KAPITEL 42
Annabelle und Caleb betraten die Union Station und gingen geradewegs zu der Schalterangestellten, mit der Knox gesprochen hatte. Annabelle zückte ihren gefälschten FBI-Dienstausweis.
»Wir sind die Agenten Hunter und Kelso. War ein Mann bei Ihnen, der Ihnen Fotos gezeigt und Sie mit Fragen belästigt hat?«
»Ja«, sagte die Frau nervös.
»War sein Name angeblich Joe Knox? Hat er behauptet, vom Heimatschutzministerium zu sein?«
»Ja.«
Annabelle stöhnte laut auf. »Dann haben wir ein großes Problem.«
Erschrocken blickte die Frau sie an. »Was für ein Problem denn? Wir haben Agent Knox nach besten Kräften geholfen.«
»Das Problem ist«, ergriff Caleb das Wort, »dass er nicht Knox heißt und auch nicht für das Heimatschutzministerium arbeitet.«
Die Frau wurde bleich. »Verdammt!«
»Wie recht Sie haben«, sagte Annabelle. »Ich muss sofort jeden vernehmen, mit dem der Kerl gesprochen hat.«
Wenige Minuten später saßen Annabelle und Caleb im Büro des Bahnhofsvorstehers. Auch der Zugbegleiter war zugegen.
»Wir dachten, Mr. Knox ist Geheimagent.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Annabelle. »Vermutlich hat er Ihnen eingeschärft, mit niemandem über das zu reden, was er mit Ihnen besprochen hat, stimmt’s?«
»Genau.«
»Leider ist das leeres Agentengewäsch, wie man es aus Filmen kennt.«
»Aber seine Ausweise sahen echt aus«, gab der Zugbegleiter zu bedenken.
Caleb hielt seinen falschen Dienstausweis so, dass die Männer ihn sich gründlich anschauen konnten. Die Ausweise waren noch warm, weil Annabelle sie erst auf der Fahrt im Lieferwagen gefälscht hatte. »Ich arbeite tatsächlich für das Heimatschutzministerium, deshalb kann ich Ihnen einen echten Ausweis zeigen«, sagte er. »Ist Ihnen aufgefallen, ob in der oberen rechten Ecke des Fotos ein umgedrehtes kleines e war, so wie Sie es hier sehen können?«
Die Bahnmitarbeiter schauten es sich an und schüttelten den Kopf. »Ich wusste gar nicht«, sagte der Zugbegleiter, »dass ich auf so etwas achten muss.«
»Das liegt daran, dass es geheim ist«, erläuterte Annabelle. »Auf diese Weise soll verhindert werden, dass jeder x-Beliebige unsere Ausweise fälscht. Aber es ist eine zweischneidige Sache. Auf der einen Seite wird es geheim gehalten, damit die Allgemeinheit nichts davon erfährt. Auf der anderen Seite bin ich persönlich der Meinung, dass Regierungseinrichtungen eingeweiht werden sollten. Und Sie sind ja so etwas wie eine Regierungseinrichtung, nicht wahr?«
»Gewissermaßen«, entgegnete der Bahnhofsvorsteher. »Aber der Bundesregierung scheint das nicht bewusst zu sein. Meine Güte, viele Leute in der Regierung fragen sich, wieso das Land überhaupt eine Eisenbahn braucht! Dabei beantwortet diese Frage sich von ganz allein. Wenn man bedenkt, dass die Autobahnen verstopft sind, der Himmel überfüllt ist von Flugzeugen und jede zivilisierte Nation der Welt Züge und Schienenwege im Rekordtempo baut.«
»Wir werden bei der nächsten Haushaltsberatung ein gutes Wort für Amtrak einlegen«, sagte Caleb spöttisch. »Aber im Moment müssen wir schleunigst diesen Kerl aufspüren.«
»Sagen Sie mal, müssen Leute wie Sie nicht Jacken mit dienstlichen Kürzeln tragen?«, fragte der Zugbegleiter.
»Ja«, gab Annabelle ungeduldig zur Antwort, »wenn wir jemandem die Tür eintreten, um ihn hoppzunehmen. Aber nicht, wenn wir verdeckt ermitteln, um einen Spion zu stellen.«
Caleb warf ihr einen scharfen, genau abgestimmten Blick zu und schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Der Mann ist ein Spion?«, rief der Zugbegleiter.
»Ja«, bestätigte Annabelle. »Und jetzt muss ich genau erfahren, was Sie ihm erzählt haben.«
Die beiden Männer informierten sie umfassend, während Caleb sich Notizen machte. »Ich mache Ihnen nicht zum Vorwurf, was passiert ist«, sagte Annabelle, als sie fertig waren. »Und wir hoffen zuversichtlich, dass wir den Mann dank Ihrer Informationen zu fassen kriegen.«
»Wünschen Sie uns Glück«, sagte Caleb. »Wir können es gebrauchen, denn der Kerl hat einen beachtlichen Vorsprung.«
Rasch verabschiedete sich das Paar und kehrte zum Lieferwagen zurück. »Da hast du einen tollen Auftritt hingelegt, Caleb«, meinte Annabelle bewundernd.
»Ich war am College in der Theater-AG. Damals hatte ich noch Träume. Nicht Hollywood, Gott bewahre. Aber hinsichtlich der Bühne.«
»Du wolltest an den Broadway, bist aber Bibliothekar geworden? Wieso?«
»Die Schauspielerei hat mir Spaß gemacht, bloß hatte ich ein Manko, das ich nie überwinden konnte.«
»Und das war?«
»Lampenfieber. Vor jeder Vorstellung war ich stundenlang krank. Ich habe so viel Gewicht verloren und so viele Rollen verpatzt, dass ich letzten Endes kapitulieren musste.«
»Na, heute jedenfalls hast du deine Rolle so gut gespielt wie ein Star.«