Acapulco-Blues

Die Abenddämmerung lag über der Pacific Princess. Michael saß in einem Liegestuhl an Deck, rauchte einen Joint und schaute auf die sanfte, verführerische Rundung des Strands vor Acapulco hinaus. Die Luft war warm, und der Himmel hatte genau die Farbe, die man von ihm erwartete.

Er hatte sie allerdings auch schon gehabt, bevor Michael stoned gewesen war.

»Mouse?« Es war Mary Ann, die sich für ihr Rendezvous zurechtgemacht hatte.

»Hallo«, sagte Michael.

»Ich habe dich überall gesucht.«

»I’se heah, Miz Scahlett.«

Sie zog sich einen Liegestuhl heran und setzte sich vorne auf die Querstange. »Geht es dir denn gut, Mouse?«

Er nickte. »Es geht mir doch immer gut.«

»Du warst nicht beim Abendessen.«

Er tätschelte seinen Bauch. »Die Wampe.«

»Burke und ich haben uns überlegt, daß du vielleicht gerne … Wir beide fänden es sehr schön, wenn du heute abend mit uns in die Stadt kommen würdest. Jemand hat uns von einem Lokal erzählt, das Baby O’s heißt.«

»Danke. Ich glaube nicht, daß ich das heute abend verkrafte.«

»Es ist eine Disco.«

»Vielleicht morgen, okay?«

Sie strich ihm eine Locke aus der Stirn. »Bist du sicher?«

Er nickte, als ihre Hand über seine Wange glitt. Seine Wange war feucht. Mary Ann saß fast eine Minute bei Michael, hielt seine Hand und schwieg.

»Du solltest besser gehen«, sagte er schließlich. »Mach dir keine Sorgen wegen mir.«

»Du bist viel zu hart zu dir selbst, Mouse.«

Er zuckte mit den Schultern. »Wer sollte mich denn sonst hart rannehmen?«

»Mouse, du bist so ein wunderbarer …«

»Ich weiß, Mary Ann. Ich weiß, daß ich ein netter Kerl bin. Wirklich. Ich weiß, daß du mich magst. Ich weiß, daß alte Damen mich mögen. Und meine Mutter, und Hunde, und Katzen … Und alle Leute, die ich kennenlerne. Nur ist keiner darunter, der sich einlassen würde auf … Ach, bring mich bitte nicht auf diesen Trip.«

»Mouse, ich wollte, du könntest …«

»Das Schlimme daran ist, daß ich die Antwort schon kenne. Die Antwort lautet, daß man seinen Seelenfrieden nie findet, wenn man auf einen anderen Menschen setzt. Tut man’s doch, ist man auch schon aufgeschmissen. Vielleicht nicht gleich, aber früher oder später garantiert. Man muß … Ich weiß nicht … Man muß mit sich selbst leben lernen. Man muß lernen, alleine aus dem Bett zu krabbeln und den Tisch bloß für eine Person zu decken, ohne daß man sich miserabel fühlt. Stark und selbstsicher und mit sich selbst zufrieden muß man sein, und man darf nie auch nur den Hauch eines Anscheins erwecken, daß man es ohne diesen bestimmten Jemand vielleicht nicht packt. Man muß grauenhaft gut Theater spielen.«

»Du spielst aber kein Theater, Mouse. Du bist stark.«

»Ich will aber nicht mehr. Es hängt mir zum Hals raus, ewig die Scherben aufzusammeln und voller Heldenmut den Blick nach vorn zu richten. Ich will, daß es wenigstens einmal klappt.« Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, lächelte dann plötzlich und zuckte mit den Schultern. »Ich will mit einem Marlboro Man einen Salem-Spot drehen.«

Mary Ann drückte seine Hand. »Wir sind alle so, Mouse.«

»Ich weiß, aber bei manchen Leuten funktioniert’s.«

»Bei dir wird’s auch bald funktionieren.«

»Wird es nicht.«

»Mouse …«

»Ich will es zu sehr, Mary Ann. Selbst ein Blinder kann das sehen. Wenn du so danach hechelst, dann will dich keiner mehr. Keiner fährt ab auf diesen … gehetzten Blick.«

Er drehte den Kopf weg und wischte sich mit der Hand über die Augen.

»Mensch!« sagte er leise und griff wieder nach ihrer Hand. »Sieh dir nur diesen Himmel an!«

 

Als Mary Ann und Burke aufgebrochen waren, verbrachte Michael eine halbe Stunde in der Kabine und las ein weiteres Kapitel des Isherwood-Buchs, bevor er wieder auf das Deck spazierte.

Die Lichter der Stadt zwinkerten ihm verführerisch zu.

Aber warum sollte ich? fragte er sich. Warum sollte ich mein Herz schon wieder in die Mangel stecken? Wen könnte ich bei einem zweitägigen Aufenthalt in einer fremden Stadt schon finden, der mir vielleicht etwas bedeutet?

Und sollte ich das rosa oder das grüne Lacoste-Hemd anziehen?

 

Der Taxifahrer hatte einen enormen weißen Schnurrbart und ein joviales Großvatergesicht. Michael fragte ihn nur äußerst ungern.

»Äh … Kennen Sie irgendwelche schwulen Lokale?«

Der Fahrer schaute verständnislos drein. »Rotlicht?«

»Nein, nicht Rotlicht. Männer.«

»Männer?«

»Sí.«

»Ah, Homosex!«

»Sí.«

Der Fahrer schaute nach hinten und musterte seinen Fahrgast einige Sekunden. »Homosex«, wiederholte er, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtete.