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»Um Himmels willen, was geht da vor?« Catherines Ton verriet eine gewisse Ängstlichkeit, als sie die Scharen zerlumpter Bettler sah, die ihre Karosse vor den Stadttoren bedrängten.

»Du lieber Gott, die Elendsviertel werden vom schottischen Abschaum überrannt. Wie die Ratten haben sie Edinburgh und Glasgow verlassen und werden bald ganz London in eine Jauchegrube verwandeln«, erklärte Maggie.

David Hepburn, der neben dem Kutscher saß, ergriff dessen Peitsche und schlug damit auf die Rücken der aggressivsten Wegelagerer ein, die bereits den Wagen erklommen hatten. Der Mob wich nur so lange zurück, bis die Kutsche der Spencers Aldergate passieren konnte. Innerhalb der Stadttore herrschte Ruhe, wenn auch die Straßen sehr belebt waren.

»Hier drinnen ist es erstickend heiß. Ich brauche Luft«, stöhnte Cat.

»Mach ja nicht das Fenster auf. Überfüllte Elendsviertel sind Brutstätten für Krankheiten.«

»Vielleicht hast du Recht, Maggie.« Cat schauderte und fächelte sich Kühlung zu.

Als sie Whitehall erreichten, war es, wie in eine andere Welt zu gelangen, und Catherine atmete erleichtert auf. Sie dankte David, dass er für ihre Sicherheit gesorgt hatte. Sein brutales Vorgehen billigte sie zwar nicht, musste aber zugeben, dass es nötig gewesen war.

»Ich bedauere den Zwischenfall zutiefst, Lady Stewart. Aber wenn Ihr Euch auf den Hof beschränkt, seid Ihr in Sicherheit.« Er lud das Gepäck aus, hob einen Koffer auf seine Schulter und griff nach einem zweiten.

Seine Größe und Kraft erinnerten Cat an einen anderen Schotten. Er befiehlt mir sozusagen, den Hof nicht zu verlassen. Alle Hepburns sind doch von unerträglicher Arroganz! Sie eilte voraus, zu den Gemächern ihres Gemahls. Die Räume waren wohnlich und geräumig, aber sehr stickig, da sie lange unbewohnt gewesen waren. Cat riss alle Fenster auf, und David ging wieder, um den Rest ihres Gepäcks zu holen.

»Ich lasse Badewasser für dich bringen, dann kannst du dir etwas Leichteres anziehen. Wenn schon der Juni so heiß ist, wie soll dann erst der Juli werden?«

»Wenn ich sofort auspacke, werden die Sachen nicht allzu zerknittert sein.«

»Mal sehen, ob wir es schaffen, ehe das Badewasser gebracht wird.«

Als Catherine und Philadelphia am Abend in den großen, neben dem Audienzsaal gelegenen Speisesaal schlenderten, wurden sie sofort von Damen des Hofes umringt, die sie um ihre leichten Kleider beneideten, da die Schottinnen meist Wollkleider in matten und dunklen Farben trugen, Sachen, die geeignet waren, in zugigen alten Gemäuern Wärme zu spenden. Als der Raum sich füllte, wurde es für die Höflinge unerträglich heiß. Einige Gentlemen öffneten Wämse und Hemdkragen, die Damen aber hatten es nicht so gut.

Es dauerte nicht lange, und Königin Anne schickte Christine, eine ihrer Damen, um Catherine zu sich zu bitten.

Als Cat in einem anmutigen Knicks versank, bat die Königin sie zu sich auf die Estrade. »Lady Stewart, ich bin entzückt, dass Ihr gekommen seid.«

»Danke für die Einladung, Euer Hoheit.«

»Christina wird Euch ihren Platz überlassen, damit wir plaudern können. Diese Hitze bringt mich fast um. Wie kommt es, dass Ihr so kühl und elegant wirkt?«

»Ich trage ein Sommerkleid aus Seidenorganza, Euer Hoheit.«

»Sind denn die Sommer in England immer so heiß, Lady Stewart?«

»Bitte, nennt mich Catherine. So heiß wird es meist erst Ende Juli oder im August, aber ich denke, in diesem Jahr wird der Sommer jetzt schon einziehen, Madam.«

»Dann brauche ich dringend geeignete Garderobe.«

»Ich will mich noch heute mit meiner Mutter beraten, wie wir Euch neu einkleiden. Eure Garderobe sollte diesem drückend heißen Wetter angepasst werden.«

Philadelphia und Cat trafen Isobel bei den Näherinnen an. Viele waren Engländerinnen, die schon seit Jahren mit ihr arbeiteten, aber andere kamen aus Holyrood und hatten Annes Garderobe genäht.

