitstelle immer wieder erinnernswerte Situationen und Telefonate. Ein paar besonders interessante möchte ich Ihnen hier nicht vorenthalten.

»Polizeinotruf!«

»Hallo?« Eine Frauenstimme.

»Ja, hier ist der Polizeinotruf, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich brauch Sprit!«

»Ähm, hier ist der Polizeinotruf!«

»Ja ja, mein Tank ist leer!«

»Ähm … und wieso kann die Polizei Ihnen da helfen?«

»Ja, also passen Sie mal auf. Meine Tankanzeige blinkt, und ich weiß jetzt nicht, was ich tun soll!«

Meine Augenbrauen heben sich, doch da gerade nicht viel zu tun ist, lasse ich mich auf das Gespräch ein.

»Ihre Tankanzeige blinkt. Nun, da wäre es ja eine logische Handlung, tanken zu gehen!«

»Genau!«, kommt es erfreut zurück.

»Dann tun Sie das doch!«

»Ja, aber hier ist keine Tankstelle!«

»Wo ist denn hier?« Ich habe bereits meine Gebietskarte aufgerufen, mit dem festen Willen, der Dame in einer sagenhaften Serviceleistung die nächste Tankstelle zu nennen und ihr zur Not auch eine Wegbeschreibung zu liefern.

»Wie? Wo ist hier? Na, hier bei mir!«

»Ich wollte wissen, wo Sie sind!«

»Weiß ich doch nicht, auf der Autobahn halt!« Jetzt klingt die Stimme genervt ob meiner Begriffsstutzigkeit.

»Auf welcher Autobahn sind Sie?«

»Na, auf der mit den blauen Schildern!«

Ich unterdrücke ein Stöhnen.

»Von wo nach wo wollen Sie denn fahren?«

»Das geht Sie ja mal überhaupt nichts an!«

»Gute Frau, um Ihr Tankproblem zu lösen, wäre es für mich hilfreich zu wissen, wo Sie …«

»Grad durch das Autobahnkreuz Jackerath bin ich durchgefahren, 61 Koblenz, stand da auf dem Schild!«, unterbricht sie mich hektisch.

»Wunderbar. Da kommt gleich eine Ausfahrt, die fahren Sie runter, und dann …« Wieder komme ich nicht dazu, meinen Satz zu beenden.

»Aber da will ich doch gar nicht hin!« Empörung schallt mir aus dem Hörer entgegen.

»Aber Sie müssen doch tanken!«

»Schon, aber dafür fahr ich doch nicht wo hin, wo ich gar nicht hinwill!«

Ich halte das Mikro zu und stöhne laut. Mittlerweile haben sich drei Kollegen um meinen Schreibtisch versammelt und hören grinsend mit.

»Gut. Fahren Sie weiter auf der A61, dann kommt der Rastplatz Bedburger Land. Da ist auch eine Tankstelle.«

Kurze Stille, dann wieder die Stimme: »Bedburger Land, sagen Sie?«

»Ja! Da ist eine Tankstelle!« In der Annahme, ihr damit geholfen zu haben, will ich gerade das Gespräch beenden, als sie verschämt ins Telefon flüstert: »Ähm … Ich glaub, da bin ich grad dran vorbeigefahren!«

»Warum haben Sie denn nicht angehalten?«

»Weil ich so auf das Gespräch mit Ihnen fixiert war! Sie können Fragen stellen. Ich kann ja schlecht auf die Autobahn achten und mit Ihnen reden!«

Sprachlos gucke ich die Kollegen an, die mittlerweile vor Lachen kaum noch aufrecht stehen können.

»Ohohoho …«, kommt es da aus dem Hörer.

»Was ist?«, frage ich nun auch leicht genervt.

»Jetzt ist Fritzchen stehen geblieben!«

»Ähm, wer ist Fritzchen?«

»Na, mein Auto!«

»Okay. Wo stehen Sie jetzt genau?«

»Das hab ich Ihnen doch schon gesagt – auf der Autobahn! Und nicht ich stehe, sondern Fritzchen.«

»Rechts oder links?«, frage ich entnervt und bekomme zur Antwort: »Ähm, irgendwie ziemlich in der Mitte. Soll ich mal aussteigen?«

»NEIN!!«, brüllen wir im Chor in den Hörer. »Wir schicken Ihnen einen Streifenwagen, bleiben Sie genau, wo Sie sind! Warnblinkanlage an und auf keinen Fall aussteigen!!«

Ich warte ihre Antwort nicht ab und lege auf.

