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6

 

»Lady Widdrington hat mir ihr Jawort gegeben!«, verkündete Robert der um die Tafel versammelten Gesellschaft.

»Dann will ich der Erste sein, der Euch gratuliert, Robert.« Patrick lächelte der errötenden Liz zu. »Ich wünsche Euch viel Glück.«

Isobel Spencer teilte zwar die engherzige Ansicht der Königin, dass Witwen sich nicht wieder verheiraten sollten, doch Roberts Schwestern und Schwägerinnen waren entzückt, dass der Jüngste der Familie in den Stand der Ehe treten wollte und sich eine attraktive und finanziell gut dotierte Witwe geangelt hatte. Da er sich nicht mit Kindern aus ihrer ersten Ehe belasten musste, war es eine Verbindung ohne Nachteile.

»Ach, Liz, lass mich dich berühren, damit du mir Glück bringst«, rief Arbella überschwänglich aus. »Der holde Mai ist wahrhaftig der Monat der Liebe.«

Cat versetzte Bella unter dem Tisch einen Tritt und stellte Robert eine Frage, um die Aufmerksamkeit von ihrer indiskreten Freundin abzulenken. »Habt ihr schon entschieden, wann und wo ihr heiraten wollt?«

»Liz würde gern in ihrer eigenen Kirche auf Widdrington in Northumberland heiraten. Ein Datum haben wir noch nicht festgesetzt, aber lange möchte ich nicht warten.« Roberts Ungeduld ließ die Herzen der Damen höher schlagen.

»Ich bin untröstlich, dass wir heute Abend an den Hof zurückmüssen, doch nehme ich an, dass Ihr gewiss genug Ablenkung findet, wenn ihr euch selbst überlassen seid«, neckte Philadelphia sie.

Hyazinthenduft erfüllte Catherines Sinne, und sie errötete tief, Liz aber lachte und sagte: »Morgen werden die Herren sicher den ganzen Tag jagen, und dann müssen wir uns für den Hof zurechtmachen. Wird nach dem Maskenspiel getanzt?«

»Aber sicher. Die Königin tanzt in letzter Zeit nicht mehr selbst, sieht aber gern zu, wenn ihr Hof sich auf dem Parkett tummelt.« Kate verdrehte bezeichnend die Augen. »Und ich muss bleiben, bis sie sich zurückzieht.«

»Da du Ihre Erste Kammerfrau bist, ist es deine Pflicht«, hob Isobel hevor.

Kate lächelte. »Ganz recht, Isobel. Es ist eine ehrenvolle Pflicht, und ich wäre selbstsüchtig und undankbar, wenn ich mich beklagte.«

Arbella sah Patrick an. »Hoffentlich tanzt Ihr auch, Lord Stewart.«

Cat lachte laut auf, als sie sich ausmalte, wie er mit seinen riesigen gespornten Stiefeln über die Tanzfläche polterte. Ihre Blicke trafen sich, und sie sah, dass er sie belustigt anschaute. Sie fragte sich, ob er ihre Gedanken gelesen hatte oder noch immer an ihre Bemerkung über das Schaffell dachte.

Der Audienzsaal zu Whitehall war gedrängt voll. Die aufgeputzten und zurechtgemachten Höflinge überboten einander an prächtiger Kleidung und kostbarem Geschmeide. Ihre Majestät jedoch, die erhöht unter einem Baldachin thronte, stellte alle anderen in den Schatten. An diesem Abend trug sie weißen, dramatisch mit Schwarz unterlegten und mit Jet-Perlen, echten Perlen und Diamanten bestickten Satin. Ihre rote Perücke zierten Pfauenfedern und schwarze Spitze. Elizabeth wollte mit dieser äußeren Prunkentfaltung majestätische Würde und Macht demonstrieren und ihre Weiblichkeit in einer von Männern dominierten Welt betonen, nicht zuletzt in der Hoffnung, die Hofgesellschaft würde, von ihrer Kleidung und ihren Juwelen geblendet, nicht erkennen, wie alt und runzlig sie geworden war.