»Catherine! Das nenne ich eine Überraschung!«

Cat war schon auf Ablehnung gefasst, und der Ton ihrer Mutter zeigte an, dass es keine freudige Überraschung war. »Die Königin hat mich eingeladen. Und heute sah sie mein Kleid und äußerte den Wunsch, etwas Ähnliches zu besitzen. Ich versprach ihr, du würdest Kleider schneidern lassen, die diesem heißen Wetter entsprechen.«

»Dass ich sie machen lasse oder du, Catherine?«

Philadelphia sprang ein. »Isobel, deine Tochter wird deine Autorität gewiss nicht untergraben. Wir müssen gemeinsam überlegen und eine Lösung finden. Noch heute! Anne und ihre Damen verschmoren in ihren warmen Kleidern.«

Isobel änderte die Tonart. »Das Wohlbefinden Ihrer Majestät hat natürlich Vorrang.«

»Mutter, ich weiß, dass eine große Auswahl an Stoffen vorrätig ist. Wir müssen sie durchsehen und die leichten Materialien heraussuchen. Sicher gibt es feinen Batist für Unterwäsche, sowie Seide, Sarsenett, Kambrik, Spitze, Faille, Organza oder Taft für Tageskleider und Festroben. Ich könnte mir denken, dass die Königin in Taft besonders elegant wirken müsste.«

»So wie in meinem Taftkleid. Es raschelt köstlich«, hob Phildelphia hervor.

»Ich weiß, dass Elizabeth weit über hundert Fächer besaß. Sie müssten aus dem Lager geholt und wieder in Gebrauch genommen werden«, riet Cat.

»Ich gehe voraus. Folgt mir, meine Damen«, wies Isobel sie an.

 

Catherine machte sich daran, Skizzen für Kleider anzufertigen, die Annes stattlicher Figur schmeicheln würden, und binnen einer Stunde saßen die Näherinnen an der Arbeit für ein Kleid, das die Königin am Tag darauf tragen konnte.

Es war Mitternacht, ehe Cat sich zurückzog, und als sie im Bett lag, zufrieden mit allem, was sie an diesem Abend erreicht hatte, fielen ihr Patricks Worte wieder ein. Der Löwenanteil des Lobes gehört dir. Es war ein nachhaltiger Triumph, zumal für ein kleines Ding, dessen einziges Ziel es war, das eleganteste Kleid zu tragen. Plötzlich kam ihr das Hofleben oberflächlich vor. Sie drehte sich um und hieb auf ihr Kissen ein, bestritt auf das Heftigste, dass er ihr fehlte. Verdammter Hepburn, du hast mir alles verdorben!

 

Während des ganzen Juni arbeiteten Catherine, Isobel und die Kammerfrauen fleißig an der Garderobe für Königin Anne und ihre Damen. Ehe man die Arbeit an Annes Krönungsgewand in Angriff nehmen konnte, musste man sich zunächst über Schnitt und Farbe einig sein.

