Mädels auf Hühnerstreife
1998–2011
Gerade bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt, ist es angenehm, dass wir immer mehr Frauen bei der Polizei sind. In Großstädten wie Köln sind wir Mädels mittlerweile stark vertreten. Während das für mich ganz normal ist, scheint mein Umfeld damit noch gewisse Probleme zu haben, und häufiger, als mir lieb ist, muss ich Unterhaltungen wie die folgende führen.
»Das ist für dich doch bestimmt schwer?«, fragt mich beispielsweise ein wohlmeinender Onkel.
»Ähm, was genau jetzt?«
»Na, als junge Frau in so einem harten Job …«
»Es ist für mich nicht schwerer als für einen Mann auch!«
»Ja, aber so rein körperlich …«
»Wie – rein körperlich?«
»Das ist doch viel anstrengender als für einen Mann!«
Ich frage mich, was genau an meinem Job in Onkel Harrys Vorstellung so schrecklich anstrengend ist. Das stundenlange Sitzen im Streifenwagen kann es ja nicht sein. Außerdem verstehe ich nicht, warum es für mich anstrengender sein soll als für einen Mann.
Dummerweise kann ich meine Gedanken und Gefühle nur ganz schlecht hinter einem Pokerface verstecken. Daher sieht mein jeweiliges Gegenüber bei solch einem Gesprächsverlauf mir meistens an, dass ich jetzt wesentlich lieber Glassplitter essen würde, als die Unterhaltung fortzusetzen. Trotzdem landen wir nach einigen Umwegen meistens sofort wieder beim gleichen Thema – Frauen bei der Polizei.
»Aber hast du es denn nicht schwer, ernst genommen zu werden, so als Frau?«
Daraufhin schüttele ich meist etwas genervt den Kopf und versuche meinem Gegenüber geduldig die Welt zu erklären: »Du nimmst mich doch gerade auch ernst, oder? Also – warum sollten meine Kollegen oder die Bösewichter da draußen das nicht tun?«
»Na, weil du nicht so groß und Furcht einflößend bist wie ein Mann!«
Aha! Allmählich kommen wir zum Kern der Sache.
»So, so, bin ich nicht. Muss eine Polizistin denn groß und Furcht einflößend sein? Sind wir nicht eher Freund und Helfer? Sollten wir nicht Vertrauen einflößen statt Angst? Welche Rolle spielt da die Größe?«
Auf diese Frage folgt dann in der Regel eine Zeit längeren Nachdenkens, dann ein zögerliches Nicken, aber prompt kommt dann meist schon die nächste Frage: »Ja, aber kannst du dich da überhaupt durchsetzen?«
Hier werde ich dann häufig ein wenig grantig. »Bisher hatte ich noch nie Probleme, und wenn doch, hab ich genauso wie die männlichen Kollegen meine Hände, das Pfefferspray, den Schlagstock und im Notfall die Waffe, um mich durchzusetzen und zu verteidigen.«
»Schon, aber zum Beispiel die Waffe … Hast du als Frau kein Problem damit, die zu tragen?«
Im Ernst, solche Fragen kommen immer wieder! Da muss man als Frau gaaaanz geduldig sein.
»Welchen Unterschied macht es, ob ich als Frau die Waffe trage oder ein Mann?«
»Weil das doch eigentlich nicht deine Aufgabe ist!«
»Warum denn nicht? Schließlich bin ich genauso Polizistin wie die Männer auch!«
»Aber würdest du denn nicht lieber irgendwo am Schreibtisch arbeiten, wo es sicher ist?«
Spätestens wenn das Gespräch an diesem Punkt angelangt ist, antworte ich dann meist mit einem ziemlich endgültigen: »NEIN, ich liebe meinen Job! Ich mache ihn gerne!«
Dummerweise scheint es mir in solchen Diskussionen an Deutlichkeit zu fehlen, denn solche Gespräche können sich sehr lang hinziehen. Da wird dann thematisiert, wie hart es doch für Frauen sein muss, sich in einer Männerwelt zurechtzufinden. Dass man ja von der Beamtin gehört habe, die sich vor ein paar Jahren erschossen hat, weil die Kollegen alle so scheiße waren, und ob ich wegen meiner Größe denn nicht gemobbt würde. Sexuelle Belästigung sei ja sicherlich ein häufiges Thema, auch bei der Polizei.