Das Maskenspiel, das aufgeführt werden sollte, beruhte auf John Lylys Stück Die Frau im Mond und war eines der beliebtesten Stücke bei Hofe, da Lyly zur Unterhaltung und nicht zur Belehrung schrieb und mit seinen Romanzen den Geschmack der englischen Damenwelt traf. Diese spezielle höfische Komödie nun, die einen Stoff aus der griechischen Mythologie zum Inhalt hatte, war äußerst blumig und reich an Anspielungen. Die Geschichte von Endymion, dem griechischen Hirtenknaben, der seine himmlische Herrin, die Mondgöttin Cynthia, anbetet, ihr jedoch untreu wird und sich nicht nur mit einer, sondern gleich mit zwei irdischen Geliebten einlässt, war äußerst gewagt.

Lady Catherine in ihrem Kostüm als Mondgöttin Cynthia stellte die Königin dar, die selbst nicht mehr bei Maskenspielen auftrat. Cat trug eine Perücke, deren rotgoldenes Haar ihr bis zur Taille reichte. Funkelndes Silbergewebe über fleischfarbener Seide ließ ihr Kostüm durchsichtig erscheinen. Sie thronte auf einer großen, schimmernden Mondsichel, die vor einem schwarzen, den Nachthimmel darstellenden Samthintergrund schwebte. Die anderen Darsteller mussten zu ihr aufblicken, wenn sie ihren Text sprachen, während sie ihr reines, kühles, unschuldiges Licht auf sie warf.

Patrick Hepburns Blick wurde fast gegen seinen Willen von Catherine angezogen. Sie war nicht nur wunderschön, sie war auch ein durchtriebenes kleines Ding. Hoch oben auf der Mondsichel thronend, zog sie alle Blicke auf sich, ohne dass ihre geringe Körpergröße den Eindruck beeinträchtigt hätte. Er wusste, dass sie es liebte, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und erkannte mit sicherem Blick, dass dieses Bedürfnis auf die kühle Gleichgültigkeit ihrer Mutter zurückzuführen war. Isobels offenkundiges Desinteresse und die langen Trennungen von ihrem Vater hatten in Cat das Gefühl geweckt, nicht geliebt zu werden, wie er es aus seiner eigenen Kindheit kannte.

Nur mit Mühe riss er den Blick von ihr los, indem er sich sagte, dass er noch den Rest seiner Tage Zeit haben würde, ihre Schönheit zu bewundern. Heute musste seine Aufmerksamkeit allein der Königin gelten. Es war vielleicht seine einzige Chance, Elizabeth aus unmittelbarer Nähe zu beobachten. Die im Audienzsaal herrschende Dunkelheit erlaubte es ihm, sich unbeobachtet durch die Menge in den Vordergrund und in die Wähe Ihrer Majestät zu drängen. Natürlich war sie ebenso wie die Darsteller des Maskenspieles gut beleuchtet. Sobald er nahe genug herangekommen war, lehnte er sich an die Wand, von wo er dank seiner Größe alle vor ihm Stehenden überblicken konnte.

Patrick konzentrierte sein Denken und Fühlen auf Elizabeth Tudor und verdrängte alles andere. Die Stimmen der Darsteller und das Gelächter des Publikums rückten in den Hintergrund. Seine Konzentration steigerte und vertiefte sich, bis er sich in jenem tranceähnlichen Zustand befand, der häufig Visionen hervorbrachte. Allmählich vernahm er von weitem Musik und erkannte die Klänge als Requiem. Eiseskälte überkam ihn, ihm wurde klar, dass seine Sinne ihm eine Zeit der Trauer ankündigten. Während er unverwandt die Königin anstarrte, sah er, wie die Straußenfedern auf ihrem Haupt sich in schwarze Federbüsche auf dem Kopf eines reiterlosen schwarzen Rosses verwandelten. Vier weitere Rappen folgten ihm und zogen ein offenes Gefährt mit einem Bleisarg. Die schwarzen Samtdraperien zeigten die Wappen von England und Frankreich. Patrick zweifelte keinen Augenblick daran, dass er Elizabeths Leichenzug vor sich sah.