»Grün ist die Farbe der Tudors, und Purpur mag ich nicht«, sagte die Königin zu Catherine. »Weiß schmeichelt mir nicht, und Gold oder Silber würde James in den Schatten stellen. Ich möchte schlichtes Blau tragen, auch wenn das noch nie bei einer Krönung zu sehen war.«

»Euer Hoheit, als Königin von England ist es Euer Recht, die Mode zu bestimmen und nicht ihr nur zu folgen. Warum nicht Blau? Kein schlichtes Blau natürlich; wir werden ihm einen glanzvolleren Namen geben.«

Cat holte ihre Farbkreiden hervor und probierte auf ihren Skizzen verschiedene Schattierungen aus. »Dieses satte Blau ist so kraftvoll und bildet einen herrlichen Kontrast zu Eurem blonden Haar. Ach, ich weiß! Wir nennen es Königsblau, Euer Hoheit.«

»Königsblau? Das würde mir gefallen! Wie findig Ihr seid, Catherine.«

»Und die Damen, die Euch in Westminster Abbey umgeben, könnten Kleider in weichem Kobaltblau tragen.«

Die einzige Gegenstimme kam von Margretha, und als Anne ihren Einwand zurückwies, war Catherine bemüht, sich ihre Befriedigung und ihren Triumph nicht anmerken zu lassen.

Anne bemerkte, dass einige ihrer schottischen Damen in einer Ecke tuschelten. Um eventuelle kleinliche Rivalitäten im Keim zu ersticken, fragte sie sofort, um was es ginge.

Lady Erskine trat vor. »Euer Hoheit, ich möchte niemanden beunruhigen, doch spricht man davon, dass in London Fälle von Pest aufgetreten sein sollen.«

Philadelphia beeilte sich zu sagen: »In London gibt es jeden Sommer einige Fälle.«

Isobel setzte hinzu: »Das betrifft nur die unteren Schichten. Der königliche Hof war nie durch Ansteckung gefährdet.«

In einem späteren Gespräch mit dem König merkte die Königin, dass ihr Gemahl sich sehr beunruhigt von den Berichten über die Pest zeigte. Um seine Ängste zu beschwichtigen, wiederholte sie, was Isobel gesagt hatte, dass nämlich der Hof nicht gefährdet sei.

»Ach, und weshalb hat Elizabeth London jeden Sommer den Rücken gekehrt und sich auf eine endlose Rundreise von einem Landsitz zum anderen begeben?«

»Nach der Krönung sollten wir die Hofhaltung vielleicht nach Windsor verlegen. Whitehall gefällt mir nicht sonderlich. Es ist heruntergekommen, alt und den Armenvierteln viel zu nahe.« Als Anreiz fügte sie hinzu: »Die Jagd in den Wäldern um Windsor soll nicht ihresgleichen haben.«

In der Woche darauf stürzte Arbella Stuart in Catherines Suite und machte ihrer Enttäuschung Luft. »Ich bin so außer mir, dass ich schreien könnte! William Seymour hat mich für nächsten Mittwoch zu einer Vorstellung des Globe Theatre eingeladen, und jetzt höre ich, dass auf Befehl des Königs alle Theater geschlossen wurden!«

»Das geschieht, um der Ausbreitung der Pest Einhalt zu gebieten. Robert Cecil lässt heute die Stadttore schließen, um die aufsässigen Infiziertem auszusperren. Hast du die Bekanntmachung nicht gesehen?« Cat reichte ihr einen Flugzettel. »Anweisungen für den Krankheitsfall mit den besten Gegenmitteln, auf Befehl des Königs überall verteilt.«

»Nur kann das Volk sie nicht lesen«, bemerkte Maggie trocken.

Arbella schwenkte ihr Duftdöschen. »Ich kann mich nicht anstecken. Ich trage stets Gartenraute und Wermut bei mir. Die Stadt zu schließen ist absurd.«

»Der König und Cecil wollen die Stadt wegen der Krönungsfeierlichkeiten vor Ansteckung bewahren. Hunderte englische und schottische Edelleute sind nach London geströmt, um an den Festlichkeiten teilzunehmen. Es ist eine kluge Vorsichtsmaßnahme, Arbella.«

Catherine verschwieg ihrer Freundin, dass eine der Mägde ihrer Tante Beth in Hunsdon House in Blackfriars an der Pest gestorben war und in aller Heimlichkeit bestattet werden musste. Solche Nachrichten durften nicht an den Königshof dringen, da Panik ausbrechen würde und die Krönung gefährdet wäre. Cat, die Philadelphia versprochen hatte, den Mund zu halten, wurde prompt von Gewissensbissen geplagt.