Meist werde ich dann immer schweigsamer, lächele nett und freundlich und schalte mein Gehirn ab. Denn meine Meinung und Einschätzung wollen die meisten ja doch nicht hören. Trotzdem äußere ich sie an dieser Stelle in der Hoffnung, dass das Thema Frauen bei der Polizei dann ein wenig anders gesehen wird.
Tatsächlich ist es so, dass ich hier und da auf Probleme mit männlichen Kollegen oder eingefahrenen festen Strukturen gestoßen bin. Das gibt es bei der Polizei genauso wie in jeder anderen großen Behörde oder in jedem großen Unternehmen.
Der eine unterstellte mir Bulimie, weil ich immer so schrecklich viel esse und trotzdem so mager bin. Der Nächste machte sich Gedanken, weil ich bei einem Einsatz gar nichts gegessen hatte (nur zur Erklärung: Es gab aus der Versorgungsküche Gummihühnchen und Schnitzel in einer undefinierbaren Soße, und ich habe nun mal einen gewissen ästhetischen Anspruch an die Dinge, die ich meinem Körper als Nahrung zuführe). Der Nächste dichtete mir eine Liebschaft mit einem Vorgesetzten an, und wieder ein anderer war der Meinung, dass ich meinem Job ja gar nicht gerecht werden könne, weil ich viel zu jung sei und Frauen eh an den Herd gehörten!
Getratscht und palavert wird überall, Deppen unter den Kollegen hat man auch in jedem anderen Beruf. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Haut man frühzeitig auf den Tisch und sagt: »So nicht!«, dann wird sich ganz bestimmt eine Lösung finden lassen. Und wenn man, wie es sicherlich in einigen Fällen auch schon vorgekommen ist, feststellen muss, dass man trotz aller Bemühungen mit einer Kollegin oder einem Kollegen einfach nicht arbeiten kann, dann ist ein Dienststellenwechsel, wie er innerhalb der Polizei glücklicherweise leicht möglich ist, unter Umständen immer noch die angenehmere Lösung, als jeden Tag mit Bauchschmerzen und Übelkeit zum Dienst zu erscheinen, nur weil man dort Mr oder Mrs Vollidiot ertragen muss.
Sicherlich habe ich den Vorteil, in Köln zu arbeiten, einer sehr großen Behörde mit einem mittlerweile recht hohen Frauenanteil – zwar noch nicht in den höheren Altersstufen und in der oberen Führungsriege, aber auch da tauchen meine Geschlechtsgenossinnen immer häufiger auf. Teilweise sind hier so viele Frauen im Streifendienst, dass es nicht möglich ist, wie eigentlich üblich, auf allen Fahrzeugen gemischte Teams zu platzieren. So werden bei uns auch reine Frauenteams auf die Straße geschickt, die »Hühnerstreifen« heißen. Zugegeben, das ist eine etwas verniedlichende Bezeichnung, aber ich mag den Begriff sogar, denn ich sehe es als großen Fortschritt an, dass es diese Hühnerstreifen mittlerweile immer häufiger gibt. Sicherlich macht bei solchen Bezeichnungen der Ton die Musik, aber grundsätzlich mag ich Spitznamen wie »Mädels« oder »Hühner« für uns Polizistinnen. Die Frage ist doch nur, wie es ausgesprochen wird und von wem. Da fällt mir auf: Warum gibt es eigentlich für Männerteams keine niedlich-witzige Bezeichnung à la »Gockelteam« oder so?
Klar fühle ich mich besonders sicher, wenn ich mit einem zwei Meter großen und fast so breiten Kollegen an meiner Seite an einem Einsatzort auftauche, aber es gibt nicht eine Kollegin, mit der ich mich im Streifenwagen unsicher gefühlt hätte, nur weil sie eine Frau ist. Wir bewältigen als »Hühnchenwagen« unsere Einsätze genauso erfolgreich wie die reinen Männerstreifen.
Natürlich gibt es immer wieder Situationen, bei denen es von Vorteil sein kann, dass ein männlicher Kollege dabei ist – sei es zur Durchsuchung einer männlichen Person oder einfach für Aktionen, bei denen es auf körperliche Kraft ankommt (das Hochheben von toten Wildschweinen oder Gullydeckeln beispielsweise). Ist kein Mann zur Stelle, bedeutet das für uns Frauen Erfindungsreichtum oder eben eine schweißtreibende Arbeit. Alles in allem haben wir »Hühner« aber noch alle an uns gestellten Anforderungen erfüllen können, und im Zweifel fordern wir eben Verstärkung an, genauso, wie die Jungs das machen, wenn sie an ihre Grenzen stoßen. Da gibt es nämlich auch bei der Polizei ein paar Herren, die nicht ganz so muskelbepackt und durchtrainiert sind.