Fünf Minuten später hat ein Streifenwagen sie gefunden. Tatsächlich stand die Gute mit ihrem Fritzchen und einem leeren Tank mitten auf der Autobahn, selbstredend ohne Warnblinkanlage und gerade mal dreihundert Meter hinter dem für sie rettenden Rastplatz mit Tankstelle.

»Polizeinotr…«, beginne ich freundlich und werde barsch von einem Mann unterbrochen, der mit unterdrückter Nummer anruft.

»HALT DIE FRESSE, DU FOTZE! SCHICK MIR STREIFENWAGEN, ABER SCHNELL

Bevor ich fragen kann, wohin der Streifenwagen soll, wird das Gespräch unterbrochen.

Zwei Minuten später melde ich mich erneut: »Polizeinot…«

»ICH HAB GESAGT, DU SOLLST FRESSE HALTEN! WO BLEIBT STREIFENWAGEN?« Die Stimme ist so laut, dass mir fast das Trommelfell platzt.

»Wo sind Sie denn, und worum geht es überhaupt?« Ich habe bereits gelernt, Beleidigungen und Unflätigkeiten einfach auszublenden.

»Sag ich disch doch nicht!« Immerhin brüllt er diesmal nicht ganz so laut.

»Okay. Aber wenn Sie mir nicht sagen, wo Sie sind, kann ich Ihnen keinen Streifenwagen schicken.«

»Ey, Pussy, laber nich rum, ich hab keine Zeit. Streifenwagen oder aufs MAUL

Leicht grinsend versuche ich erneut, ihm zu erklären, dass der Streifenwagen ja ein Ziel braucht, zu dem er fahren soll. Da brüllt er ins Telefon: »VERDAMMTE SCHEISSE! BIST DU DOOF? KENNSU MICH ETWA NICHT? ICH BIN’S, DER ANTONIO! Ihr verfickten Bullen hört mich mein Telefon doch eh ab. Ihr wisst doch, wo ich bin. ALSO STREIFENWAGEN ODER AUFS MAUL, JETZT MACH GAS!« Wieder legt er auf, während ich ziemlich verdattert mein Mikrofon anstarre.

»Was genau mach ich denn jetzt?«, frage ich den Kollegen links von mir.

»Nix!«, sagt der grinsend. »Den Typen kennen wir schon. Der ruft immer mal wieder an, vermutlich weil er grad nichts zu tun hat. Gefunden haben wir ihn noch nie. Keine Ahnung, was der genau will.«

Meine Leitung klingelt erneut: »Polizeinotru…«

»BITCH! WO BLEIBT STREIFENWAGEN! WART ICH SCHON STUNDENLANG! Könnt ich schon lange tot sein, und schuld bis du, Bitch! Bullenbitch!« Zack, hat er schon wieder aufgelegt.

»Wie lange wird das jetzt noch so gehen?« Etwas ratlos schaue ich die Kollegen an.

»Das sollte der letzte Anruf gewesen sein.«

Und tatsächlich, er hat recht: Der Typ meldet sich nicht noch einmal. Trotzdem würde ich zu gerne wissen, was er denn nun eigentlich gewollt hat.

»Polizeinotruf, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich werde hier festgehalten! GEGEN MEINEN WILLEN!« Die Männerstimme flüstert leicht panisch, und sofort schießt mir das Adrenalin in die Adern.

»Wissen Sie, wo Sie sind?«

»Nein, hier ist es dunkel!«

»Okay, wie heißen Sie?«

»Schröder, Stefan!«

»Gut, Herr Schröder. Wie sind Sie dort hingekommen, wo Sie jetzt sind?«

»Die haben mich geschlagen und gefesselt und dann ans Bett gebunden.« Im Hintergrund höre ich hektische Stimmen.

