Der Monasche Lehrsatz
Jon hatte keine Probleme, Michael in der Menge vor dem American-Airlines-Terminal auszumachen. Er trug Levi’s, ein frisches weißes T-Shirt und eine Jefferson-Starship-Baseballjacke aus Satin in Schwarz und Silber.
Und Rollschuhe.
Der Doktor in seinem blauen Brioni-Blazer stiefelte an Michael vorbei in Richtung Gepäckausgabe. »Ich kenne dich nicht«, zischte er.
»Ach, stell dich nicht so an, Großer … Du erinnerst dich doch noch an unsern Zusammenbumser auf der Rollschuhbahn in South City. Neunzehnachtundvierzig war das, glaub ich.«
»Ist dir klar, daß du ein Arschloch bist?«
»Hattest du einen guten Flug?«
»Michael, der grauhaarige Mann dort drüben ist der berühmteste Gynäkologe der ganzen Westküste.«
Der Rollschuhfahrer drosselte das Tempo und schaute sich um. »Er hat Schuppen«, stellte er fest.
»Er kennt mich«, erwiderte Jon.
»Ich würde nie zu einem Gynäkologen mit Schuppen gehen.«
»Würdest du denn wenigstens langsamer fahren?«
»Warum? Willst du knutschen?«
»Ich hau dir gleich eine rein. Im Ernst.«
»Oooh, ich finde es toll, wenn du einen auf männlich machst.«
»Manche können das eben noch.«
»Du bist ein altmodischer Sack, daß du’s nur weißt.«
Jon funkelte ihn an, packte ihn hinten am Gürtel und brachte ihn zum Stehen. Dann drehte er ihn vor den Augen des berühmtesten Gynäkologen der ganzen Westküste herum und küßte ihn auf den Mund.
»Zufrieden?«
»Befriedigt!« antwortete Michael strahlend.
Sie holten Jons Wagen aus dem Flughafenparkhaus und fuhren zu seiner Wohnung in Pacific Heights. Unterwegs sprudelten die Details über die Barbary Lane und die Eröffnung, die Mrs. Madrigal ihrer »Familie« gemacht hatte, aus Michael nur so heraus.
Jon schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist ja … ein Hammer.«
»Findest du’s nicht toll?«
»Und Mona hatte keine Ahnung?«
Michael schüttelte den Kopf. »Sie hat gewußt, daß Mrs. Madrigal eine Transe ist -was sonst niemand gewußt hat –, aber sie hatte keine Ahnung, daß Mrs. Madrigal ihr Vater ist.«
»Was ist mit Monas Mutter?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Weiß sie denn Bescheid?«
Michael zuckte mit den Schultern. »Sie hat angerufen, kurz bevor Mona nach Winnemucca gefahren ist. Mona hat erzählt, daß sie reichlich abgedrehtes Zeug geredet hat, über Mrs. Madrigal und so, aber Mona kann nicht so recht sagen, wieviel ihre Mutter weiß.«
Jon pfiff durch die Zähne. »Bizarr!«
»Dabei hab ich noch kein Wort über Mary Ann verloren. Sie hat sich vor unseren Augen in eine zweite Nancy Drew verwandelt und entwickelt einen enormen kriminalistischen Eifer.«
»O Gott. Wie kommt Burke damit zurecht?«
»Alles in allem nicht schlecht. Mary Ann und er sind so besessen von diesem komischen Schlüssel, daß sie sonst kaum noch was mitkriegen.«
»Haben sie schon eine Spur?«
»Null. Ich persönlich glaub ja, daß es der Schlüssel von einem Spind ist.«
»Wie auf Busbahnhöfen und so?«
»Oder in der Sauna.«
Jon wurde schulmeisterlich. »Nicht alle Welt ist schwul, Michael.«
»Wem sagst du das?«
»War das denn schon alles?«
»Was soll das heißen?«
»Waren das schon alle Neuigkeiten? Hat es kein Erdbeben gegeben? Sind keine mongolischen Reiterhorden eingefallen und haben sich auf der Brücke verbarrikadiert?«
Michael lächelte geheimnisvoll. »Du bist schon nahe dran.«
»Was ist passiert?«
»Ich habe einen Job!«
»Großartig! Wo?«
»Bei Halcyon Communications. Mary Ann hat mir das Vorstellungsgespräch vermittelt. Der Botenjunge hat seinen Schwanz einmal zu oft auf den Kopierer gelegt, und Beauchamp Dingsbums hat ihn rausgeschmissen. Jetzt hab ich seine Stelle, und ich fang am Montag an.«
»Das ist wunderbar, Michael.«
»Ja, wahrscheinlich.«
»Aber klar. Aufsteigen kannst du später immer noch, Michael.«
»Ich weiß. Und ich weiß auch, daß es ein guter Job ist. Aber das ist auch gleich das Problem. Mir ist sofort wieder der Monasche Lehrsatz eingefallen.«
»Hmhh?«
»Der Monasche Lehrsatz. Jedenfalls nennt sie es so. Sie sagt, daß man einen tollen Job, einen tollen Liebhaber und eine tolle Wohnung haben kann, aber nie alles gleichzeitig.«
Jon lachte und zwinkerte Michael zu. »Wie kommst du auf den Gedanken, daß du jetzt einen Liebhaber hast?«