 

Ungeachtet der vielen Arbeit, die Patrick auf Crichton von früh bis spät beschäftigte, wurden seine Gedanken ihm allmählich zum Ärgernis. Hepburn hatte noch nie sein Gewissen geplagt, ja, er hatte sogar immer bestritten, überhaupt eines zu besitzen. Catherine aber beherrschte seine Gedanken und weckte in ihm zuweilen das Gefühl, dass er im Unrecht sein könnte.

Damit öffnete sich ein winziger Riss in seiner Fassade, und wenn ihn in den langen Nachtstunden die Einsamkeit überfiel, musste er zugeben, dass sie ihm fehlte. Allein zu schlafen war eine Tortur. Das Gefühl der Laken an seiner Haut weckte so großes Verlangen nach dem Körper seiner Frau, dass er sich in ständiger Erregung befand. Schließlich aber musste Hepburn sich eingestehen, dass dies nicht der eigentliche Grund war. Über Sex und Leidenschaft hinaus war es die warme Intimität zwischen ihm und Catherine, die ihm am meisten fehlte und nach der er sich sehnte.

Er stand auf, obschon es bis zum Morgengrauen noch lange hin war, und packte seine Satteltaschen. Es war Juli. Heute sollte Jock Elliot von der Grenze zurückkehren, und Patrick war schon so ruhelos, dass er sich freute, mit seinen Männern die Patrouillen zu übernehmen. Ihm war klar, dass er Ian Hepburn zu seinem Captain ausbilden musste, damit der ihn vertreten konnte, wenn er in England sein würde. Patrick konnte es kaum erwarten, in die Täler zu reiten und mit eigenen Augen zu sehen, wie die Leute beidseits der Grenze sich einem König und einem Gesetz unterordneten. Doch er war auch Realist genug, um zu wissen, dass erbitterte, jahrhundertealte Fehden sich nicht über Nacht einer friedlichen Lösung zuführen ließen. Es bedurfte einer eisernen Faust, einer gerechten und ausgleichenden Rechtssprechung sowie großer Langmut und Beharrlichkeit, um Ruhe, geschweige denn Harmonie zu erzielen.

Hepburn und seine Moss-Trooper fanden die Grafschaft Midlothian ruhig vor, wie Jock Elliot gemeldet hatte. Die Bevölkerung dieser Gegend war auf Grund der Nähe zur Hauptstadt Edinburgh besser informiert und wusste um den alten Ehrgeiz des Königs, die beiden Länder zu vereinen.

Patrick warnte seine Männer: »In Teviotdale, Eskdale und Liddesdale wissen viele nur ganz vage, dass umwälzende Veränderungen bevorstehen, und den meisten sind die englischen Gesetze fremd. Es ist unsere Aufgabe, sie darüber zu belehren.«

Stießen sie in den Tälern auf berittene Rotten, hielt Hepburn an und redete ihnen ins Gewissen. Er erklärte, dass Raubzüge auf englisches Gebiet nicht mehr geduldet würden. »König James hat es Percy und Clifford übertragen, den Frieden durchzusetzen. Deren Männer haben das Recht, jedermann, der im Grenzgebiet beim Stehlen, Plündern, Brandschatzen oder Rauben ertappt wird, auf der Stelle zu hängen.

Als Schotte werde ich alles tun, um Ungerechtigkeit und Gräueltaten ein Ende zu bereiten. Für vergangene Verbrechen gibt es eine Amnestie, wenn jemand Besserung gelobt. Ihr müsst verantwortungsvoll handeln, die Waffen ablegen und die Gesetze des Landes befolgen.«

Einige liehen ihm trotz finsterer, mürrischer Mienen ihr Ohr, andere jedoch waren kampfbereit und entschlossen, den Überbringer der Botschaft zu töten. In diesen Fällen zögerten Hepburn und seine Leute nicht, ein paar Knochen zu brechen oder gelegentlich mit einer Exekution ein Exempel zu statuieren. Hepburn sorgte für Verbreitung der Kunde und bläute den Leuten in allen Tälern dasselbe ein. »Wer sich dem Gesetz des Königs nicht beugt, wird entweder im Exil oder am Galgen enden. Ihr könnt es euch aussuchen.«