»Die kommen, die kommen, die wollen mich holen! Helfen Sie mir, bitte helfen Sie mir!«

Meine Hände werden feucht, und ich stoße den Kollegen neben mir an, der sich sofort in die Leitung hängt und mithört.

»Die sind fast da …«

»Herr Schröder, können Sie mir beschreiben, wo Sie sind? Was sehen Sie?« Ich versuche ruhig zu bleiben, aber meine Stimme wird trotzdem hektisch.

Mein Kollege tippt mir auf den Arm, aber ich bin zu konzentriert auf das Gespräch, um zu reagieren. In Gedanken gehe ich die Möglichkeiten durch, wie ich herausfinde, wo Herr Schröder ist, als er plötzlich in den Hörer schreit: »Nein … NEIN

Er kreischt, dann herrscht Stille. Ich höre ein Krachen, Schritte, offenbar ist ihm der Hörer aus der Hand gefallen oder geschlagen worden. Das Gespräch wird unterbrochen.

»Scheiße!«, entfährt es mir. Erst jetzt bemerke ich, dass mein Kollege sich auf seinem Stuhl windet und vor unterdrücktem Lachen kaum sprechen kann.

Endlich gelingt es ihm, auf meinen Bildschirm zu deuten, auf dem auch ich jetzt ein kleines grünes Kästchen erkenne.

»Alexianer-Krankenhaus, Psychiatrische Fachklinik, Akutaufnahmestation«, steht dort, wo mir sonst die Telefonnummer des Anrufers angezeigt wird.

Bei meinem Rückruf unter der Nummer habe ich eine gestresste Schwester des Alex, wie das Krankenhaus auch genannt wird, am Apparat.

»Ja, der Herr Schröder ist uns ausgebüxt und dummerweise ans Telefon gekommen. Nein, hier ist alles wieder ruhig. Er ist jetzt in der Fixierung und liegt auf seinem Bett. Ja, den richterlichen Beschluss kann ich Ihnen faxen.«

Erst als ich diesen in Händen halte, kann auch ich grinsen, und ganz sicher werde ich nie wieder vergessen, erst zu schauen, woher der Anruf kommt, bevor sich in meinem Kopf wilde Entführungsdramen abspielen, die in Wirklichkeit nur die Wahnvorstellungen eines Psychiatriepatienten sind.

»Polizeinotruf!«

»Tach, hier brennt et!«

»Wo?«

»Porz, Josefstraße …«

»Die Hausnummer bitte?«

»Brauchste nicht aufschreiben, Mädchen, ich hab dat hier schon alles jelöscht!«

»Okay, Sie brauchen also keine Feuerwehr mehr?«

»Nö! Ich ruf nur wegen dem Bundesverdienstkreuz an. Ich mein, ich hab hier die Gartenlaube von meinem Nachbarn gelöscht, da war der Hund drin, den hamma gerettet, und jetzt würd ich da gern aufgeschrieben werden.«

»Ähm …«

»Notieren Se mal. Peter Plüschkes ist mein Name, und gerettet hab ich den Hasso. Wann werd ich dann benachrichtigt und bekomm das Geld?«

»Öhm …«

Doch er redet einfach weiter. »Meine Telefonnummer ham Se ja jetzt, können Se ja weitergeben. Ich wart hier dann, bis die Bundeskanzlerin sich meldet wegen ’nem Termin!«

»Was für einen Termin?« Endlich bringe ich so etwas wie einen ganzen Satz zustande.

»Na, zur Verleihung von dem Bundesverdienstkreuz!«

»Paul Panzer?«, frage ich probehalber ins Mikrofon, fest davon überzeugt, dass ich gerade von einem der Lokalradiosender auf den Arm genommen werde.