Aber auch die männlichen Kollegen wünschen sich hin und wieder eine Kollegin, sei es, um eine weibliche Delinquentin zu durchsuchen, das Opfer eines Sexualdelikts einfühlsam zu betreuen oder einfach nur da zu sein, damit die gewitzte Straftäterin sich nicht nachträglich überlegt, dass die beiden Herren, die sie zur Zelle geleitet haben, sie auf unsittliche Art berührt haben könnten.
Mangels eigener Erfahrung kann ich nicht sagen, ob die Arbeit in einer ländlichen Polizeibehörde, in der man vielleicht als eine von wenigen Frauen einer großen Mannschaft von Männern gegenübersteht, sich stark von der in einer städtischen Polizeiwache unterscheidet. Das eine Jahr, in dem ich als eine von drei Frauen meinen Dienst auf der Autobahnpolizeiwache Eschweiler versah, inmitten einer Schar von deutlich älteren männlichen Kollegen, habe ich jedoch in bester Erinnerung. Mit »meinen Jungs« dort hatte ich eine unheimlich lehrreiche und gute Zeit und fühlte mich bei den diensterfahrenen Herren immer gut aufgehoben und verstanden.
Natürlich muss man sich als Polizistin, wenn man auf eine neue Dienststelle kommt, erst einmal bewähren und beweisen, bevor die Kollegen einem das uneingeschränkte Vertrauen entgegenbringen, das man für den täglichen Dienst braucht. Man muss zeigen, dass man zupacken kann und vor nichts fies ist, und das Prinzesschen sollte man besser nicht heraushängen lassen. Aber sich beweisen müssen auch junge männliche Kollegen, wenn sie sich in einer Dienstgruppe neu einfinden.
Klar, auch Männer lästern gerne, auch bei Männern gibt es so etwas wie Zickenalarm, und auch bei ihnen herrscht nicht immer eitel Sonnenschein. Hier und da muss ich als Frau auch schon mal ein paar deutliche Worte sagen, um die Fronten zu klären und den Jungs klarzumachen, dass sie es keineswegs mit einem dummen kleinen Blondchen zu tun haben, auch wenn ich vielleicht so aussehen mag. Aber gerade dazu sollte ich als Polizistin in der Lage sein. Schließlich bekomme ich es tagtäglich mit Menschen zu tun, denen gegenüber ich Souveränität und Respekt ausstrahlen muss. Und wenn mir das den Kollegen gegenüber schon nicht gelingt, wie will ich das dann dem Ganoven Ede gegenüber hinbekommen? Ich würde deshalb jeder jungen Frau, die mit dem Gedanken spielt, Polizistin zu werden, immer raten, es zu versuchen, sich keine Zweifel von anderen einreden zu lassen und einfach ein bisschen Vertrauen in sich selbst zu haben. Grundsätzlich hab ich mich bisher trotz meiner Körpergröße, meiner Zierlichkeit und vielleicht auch gerade wegen meiner frechen Schnauze noch überall durchsetzen können. Hier und da habe ich mir mit meiner häufig etwas direkten Art nicht unbedingt Freunde gemacht, aber wer will schon Everybody’s Darling sein?
Wenn ich mich heute an die Worte des Einstellungsberaters erinnere, der meinte: »Das schafft das Mädchen sowieso nicht!«, dann kann ich nur sagen: Das Mädchen hat es sehr wohl geschafft, und es schafft es immer noch – lächelnd und mit Freude, jeden Tag!
Aus meiner heutigen Sicht auf dreizehn Jahre Polizeiarbeit kann ich sagen: Die Polizei ist gefühlsbetonter geworden, ein bisschen weicher, zugänglicher. Vielleicht auch gerade deshalb, weil mehr Frauen dabei sind. Die männlichen Kollegen trauen sich heute eher, sich Schwächen einzugestehen, zuzugeben, dass gewisse Einsätze sie belasten und dass man unter dem Eindruck besonders schlimmer Anblicke auch einfach mal nur traurig ist. Uns Frauen gegenüber muss kein männlicher Kollege den Schein des harten Kerls wahren, wenn ihm eigentlich nur zum Heulen zumute ist.
Etwas Schlechtes kann ich daran beim besten Willen nicht finden.