Lange Stunden im Sattel und Nächte auf hartem Boden am Lagerfeuer gaben Patrick Hepburns Gedanken Gelegenheit umherzuschweifen. Seine Gedanken wurden mehr und mehr von Catherine beherrscht. Er wusste, dass sie inzwischen an den Hof zurückgekehrt sein würde. Er lächelte zynisch. Der kleine Teufelsbraten denkt jetzt nicht mehr an mich und hat nur noch das Kleid im Kopf, das sie zur Krönung tragen wird!

Er warf ein dickes Scheit auf das Feuer, dann streckte er seine langen Glieder aus und starrte zum gestirnten Julihimmel hinauf. Patrick wusste, dass er ihr Bild heraufbeschwören konnte, wenn er wollte. Bis jetzt hatte er dieser Versuchung nicht nachgegeben, heute aber konnte er der Sehnsucht, sie zu sehen, nicht widerstehen. Nur ein rascher Blick, gelobte er sich.

Die Geräusche der in der Nähe an Bäumen festgebundenen Pferde verschwammen wie das Gemurmel, das Lachen und die Flüche der Moss-Trooper, die beim Schein des Feuers würfelten. Allmählich erschien vor ihm das Bild eines Raumes, den er als sein eigenes Gemach in Whitehall erkannte. Er konzentrierte sich auf den glänzenden Silberspiegel, wohl wissend, dass Cat ihrem Spiegelbild nicht lange widerstehen konnte. Eine Stimme, schwach zunächst, drang an sein Ohr. Er spürte, dass sie Catherine gehörte, lange ehe er die Worte verstand.

»Ja, ich weiß, dass ich geschworen habe, nie wieder Weiß zu tragen, aber die Hitze ist so drückend, dass für morgen nichts anderes in Frage kommt.«

Eine Vision in weißer Seide, mit weißen Rosen im schimmernden schwarzen Haar wurde im Spiegel sichtbar. Ihre hinreißende Schönheit und Eleganz raubte ihm den Atem. Er starrte sie wie gebannt an. Sie strahlte wie von einem inneren Licht erhellt, als Maggie in letzter Minute eine Änderung mit Nadel und Faden vornahm. Cats vor Aufregung atemlose Stimme lösten in ihm wohlige Schauer aus. Sie posierte vor Maggie und fragte: »Nun, was meinst du?«

»Ich glaube, ich bin verliebt«, flüsterte Patrick.

Cats Bild verblasste, seine Worte aber hingen in der Luft wie ein nächtliches Echo. Er sprang auf und entfernte sich von seinen Leuten und dem Feuer in die Dunkelheit, als wolle er nach den Pferden sehen, in Wahrheit aber, um den Schild, der seine Verletzlichkeit schützte, wieder aufzunehmen.

Nach einer kurzen Zeit der Abgeschiedenheit fing er an, die Worte zu analysieren, die er laut geäußert hatte. Was hat mich zu dieser Äußerung bewogen?

Natürlich ihre Schönheit.

Das ist eine glatte Antwort - eine seichte Antwort. Er gestattete sich, unter die Oberfläche zu gehen und wachsam die Schutzschichten zu durchdringen, die er im Laufe der Jahre aufgebaut hatte. Dann zwang er sich, noch tiefer zu gehen, dorthin, wo seine Gefühle verborgen lagen.

Immer schon hatten bei ihm Verstand und Herz im Widerstreit gelegen, und jeder„ ausgefochtene und gewonnene Kampf verstärkte seine harte Fassade und unterdrückte seine weicheren Empfindungen. Jetzt wurde ihm zum ersten Mal klar, dass er nicht Stärke, sondern Schwäche zeigte, wenn er die Wahrheit nicht einmal sich selbst eingestehen konnte.