»Nä, Peter Plüschkes heiß ich. Haha, das wär ja noch schöner, wenn meinen Orden dann ein anderer bekommt, der wo den Hasso gar nicht gerettet hat!«

»Ja, das wäre schlecht. Aber brennen tut’s nicht mehr?«

»Nä, sag ich doch, war nur die Hütte, die is aus!«

»Sind Sie verletzt worden?«

Kurz scheint er nachzudenken. »Erhöht das die Chancen auf eine Verleihung von dem Orden?«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Nä, dann bin ich auch nicht verletzt. Ham Se das alles notiert?«

Ich betrachte meinen Notizblock, auf dem sein Name steht. »Ja, hab ich.«

»Jut, dann wart ich mal.«

»Tun Sie das. Schönen Tag noch, Herr Plüschkes!«

»Inge, siehste doch, dat ich da Chancen auf dat Bundesverdienstkreuz hab. Die Dame da am Telefon hat mich aufgeschrieben! Ich, Peter Plüschkes, ich krieg dat Bundesverdienstkreuz, weil ich den Köter vom Hansemann aus der Scheißhütte gezogen hab. Du wirst noch sehen, ich werd berühmt«, höre ich es noch aus dem Hörer schallen, bis die Leitung tot und wieder für echte Notrufe frei ist.

»Polizeinotruf!«

»Bei mir wurde eingebrochen!«

Die offenbar ältere Dame gibt ihre Adresse an und schildert, was vorgefallen ist. Ich notiere das Notwendige und stelle die wichtigsten Fragen. Als ich mich verabschieden will, fragt sie: »Kommen Sie dann persönlich?«

»Nein, aber ich schicke Ihnen zwei nette Kollegen vorbei!«

»Lieber wären mir ja zwei Damen!«

»Das tut mir leid, aber die beiden Kollegen sind schon unterwegs, die sind sehr kompetent und freundlich, und Angst brauchen Sie vor denen auch keine zu haben.«

»Ach, Angst, papperlapapp. Angst hab ich nicht, mir geht’s um meinen Sohn.«

»Was ist denn mit Ihrem Sohn?«, frage ich neugierig.

»Der wohnt hier jetzt seit vierzig Jahren. So langsam kann der mal ausziehen!«, erwidert die Dame.

»Ähm, und was hat das mit dem Geschlecht der Kollegen zu tun?«

»Na, ich fänd das schön, wenn ich eine Polizistin zur Schwiegertochter bekäme. Da fänd ich das praktischer, wenn zwei Damen vorbeikommen, ginge das wirklich nicht? Also, ich will ihn ja loswerden, auf jeden Fall an eine Beamtin mit gesichertem Einkommen …«

Ich lasse sie reden und grinse vor mich hin.

»Obwohl … Vielleicht isser ja doch schwul. Nee, schicken Sie mir mal die beiden Herren vorbei. Das ist vielleicht doch besser! Ist mir ja auch egal, ob er nun zu einer Frau oder einem Mann zieht, Hauptsache, bei mir ist er raus.« Ich kann ihr zufriedenes Grinsen durch die Leitung hören.

»Aber eingebrochen wurde auch bei Ihnen? Wir sind hier nämlich nicht bei der Partnervermittlung, wissen Sie?« Meine Stimme klingt streng durch die Telefonleitung.

»Nein, nein, hier ist wirklich wer eingebrochen. Aber es gibt Chancen, die muss man ja nutzen! Ihre Telefonnummer dürfen Sie mir vermutlich nicht geben, junge Frau, oder? Also falls er doch auf Frauen steht, mein Sohn, mein ich jetzt.«

»Nein, tut mir leid, das ist gegen die Vorschriften. Aber viel Erfolg!«, wünsche ich ihr, als sie auflegt, und schmunzele vor mich hin.

Nach dem Einsatz erkundige ich mich bei den Kollegen, ob ihre Verkupplungsversuche erfolgreich waren, und erhalte zur Antwort, dass der Sohnemann augenscheinlich doch eher auf Frauen steht. Die beiden Herren wurden allerdings aufgefordert, unter den Kolleginnen zu verbreiten, dass er auf Brautschau sei und dass vor allem die freundliche Dame vom Notruf sich doch mal melden solle.

Generell ist es so, dass die Notrufe von der jeweiligen Leitstelle des Präsidiums bearbeitet werden. Dort sitzen mehrere speziell geschulte Beamte und nehmen die Anrufe entgegen. Sie treffen die notwendigen Maßnahmen und verteilen die Einsätze an die Streifenwagen, bestellen Abschleppdienste, Rettungswagen und die Feuerwehr oder auch mal einen Schlüsseldienst, wenn die Kollegen auf der Straße das verlangen.

