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«Wir müssen hier raus, die ganze Hütte fackelt ab!», schreie ich und öffne die Schnappverschlüsse an der Seite. Schubse den Deckel von der Kiste, der krachend zu Boden geht.

Felix’ Beine sind angewinkelt, und seine Augen sind zusammengekniffen; das Licht blendet ihn. Er ist bleich und sieht eingefallen aus. An Händen und Füßen gefesselt. Sein Mund ist mit Klebeband verschlossen. Ich reiße es mit einem Ruck ab.

«Eva, Gott sei Dank. Hol ein Messer, schnell», stöhnt er. Seine Lippen sind aufgesprungen und rissig. Seine Augen liegen in dunklen Höhlen. Mir bricht es fast das Herz, ihn so zu sehen. Ich nicke und sehe mich um. Ich kann ein Zischen über mir hören und ein Geräusch, das ich zu gut kenne.

Das Knistern von brennendem Holz.

Ich sehe mich um und kann nichts entdecken. Kein Messer. Ich kann gar nichts mehr sehen.

Nur das Bild einer brennenden Hütte tanzt vor meinen Augen. Brennendes, loderndes Holz.

«Eva!», brüllt Felix heiser, seine Stimme bricht und reißt mich aus meiner Starre. Ich schüttele mich. Auf dem Boden entdecke ich einen Teppichschneider.

Ich lasse die Klinge aus dem Schaft fahren und schneide das Seil an seinen Händen los. Als seine Hände frei sind, nimmt er mir den Teppichschneider aus der Hand und löst seine Fußfesseln. Er krabbelt aus der Kiste. Seine Beine knicken weg, und er fällt der Länge nach hin.

«Eva, ich kann meine Beine nicht mehr spüren.»

«Was?», rufe ich ungläubig.

«Ich war tagelang in dieser Kiste. Ich spüre meine Beine nicht mehr.»

Ich versuche ihn aufzurichten. Aber er ist zu schwer für mich.

«Das kommt gleich wieder», erkläre ich. «Das Haus brennt, wir müssen hier raus.»

Felix versucht sich hinzustellen, ich stütze ihn, aber er knickt weg. Seine Beine tragen ihn nicht. Wir fallen beide der Länge nach hin.

«Geh vor, ich komme gleich nach. Mach schon», keucht er.

Ich renne voraus zur Kellertreppe. Oben kann ich dicke Rauchschwaden sehen.

«Schaffst du es die Treppe hoch? Schaffst du das?»

«Du musst dich vorher nass machen, los, dreh den Hahn auf», befiehlt Felix, der am Boden liegt.

Ich drehe den Wasserhahn neben der Tür voll auf, das Wasser schießt durch den etwa zwanzig Zentimeter langen Schlauch. Es ist eiskalt. Ich spritze uns beide von oben bis unten ab.

«Wo geht es raus?», fragt er. Sein Gesicht ist bleich.

«Oben links geht’s zur Garage, das ist der einzige Weg nach draußen.»

Ich krabbele auf allen vieren nach oben. Felix direkt hinter mir. Er zieht sich Stück für Stück nach oben. Wenigstens in seinen Arm hat er nach wie vor Kraft.

Der Rauch ist hier dick. Aus Richtung Küche und Wohnzimmer lodern Flammen in den Flur. Es knackt und knistert. Ich robbe blitzschnell über den Boden zur Verbindungstür, die geschlossen ist. Felix folgt.

Ich öffne sie, spüre noch den Luftzug in meinem Gesicht, dann wird mir klar, dass dies ein großer Fehler war. Die Luft ist wie ein Sog und nährt das Feuer hinter uns. Es zischt und breitet sich rasant weiter aus. Ich spüre die Hitze hinter mir, krabbele weiter über den Betonboden der Garage. Felix schmeißt die Tür hinter uns zu, und die Flammen krachen und zischen wie ein bösartiges Ungeheuer, das hinter uns her ist. Ich richte mich auf und renne zum Garagentor, drücke dagegen, aber ich bekomme es nicht auf. Neben dem Tor ist der elektrische Schalter, ich drücke mehrfach auf «ÖFFNEN», aber nichts tut sich. Die ganze Elektrik ist wohl lahmgelegt.