Sein Verstand hatte eigensinnig darauf beharrt, dass Liebe ein nutzloses Gefühl sei, eines, dem sich nur Frauen und Narren hingeben. Liebe war auch gefährlich; seine Mutter war ihr zum Opfer gefallen und gestorben. Nun aber wurde ihm klar, dass man sich für die Liebe nicht selbst entschied. Die Liebe war ein so mächtiges Gefühl, dass sie ihre Wahl traf. Trotz seines anhaltenden Widerstandes musste er jetzt zugeben, dass Liebe ihn besiegt hatte. Für einen Mann, der immer alles beherrschen musste, eine demütigende Erkenntnis.

Ich liehe Cat! An dem Tag, als ich sie das erste Mal als Vision sah, habe ich mein Herz verloren. Ohne sie wird mein Lehen öde und unfruchtbar sein. Ohne Catherine bedeutet mir Spencer Park nichts. Müsste ich zwischen meiner Trau und ihrem Besitz und Vermögen wählen, würde der kleine Teufelsbraten haushoch gewinnen.

Hepburn ging zurück ans Feuer, verwundert, dass er so lange gebraucht hatte, um die Wahrheit zu akzeptieren. Er betrachtete die Narbe an seiner Hand und lachte verhalten. Wie ein Terrier greift Catherine auch weit über ihrer Gewichtsklasse an. Sie ist eigen. Sie besitzt die seltene Eigenschaft, verletzlich und stark zugleich zu sein - wie eine zerbrechliche Schale.

Er blickte auf seine großen Stiefel und seine langen, in staubiges, abgewetztes Leder gehüllten langen Glieder. Als er sich mit der Hand über die Bartstoppeln fuhr, fragte er sich, wie ein derber Bursche wie er es geschafft hatte, eine feine Dame zu heiraten, deren Schönheit und Eleganz andere Frauen unscheinbar und reizlos aussehen ließ. Und deren Feuer und Leidenschaft sein Herz und seine Seele gewonnen hatten.

Hepburn entschloss sich so schnell wie möglich, Ende des Monats, wenn seine Zeit an der Grenze vorüber war, nach England zurückzukehren. Wie er es anstellen würde, wusste er nicht, er wusste nur, dass er Catherine von seiner Liebe überzeugen musste. Nein, mehr noch, ich muss ihr zeigen, dass ich sie anbete und verehre. Sie ist mein größter Schatz!

In der Westminster Abbey hatte Catherine ihren Platz zwischen ihrer Mutter und Philadelphia eingenommen. Liz Ca-rey war nicht bei ihnen, da die Königin ihre Kinder wegen der Pestgefahr auf das zwanzig Meilen außerhalb Londons gelegene Windsor Castle hatte bringen lassen.

Catherine musste ihren Hals verrenken, um etwas von der historischen Krönungszeremonie mitzubekommen, die nach alter Tradition sehr spektakulär wirkte - im Gegensatz zu James. Das Königspaar hatte die Strecke zur Krönungsabtei in einer vergoldeten Karosse zurückgelegt, und unzählige Londoner, die schwitzend und drängelnd die Straßen säumten, bestaunten den Zug der Monarchen und berittenen Edlen, wenn auch die vereinzelten Beifallsrufe erst lautem Jubel wichen, als die Yeomen der Garde in der drückenden Hitze schweren Schrittes vorüberzogen.

Im Inneren der Abtei war der Altarraum, vor dem James und Anne knieten, mit Kissen und golddurchwirkter Seide geschmückt. Als der Erzbischof von Canterbury das Gebet für den König sprach, musste Philadelphia gähnen. Isobel, die sich heftig Kühlung zufächelte, warf ihr einen Blick voll scharfer Missbilligung zu, doch noch ehe der Erzbischof das Gebet heruntergeleiert hatte, konnte sie selbst ein Gähnen nicht mehr unterdrücken.

Unter Assistenz des Abtes von Westminster wurden James und Anne gesalbt, dann setzte der Erzbischof James Stuart die Edwardskrone aufs Haypt und nahm ihm den Eid ab. Als man Anne mit der Krone der königlichen Gemahlin krönte, musste Catherine an die Königinnen denken, die diese Krone vor Anne getragen hatten. Es waren die Frauen Henry VIII., und Cat überlief trotz der Hitze ein Schauer.

