Einleitung
Das Leben ist hart geworden im 21. Jahrhundert. Trotz großen Wohlstands, geringer körperlicher Belastungen und allerlei technischer Errungenschaften, die das Leben eigentlich leichter machen sollten, fühlen sich die Menschen ständig unter Druck. Hoch sind die Ansprüche an Schnelligkeit, Professionalität und Akkuratesse im Berufsalltag. Wer früher eine Woche lang Zeit hatte, einen gut durchdachten Geschäftsbrief zu formulieren, muss sich heute schon entschuldigen, wenn er erst am folgenden Tag auf eine E-Mail-Anfrage antwortet. Gnadenlos ist oft die Kritik von Vorgesetzten oder Kunden, die in schnell dahingeschriebenen Computerbotschaften eintrudelt. »Wir pflegen einen offenen Kommunikationsstil«, heißt so etwas in modernen Unternehmen. Zugleich wächst der Umfang der Arbeit mehr und mehr und die Angst sie zu verlieren auch – schon allein, weil die Zahl der Kollegen aufgrund des stetig steigenden Kostendrucks in den meisten Branchen tatsächlich immer weiter sinkt. Wer nicht Schritt halten kann, muss um seinen Job fürchten. Und die seit Jahren immer wieder auftretenden Währungskrisen und Rezessionen machen die ständige Bedrohung für das wirtschaftliche und seelische Lebensgefüge nicht kleiner.
Doch nicht nur im Arbeitsalltag lauert das Monster der Leistungsspirale. Eine Beziehung – und bitte schön, nicht irgendeine, sondern eine glückliche – gehört ganz selbstverständlich zum Repertoire, das ein Mensch von heute vorzuweisen hat, um den gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen. Und ganz nebenbei sollen die perfekten Partner und Arbeitnehmer auch noch besonders gute Mütter und herausragend engagierte Väter sein, die ihre Kinder nicht nur liebevoll, sondern auch freiheitlich und pädagogisch durchdacht erziehen, dabei aber keine Chance verpassen, sie durch Förderung vor allem im sprachlichen, künstlerischen und sportlichen Bereich so gut wie möglich auf das globalisierte Berufsleben vorzubereiten. Dass es traditionelle Großfamilienstrukturen – und mit ihnen die helfenden Hände der Tanten, Onkel und Großeltern – kaum mehr gibt, macht die Ansprüche umso weniger erfüllbar.
Misserfolge, Kritik und ständige Selbstkritik sind bei diesem Alltagsprogramm schlicht mitprogrammiert. Das hat nicht selten gravierende Folgen. Die Krankmeldungen aufgrund psychischer Leiden haben einen nie dagewesenen Höchststand erreicht. Zunehmend werden auch Fälle von Burn-out und Depressionen von Popgrößen und Fußballprofis bekannt – Menschen also, die vor ihrem seelischen Zusammenbruch im Beruf extrem erfolgreich waren.
Nun kann man den Anforderungen der modernen Welt nicht so einfach entfliehen. Als soziale Wesen lassen wir uns unweigerlich beeinflussen von den Wertvorstellungen und Ansprüchen der Menschen um uns herum und machen sie uns allzu leicht auch selbst zu eigen. Ohnehin drohen letztlich sogar demjenigen Schicksalsschläge und Frustrationen, der sich für den Rückzug auf eine Alm oder für eine Auszeit in einem Zen-Kloster entscheidet. Die Abgeschiedenheit kann wohl beruflichen Druck nehmen, aber sie verhindert keine persönlichen Niederlagen, schweren Krankheiten oder den Verlust des geliebten Partners. Probleme, mitunter schwerwiegende, kommen unweigerlich auf jeden Menschen zu, immer wieder und ständig neu – und oft dann, wenn man gar nicht mit ihnen rechnet.
Wie gut wäre es also, so etwas wie Hornhaut auf der Seele zu haben! Ein Rüstzeug, das schützt vor den ständigen Spitzen im fordernden Berufsleben und den oft kaum zu bewältigenden Ansprüchen des Alltags. Eine Lebenseinstellung, die den Blick freudig nach vorn lenkt statt in Trauer zurück. Eine Selbstsicherheit, die den Großteil der Kritik abprallen lässt und gezielt nur das verwertet, was konstruktiv ist.
Es gibt Menschen, die all diese Eigenschaften haben. Wie Felsen in der Brandung sind sie kaum zu erschüttern. Resilienz nennen Psychologen ihre geheimnisvolle Kraft, Widerstand zu leisten gegen die Zumutungen der Umwelt oder aus einer deprimierenden Situation wieder ins volle Leben zurückzukehren.
Eines der anrührendsten Beispiele unserer Zeit ist wohl die Geschichte von Natascha Kampusch, jener jungen Österreicherin, die als Zehnjährige auf dem Weg von der Schule nach Hause entführt und acht Jahre lang in einem Verlies festgehalten wurde (siehe S. xy). Als sie nur zwei Wochen nach ihrer Flucht im Fernsehen auftrat, machte sie die Zuschauer sprachlos. Ein hilfloses Opfer hatten die Menschen erwartet, stattdessen präsentierte sich eine selbstbewusste, sich selbst reflektierende junge Frau. Nun mag es sein, dass es Natascha Kampusch nur gut gelang, die Wunden in ihrem Innersten zu verbergen. Doch bedurfte selbst das in ihrer Situation einer psychischen Stärke, die Bewunderung verdient. Der Frage nach der Kraft der Resilienz verschaffte ihr Auftritt im Fernsehen jedenfalls eine ganz neue Dimension.
Wie kann es sein, dass ein junges Mädchen ein solches Martyrium übersteht, während andere Menschen schon nach viel kleineren Schicksalsschlägen den Lebensmut verlieren? Weshalb sprudelt ein Unternehmer nach dem Bankrott seiner Firma gleich wieder vor neuen Ideen, während sich ein anderer aufgibt? Warum nagt ein falscher Satz eines Kollegen an der einen drei Tage lang, während eine andere ihn kaum hört? Weshalb landet ein Mann am Ende einer großen Liebe im Suff, während ein anderer bald neuen Sinn im Leben findet?
Die Frage, was manche Menschen so stark macht, ist eines der großen Rätsel, auf das Psychologen, Pädagogen und Neurowissenschaftler zunehmend Antworten finden. Viel zu lange haben sie sich nur mit den Abgründen der Seele befasst. Haben erkundet, welche Faktoren im späteren Leben Wahnvorstellungen, Depressionen und Panikattacken begünstigen, bis sich Ende der 1990er-Jahre einzelne Abtrünnige der Positiven Psychologie zuwandten. Sie erkunden nun, wie sich die Lebenstüchtigen durch Krisen manövrieren, und sie haben sich auf die Suche nach den Strategien und Ressourcen gemacht, die die Starken dafür nutzen und bereithalten.
Dieses Buch will an Beispielen erzählen, welch hilfreiches Rüstzeug manchen Menschen mitgegeben ist; es erkundet anhand neuester Forschungen, wie es zu dieser Widerstandskraft gekommen ist; und es soll all jenen, die diese Stärke mitunter vermissen, Wege aufzeigen, wie sie nach dem Vorbild der Lebenstüchtigen künftig die großen und kleinen Krisen des Lebens besser bewältigen können. Denn wenngleich die Fundamente der psychischen Widerstandskraft schon in frühester Kindheit gelegt werden, so lassen sie sich doch auch später noch gießen. Man muss nur wissen, wie.