Über mir knistert und faucht es bedrohlich. Ich blicke nach oben zur Decke, die mit Platten abgedeckt ist, von denen es bereits heftig qualmt.

Wir haben nur eine Chance hier rauszukommen.

Felix ist hinter den Van gekrabbelt.

«Mach die Klappe auf!», schreit er mir zu. Hustet.

Ich öffne die Heckklappe des Vans und Felix zieht sich an seinen Armen in den Kofferraum des Vans. Neben die Kiste. Klammert sich an einen Griff. Seine Beine lugen zur Hälfte heraus. Sie gehorchen ihm nicht.

«Jetzt fahr die Karre hier raus», ruft er.

Ich springt nach vorne, reiße die Fahrertür des Vans auf und schmeiße mich hinter das Lenkrad. Ich drehe den Schlüssel im Zündschloss. Um uns herum beginnt das Feuer zu wüten. Ich stehe mit einem Fuß auf der Kupplung, lege den Rückwärtsgang ein und trete das Gaspedal durch.

Der Motor heult auf. Der Drehzahlmesser steigt nach oben. Die Reifen quietschen. Vor mir das geschlossene Garagentor.

Dann lasse ich die Kupplung springen, und mit einem gewaltigen Ruck jagt der Van nach vorne. Ich schreie los.

In dem Moment stürzt die Decke herunter. Das Zischen des Feuers geht in meinem langgezogenen Schrei unter. Der Van kracht durch das Tor, schießt aus der brennenden Garage.

Auf der Straße bremse ich hart und springe aus dem Van. Ich laufe um den Wagen herum und sehe Felix halb im Heck liegen. Er stöhnt.

«Felix!», schreie ich. «Wir sind draußen!». Da schubst mich jemand zur Seite und drückt ihm eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht.

Weitere Sanitäter rennen herbei und ziehen ihn aus dem Van. «Seine Beine», rufe ich, «er kann seine Beine nicht mehr spüren.»

Ich sehe auf. Erst da bemerke ich das Blaulicht, das auf dem nassen Asphalt kreist, und das ohrenbetäubende Martinshorn, das so laut ist, dass mein Trommelfell fast platzt. Die Feuerwehr richtet mehrere Schläuche auf das Haus, das in Flammen steht. Fensterglas birst. Ich höre das Holz knacken und sehe die fauchenden Flammen, die aus den Fenstern nach oben gieren und sich mit denen auf dem Dach zu einer Feuerzunge verbinden.

Ich kann die Hitze auf meinem Gesicht spüren. Rieche den Qualm.

Jemand packt mich unter dem Arm und zerrt mich fort. Das Martinshorn erstirbt mit einem Schlag.

Ich sehe zu, wie Felix auf eine Trage gepackt und weggebracht wird. Wende meinen Kopf und sehe auf den Arm, der zu dem Menschen gehört, der mich weggezerrt hat. Ich kenne den Unterarm.

«Was machst du nur für Sachen?», sagt Hendrik.

Es fühlt sich an wie ein Traum. Ein merkwürdig realer Traum.

Er sieht mich mit sorgenvollem Gesicht an.

Ich fixiere seine Augen, die so blau sind, dass ich darin versinken will.

«Da liegt noch jemand hinter dem Haus, auf dem Tisch», stammele ich.

Ich höre Hendrik einen Befehl bellen, so laut, dass ich kurz zusammenzucke.

Ein Sanitäter erscheint neben mir. Ganz in Weiß. Sein Gesicht verschwimmt. Ich bemerke, dass mein Sichtfeld schmaler wird; es schnurrt immer weiter zusammen, bis es ein schmaler Korridor ist. Meine Knie sind wie Gelee und knicken einfach weg.

Dann wird mir schwarz vor Augen.