König James nahm vom Erzbischof Zepter und Stab entgegen, dann wurde die anglikanische Messe gefeiert. Einige fielen in der erstickend heißen Luft in Ohnmacht, die meisten aber nickten einfach nur ein. Erst als das Sakrament der Kommunion gespendet wurde, schreckte die Gemeinde auf, da Königin Anne sich weigerte, Brot und Wein zu empfangen. Unruhe wurde spürbar, als Jamie seiner Frau befahl, das Sakrament zu nehmen. Anne blieb standhaft bei ihrer Ablehnung, und Englands neuer König lief zornrot an. Betretenes Raunen lief durch die Reihen, der Erzbischof jedoch schritt unbeirrt weiter, um den Edelleuten das Sakrament zu spenden.

Wieder in Whitehall zog Cat sich aus und während sie sich kalt abwusch, berichtete sie Maggie, was sich zugetragen hatet.

»Das ist ein Omen!«

»Philadelphia hielt es für ein gutes Vorzeichen. Anne zeigte, dass Frauen ihren Männern nicht blindlings gehorchen müssten. Und ich pflichte ihr bei!«

»Das Küchengesinde schreibt die Schuld an der Pest James zu. Es heißt, er hätte den Gottes Zorn auf sich geladen, indem er den Thron bestieg. Die Schotten wiederum sagen, dass Gott England für die Sünden der vorangegangenen Regierung büßen lässt. So oder so, die Krönungsfeiern werden kurz sein!«

»Maggie, du könntest Recht behalten. Man wollte nicht, dass vor der Krönung Panik aufkommt, doch sagt Lord Scrope, dass Cecil morgen neue Erlässe herausgeben wird. Die Erkrankten müssen isoliert werden. Wer auf den Straßen mit einer Pestbeule angetroffen wird, soll aus der Stadt gepeitscht werden. Wer vorsätzlich die Luft vergiftet und andere ansteckt, kann als Mörder verurteilt und gehängt werden. Suchtrupps werden ausgeschickt, um Erkrankte gar nicht erst in die Stadt gelangen zu lassen.«

»Ich habe mit Rose, einer der Köchinnen, gesprochen. Sie sagte, dass die Bauern aus der Umgebung ihre Produkte nicht mehr in die Stadt liefern. Sie wurde ausgeschickt, um in London Lebensmittel zu kaufen, und hat Unmengen roter Kreuze über den Eingängen gesehen und die Totenglocke ununterbrochen läuten gehört. Die Pest ist längst in der Stadt, mein Lämmchen.«

Arbella klopfte an, und Maggie ließ sie eintreten.

»Bist du noch nicht fertig, Cat? Das Bankett wird vorbei sein, ehe du angekleidet bist.«

»Wir haben eben über die gefürchtete Beulenpest geredet. Die Seuche hat bereits auf die Stadt übergegriffen. Auch dem Hof droht jetzt Ansteckungsgefahr

»Was für ein Unsinn! Die Pest ist eine Krankheit der Armen, die nur arbeitsscheue, schmutzige Bettler befällt. Außerdem ist sie eine Strafe Gottes, die uns von einer Unmenge verkommener, unerwünschter Kreaturen befreien wird!«

Catherine starrte sie an und fragte sich, wie ihre hohlköpfige Freundin so herzlos und unwissend sein konnte.

An der Banketttafel sah man, dass Englands gerade gekrönte Monarchen nicht miteinander sprachen und an entgegengesetzten Enden des Audienzsaales Hof hielten.