Plötzlich ertönte rauschender Applaus in dem lang gestreckten Raum. Seine Vision verschwand, an ihre Stelle trat das Bild der Darsteller, die sich verbeugten. Nun wurden die unzähligen Kerzen des Audienzsaales entzündet, und Patrick, der seinen Augen kaum traute, sah, dass inzwischen eine ganze Stunde und nicht nur, wie ihm dünkte, ein Augenblick verstrichen war.

Ungläubig zwinkerte er, als eine in weißen Satin und goldene Spitze gekleidete männliche Gestalt Lady Catherine von der Mondsichel hob und der Königin zuführte. Der blaue Keiler, der auf seiner linken Schulter eingestickt war, wies den Dandy als Edward de Vere, den ausschweifenden Earl of Oxford und Favoriten des Hofes aus. Seine weibische Art in Kleidung und Gehabe stieß Patrick ab. Als Cat lächelnd zu dem Gecken aufblickte, spürte er das dringende Verlangen, ihm einen Degen zwischen die schmalen Schultern zu stoßen.

 

»Ihr habt Eure Rolle perfekt gespielt, meine liebe Catherine. Wir sind einander auf geradezu unheimliche Weise ähnlich.« Die Königin schien sehr erfreut.

Catherine versank in einem anmutigen Knicks. »Ich danke Euch für Euer großmütig gespendetes Lob, -Majestät.« Sie drehte sich um, reichte Oxford die Hand und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Alle Vorübergehenden blieben stehen, um ihren Auftritt zu loben oder ihr Komplimente über ihr zauberhaftes silbernes Kleid zu machen, und jedem schenkte sie ein strahlendes Lächeln.

»Ihr zieht alle Blicke auf Euch, Lady Catherine«, machte Oxford ihr ein Kompliment.

»Nur wenn ich an Eurem Arm gehe, Mylord«, antwortete Cat anmutig. Der Auftritt war ein so großer Erfolg gewesen, dass sie sich vor Glück kaum fassen konnte. Während sie warteten, dass die Musik zum ersten Coranto einsetzte, überflog Cats neugieriger Blick den Saal. Sie zählte mindestens ein Dutzend Höflinge, die nur zu gern heute mit ihr getanzt hätten. Dann folgte ein ernüchternder Gedanke. Was um alles auf der Welt würde sie tun, wenn der rüpelhafte Hepburn sie aufforderte? Nun, sie würde höflich ablehnen und sagen, sie hätte den Tanz einem anderen versprochen.

Aus purer Neugierde hielt sie nach ihm Ausschau. Sie sah Robert Carey, prächtig in Tudor-Grün, mit seiner künftigen Braut tanzen, die ein modisches Kleid aus rosenfarbigem Brokat trug. Der Raum war überfüllt, und sie hatte ihre Suche beinah schon aufgegeben, als sie ihn erblickte. Der Schotte trug ein schwarzes Samtwams und enge schwarze Beinkleider. Die Halsrüsche des blütenweißen Hemdes ragte nur ein Zoll über den Kragen des Wamses. Seine Eleganz ließ die anderen Männer vergleichsweise geschmacklos aussehen. Cat versäumte einen Schritt, als ihr aufging, dass er von bewundernder Weiblichkeit umgeben war, die offen mit ihm flirtete und um seine Aufmerksamkeit buhlte. Viele darunter waren ältere, raffinierte Schönheiten, unter ihnen Lettice Knollys und Douglas Sheffield. Beide sind verheiratet und beide sind Dirnen! Sie wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf die raschen Laufschritte des Coranto.

Der liederliche Oxford beugte sich zu ihrem Ohr herab und flüsterte ihr eine Aufforderung zu.

Gewohnt, seine lasziven Avancen abzuwehren, lächelte Catherine reizend. »Wird Eure Gemahlin sich zu uns gesellen?«

»Ich fürchte nein, mein Kätzchen. Drei können sich im Bett zwar gut amüsieren, aber nicht, wenn zwei davon miteinander verheiratet sind.«

Kaum war der Tanz vorbei, schob Charlie Blount, Lord Mountjoys Sohn, Oxford beiseite. »Lady Catherine, Eure Schönheit rührt mir Herz und Seele, holder Mond, so nah und hell.«

»Charlie, Ihr schmeichelt mir, auch wenn die Worte nicht von Euch stammen.«

Während sie ihre Schritte dem Rhythmus der Lavolta anpasste, beobachtete sie zu ihrer Verwunderung, wie Patrick Hepburn sich unter die Tanzenden mischte. Sie beobachtete ihn verstohlen und sah, dass seine Bewegungen geschmeidig und fließend und von geradezu animalischer Anmut waren. Als er seine Partnerin höher hob als alle anderen Damen, war seine große Kraft unübersehbar.

