KAPITEL 76
»Ich mache Hayes kalt, das schwöre ich«, murmelte Knox und blickte zu Stone hinüber. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.« Beide Männer waren wieder in ihrer Zelle. Seit Macklin Hayes erschienen war, um ihnen die Sargnägel einzuschlagen, waren Stunden vergangen.
»Aber das wäre gegen das Gesetz«, gab Stone zu bedenken. »Dann würden Sie von der Polizei gejagt und irgendwann in den Knast geworfen.« Er lehnte an der Wand und spähte durch die Bresche, die man hier als Fenster bezeichnete, ins Freie. Die Öffnung gewährte Ausblick auf den Parkplatz, doch wegen der Trübung der an den Gittern befestigten Plexiglasscheibe war es schwierig, draußen irgendetwas zu erkennen.
»Ja, ich verstehe die Ironie. Aber ich werde es trotzdem tun.«
»Falls wir von hier wegkommen.«
»Stimmt. Und das ist momentan unmöglich.«
»Vielleicht doch nicht.«
Knox setzte sich auf. »So?«
»Schrauben Sie Ihre Hoffnungen nicht zu hoch. Ich sage das aus Pessimismus, nicht aus Optimismus.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ist Ihnen aufgefallen, dass wir nicht aus der Zelle geholt worden sind, seit Hayes fort ist? Und nichts zu essen bekommen haben?«
»Ja, mein Magen erinnert mich jede Sekunde daran. Und?«
»Für mich besagt das, unser Aufenthalt geht dem Ende entgegen.«
»Man will kein Essen an Todgeweihte verschwenden, meinen Sie? So was sieht unserem verehrten Direktor aber nicht ähnlich.«
»Es gibt keinen Grund, uns länger einsitzen zu lassen. Immerhin besteht die Gefahr, dass irgendwann doch jemand aufkreuzt und den Laden hier durchsuchen will. Warum so ein Risiko eingehen?«
»Wohin wird man uns bringen? Was meinen Sie?«
»Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es hier viele verlassene Bergwerke gibt. Ein Sturz in einen alten Schacht, und dann macht man ihn zu – fertig, aus. Anscheinend sind die Leute hier es gewohnt, dass in ihren Bergen Tote ruhen. Dadurch ist dieser Knast ja zu seinem Namen gelangt.«
Stone drückte das Gesicht an das schießschartenartige Fenster, um besser sehen zu können. Er kniff die Augen zusammen und konnte in der Ferne die Umrisse der Berge erkennen. Ebenso gut hätten sie auf dem Mars liegen können. Ein Meter Beton, hundert Meter Luft, Stacheldraht und eine Abteilung Scharfschützen mit nervösen Zeigefingern trennten ihn und Knox von der Freiheit.
Es gab keinen Ausweg.
»Wenn man diesen Beruf wählt, sollte man wissen, dass einem jeden Tag die Stunde schlagen kann«, sagte Knox. »Damit muss man sich abfinden. Man bleibt dabei, weil man seine Aufgabe erfüllen will, eine Aufgabe, die man nach besten Fähigkeiten zu verrichten geschworen hat. Man dient dem Heimatland bis zum Ende.«
»Oder bis es einen in den Arsch tritt«, lautete Stones Antwort.
»Als ich den Auftrag erhielt, Sie aufzuspüren, wusste ich wirklich nicht, was ich erwarten sollte. Ich wusste, dass Sie gefährlich sind, aber ich dachte, Sie wären auf die Seite der Lumpenhunde übergewechselt wie so viele andere. Aber je mehr ich erfahren habe … Also, wenn jemand eine Entschuldigung von Seiten dieses Landes verdient hat, dann Sie.«
»Seltsam, ich habe das Gleiche über Sie gedacht, Knox.«
»Meine Freunde nennen mich Joe, Oliver.«
Stone wandte sich um und blickte ihn an. Knox stand da und streckte ihm die Hand entgegen.
Stone ergriff sie, und die zwei Verdammten gaben sich einen kurzen, aber herzlichen Händedruck.
»Wann kommen sie uns holen? Was meinen Sie?«
»Heute Nacht.« Stone starrte erneut durch die Bresche. »Soweit man es überhaupt sagen kann, dürfte es in ungefähr sechs Stunden sein, und …« Er verstummte und versuchte verzweifelt, den Kopf zwischen den Beton zu quetschen. Nur mit allergrößter Mühe konnte er eine Gruppe von Personen erkennen, die aus einem Auto stieg und sich dem Gefängnistor näherte. Ein hünenhafter Mann mit lockigen Haaren überragte alle anderen.
»Was ist?«, fragte Knox. »Was sehen Sie?«
Stone drehte sich um, ein Lächeln auf dem Gesicht. »Ich sehe Hoffnung, Joe. Verdammt, diesmal sehe ich wirklich Hoffnung.«