Isobel rechtfertige Annes Weigerung, das anglikanische Sakrament zu empfangen. »Die Königin ist katholisch. Sie hielt nur an ihrem Glauben fest.«

Philadelphia lachte. »Anne wurde nicht katholisch erzogen und ist erst vor einigen Jahren konvertiert. Ihr Verhalten sollte nur ihre Macht als Königin demonstrieren und andeuten, dass sie ihre Rolle als Gemahlin des Königs nicht als passiv auffasst.«

Catherine war enttäuscht, dass die Vorgänge bei der Krönung das einzige Thema waren. Die Bedrohung durch die Pest wurde vom Machtkampf zwischen James und Anne völlig überschattet. Sie dachte an ihren eigenen Ehemann und erkannte klar, dass auch zwischen ihnen ein Machtkampf schwelte. Männer wollen Macht, wollen das Regiment führen. Versucht eine Frau, sich aufzulehnen, weint man sie in die Schranken.

Cat sprach mit Philadelphia über die Bedrohung durch die Seuche.

»Scrope sagte, James wolle sich auf Cecils Landsitz Theobalds zurückziehen, während Anne unbedingt nach Windsor möchte. Das nächste königliche Kräftemessen steht bevor. Es wird faszinierend sein, zu sehen, wer es gewinnt.«

»Es wird alles andere als faszinierend sein, wenn die Seuche Whitehall erreicht, während hier noch dumme Machtspiele über die Bühne gehen.«

»Scrope besteht darauf, dass wir nach Carlisle gehen, und diesmal bin ich geneigt, nachzugeben. Thomas ist noch immer Constable von Carlisle Castle, obwohl es keine Grenze mehr gibt.«

Königin Anne befahl Isobel zu sich. »Lady Spencer, Ihr sollt meine Garderobe einpacken. Wir verlassen am Wochenende Whitehall. Wählt ein halbes Dutzend Eurer besten Helferinnen als Begleitung aus.«

Isobel knickste. Da gemunkelt wurde, das Königspaar könne sich über das Reiseziel nicht einigen, vermied sie jegliche Fragen.

Anne aber hatte einen Entschluss gefasst. Sie sagte zu Margretha: »James kann nach Theobalds oder meinetwegen zum Teufel gehen. Ich bin die Königin von England mit eigener Hofhaltung. Meine Damen ich und gehen nach Windsor. Würdest du bitte diskret meine Einladung an Lady Scrope, Lady Hunsdon und Lady Stewart aussprechen, die Damen, die ich als Freundinnen ansehe.«

»Patrick Hepburns Gemahlin sagte zu mir, dass sie nach Hertford zu gehen beabsichtige, Euer Hoheit, aber die anderen Damen werde ich unauffällig in Kenntnis setzten.«

Kaum hatte Königin Anne sich aus dem unerträglich heißen Audienzsaal zurückgezogen, ging auch Catherine. In ihren Räumen angelangt, lief sie unruhig auf und ab. »Ehrlich, Maggie, ich weiß nicht, ob ich die Fenster öffnen soll oder nicht. Die Nachtluft könnte Ansteckung bringen. London ist im Juli wirklich unerträglich. Hoffentlich entschließt sich die Königin bald, mit uns nach Windsor zu gehen.«

Es folgten einige Nächte, in denen sie sich in der Hitze unruhig im Bett wälzte. Eines Morgens überzog Catherine ihre Betten frisch, während Maggie hinunterging, um das Frühstück zu holen. Als sie zurückkam, war sie völlig atemlos.

»Maggie, du sieht aus, als hättest du ein Gespenst gesehen! Was ist denn?«

»Es geht um Rose, die Köchin, von der ich dir erzählte.« Sie hielt inne, um zu Atem zu kommen. »Sie hat die Pest!«

»Heilige Muttergottes! Ist sie sehr krank? Wird sie überleben?«

»Sie wurde nach Bridewell hinausgekarrt, die arme Seele!«

»Aber das ist ein Gefängnis und kein Spital!«

»Kein Mensch nimmt Pestkranke auf, geschweige denn, dass er sie pflegt. Es gibt neue Befehle - wer vom Gesinde in Whitehall erkrankt, wird nach Bridewell gebracht.«

»Maggie, du musst sofort packen. Hier kann man nicht länger bleiben. Ich gehe hinunter in die Küche und frage, wann David Hepburn mit seiner nächsten Lieferung erwartet wird. Mit ihm fahren wir zurück nach Spencer Park.«