Beim Partnerwechsel landete Cat in den wartenden Armen Henry Somersets. »Vielen Dank für das Gedicht, das du mir gesandt hast, Hai.«

»Heute blendet mich deine Schönheit geradezu, Cat. Darf ich dich am Mittwoch wieder ins Theater ausführen?«

»Man kommt sehr schwer vom Hof fort«, sagte sie voller Zweifel und belohnte ihn mit einem Lächeln, als er sich aufs Bitten verlegte. Er wirbelte sie in einem silbernen Bogen hoch in die Luft, und in dem Moment, als ihre Füße das Tanzparkett berührten, bemerkte sie, dass ihr nächster Partner Patrick Hepburn war. Panik erfasste sie. Sie spürte, dass sie bei seiner Berührung aufschreien würde. Dieser ungehobelte Tölpel hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie aufzusuchen und ihr zu ihrem Auftritt zu gratulieren, ja, er hatte sie an diesem Abend weder eines Grußes noch eines Blickes gewürdigt.

Als sie nach dem Partnertausch vor ihm stand, fühlte sie unvernünftigen Zorn sie erfassen, nur weil sie ihren Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufblicken zu können. Warum bist du so verdammt groß? Sie wartete auf sein Kompliment, das nie kam. Da bemerkte sie das Emblem auf seinem schwarzen Samtwams. Der Pferdekopf aus solidem Silber hatte ein Smaragdauge. Pferdekopf... pah! Pferdearsch wäre passender!

Verächtlich hob sie die Hand und tippte mit der Fingerspitze darauf. »Nun ... wurde das Wappen Eures geächteten Vaters nicht angespuckt, Bothwell?«

»Das wagt niemand. Ich trage stets ein Messer bei mir.« Sein Grinsen war wölfisch.

»Sagt, Lord Stewart, hat Euch das Maskenspiel gefallen?«

Sein dunkler Blick überflog sie belustigt. »Nicht wirklich. Götzenanbetung ist nicht so nach meinem Geschmack. Eure Königin hat Euch für Heldinnenverehrung anfällig gemacht. Erwartet diese nicht von mir, Lady Catherine.«

»Dafür verdient Ihr eine Ohrfeige«, zischte sie wütend.

»Mein Ohr ist außer Eurer Reichweite, Teufelsbraten.«

Enttäuscht sah sie, dass es stimmte. Einmal hatte sie es geschafft, ihm einen Kratzer zuzufügen, doch nur im Traum. Oder?

Die letzten Takte der Lavolta steigerten sich zu einem Crescendo. Seine großen Hände umspannten mit Leichtigkeit ihre schmale Taille, und er schwang sie so hoch, dass man ihre seidenen Unterröcke und ihre Fesseln sehen konnte. Mit seiner schieren tierhaften Kraft hielt er sie reglos in der Luft und zwang sie, sich auf seine breiten Schultern zu stützen. Ihre Bernsteinaugen sprühten goldenes Feuer, als sie außer sich um Atem rang und er sie scheinbar reumütig auf den Boden stellte.

Ehe sie auf dem Boden auftraf, schwang er sie jedoch abermals in die Höhe und zeigte ihr damit, dass er es war, der hier bestimmte.

Als er sie endgülig losließ, war sie an ihrer Wut beinah erstickt. »Eure respektlose Kritik werde ich vor Ihrer Majestät der Königin wiederholen.«

»Nicht nötig, mapetite. Ich werde ihr selbst davon Mitteilung machen.« Er bedachte sie mit einem knappen Nicken und ging auf den Thronhimmel zu. Sich auf ein Knie niederlassend, verbeugte er sich galant vor Elizabeth und stand erst auf, als sie es ihm mit gekrümmtem Finger bedeutete. Protokollarisch korrekt wartete er respektvoll, bis sie ihn ansprach.