Viele Menschen haben jedoch aus irgendeinem Grund die direkte Telefonnummer ihrer Polizeiwache und benutzen diese dann in Situationen, in denen ein Notruf wirklich angemessener wäre. Auf der Polizeiwache kann es schon mal vorkommen, dass das Telefon länger klingelt, bis jemand drangeht, weil alle beschäftigt sind. Häufig ist einfach auch die Leitung belegt. Auch die Möglichkeiten, auf einen Notruf zu reagieren, sind in der Leitstelle viel besser als auf einer Wache. Dort hat man sofort mehrere Kollegen zur Verfügung, die sich um die Bearbeitung eines anspruchsvollen Einsatzes kümmern können, während der Funker auf der Polizeiwache meist alleine ist und erst einmal einen Kollegen zu Hilfe rufen muss. Sonst könnte ein Notruf ähnlich ablaufen wie der, der mich eines Tages erreichte, als ich Funkdienst auf der Wache hatte:

»Polizeiwache …« Ich komme gar nicht dazu, meinen Standard-Begrüßungssatz fertig zu sprechen.

»Ist da die Polizei?«, kommt eine Männerstimme vom anderen Ende.

»Ja, hier ist die Polizei. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ah gut! Also, mir ist da ein Ding passiert!«

»Was genau ist Ihnen denn passiert?«

»Also, ich steh hier so und mach meinen Job …«

»Ja?«

»Also wie gesagt, ich steh hier so und denk an nix Böses. War ja auch ein guter Tag bisher und so. Auf jeden Fall kommen da zwei Männer rein. Ich denk noch, die sehen aber komisch aus. Na ja, jetzt sind sie ja wieder weg, aber die sahen halt wirklich komisch aus.«

»Wo sind Sie denn jetzt genau, und mit wem spreche ich überhaupt?«, versuche ich das Gespräch auf die wichtigen Dinge zu lenken, bevor er fortfahren kann.

»Ja, hier in der Spielothek, und mein Name ist Melchert, Micha Melchert!«

»Okay, Herr Melchert. Welche Spielothek?«

»Na hier in Köln die, gegenüber vom Aldi!«

Ich seufze innerlich. In Köln gibt es bestimmt zwanzig Spielotheken, die irgendwie gegenüber von einem Aldi liegen.

»Haben Sie eine Adresse für mich?«

Er nennt mir die Anschrift und spricht dann in genauso ruhigem Ton weiter: »Ja, also wie gesagt, die sahen so ein wenig komisch aus. Na ja, und dann ist mir halt dieses Ding passiert!«

»Welches Ding?« Allmählich klingt meine Stimme genervt, ich kann nichts dagegen machen.

»Na also, die kamen rein, dann sind sie wieder raus. Na ja, und jetzt ist die Kasse weg!«

Mein Puls beschleunigt sich. »Sie wurden bestohlen?«

»Ja, sag ich doch. Die Kasse ist weg, und das Messer haben die auch hiergelassen.«

»Welches Messer?« Bei mir schrillen alle Alarmglocken.

»Also wie gesagt, die kamen rein, und der eine hat mir halt das Messer so an den Hals gehalten, und dann sollte ich die Kasse aufmachen. Na ja, und jetzt sind sie halt weg. Dabei war das heut so ein schöner Tag.«

Ich winke hektisch meinen Kollegen aus dem Wachraum herbei. »Ein Raub in einer Spielhalle! Schick mal schnell ein paar Autos raus!«, zische ich ihm zu, da ich nicht gleichzeitig funken kann, während der Anrufer sich am Telefon weiter darüber auslässt, dass der Tag heute doch so gut gewesen sei und dass ihm jetzt so was passiert.

Mein Kollege guckt mich zweifelnd an, lässt sich dann aber auf den Stuhl neben mir fallen und beginnt zu funken. Er schickt alle drei verfügbaren Streifenwagen los, während ich immer noch den Anrufer in der Leitung habe und gleichzeitig dessen Angaben in unser Programm zur Einsatzbearbeitung in den PC tippe.