»Ich hieß den Admiral, Euren Vater, oft an meinem Hof willkommen und nun begrüße ich Euch. Was führt Euch nach London, Lord Stewart?«, fragte sie ohne Umschweife.

»Handelsgeschäfte, Euer Majestät. Eure schöne Stadt ist das Handelszentrum der Welt. Um meine leeren Truhen zu füllen, will ich hier Pferde verkaufen und Wein einkaufen.«

»Apropos Wein, leistet mir bei einem Glas Gesellschaft.« Elizabeth gab einer Hofdame, die neben ihr an einem Tischchen mit Erfrischungen saß, ein Zeichen. Ihre Aufgabe war es, der Königin zu servieren und zugleich Speisen und Wein für die Monarchin vorzukosten. Die junge Dame füllte zwei Gläser und brachte sie ihnen zusammen mit einer Leinenserviette.

»Gestattet, Euer Majestät.« Patrick nahm der Ehrenjungfer das erste Glas ab, kostete, wischte den Rand mit der Serviette ab und reichte das Glas der Königin. »Da Ihr süßen Wein liebt, nehme ich mir die Freiheit, Euch morgen ein paar Gebinde Kanarenwein zu schicken.«

Elizabeth tippte mit ihrem Fächer gegen seine breite Brust. »Ich wette, Ihr genießt es ebenso, Euch Freiheiten herauszunehmen, Hepburn, wie Euer Vater es einst tat.«

Patrick sah ihr lächelnd in die Augen. »Ich muss gestehen, dass dem so ist.«

»Bothwell und ich kamen gut miteinander aus. Als aufrechter Protestant war er eine starke Bastion gegen die Katholiken, die nach der Herrschaft über Schottland strebten.«

Sehr bemüht, sie nicht auffällig anzustarren, bemerkte er, dass ihr Gesicht unter der dicken Schicht Schminke und Rouge ein Spinnwebnetz aus Runzeln war. Trotz des prächtigen, mit Drähten und Polsterungen ausstaffierten Gewandes sah man, dass der königliche Körper völlig ausgezehrt war. Patrick war froh, dass er nicht den Fehler begangen hatte, sie zum Tanz aufzufordern, da sie für größere Anstrengungen viel zu schwach war. Allein ihr Wille war es, der sie noch am Leben erhielt. Und er sah ganz deutlich, wie erstaunlich stark dieser Wille war. Stark genug, um Schmeichelei zu fordern. Stark genug, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, wenn ihr etwas oder jemand zu missfallen wagte. Stark genug auch, um jemanden in den Tower von London werfen zu lassen oder mit ihrer zarten, aber noch immer gebieterischen allmächtigen Hand ein Todesurteil zu unterzeichnen. Vor allem aber war sie stark genug, um sich zu weigern, einen Erben für die Krone von England zu benennen.

Patrick leerte sein Glas und stand auf, um zu gehen. Am Fuße des Podiums standen noch viele Höflinge und warteten, bis sie an der Reihe waren, ihrer Königin zu huldigen.

»Es wird mir eine Ehre sein, Euer Majestät im November wieder meine Aufwartung zu machen.« Als er sich verbeugte, fragte er sich, ob sie im November wohl noch am Leben sein würde.

Patrick fand den Audienzsaal inzwischen unerträglich heiß und das schwere Parfüm der Höflinge, männlicher wie weiblicher, erstickend. Ohne sichtbare Eile strebte er direkt dem Ausgang des Raumes zu. Seine dunklen Augen entdeckten Lady Catherines silbernes Gewand, ehe er hinausing. Sie tanzte mit einem jungen Edelmann mit Namen William Herbert, dem Erben des großen Earltums von Pembroke. Als Patricks Blick sie erfasste, drehte sie ihm angelegentlich den Rücken zu. Er lächelte befriedigt. Ihm war klar, das ihm der Blick des kleinen Teufelsbratens schon eine Zeit lang gefolgt war.