»Können Sie die Täter beschreiben? In welche Richtung sind sie weggelaufen?«

Er antwortet mir ausführlich, mein Kollege gibt die Beschreibung direkt an die Streifenwagen weiter.

Einer Eingebung folgend, frage ich: »Sind Sie verletzt?«

»Na ja, also verletzt, das ist jetzt ja ein weiter Begriff …«

»BRAUCHEN SIE EINEN RETTUNGSWAGEN?« Geduld gehört leider wirklich nicht zu meinen Stärken.

»Ja, doch, das wäre vielleicht ganz gut. Wegen dem Messer und dem Blut und so.«

Mir tritt der Schweiß auf die Stirn. »Welches Messer?«

»Ja, also, ich wollt ja erst nicht so richtig, mit der Kasse und so …«

Bevor er weitersprechen kann, höre ich im Hintergrund Martinshörner und die Stimmen der gerade eingetroffenen Kollegen.

»Ah, gut, dass Sie da sind«, begrüßt Herr Melchert sie, »also, mir ist da grad ein Ding passiert!« Es folgt ein ohrenbetäubendes Krachen.

»Scheiße, so ein Mist«, ist das Nächste, was ich höre. Dann habe ich den Kollegen am Apparat.

»Janine?«

»Ja!«

»Der Kerl ist umgekippt. Ist der Rettungswagen unterwegs?«

»Ja, da muss irgendwo auch ein Messer sein.« Ich hoffe immer noch, dass das nur ein blöder Witz von Herrn Melchert war.

»Bingo!«, meint mein Kollege nach ein paar Sekunden. »Dem Typ steckt ein Küchenmesser im Oberschenkel, und zwar bis zum Heft. Braucht ihr noch was? Sonst leg ich auf.«

»Nee, Rest über Funk«, beende ich das Gespräch und starre fassungslos den Hörer an.

Kaum zu glauben, dem Kerl steckte tatsächlich ein Küchenmesser im Oberschenkel, und er plaudert erst mal munter mit mir, bevor ihm einfällt, dass er ja ausgeraubt wurde!

Sachen gibt’s …

So ganz einfach ist der Job am anderen Ende einer Notrufleitung also nicht. Zum einen muss man dem Anrufer die Informationen entlocken, die man braucht, um helfen zu können. Zum anderen muss man nebenbei auch noch zusehen, dass man diese Angaben richtig bewertet und die richtigen Maßnahmen einleitet. Deshalb möchte ich potenziellen Anrufern die folgenden Verhaltensregeln ans Herz legen:

Wenn Sie – was nicht geschehen möge – irgendwann mal eine Notrufnummer wählen müssen, versuchen Sie bitte, deutlich und langsam zu sprechen. Ich weiß, wie schwer das in hektischen Situationen ist, aber Hilfe ist schneller da, wenn man sofort versteht, wo sich der Anrufer befindet und warum er Hilfe braucht.

Wenn Sie nicht genau wissen, wo Sie sind, schauen Sie sich nach Straßenschildern um, oder fragen Sie jemanden, der sich in der Gegend auskennt. Auch Straßenbahn- oder Bushaltestellen haben oft eine Namensangabe, die uns helfen kann, Sie zu finden.

Beenden Sie das Gespräch erst dann, wenn Sie dazu aufgefordert werden. Es kann durchaus sein, dass Sie glauben, alles Wichtige sei gesagt. Rettungsdienste und Polizei haben aber oft noch weitere, sehr wichtige Fragen.

Wählen Sie unbedingt gleich die richtige Notrufnummer: Die Polizei hat 110, Feuerwehr und Rettungsdienst erreichen Sie unter 112.

Und noch etwas Wichtiges: »Einfach so ausprobieren« oder anderweitig missbrauchen sollte man die Nummern auf keinen Fall, denn darauf steht eine saftige Geldstrafe, in besonders schweren Fällen sogar eine Freiheitsstrafe. Glück für Leute wie Antonio oder Herrn Plüschkes, wenn sie nicht erwischt werden oder einen gutmütigen Beamten am Telefon haben, der alle Augen zudrückt und den Notrufmissbrauch als nicht vorsätzlich wertet.

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt
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