Die Luft vor Whitehall Palace empfand Patrick als kühl und frisch, doch mit der reinen Luft in Schottland, die einem zu Kopf stieg wie edler Wein, war sie nicht zu vergleichen. Er schlenderte hinunter an den Fluss und blieb stehen, um die Lichter der Barken zu beobachten, während er im Geist jede Einzelheit durchging, die er an diesem Abend über die Königin von England in Erfahrung gebracht hatte. Seine Vision hatte ihm ihr Leichenbegängnis gezeigt, ohne ihm jedoch zu verraten, wann dieses schicksalhafte und bedeutende Ereignis stattfinden würde.«

Von deinen übersinnlichen Fähigkeiten ganz abgesehen, was sagen dir Instinkt und gesunder Menschenverstand? fragte er sich. Kein ganzes Jahr mehr - neun, zehn Monate, nicht länger. Kopfschüttelnd und mit einem Lächeln zollte er ihrem Mut und ihrem Eigensinn Tribut. Er konnte ihr seine Bewunderung nicht versagen und musste gestehen, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn sie im November ein letztes Mal das Jubiläum ihrer Thronbesteigung begehen würde.

Mit zögernden Schritten kehrte er in den Saal zurück. Die Höflichkeit erforderte es, dass er mit den Damen tanzte, denen er in Richmond begegnet war.

Just als er Liz Widdrington auffordern wollte, wurde sie am Arm eines modisch gekleideten Höflings entführt. »Wer ist der Dandy?«, fragte Patrick mit einer Grimasse.

»Das ist William Seymour, ein nichtsnutziger junger Streber wie die meisten hier bei Hofe«, erwiderte Robert. »Meine Schwester Kate hat mich Elizabeth vorgestellt, die sofort wissen wollte, weshalb ich meinen Posten an der Grenze verlassen hätte. Ich sagte ihr, dass ich es nicht ertragen könnte, ihren Anblick entbehren zu müssen. Meine Antwort muss ihr gefallen haben. Sie gewährt mir morgen nach dem Kirchgang eine Privataudienz. Auch wenn die Königin meine Kusine ist, weckt sie Gottesfurcht in mir. Ich glaube, es ist nur in meinem eigenen Interesse, wenn ich zur Kirche gehe.«

»Besser du als ich«, entgegnete Patick schmunzelnd. Als er sich umdrehte, sah er Arbella Stuart neben sich stehen. Er wusste, dass sie mit ihm tanzen wollte, um William Seymour eifersüchtig zu machen. Galant verbeugte er sich. »Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, Lady Arbella?«

Als sie die schwungvolle Galliarde tanzten, rätselte Arbella: »Mylord, wenn wir doch beide mit König James verwandt sind, warum werden unsere Namen dann unterschiedlich geschrieben?«

»Stewart war seit 1371 die alte Form des schottischen Königsnamens. Als Königs James' Mutter Mary den Dauphin ehelichte, musste sie feststellen, dass die Franzosen das W als U sprachen, deshalb änderte sie die Schreibung zu Stuart, damit es ähnlich klingt wie im Englischen.«

»Wie klug sie war!«

»Sie heiratete einen Hepburn«, sagte er spöttisch. »Ob das so klug war?«

»Mary angelte sich drei Ehemänner. Das nenne ich überaus klug, Lord Stewart.«

Plötzlich spürte Patrick ihre größte Angst, als alte Jungfer zu enden. »Elizabeth hat niemals den Kopf wegen eines Mannes verloren.« Eine subtile Warnung, die Arbella nicht zu verstehen schien. Als der Tanz endete, kamen sie neben Lady Catherine und ihrem in braunrotem Satin glänzenden Partner zum Stehen.

»Ach, Cat. Das Stück war so romantisch, und du warst die reizendste Mondgöttin, die man sich vorstellen kann. Gebt Ihr mir Recht, Lord Stewart?«

»Manche Menschen werden vom Mond merkwürdig beeinflusst. Sie werden mondsüchtig.« Er sah Cats glänzenden Tanzpartner bezeichnend an. Obwohl sie vorgab, wütend zu sein, merkte er, dass seine Worte sie insgeheim amüsierten und sie ihr Lachen hinter dem erhobenen Fächer verbarg.

Die schöne Douglas Sheffield kam herbeigeschlendert und hängte sich kühn bei Hepburn ein. »Patrick, ich glaube die nächste Lavolta gehört uns, obwohl ich Euch den Garten zeigen könnte, wenn Ihr des Tanzens schon überdrüssig seid.«

»Meine Teuerste, wie kann ich dieses großzügige Angebot ablehnen? Ich wäre entzückt, mir anzusehen, was immer Ihr mir zu zeigen wünscht.« Obwohl er Cat nicht direkt anschaute, wusste er, dass ihr Lächeln sich verflüchtigt hatte.

Elizabeth zog sich erst um zwei Uhr morgens zurück. Viele Höflinge blieben, um zu tanzefi und zu tratschen, aber Isobel Spencer gab ihrer Tocher ein Zeichen, sie solle zu Bett gehen. Mit einem neiderfüllten Blick, der den älteren Frauen galt, die bis zum Morgengrauen bleiben konnten, wenn es ihnen beliebte, folgte Cat ihrer Mutter.

Leise entledigte sie sich ihrer Perücke und ihres Kostüms, damit sie Maggie nicht störte. Obwohl der Abend ein großer Erfolg gewesen war, fühlte Catherine sich bedrückt. Als sie die Decke anhob, fragte sie sich, im Bett welcher Dirne der verfluchte Lord Stewart wohl enden würde. Nach allem, was sie gesehen hatte, hatte er freie Wahl, doch sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihn so attraktiv machte.

Catherine warf sich im Bett unruhig hin und her, ehe sie nach einer Stunde endlich einschlief. Kurz vor Morgengrauen fing sie zu träumen an. Sie befand sich in einem großen Gemach inmitten einer Runde schöner und erlesen gekleideter Frauen. Musik erklang, es sollte getanzt werden, doch es waren keine Tanzpartner für die Damen da. Ein einzelner Mann, in dem sie Patrick Hepburn erkannte, stieg von der Empore hinab, schritt von einer zur anderen und suchte eine Partnerin, die ihm vor allen anderen gefiel.

Als er vor ihr stehen blieb und auf sie hinunterblickte, wusste Cat, dass die Wahl auf sie fallen würde, und es erfüllte sie mit Freude. Die anderen Damen verblassten, bis sie und Patrick allein in der Mitte des Raumes standen. Sehnsüchtig blickte sie zu seinem Mund auf. Sie wollte, dass er sie küsste.

»Er ist außerhalb deiner Reichweite, Teufelsbraten.«

»Dann hebt mich hoch«, forderte sie ihn verführerisch auf.

Er griff unter ihr Gesäß und verschränkte seine Finger, so dass sie auf seinen Handflächen zu sitzen kam. So hob er sie an, bis ihre Lippen sich einander näherten und er ihren Mund in einem Kuss in Besitz nahm, nach dem beide lechzten. Atemlos klammerte sie sich an ihn, als er seine Lippen zurückzog und flüsterte: »Ich weiß einen Ort, wo Hyazinthen blühen. Kommst du mit mir, Catherine?«

Plötzlich erwachte sie und wurde einen Augenblick überwältigt vom Gefühl des Verlustes. Es dauerte eine Weile, bis sie gewahr wurde, dass sie geträumt hatte. Cat überlief ein Schauer des Abscheus. Wenn es auch nur ein Traum war - wie konnte ich mich so von ihm angezogen fühlen? Patrick Hepburn ist mir zuwider.

 

In der Kapelle von Whitehall saß Robert Carey mit seinen Schwestern Kate und Philadelphia beim Sonntagsgottesdienst. Sanfte und erhebende Klänge schwebten zum Deckengewölbe empor, ehe Bischof Bancroft vom Altar zur Kanzel schritt, um seine Predigt zu halten. Er begann damit, jene zu geißeln, die gegen die Heiligkeit des Sonntags verstießen, weil sie am Tage Gottes lieber Boccia spielten. Als Nächstes wetterte er gegen die Eitelkeit und gegen alle, die sich in prächtiger Kleidung gefielen, mit Samt und Seide prunkten und sich sklavisch der Mode unterwarfen.

Robert, der den Blick nicht von Elizabeth gewendet hatte, seit sie in der Kapelle erschienen war, sah, wie sie die Lippen zusammenkniff, und wusste, dass die Brandrede des Bischofs gegen prächtige Kleidung bei ihr nicht gut ankam. Er hörte, wie die Königin sich räusperte, ein Zeichen für den Bischof, endlich das Thema zu wechseln. Leider nahm der Kirchenmann nun die Pflicht aufs Korn.

»Hoch und Niedrig haben eine klare Verpflichtung gegen ihre Nachfolger. Damit unser geliebtes England nicht in Chaos und religiösem Zwist endet, ist es die Pflicht der Höchsten im Lande, einen Thronfolger zu benennen!«

»Schluss jetzt!« Elizabeth sprang erzürnt auf. »Das Thema ist verboten ... verboten, hört Ihr?«

Robert, dem James' Brief unter seinem Wams förmlich ein Loch ins Fleisch brannte, wäre am liebsten im Boden der Kapelle versunken.

»Ich bin nicht in der Stimmung, mein Todesurteil zu unterschreiben, lieber Bischof«, fuhr die Königin gereizt fort. »Wenn Ihr Euren Platz in meiner oder irgendeiner Kirche behalten wollt, werdet Ihr dieses verbotene Thema nie wieder zur Sprache bringen.« Mit der Agilität einer Frau in den besten Jahren schritt sie aus der Kapelle.

»Man muss sie beruhigen«, bemerkte Kate gewitzt. »Ich werde mich sehr bemühen, sie vor deiner Audienz zu besänftigen, Robert. Aber verspäte dich ja nicht. Schlamperei macht sie fuchsteufelswild.«

Robert wusste, dass seine Schwester glaubte, es ginge ihm bei der Audienz darum, die Königin an den ausstehenden Sold zu erinnern. Nur Hepburn wusste von dem Brief des schottischen Königs, den er zu überbringen hatte. Er konnte nur hoffen, dass James nicht so dreist gewesen war, unverblümt anzufragen, ob Elizabeth ihn zu ihrem Nachfolger auserkoren hatte, zumindest nicht im ersten Brief.

Elizabeth ließ ihn im Vorzimmer ihres Privataudienzsaales fast zwei Stunden warten, ehe er vorgelassen wurde. Als er sein Knie vor ihr beugte, fiel ihm ein, dass er kein Kleinod oder eine andere kostbare Gabe mitgebracht hatte, um sie milde zu stimmen. Er wartete auf die Erlaubnis, sich zu erheben, doch die Königin erteilte sie nicht.

»Also, Vetter Robert, Ihr bringt unaufgefordert eine Frau an meinen Hof und brüstet Euch ungeniert mit ihr. Hat diese Frau einen Namen?«

Ihre Worte jagten ihm einen Riesenschrecken ein. Mit seinen fast dreißig Jahren benötigte er doch gewiss keine Erlaubnis, wenn er um eine Frau freite. »Sie heißt Lady Widdrington, Euer Majestät.«

»Eine durchtriebene Witwe, also. Als Nächstes werdet Ihr noch durchbrennen und sie ohne meine Erlaubis heiraten.« Ihr Ton warnte ihn, diese Anschuldigung abzustreiten.

Plötzlich sah er Liz mit den Augen der Königin. Elizabeth konnte es nicht ertragen, dass Liz jung und schön war, dass sie herrliches burgunderfarbenes Haar hatte und er sie begehrte. Die alte Vettel kocht vor Eifersucht. Sie lässt mich auf den Knien liegen, bis ich schwöre, dass Liz mir nichts bedeutet. Robert öffnete den Mund, um zu protestieren, und machte Anstalten, sich zu erheben.

»Bleibt, wo Ihr seid, Sir, und sprecht mich nur an, wenn ich es Euch gestatte. Lady Widdrington ist an meinem Hof nicht willkommen. Bringt Sie niemals wieder mit, Sir Robert. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Ganz klar, Euer Majestät.«

»Ihr könnt Euch zurückziehen«, bekam er darauf mit eisiger Endgültigkeit zu hören.